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Besonnter Rasen, Mittagsruhe. Toby und Kiki liegen auf den glühendheißen Steinen. Es herrscht tiefe Sonntagsstille. Doch Toby kann nicht schlafen: Fliegen und ein schweres Mittagsessen quälen ihn. Er kriecht, das Hinterteil flach wie ein Frosch, auf dem Bauch bis zu Kiki, der in seinem getigerten Fell regungslos daliegt
Toby: Schläfst du?
Kiki (leise schnurrend …)
Toby: Lebst du denn überhaupt noch? Du bist so flach und siehst aus, wie ein leerer Katzenbalg.
Kiki (mit matter Stimme): Laß mich …
Toby: Du bist doch nicht etwa krank?
Kiki: Nein, aber laß mich. Ich schlafe. Ich weiß nicht mehr, ob ich einen Körper habe! Was für eine Qual, mit dir zusammen zu leben. Ich habe gegessen, es ist zwei Uhr, wir wollen jetzt lieber schlafen.
Toby: Ich kann nicht schlafen. Etwas liegt mir wie ein Stein im Magen. Es rutscht herunter, aber nur langsam. Und dann diese Fliegen, diese Fliegen! … Ich brauche nur eine einzige zu sehen und schon treten mir die Augen aus dem Kopf. Wie machen sie das nur? Ich besitze doch ein Gebiß mit den fürchterlichsten Zähnen – höre nur, wie sie aufeinander schlagen – und diese verfluchten Tiere entwischen mir doch! … Meine armen Ohren, mein zarter brauner Leib, meine fiebrige Schnauze! … Da, gerade auf meiner Nase, siehst du? Was soll ich nur tun? Ich schiele schon so gut ich kann: sind's jetzt zwei Fliegen? Nein, nur eine … Nein, doch zwei … Ich werfe sie wie ein Stück Zucker in die Höhe. Und immer schnappe ich ins Leere … Ich kann nicht mehr! Ich hasse die Sonne, die Fliegen und alles! … (Er stöhnt.)
Kiki (sitzt da mit vor Schlaf und Licht matten Augen): Da hast du mich doch wirklich aufgeweckt. Das hast du wohl gerade gewollt, nicht wahr? All meine Träume sind vergangen. Auf den Spitzen meines dichten Pelzes habe ich die kleinen kitzelnden Füße der Fliegen, die du verfolgst, kaum gespürt. Eine leise Berührung, ein Streicheln glitt mir nur zuweilen über mein glattes, seidenweiches Fell … Aber du kannst ja nicht leise sein; deine grobe Freude macht sich überall breit, dein aufgetragener Schmerz ist überall hörbar. Pfui, du Südländer du!
Toby (bitter): Also nur, um das zu sagen, bist du aufgewacht! …
Kiki (berichtigend): Hast du mich aufgeweckt!
Toby: Ich fühlte mich nicht recht wohl, ich brauchte Hilfe, ein anregendes Wort.
Kiki: Ich kenne kein Wort, das die Verdauung anregt! – Und da heißt es nun von uns beiden, ich wäre derjenige, der einen schlechten Charakter hätte. – Aber geh mal ein wenig in dich, vergleiche mal! Die Hitze ermüdet dich, der Hunger macht dich rasend, die Kälte macht dich erstarren …
Toby (beleidigt): Ich bin eben zart besaitet.
Kiki: Sag' lieber verrückt!
Toby: Nein, das werde ich nicht sagen. Aber du, du bist ein fürchterlicher Egoist.
