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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Von der Natur mit einer eisernen Konstitution beschenkt, welche jedem Kranksein erfolgreichen Widerstand leistete, wurde Mr. Henley dennoch hie und da von grundlosem Zweifel an seinem Gesundheitszustand gequält. Wieder einmal in einer derartigen Täuschung befangen, bildete er sich ein, Anzeichen einer Krankheit in sich zu spüren, welche einen Wohnungswechsel nötig machten, und beschloß daher, aus der Stadt aufs Land zu ziehen. Es war dies nur wenige Tage, nachdem seine Tochter ihr neues Kammermädchen in Dienst genommen hatte. Iris zeigte sich über diese Veränderung, welche ihren eigenen Wünschen so sehr entsprach, hocherfreut und war daher eifrigst bemüht, den Plan ihres Vaters zu unterstützen. Angst und Sorge hatten sie angegriffen, so daß auch für sie die Ruhe und Stille des Landlebens nur wohlthuend sein konnte. Schon die erste Woche brachte eine wesentliche Verbesserung ihrer Gesundheit. Sie erfreute sich an der heiteren Schönheit der Wälder und der Felder, sie atmete mit Entzücken die herrliche, reine Luft ein – zuweilen arbeitete sie in dem Garten, wo sie sich eine Ecke für ihre eigenen Gärtnerkünste vorbehalten hatte, zuweilen half sie den Frauen bei den leichteren Arbeiten in der Oekonomie – und so wurden ihre Nerven wieder gekräftigt, und ihr Gemütszustand fand wieder seine frühere Heiterkeit.

In der Ausübung ihrer Pflichten rechtfertigte das neue Kammermädchen während des Landaufenthaltes vollkommen das Vertrauen, welches Miß Henley in sie gesetzt hatte.

Sie bewies in ihrer ruhigen, gelassenen Art und Weise die aufrichtigste Dankbarkeit gegen ihre Herrin. Ihren verschiedenartigen Beschäftigungen lag sie verständig und aufmerksam ob, ihr gleichmäßiger Charakter schien sich nie zu verändern; sie gab den übrigen Dienstboten keinen Grund, zu klagen. Eine Eigentümlichkeit in ihrem Wesen rief jedoch feindselige Bemerkungen in den unteren Regionen hervor. So oft sie einen freien Tag zu ihrer eigenen Verwendung hatte, fand sie jedesmal eine Entschuldigung, daß sie nicht irgend einem andern der weiblichen Dienstboten sich anzuschließen brauchte, welche an demselben Tag die gleiche Vergünstigung genossen. Der einzige Gebrauch, den sie von ihrem Ausgehtage machte, war, daß sie mit der Eisenbahn nach einem unbekannten Orte fuhr. Am Abend kehrte sie jedesmal zur rechten Zeit wieder zurück. Iris wußte genug von Fannys traurigen Lebensumständen, um die Gründe ihres Verhaltens achten zu können, und sah daher auch die Notwendigkeit ein, den Zweck dieser jedesmaligen Reise der andern Dienerschaft gegenüber geheim zu halten.

Das angenehme Leben auf dem Landgut hatte schon ungefähr einen Monat gedauert, als Iris die Nachricht erhielt, daß Hugh in der nächsten Zeit nach England zurückkehren würde. Sein Vater war nach einer langen Krankheit gestorben, und das Begräbnis hatte auch schon stattgefunden. Geschäfte, welche in Verbindung mit der Uebernahme der Hinterlassenschaft seines Vaters standen, würden ihn noch wenige Tage in London aufhalten. Dann aber, wenn diese notwendigen Formalitäten erledigt seien, hoffe er, an dem ersten freien Tage Iris besuchen zu dürfen.

Als Mr. Henley diese Nachrichten erhielt, kam er eigensinnig auf seinen alten Plan wieder zurück, obgleich er schon zweimal durchkreuzt worden war, auf eine Heirat zwischen Hugh Mountjoy und Iris.

Er schrieb an den jungen Mann und lud ihn in so herzlicher Weise ein, daß Iris ganz erstaunt darüber war. Und als nun der Gast wirklich ankam, da hatte der liebenswürdige Empfang des alten Henley nur einen Fehler – Iris überbot ihn noch. Iris' Vater gab den beiden jungen Leuten immerfort Gelegenheit, sich allein zu sprechen, und übersah dabei doch, dem bekannten Grundsatze gemäß, daß niemand so blind war wie der, der nicht sehen wollte, daß die Beziehungen zwischen den beiden doch immer nur freundschaftliche Beziehungen blieben, er mochte nun anstellen, was er wollte. Die lange Pflege, welche Hugh seinem sterbenden Vater hatte angedeihen lassen, hatte ihn selbst sehr niedergedrückt und angegriffen. Iris verstand ihn und hatte Mitgefühl mit ihm. Seine bestimmte Ansicht über ihr neues Kammermädchen wollte er zunächst nicht äußern, nachdem er Fanny Mere zum erstenmale gesehen hatte.

»Ich bin geneigt,« sagte er, »dem Mädchen Vertrauen zu schenken, und doch habe ich auf der andern Seite Bedenken, dieser Stimmung zu folgen – ich weiß nicht warum.«

Als das Ende seines Besuches herangekommen war, setzte Hugh seine Reise in nördlicher Richtung fort. Zu der Hinterlassenschaft seines Vaters, die er jetzt angetreten hatte, gehörte auch ein Landhaus an der schottischen Küste des Solwaymeerbusen. Das Besitztum war während der längeren Abwesenheit des ältern Mountjoy auf dem Kontinent sehr vernachlässigt worden. Hugh wollte sich nun mit eigenen Augen überzeugen, ob irgend welche Verbesserungen und Reparaturen notwendig wären.

Nach der Abreise seines Gastes nahm Mr. Henley, der immer noch eigensinnig die Hoffnung auf eine Verbindung zwischen Hugh und Iris nicht aufgegeben hatte, eine scherzhafte Art und Weise im Verkehr mit Iris an und fragte, ob das schottische Landhaus für die Flitterwochen in stand gesetzt werden sollte. Ihre Antwort jedoch, so freundlich sie auch ausgedrückt war, versetzte ihn in heftigen Zorn. Sein rachsüchtiger Charakter riß ihn nicht nur zu harten Worten, sondern sogar zu boshaften Handlungen hin. Er verkaufte einen von seinen Hunden, der sich besonders an Iris angeschlossen hatte, und als er sah, daß sie noch an dem Landaufenthalte Freude hatte, beschloß er, sofort nach London zurückzukehren.

Sie unterwarf sich stillschweigend seinen Anordnungen. Aber die Vorfälle vergangener Tage, als das harte Benehmen ihres Vaters sie aus seinem Hause vertrieben hatte, tauchten wieder unheilverkündend in ihrer Erinnerung auf. Sie legte sich selbst die Frage vor:

»Soll wieder ein Tag kommen, an dem ich meinen Vater von neuem verlassen muß?«

Und der Tag kam – sie hatte keine Ahnung, durch welche Umstände veranlaßt.


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