Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierundzwanzigstes Kapitel

Ungefähr vier Monate waren seit Iris' Rückkehr in das Haus ihres Vaters vergangen.

Von alledem, was sich in der ersten Hälfte dieser Zwischenzeit ereignet hatte, erfordert das die meiste Beachtung, was Hugh Mountjoy that, als ihm Miß Henley ihre Vermutungen über den irischen Lord zuerst mitgeteilt hatte.

Es war für ihn, den treu ergebenen Freund des jungen Mädchens, unmöglich, sie zu erblicken und nicht sofort die Zeichen tiefer Erregung an ihr wahrzunehmen, als sie auf dem Weg nach der Station wieder zusammentrafen. Iris wartete nur, bis sie allein in dem Eisenbahnwagen saßen; dann öffnete sie ohne Rückhalt dem Mann ihr Herz, in dessen klaren Verstand und aufrichtige Teilnahme sie unbegrenztes Vertrauen setzen durfte. Er hörte aufmerksam zu, was ihm Iris von den Worten Lord Harrys wiederholen konnte, und schien nur wenig überrascht darüber zu sein. Iris hatte ihn nur an die eine der Enthüllungen erinnert, welche dem Doktor während des Mittagessens in dem Gasthof entschlüpft waren. Unter dem unwiderstehlichen Einfluß des guten Weins hatte Mr. Vimpany auch die Ursache verraten, welche den irischen Lord in seinem Vaterland nach der Ermordung Arthur Mountjoys noch zurückhielt. Hugh trat der einzigen Schwierigkeit, welche ihm bei der Beurteilung der Angelegenheit hinderlich sein konnte, mutig entgegen, ohne davor zurückzuschrecken. Er beschloß, sich vollständig von dem natürlichen Vorurteil gegen den Nebenbuhler freizumachen, der ihm vorgezogen worden war, ehe er die Verantwortlichkeit übernahm, dem jungen Mädchen durch seinen Rat beizustehen.

Nachdem er wenigstens einigermaßen das Vertrauen zu der Unparteilichkeit seines eigenen Urteils wiedergewonnen hatte, ging er auf die Frage, weswegen Lord Harry England verlassen haben konnte, näher ein.

Ohne den Versuch zu machen, die Richtigkeit des Schlusses zu bestreiten, zu welchem Iris gekommen war, that er zunächst sein Möglichstes, ihren Kummer zu lindern. Nach seiner Meinung ließ sich eine Gewißheit über die Absichten, welche Lord Harry hatte, sehr leicht erzielen. Die Anspielung des irischen Lords auf ein neues Abenteuer, welches ihm auf seiner Jagd nach Gold und Edelsteinen begegnen könnte, schien darauf hinzudeuten, daß er sich vorher genau überlegt, wie er bei der Verfolgung des Mörders vorzugehen habe, und ebenso gewährte sie einen wahrscheinlichen Vorwand, um Iris zu beruhigen. Es war wenigstens möglich, daß der Mörder vor der ihm drohenden Gefahr, wenn er in England bliebe, gewarnt worden sein konnte, und daß er infolge dessen sich in ein weit entferntes Land begeben hatte, welches ihm nicht nur einen vollständig sicheren Zufluchtsort, sondern auch durch seine im Schoß der Erde verborgenen Schätze die Aussicht auf Gewinn bot. Angenommen, daß diese Umstände sich wirklich so verhielten, so lag es in Lord Harrys Charakter, um der Rache auch sicher zu sein, daß er sich mit demselben Dampfer einschiffte, den der Mörder benützte.

So unbewiesen diese Annahme auch zweifellos war, so bot sie doch einen Vorteil: ihre Richtigkeit konnte leicht festgestellt werden.

Hugh hatte sich auf der Station einige der Tageszeitungen gekauft. Er wollte die Passagierlisten der Schiffe durchsehen, zuerst derjenigen, welche die Verbindung mit den Diamantminen und Goldfeldern von Südafrika unterhielten.

Dieses Vorgehen belehrte ihn sofort, daß der erste Dampfer dieser Linie in zwei Tagen von London abgehen würde. Die nächste Vorsichtsmaßregel war nun, den Hafen überwachen zu lassen, und Mountjoys alter treuer Diener, welcher Lord Harry vom Sehen her kannte, war der geeignete Mann dazu.

Iris fragte natürlich, welchen Vorteil es haben könnte, wenn sich seine Annahme wirklich als richtig herausstellen würde.