Kiki: Vielleicht. – Weder die Zweifüßler – noch du – verstehen etwas von dem Egoismus der Katzen … Mit diesem Wort benennen sie einmal den Selbsterhaltungstrieb, dann wieder die Würde oder die müde Resignation, die von der Tatsache herrührt, daß wir nie von ihnen verstanden werden. Wirst du, ein zwar vorurteilsloser, aber doch unvornehmer Hund, mich besser verstehen? Die Katze ist ein Gast und nicht ein Spielzeug. Ich weiß wirklich nicht, in was für einer Zeit wir leben. Haben die Zweifüßler, Er und Sie, nur allein das Recht, traurig zu sein, sich zu freuen, die Teller auszustippen, zu schimpfen und mit ihrer schlechten Laune das ganze Haus zu erfüllen? Ich habe auch meine Launen, meine Traurigkeit, meine verschiedenartigen Gelüste, meine Stunden träumerischer Zurückgezogenheit, in denen ich mich von der Umwelt absondere …
Toby (aufmerksam und gespannt): Ich höre dir zu, aber ich kann dir nur mit Mühe folgen, denn du sprichst schwer verständlich, und es geht ein wenig über meinen Horizont. Du setzest mich in Erstaunen. Pflegen Sie sich denn deinen wechselnden Launen entgegenzusetzen? Wenn du miaust, machen Sie dir die Tür auf; wenn du dich auf das Papier, das geheiligte Papier legst, auf dem Er herumkratzt, geht Er fort und überläßt dir, o Wunder, seine schon beschmierte Seite. Du gehst einher mit gerümpfter Nase, bewegst den Schwanz wie einen Perpendikel in gleichmäßigen Schwingungen hin und her und bist sichtlich auf Missetaten bedacht. Sie aber beobachtet dich und lacht und Er verkündet: »Der Zerstörungszug!« Ja, worüber beklagst du dich eigentlich?
Kiki (übelgelaunt): Ich beklage mich ja nicht. Doch die psychologischen Feinheiten werden dir ewig fremd bleiben.
Toby: Sprich nicht so schnell! Ich brauche Zeit, um zu verstehen … Mir scheint …
Kiki (spöttisch): Übereile dich nicht, es könnte deiner Verdauung schaden!
Toby (die Ironie nicht verstehend): Du hast recht. Es fällt mir heute schwer, mich auszudrücken. Aber mir scheint doch, daß von uns beiden du der Liebling bist, und dabei beklagst du dich noch. –
Kiki: Hundelogik! … Je mehr man mir gibt, desto mehr fordere ich!
Toby: Das ist Unrecht! Das ist unbescheiden!
Kiki: Nein, ich kann alles verlangen!
Toby: Alles? Und ich?
Kiki: Ich denke doch, du entbehrst nichts.
Toby: Nichts? Ich weiß es nicht. Zuzeiten, wenn ich am glücklichsten bin, überkommt mich auf einmal ein unwiderstehliches Verlangen zu weinen, meine Augen werden trübe … Mein Herz krampft sich zusammen. In solchen Augenblicken der Angst hätte ich gern die Gewißheit, daß alles auf der Welt mich liebt, daß nirgends unter einer Tür ein trauriger Hund steht, und daß nie etwas Schlimmes geschieht …
Kiki (spöttisch): Und was geschieht dann doch Schlimmes?
Toby: Ach, das weißt du ja selbst. Dann kommt Sie mit einer gelben Flasche, in der das Fürchterliche schwimmt – du weißt schon – das Rizinusöl Grob, gefühllos hält Sie mich zwischen ihren kräftigen Knien, reißt mir die Zähne auseinander …
Kiki: Beiße sie doch wieder fest zusammen!
Toby: Ich habe Angst, Ihr wehe zu tun … und dann schmeckt meine entsetzte Zunge das klebrige Zeug … ich ersticke, ich spucke. Mein armer Leib windet sich in Krämpfen … und es dauert lange, ehe diese Qual zu Ende ist. Du hast mich ja gesehen, wie ich mich traurig, mit gesenktem Kopf, hinschleppe, in meinem Magen das ungesunde Glucksen des Öles höre und im Garten meine Schande verberge …
Kiki: Du verbirgst sie recht schlecht.
Toby: Weil ich nicht immer Zeit dazu habe!
Kiki: Als ich klein war, hat Sie auch mir Öl zum Abführen geben wollen. Aber ich habe Sie so gekratzt und gebissen, daß Sie es nie wieder versucht hat. Eine Minute lang glaubte Sie, den Teufel auf ihrem Schoß zu haben. Ich habe mich zusammengerollt wie eine Spirale, habe Feuer gefaucht, habe meine zwanzig Krallen verhundertfacht, meine Zähne vertausendfacht und bin wie durch Zauber auf und davon.
Toby: Das würde ich nie wagen. Ich liebe Sie, begreifst du. Ich liebe Sie so, daß ich Ihr selbst die Qual des Badens verzeihe.
Kiki (voller Interesse): Wirklich? Sag' mir, was du dabei fühlst. Schon wenn ich sehe, wie sie dich ins Wasser tut, überläuft mich ein Schauder!
