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Fünfunddreißigstes Kapitel

Am nächsten Tage empfing Hugh den Besuch der Person, die er am allerwenigsten von seinen Bekannten zu sehen erwartet hatte. Die verschollene Mrs. Vimpany erschien in eigener Person in seinem Hotel.

Sie sah unnatürlich älter als damals aus, wo Mountjoy sie zum letztenmal gesehen hatte. Ihr künstliches Aeußere war verschwunden. Das jetzt nicht mehr vorhandene Rot, welches einstmals ihre Wangen überzogen, hatte während der langen Reihe von Jahren, in der sie es auflegte, das Gewebe ihrer Haut rauh gemacht und ihrer Farbe einen ungesunden gelben Ton verliehen. Ihr Haar, das einstens so geschickt schwarz gefärbt war, gestand jetzt offen die Wahrheit ein und zeigte die nüchterne Farbe des Alters; es war grau. Selbst der durchdringende Glanz ihrer großen schwarzen Augen war verschwunden; alle die Verschönerungskünste, welche sie ihrer Bühnenlaufbahn verdankte, waren nicht mehr zu sehen, nur die liebenswürdige Anmut ihrer Bewegungen und der tiefe melodische Klang ihrer Stimme verrieten noch Mrs. Vimpany, welche jetzt in ein einfaches dunkelbraunes Gewand gehüllt war, das aller der kleinen, versteckten Mittel entbehrte, durch welche die Schneiderinnen so geschickt der Figur nachzuhelfen verstehen.

»Wollen Sie mir Ihre Hand reichen, Mr. Mountjoy?« Das waren die ersten Worte, welche sie sprach, als sie in bescheidener, niedergedrückter Haltung das Zimmer betrat.

»Warum nicht?« fragte Hugh und gab ihr die Hand.

»Sie können keine sehr günstige Erinnerung an mich haben,« antwortete sie, »aber ich hoffe, daß ich jetzt einen besseren Eindruck auf Sie mache, wenn Sie mir ein klein wenig von Ihrer kostbaren Zeit schenken wollen. Sie werden vielleicht von meiner Trennung von Mr. Vimpany gehört haben. Es ist ganz unnötig, daß ich Sie mit diesem Gegenstand belästige. Sie kennen meinen Gatten und sind daher wohl im stande, zu erraten, was ich bei ihm zu erdulden hatte, und warum ich ihn verlassen habe. Wenn er zu Ihnen kommt, so werden Sie ihm hoffentlich nicht sagen, wo sich Lady Harry befindet.«

Hugh unterbrach sie:

»Bitte, sprechen Sie nicht von ihr unter diesem Namen; nennen Sie sie Iris, wie ich es thue!«

Eine schwache Erinnerung an ihr altes Bühnenlächeln zitterte über Mrs. Vimpanys müdes, trauriges Gesicht.

»O, Mr. Mountjoy, ich weiß, wen sie hätte heiraten sollen, aber der schlimmste Feind der Frauen ist ihre Unkenntnis der Männer; sie lernen dieselben erst dann besser kennen, wenn es zu spät ist! Ich versuche immer noch, für Iris zu hoffen in der Zukunft, aber meine Befürchtungen sind stärker als meine Hoffnungen.«

Sie machte eine Pause, seufzte und drückte ihre Hand auf die Brust, durch diese Bewegung wieder einmal die unvertilgbaren Spuren ihrer früheren Bühnenlaufbahn verratend.

»Ich scheue mich fast, zu sagen, daß ich Iris lieb habe,« fuhr sie fort, »aber das eine weiß ich: wenn ich nicht mehr so schlecht bin, wie ich einstens war, so verdanke ich das einzig und allein der herzigsten und liebenswürdigsten aller Frauen. Ich möchte wohl wissen, ob andere Leute, wenn sie den Weg zur Besserung einschlagen, es auch so schwer finden, ihm zu folgen, wie es mir zuerst ging!«

»Daran ist nicht zu zweifeln, Mrs. Vimpany, wenn die Betreffenden es nämlich ernst nehmen. Man muß sich hüten vor solchen, die von einer plötzlichen Bekehrung und einer vollkommenen Befriedigung sprechen. Darf ich fragen, wie Sie Ihr neues Leben begannen?«