Hierauf entgegnete Mountjoy, daß die einzige Hoffnung – allerdings nur eine sehr schwache Hoffnung, wie er selbst eingestehen mußte – Lord Harry zu veranlassen, seinen abenteuerlichen Plan noch einmal genau zu überlegen, in dem Einfluß lag, den Iris auf den jungen Irländer ausübte. Sie mußte einen Brief an ihn schreiben, welcher ihm sagte, daß sein Geheimnis durch seine eigenen Worte und durch sein eigenes Verhalten verraten worden wäre. Dann sollte sie ihm darin erklären, daß sie ihn niemals wiedersehen oder irgend eine Verbindung mit ihm aufrecht erhalten wollte, wenn er auf seinem wilden Entschluß, Rache zu nehmen, beharren würde.

Das war der verzweifelte Versuch, welchen Mountjoys edelmütige und selbstlose Liebe zu Iris ihr zu machen riet.

Der Diener, der mit dem Brief der Miß Henley betraut wurde, mußte sich auf seinen Wachposten begeben – und der Erfolg, welcher für wenig besser als für eine vollständig verlorene Hoffnung anzusehen war, erwies sich als günstig. Lord Harry befand sich unter den Passagieren des Dampfers.

Mountjoys Diener überreichte dem wilden Lord den ihm anvertrauten Brief und fragte höflich, ob er auf Antwort warten sollte. Der wilde Lord las den Brief – machte ein Gesicht (um des Boten eigene Worte zu gebrauchen) wie ein Mann, der plötzlich einen Schlag erhalten hatte – schien für den ersten Augenblick gar nicht zu wissen, was er sagen oder thun sollte, und gab endlich folgende Antwort:

»Sagen Sie Miß Henley meinen verbindlichsten und aufrichtigsten Dank; ich würde an sie schreiben, wenn das Schiff in Madeira angekommen wäre.«

Der Diener fuhr fort, ihn zu beobachten, als er an Bord ging. Er sah, wie der Lord noch einen Blick rückwärts warf, als wenn er argwöhnte, es könne ihm jemand folgen; dann verlor er ihn jedoch aus dem Gesicht, da Lord Harry seine Kabine aufsuchte. Nach einer ziemlich langen Verspätung ging das Schiff endlich ab, aber Lord Harry ließ sich nicht wieder auf dem Deck sehen.

Als diese zweifelhafte Botschaft Iris überbracht wurde, erregte sie ihren Unwillen, sie hielt sie für grausam.

Es würden nun vielleicht mehrere Wochen vergehen, während dieser Zeit war sie zu einem Leben in banger Ungewißheit verurteilt. Außerdem mußte sie diese Geduldprüfung auch noch allein über sich ergehen lassen, ohne Mountjoy zur Seite zu haben, der ihr hätte Mut zusprechen und sie hätte trösten können. Er war nach dem südlichen Frankreich gerufen worden, wo sein Vater krank lag.

Aber das Leben von Miß Henley hatte während dieser Periode auch eine angenehmere Seite. Sie fand Grund, sich Glück zu wünschen wegen der Versöhnung, welche zwischen ihr und ihrem Vater stattgefunden und welche sie wieder nach Hause zurückgeführt hatte. Mr. Henley war ihr bei ihrer Ankunft zwar nicht zärtlich, aber gewiß freundlich entgegengetreten.

»Wenn wir uns nicht gegenseitig hinderlich in den Weg kommen, so werden wir schon ganz gut mit einander fertig werden. Ich freue mich, Dich wieder hier zu sehen.«

Das war alles, was er zu ihr gesagt hatte, aber es bedeutete viel bei einem solchen verbitterten und selbstsüchtigen Mann.

Das einzige, was ihr in ihrem Vaterhause Sorge bereitete, war der Gesundheitszustand ihres Mädchens.

Der Doktor erklärte, daß ärztliche Hilfe in diesem Fall nichts nützen könnte, so lange Rhoda Bennet in London bleiben würde. Auf dem Land sei sie geboren und erzogen worden, und auf das Land müsse sie zurückkehren. Zu Mr. Henleys großem Besitztum im Norden von London gehörte zufälligerweise auch ein kleines Landgut in der Nachbarschaft von Muswellhill. Iris wartete schlauerweise eine günstige Gelegenheit ab, bei der sie dann auf die guten Eigenschaften von Rhoda zu sprechen kam, welche das Mädchen eigentlich mehr zu ihrer Freundin als zu ihrer Dienerin gemacht hätten, und bat ihren Vater um Erlaubnis, die Kranke dorthin in die gesunde Landluft schicken zu dürfen.