Toby: Ach hör' nur zu und habe Mitleid mit mir. Zuweilen, wenn Sie aus ihrem Zinkbassin heraussteigt, nur mit ihrer Haut bekleidet – einer weichen Haut ohne Haare, die ich voller Ehrfurcht belecke – zieht Sie sich nicht sofort ihre Wäsche- und Kleiderhaut wieder an. Sie gießt von neuem heißes Wasser ein, wirft einen braunen Stein dazu, der nach Teer riecht und ruft: »Toby!« Das genügt schon. Mein Geist verläßt mich, meine Beine schlottern. Auf dem Wasser glitzert etwas, das tanzt und mich blendet, das verzerrte Spiegelbild eines Fensters … Sie nimmt meinen armen bewußtlosen Körper und taucht ihn unter! … Mein Gott! … Von da ab weiß ich nichts mehr … verlasse mich nur noch auf Sie, meine Augen klammern sich an die Ihren, während etwas Feuchtes eng an mir festklebt – wie eine Haut auf der Oberfläche meines Körpers … Schäumender Stein, Teergeruch, beißendes Wasser in meinen Augen, meinen Nasenlöchern, Wasser in den Ohren … Sie regt sich auf, bearbeitet mich mit heller Freude, strengt sich an, lacht … Schließlich bin ich gerettet, werde am Nacken herausgefischt, meine Pfoten zappeln in der Luft und suchen das Leben – dann kommt das grobe Handtuch und der Bademantel, und in ihm genieße ich dann die Erschöpfung der Rekonvaleszenz …
Kiki (tief beeindruckt): Aber so beruhige dich doch!
Toby: Zum Teufel, schon wenn ich es nur erzähle … Aber habe ich dich, der du mein Unglück mit so durchtriebener Neugierde mit anhörst, nicht selbst einmal auf einem Toilettentisch liegen sehen, während Sie mit einem Schwamm bewaffnet …
Kiki (sehr verlegen und mit dem Schwanz wedelnd): Das war eine ganz alte Geschichte. Mein Pluderhöslein war schmutzig geworden und Sie wollte es reinigen. Ich habe Ihr aber beigebracht, daß ich unter dem Schwamm fürchterlich leide …
Toby: Du Lügner du, und Sie hat dir geglaubt?
Kiki: Hm … nicht die ganze Zeit, und das war meine Schuld. Ich lag auf dem Rücken, den Bauch nach oben, und blickte mit erschreckten Augen und wie verzeihend, gleich einem Lämmchen auf dem Altar. Ich spürte durch mein flockiges Höschen hindurch kaum eine Kühle! … Dann überhaupt nichts mehr … Da ergriff mich ein Schrecken, ich fürchtete, mein Empfindungsvermögen wäre vernichtet worden … Mein rhythmisches Jammern schwoll an, dann nahm es wieder ab. – Du kennst die Macht meiner Stimme! – Dann stieg es wieder wie der Schrei von Matrosen: ich schrie wie ein kleines Kalb, wie ein geschlagenes Kind, wie eine verliebte Kätzin, wie der Wind unter der Tür und berauschte mich bald selber so an meinem Gesang, daß, als sie schon lange aufgehört hatte, mich mit kaltem Wasser zu besudeln, ich noch immer mit zur Decke gekehrten Augen vor Ihr lag und heulte, während Sie taktlos lachte und dabei ausrief: »Du schwindelst ja wie eine Frau!«
Toby (überzeugt): Das ist aber wirklich gräßlich.
Kiki: Einen ganzen Nachmittag lang war ich Ihr denn auch böse.
Toby: Ja, auf das Schmollen verstehst du dich! Ich kann das nicht, ich vergesse die Beleidigungen immer.
Kiki (spöttisch und ohne die Miene zu verziehen): Und du leckst die Hand, die dich schlägt! Das kennen wir!
Toby (gutmütig): Ich lecke die Hand, die … ja, es ist genau so, wie du sagst. Das ist ein hübscher Ausdruck.
Kiki: Er stammt nicht von mir. Würde ist nicht gerade deine starke Seite. Weiß Gott, oft schäme ich mich für dich. Du liebst all und jeden, mit geducktem Hinterteil erträgst du alle Schimpfreden, dein Herz ist zuvorkommend und für jedermann zugänglich wie eine öffentliche Anlage.