»Recht unglücklich, Mr. Mountjoy. Ich schloß mich einer Schwesterschaft an, welche der Krankenpflege oblag; nach kurzer Zeit brach unter ihnen ein Streit aus. Stellen Sie sich nun Frauen vor, welche sich selbst Christen nennen und die streiten über Kirchen und Kirchendienst, über Kleidung der Geistlichen und ihre Bewegungen, über Kerzen und Weihrauch. Ich verließ sie wieder und ging in ein Hospital und fand dort, daß die Aerzte bessere Christen sind als jene Schwestern. Ich würde nicht über mein eigenes armes Selbst sprechen, wenn nicht ein Grund dazu vorläge, wie Sie gar bald sehen werden. In dem Hospitale pflegte ich eine Dame während einer langwierigen Krankheit und wurde dann damit betraut, sie zu Verwandten nach Südfrankreich zu bringen. Auf meiner Rückreise gedachte ich, einige Tage in Paris zu verweilen; es war eine günstige Gelegenheit für mich, die Thätigkeit der Krankenpflegerinnen in den französischen Hospitälern kennen zu lernen. Und doch that ich etwas ganz anderes als das, was ich mir vorgenommen hatte. Ich traf nämlich mit Iris in Paris zusammen.«

»Zufällig?« fragte Hugh.

»Ich bin mir darüber nicht klar,« antwortete Mrs. Vimpany, »ob so etwas wie eine Begegnung etwas Zufälliges genannt werden kann. Sie und ihr Gatte befanden sich auf einem der Boulevards unter den vielen Menschen, welche dort sitzen und ihren Kaffee trinken und dabei die anderen betrachten, die vorübergehen. Ich ging vorbei, ohne sie zu bemerken; sie aber hatte mich gesehen und schickte Lord Harry hinter mir her, um mich zurückzubringen. Ich bin dann mit ihnen jeden Tag zusammengewesen, da Iris mich dazu aufforderte, so lange ich in Paris blieb, und ich kenne jetzt genau das Leben, welches sie führen.«

Sie hielt inne, da sie bemerkte, daß Hugh durch ihre Worte heftig erregt wurde. »Ich bin im Zweifel,« sagte sie, »ob Sie es wünschen, mehr von ihrem Leben in Paris zu erfahren.«

Hugh faßte sich sofort wieder.

»Erzählen Sie weiter,« sagte er ruhig.

»Auch dann, wenn ich Ihnen sage, daß Iris vollkommen glücklich ist?«

»Erzählen Sie nur weiter,« wiederholte Hugh.

»Darf ich Ihnen gestehen,« sagte sie, »daß Iris' Gatte unwiderstehlich ist, nicht allein für seine Frau, sondern sogar für ein so altes Weib, wie ich bin! Nachdem ich ihn nun schon so viele Jahre kenne von seinen schlimmsten und seinen besten Seiten, bin ich doch noch thöricht genug, dem Zauber zu erliegen, den er auf alle Frauen durch seinen sprühenden Geist und seinen Humor ausübt; die nüchternen Engländer würden ihn wahrscheinlich, wenn sie ihn sähen, für einen Menschen halten, welcher verdiente, unter Kuratel gestellt zu werden. Eine der absonderlichen Ideen des wilden irischen Lords, durch die er seiner Ergebenheit und Liebe für seine Frau Ausdruck geben will, ist unter anderen, daß sie sich nicht als verheiratet betrachten, sondern ein Leben wie Liebende führen sollen. Wenn sie in einem Restaurant speisen, so besteht er darauf, ein chambre separée zu nehmen; er führt sie auf öffentliche Bälle und engagirt sie auf alle Tänze für den ganzen Abend; wenn sie zu Hause bleiben, weil Iris einmal der Gesellschaften müde ist, dann schickt er mich ans Klavier und walzt mit seiner Frau durchs Zimmer. ›Nichts belebt eine Frau so,‹ sagt er, ›als wenn sie mit dem Mann, den sie liebt, tanzt.‹ Wenn sie dann ganz außer Atem ist und ich das Klavier schließe, was glauben Sie wohl, was er dann thut? Er küßt mich und sagt, er drücke damit nur die Gefühle seiner Frau aus, wenn sie nicht im stande sei, es selbst zu thun. Er speist zuweilen mit Herren außer dem Hause und kommt zurück mit all dem Feuer und der Lebhaftigkeit, welche der gute Wein verursacht, und ist dann liebenswürdiger als je; bei solchen Gelegenheiten sind seine Taschen gefüllt mit Süßigkeiten, die er für ›seinen Engel‹ von dem Dessert beiseite geschafft hat. ›Bin ich etwas angeheitert?‹ fragt er. ›Bitte, sei nicht bös, es geschah nur aus Liebe zu Dir; ich war in sehr vornehmer Gesellschaft, mein Liebling, und brachte immer und immer wieder Deine Gesundheit aus und trank im Gedanken an Dich und auf Dein Wohl mehr als die ganze übrige Gesellschaft; Du tadelst mich deswegen nicht? Aber ich tadle mich dafür um so mehr. Es war unrecht von mir, daß ich Dich allein ließ und mit anderen speiste. Was brauche ich die Gesellschaft von Herren, wenn ich Deine Gesellschaft habe! Daß ich dabei auf Deine Gesundheit trank, das ist nur eine elende Entschuldigung. Ich werde in Zukunft alle Einladungen ablehnen, bei denen Du nicht mit inbegriffen bist.‹ Nun, merken Sie wohl, damals war es ihm ernst damit, aber schon zwei oder drei Tage später vergaß er seine guten Vorsätze und speiste wieder in Herrengesellschaft auswärts und kam dann mit noch mehr liebenswürdigen Entschuldigungen, gestohlenen Süßigkeiten und guten Vorsätzen nach Hause. – Ich fürchte, ich langweile Sie, Mr. Mountjoy?«