Nachdem die Erlaubnis gegeben war, wurden die nötigen Vorbereitungen zur Uebersiedlung schnell und ohne Mühe getroffen. Der Pächter des Gutes und seine Frau erklärten sich auf Iris' Bitte hin gerne bereit, das Mädchen aufzunehmen. Rhoda konnte, da sie eine geschickte Schneiderin war, in einer Familie, welche eine ziemlich große Anzahl kleiner Kinder hatte, auch ihrer selbst wegen eines herzlichen Willkommens sicher sein. Miß Henley brauchte nur ihren Wagen anspannen zu lassen, und da war sie schon draußen auf dem Gut. Es verging selten eine Woche, in der sich Herrin und Dienerin nicht sahen.

Während der Zeit seiner Abwesenheit in Frankreich hatte auch Mountjoy nicht vergessen, an Iris zu schreiben.

Seine Briefe boten aber wenig Aussicht auf eine baldige Zurückkunft. Die Aerzte hatten ihm nicht verschwiegen, daß die Krankheit seines Vaters einen tödlichen Verlauf nehmen könnte, einstweilen aber fühlte sich der alte Herr noch so kräftig, daß der Kampf mit dem Tod ein ziemlich langwieriger werden konnte. Unter diesen traurigen Umständen bat Hugh Iris, ihm recht oft zu schreiben. Je öfter sie ihm von den kleinen Ereignissen ihres Lebens im Vaterhause berichten würde, um so freundlicher würde sie ihm seine traurigen Tage erhellen.

Iris war natürlich sogleich dazu bereit, um ihm zu zeigen, wie dankbar sie noch seiner Güte, die er ihr in den kurz vergangenen Tagen bewiesen hatte, gedachte. Sie berichtete ihm genau über all die verschiedenen Vorkommnisse in ihrem häuslichen Leben. Jede Woche ging ein Brief an ihren treu ergebenen Freund ab. Nachdem sie Hugh unter anderem auch von der Uebersiedlung Rhodas auf das Gut ihres Vaters erzählt hatte, berichtete sie von einigen unerwarteten Erfahrungen, welche sie bei dem Versuch gemacht hatte, sich ein neues Kammermädchen anzuschaffen.

Zwei junge Mädchen waren nach einander in ihren Dienst getreten, jede gut empfohlen von der Dame, bei der sie zuletzt im Dienst gewesen waren. Die Empfehlungen zeigten jedoch wieder die bekannte sträfliche Mißachtung der moralischen Verpflichtung, welche traurigerweise in dem heutigen Geschlecht erschreckend um sich zu greifen scheint.

Das erste dieser beiden Mädchen, welches als leicht erregbar geschildert worden war, ließ solche Extravaganzen ihres Geistes entdecken, daß ein Narrenhaus eigentlich der richtige Platz für sie gewesen wäre. Das zweite Mädchen wurde ertappt, wie sie gerade eine Flasche Eau de Cologne beiseite brachte, um dieses Parfüm, vermischt mit Wasser, als berauschendes Getränk zu genießen. Sie bat um milde Beurteilung dieses ihres Vergehens und gab als Grund an, sie sei durch das Beispiel ihrer früheren Herrin zu diesem Laster verführt worden.

Nach dem dritten Versuch, ein passendes Kammermädchen zu finden, konnte Iris ihrem Freunde mitteilen, daß sie diesmal bei ihrer Nachfrage nach dem Leumund der Betreffenden zu einer Dame gekommen sei, welche die Wahrheit sagte – ein unverheiratetes Fräulein in den mittleren Jahren.

Das Mädchen wurde ihr geschildert als eine in der Ausübung ihrer Pflichten vollkommen erfahrene Dienerin, ehrlich, nüchtern, fleißig, charaktervoll und ohne sogenannten Anhang in Gestalt eines Liebhabers. Selbst ihr Name klang angenehm ins Ohr – er lautete Fanny Mere. Iris fragte, wie es denn möglich sei, daß ein Dienstbote, der scheinbar gar keinen Fehler besitze, in die Lage komme, sich eine andere Stellung suchen zu müssen.

Auf diese Frage hin seufzte das ältliche Fräulein und sagte, sie hätte eine Entdeckung, eine schreckliche Entdeckung über das Vorleben dieses Mädchens gemacht. Die Entdeckung erwies sich als die alte traurige Geschichte von einem gebrochenen Eheversprechen und von der Strafe, die, wie immer in diesem Fall, das unglückliche Mädchen zahlen muß.