Toby: Mußt nichts von alledem glauben. Du täuschst dich – du Unfehlbarer – über die Äußerungen meiner Höflichkeit. Sag' mal offen: willst du, daß ich die Waden Seiner oder Ihrer Freunde anknurre? Die gutangezogenen Leute, die meinen Namen kennen – viele Leute, die ich nicht kenne, wissen meinen Namen – und die mich freundlich an den Ohren ziehen?
Kiki: Ich hasse neue Gesichter.
Toby: Ich liebe sie auch nicht, wenn du auch so redest. Ich liebe … Sie und Ihn.
Kiki: Und ich, ich liebe Ihn … und Sie.
Toby: Schon lange habe ich erraten, wen du bevorzugst. Zwischen dir und Ihm besteht eine Art geheimer Verständigung.
Kiki (lächelnd, geheimnisvoll und hingegeben): Ja, eine Verständigung, geheim und keusch und tief. Er spricht selten, kratzt aber wie ein Mäuschen auf dem Papier. Ihm habe ich mein zurückhaltendes, mein kostbares Katerherz geschenkt. Und Er hat mir, wortlos, das Seine gegeben. Dieser Austausch hat mich glücklich gemacht und zurückhaltend zugleich; und nur manchmal versuche ich mit der ganzen entzückenden Launenhaftigkeit und Herrschsucht, die mich zu Rivalen der Frauen machen, meine Macht über Ihn auszuüben. Wenn wir allein sind, zeige ich Ihm meine nach vorn gestreckten, teuflisch gespitzten Ohren, die ankündigen, daß ich Ihm auf sein Kritzelpapier springen werde. Tap, tap, tap, schlage ich mit den Pfoten zwischen die Feder und die Buchstaben. Ich miaue Ihn eindringlich an, wenn ich nach Freiheit verlange: »Hymne an die Türklinke!« sagt Er dann lachend, oder auch »Klagelied des Gefangenen«. Auf Ihn richte ich auch den zärtlich-nachdenklichen Blick meiner beschwörenden Augen, die dann so lange auf seinem geneigten Haupt ruhen, bis sein gerufener Blick den meinen sucht und ihm, wie vorausgeahnt, mit so sanfter Erregung begegnet, daß ich meine Lider in zarter Scheu schließe … Sie dagegen … Sie ist zu unruhig, stößt mich oft, faßt mich an beiden Vorder- und Hinterpfoten und schwingt mich durch die Luft, liebkost mich bis zur Ermüdung, lacht laut über mich, ahmt meine Stimme allzu gut nach.
Toby (außer sich vor Entrüstung): Ich finde dich schwierig. Ich liebe Ihn natürlich auch, denn Er ist gut, sieht nicht auf meine Fehler, um mir nicht zürnen zu müssen. Aber Sie! Sie ist das Schönste, Teuerste und Unverständlichste auf der Welt. Ihr Schritt entzückt mich, der wechselnde Blick ihrer Augen bereitet mir Seligkeit und Trauer. Sie ist wie das Schicksal und kennt kein Zaudern. Selbst, wenn Sie mich quält, mit der Hand … du weißt, wie Sie mich neckt?
Kiki: Unsanft!
Toby: Nicht unsanft, sondern hinterlistig. Ich kann nie wissen, was sie vorhat. Heute früh hat Sie sich zu mir niedergebeugt, wie um mit mir zu sprechen, hat mein kleines Elefantenohr hochgehoben und hat so laut hineingeschrien, daß es mir bis ins Hirn gedrungen ist …
Kiki: Wie schrecklich!
Toby: War das gut? War das schlecht von Ihr? Ich weiß es noch nicht. Eine wahnsinnige Nervosität nur hatte mich ergriffen … Fast täglich will Ihre Laune, daß ich den »Fisch« spiele: Sie nimmt mich in Ihre Arme, drückt mich so fest, daß ich fast ersticke und mein stummer Mund sich, wie bei einem Karpfen, den man in der Luft hält, öffnet …
Kiki: Das sieht Ihr ähnlich!
Toby: … plötzlich fühle ich mich dann wieder frei, frei und lebendig, allein durch das Wunder ihres Willens! Wie mir dann das Leben schön erscheint! Wie ich dann in Ihre herabhängende Hand, in den Saum Ihres Kleides beiße! –
Kiki (verächtlich): Ein schönes Spiel!