»Sie versuchte, an Hugh vorbeizuschlüpfen, um aus dem Zimmer zu eilen; er ergriff sie jedoch am Arm« etc. (s. S. 46.)

»Sie setzen mich allerdings in Erstaunen,« erwiderte Hugh. »Warum muß ich denn alles dies von Lord Harry hören?«

Mrs. Vimpany verließ ihren Platz. Infolge einer der Regeln, die auf der Bühne galten, hatte sie die Gewohnheit angenommen, sich zu erheben, wenn sie in der Rolle, die sie spielte, etwas Ernstes und Wichtiges zu sagen hatte; und sie stand noch immer unter dem nachhaltigen Einfluß der theatralischen Gewohnheiten. Deshalb erhob sie sich auch jetzt und legte ausdrucksvoll ihre Hand auf Mr. Mountjoys Schulter.

»Ich habe nicht gedankenlos Ihre Geduld auf die Probe gestellt,« sagte sie. »Jetzt, wo ich nicht mehr dem direkten Einflusse Lord Harrys unterworfen bin, vermag ich es wieder, mir meine frühere Erfahrung über ihn ins Gedächtnis zurückzurufen; und ich fürchte, wir werden erleben, daß es ein übles Ende nimmt. Er wird wieder in schlechte Gesellschaft geraten, er wird auf den Rat schlechter Freunde hören und dann in der Zukunft Dinge thun, vor denen er jetzt zurückschreckt. Wenn diese Zeit kommt, dann fürchte ich ihn! Ja, dann fürchte ich ihn!«

»Wenn diese Zeit kommt,« wiederholte Mountjoy, »dann soll er, wenn ich noch irgend einen Einfluß auf seine Frau habe, sie fähig finden, sich selbst zu schützen. Wollen Sie mir Iris' Adresse in Paris geben?«

»Gern, wenn Sie mir versprechen wollen, sie nicht eher aufzusuchen, als bis sie Sie wirklich braucht.«

»Wer soll es denn entscheiden, wann sie mich braucht?«

»Ich werde es entscheiden,« antwortete Mrs. Vimpany. »Iris schreibt mir alles aufrichtig und vertrauensvoll; wenn sich aber irgend etwas ereignen sollte, was sie einem Briefe nicht anvertrauen will, dann hoffe ich, es von ihrem Kammermädchen zu erfahren.«

»Sind Sie denn auch sicher, ob diesem Kammermädchen zu trauen ist?« fragte Mountjoy.

»Fanny Mere ist ein sehr stilles Wesen, soweit ich sie kenne, und ihre Art und Weise fordert gerade nicht zum Vertrauen auf,« gab Mrs. Vimpany zu. »Ich habe jedoch mit ihr gesprochen und aus ihren Reden zu meiner großen Befriedigung ersehen, daß sie ihrer Herrin treu ergeben und dankbar ist in ihrer eigenen sonderbaren Weise. Sollte sich Iris jemals in irgend einer Gefahr befinden, so werde ich darüber nicht in Unkenntnis bleiben. Kann dies Sie vermögen, mich erst um Rat zu fragen, bevor Sie den Entschluß fassen, nach Paris zu gehen? Machen Sie keine Umstände, sondern sagen Sie mir aufrichtig Ja oder Nein.«

Hugh sagte aufrichtig: »Ja.«

Mrs. Vimpany gab ihm nun sofort die Adresse von Iris und versprach zu gleicher Zeit, ihm alle Nachrichten zu übermitteln, welche sie aus Paris erhielt, sobald sie sie selbst gelesen.

Nach dieser Verabredung trennten sie sich für jetzt.


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