»Ich will nichts über meine eigenen Gefühle sagen,« erklärte die Dame. »Aber um den anderen weiblichen Dienstboten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, konnte ich eine solche Person unmöglich länger in meinem Hause behalten, und auch Ihretwegen muß ich, wenn gleich ungern, irgendwelchen günstigen Aussichten Fannys hindernd in den Weg treten, indem ich offen den Grund angebe, welcher mich veranlaßt hat, sie zu entlassen.«

»Wenn ich das junge Mädchen sehen und mit ihr sprechen könnte,« sagte Iris, »so würde ich die Frage, ob ich sie engagire oder nicht, gern selbst entscheiden.«

Die Dame wußte die Adresse der entlassenen Dienerin und teilte sie nicht ohne ein gewisses Erstaunen Iris mit.

Miß Henley schrieb sogleich an Fanny Mere und forderte sie auf, am folgenden Tag zu ihr zu kommen.

Als sie am nächsten Tag erwachte, später als gewöhnlich, ereignete sich etwas, was Iris in den vergangenen Wochen ungeduldig erwartet hatte. Sie fand auf ihrem Nachttischchen einen Brief neben der Theetasse liegen. Lord Harry hatte also endlich doch geschrieben.

Ob er nun seine Feder gebrauchte oder seine Zunge, das Benehmen des irischen Lords machte immer mehr oder weniger eine Entschuldigung nötig. Diesmal lautete dieselbe in dem gewöhnlichen Gemisch von offenen, klaren Worten und blumenreichen Redensarten folgendermaßen:

»Ich fürchte, mein Engel, daß ich Sie beleidigt habe. Sie werden sicherlich zu sich gesagt haben, dieser unselige Harry hätte mich durch zwei Zeilen, von seiner Hand geschrieben, glücklich machen können. Warum thut er es nicht? Er sendet eine Botschaft in Worten, welche mir gar nichts sagt.

»Mein süßes Mädchen, der Grund hiefür liegt darin, daß ich damals, als Ihr Diener mich auf dem Weg nach dem Schiff anhielt, zwischen zwei Entschlüssen hin und her schwankte.

»Ob es für Sie besser war, – denn an mich selbst habe ich dabei nicht gedacht – wenn ich die volle Wahrheit gestehen oder wenn ich meine Zuflucht zu zärtlichen Beteuerungen nehmen würde, das war mehr, als ich damals entscheiden konnte. Wenn Minuten für Ihre Klugheit genügen, so braucht meine Dummheit Tage. Nun, schließlich habe ich doch das Richtige erkannt. Ein Mann ist einer ehrlichen Frau die Wahrheit schuldig. Zu dieser Erkenntnis zu kommen, habe ich fünf Tage gebraucht.

»Aber sagen Sie mir zuerst eines. Brutus tötete einen Mann, Charlotte Corday tötete einen Mann. Eines dieser beiden Opfer war ein gewaltiger, das andere ein gemeiner Tyrann. Niemand tadelt diese beiden historischen Mörder. Warum tadelt man mich? Weil ich die Absicht habe, der dritte zu werden.

»Steht denn ein einfacher moderner Mörder zu tief für meine Rache im Vergleich mit den beiden klassischen Tyrannen, welche ihre Mordthaten durch andere ausführen ließen? – Der Mann, welcher Arthur Mountjoy tötete, ist nächst Kain der abscheulichste Mörder, der jemals die traurigen Wege dieser Erde gegangen ist. Das ist meine Antwort!

»So, jetzt habe ich mein Gemüt erleichtert! Thun Sie es Ihrerseits auch nächstens in einem Brief an mich, geliebtes Mädchen!

»Als ich Sie damals an dem Fenster von Vimpanys Hause verließ, fuhr ich mit dem nächsten Zug weg, um den Mörder in seinem Versteck an der Küste aufzusuchen. Er hatte es jedoch verlassen; ich fand aber seine Spur und ging nach London – nach dem Hafen. Ein Schuft in Irland, der meine Pläne kannte, ist zum Verräter geworden. Jedenfalls ist mir der Schurke entwischt.

»Ich durchsuchte das Schiff bis in den entferntesten Winkel. Er befand sich nicht an Bord. War er nun schon vor mir abgefahren mit einem früheren Dampfer oder war er in irgend einen andern Teil der Welt geflohen? Ich werde es schon noch herausbekommen, der Tag der Abrechnung wird erscheinen, und er soll ein schreckliches Ende sehen. Amen. So soll es sein, Amen.

»Habe ich Ihnen weh gethan? Verzeihen Sie mir, gute Iris! Ich habe noch etwas weiter mit Ihnen zu besprechen. Sie werden sich vielleicht wundern, daß ich mit dem Schiff doch noch nach Südafrika gefahren bin, obgleich ich den Mann, den ich suchte, nicht an Bord gefunden habe. Was war mein Grund dafür? – Sie allein sind immer mein Grund. Glückliche Männer haben Gold gefunden, glückliche Männer haben Edelsteine gefunden. Warum sollte ich nicht einer von ihnen sein? Meine süße Iris, wir wollen einmal zwei mögliche Dinge annehmen, meine eigene elastische Ueberzeugung würde sie zwei wahrscheinliche Dinge nennen; aber Sie glauben das nicht! Angenommen, ich kehrte zurück als ein neuer, gebesserter Mensch. Dann wird der Vorwurf, den Sie mir machen, gleich hinfällig. Nehmen Sie es ferner für ausgemacht, daß ich mit Vermögen zurückkehre, welches ich mir durch meine eigenen Funde erworben habe. Was wird dann aus Mr. Henleys Vorwurf gegen mich? – Er verfliegt, wie Shakespeare irgendwo sagt, in dünne Luft. Nun, hören Sie meinen Rat gleich. Zeigen Sie diesen Teil meines Briefes Ihrem vortrefflichen Vater und erzählen Sie ihm zugleich von meiner Liebe! Ich bürge im voraus für die Folgen. Seien Sie glücklich, meine Lady Harry – so glücklich, wie ich bin! – und erwarten Sie meine Rückkehr an einem früheren Tag, als Sie denken. Bis in den Tod der Ihrige.

Harry.«

Wie der irische Lord, so schwankte auch Iris zwischen zwei Entschlüssen, während sie aufstand und sich ankleidete. In dem Briefe befanden sich Stellen, um deretwillen sie den Schreiber liebte, und dann andere Stellen, um deretwillen sie ihn haßte.

Welcher gefahrvolle Weg lag vor dem unbesonnenen Mann, welches Elend, welches Unglück konnte nicht diese ungewisse Zukunft bringen! Wenn sein Vorhaben mißglückte, so konnte das schreckliche Ende, vom dem er geschrieben hatte, ihm von einer andern Hand bereitet werden. Wenn er aber in seinem Unternehmen Glück hatte, so konnte das Gesetz sein Verbrechen entdecken und der schimpfliche Tod auf dem Schafott das schreckliche Ende sein. Sie wendete sich schaudernd ab von der Ausmalung solch entsetzlicher Möglichkeiten und nahm ihre Zuflucht zu der Hoffnung auf eine glückliche, auf eine schuldlose Rückkehr des Geliebten. Selbst wenn seine Träume von Erfolg, selbst wenn sich seine Vorsätze zur Besserung – wie wenig versprechend waren sie doch in seinem Alter! – verwirklichen sollten, konnte sie den Mann heiraten, welcher solch ein Leben geführt und welcher diesen Brief geschrieben und sich seines wilden, erbarmungslosen Rachedurstes gerühmt hatte? Keine Frau ihrer Gesinnung konnte dem bloßen Gedanken, sein Weib zu werden, Gehör geben.

Iris öffnete ihren Schreibtisch und verbarg den Brief sorgfältig. Ihr Herz erbebte von neuem. Wieder einmal überkam sie die abergläubische Furcht an eine Bestimmung, welche Lord Harry und sie immer näher und näher zu einander hindrängte, gerade wenn sie am sichersten und weitesten von einander getrennt schienen.

Hilflos sank sie in einen Stuhl. O, wenn sie doch einen Freund hätte, der für sie denken, ihr Mut zusprechen wollte, dessen verständige Worte sie wieder zu ihrem besseren und ruhigeren Selbst bringen könnten! Hugh war weit entfernt und Iris allein zurückgeblieben, um zu dulden, um zu kämpfen.

Tief empfundenes Verlangen nach Hilfe und Teilnahme wurde in ihr rege. O Ironie des Schicksals, wie wurde diesem Verlangen entsprochen? – Das Dienstmädchen trat in das Zimmer und meldete die Ankunft eines entlassenen Dienstboten mit einer dunklen Vergangenheit.

»Lassen Sie das junge Mädchen hereinkommen,« sagte Iris. War Fanny Mere die Freundin, nach der sie sich so lange gesehnt hatte? – Sie betrachtete ihr verstörtes Gesicht im Spiegel und lachte bitter.


 << zurück weiter >>