Toby: Alles Gute und alles Schlechte kommt mir von Ihr … Sie ist bittere Qual und sichere Zuflucht zugleich. Wenn ich mich erschreckt und angstvollen Herzens Ihr entgegenwerfe, wie weich sind dann Ihre Arme, wie frisch Ihre Haare auf meiner Stirn! Ich bin Ihr »schwarzes Kind«, Ihr »Toby-Hund«, Ihr »kleiner Liebling« … Um mich zu beruhigen, setzt Sie sich zu mir auf die Erde, macht sich so klein wie ich bin, legt sich dann lang hin, um mich mit Ihrem Gesicht toll zu machen, das unter dem meinen liegt, ganz von Ihrem Haar umrahmt, das gut nach Heu und Tier duftet! Wie soll man da widerstehen ? Meine Leidenschaft kennt keine Grenzen mehr, ich durchwühle Ihr Haar mit erregter Schnauze, suche, finde, beiße ein knuspriges rosa Ohrläppchen – Ihr Ohrläppchen – bis Sie, gekitzelt, ausruft: »Toby, das ist ja schrecklich! Zu Hilfe, der Hund frißt mich noch auf!«
Kiki: Gesunde, brutale und harmlose Freuden! … Und dann gehst du davon und stellst der Köchin nach.
Toby: Und du der Kätzin vom Gutshof …
Kiki (kurz): Hör' auf, bitte, das geht nur mich an … und die kleine Kätzin.
Toby: Eine schöne Eroberung! Du solltest dich schämen; eine Katze von sieben Monaten!
Kiki (erregt): Eine noch nicht ganz reife Frucht, ein wildes Gewässer, sage ich dir. Niemand wird sie mir entreißen. Sie ist schlank wie eine Bohnenstange …
Toby (beiseite): Alter Schäker!
Kiki: … lang und ebenmäßig auf ihren hohen Beinen, so geht sie mit den vorsichtigen Schritten einer Jungfrau. Die harte Arbeit der Felder – sie jagt Feldmäuse, Spitzmäuse, sogar Rebhühner – hat ihre jungen Muskeln gestählt und ihr Kindergesicht ein wenig ernst gemacht.
Toby: Sie ist häßlich.
Kiki: Nein, nicht häßlich, sondern eigenartig: eine Ziegenschnauze mit rosa Nüstern, Eselsohren, wie sie auf dem Lande Mode sind, auseinanderstehende Augen von goldbrauner Farbe, deren lebhafter Blick oft zu einem pikanten Schielen wird … Wie zärtlich sie mich flieht, ihre Schamhaftigkeit hält sie für Entsetzen! Ich meinerseits gehe langsamen Schrittes, man könnte sagen, gleichgültig, daher, in meinem kostbaren Kleid, über dessen Streifen sie sich verwundert … Sie wird schon kommen, die verliebte kleine Kätzin, wird alle Zurückhaltung überwinden und sich wie eine weiße Schärpe unter mir zusammenrollen.
Toby: Weißt du, ich möchte auch gern einmal … aber hier lassen mich die Liebesgeschichten verhältnismäßig kalt … Die körperlichen Übungen, meine Aufgabe als Wächter … ich denke kaum an Liebeleien.
Kiki ( beiseite): Liebeleien! Du Handlungsreisender, du!
Toby ( offenherzig): Und dann muß ich dir gestehen … Du siehst doch, wie klein ich bin … Und durch ein unwahrscheinliches und doch unleugbares Pech treffe ich hier in der Gegend nur junge Riesinnen. Die Hündin vom Gutshof, ein großer Teufelsbastard mit gelben Augen, würde mich empfangen wie … irgendeinen X-Beliebigen. Liederlich ist sie – aber gutmütig, riecht angenehm und hat einen gewissen aufreibenden und echt hündischen Reiz an sich und dazu den ausgehungerten Blick einer anmutigen Wölfin … Aber ach … ich bin ja zu klein! … In der Nachbarschaft kenne ich noch eine sanfte dänische Dogge, schwindelerregend hoch wie ein Bergriese; eine Schäferhündin, die aber wegen ihres Berufs nie Zeit hat; eine nervöse Hühnerhündin, die plötzlich beißt, und deren wilde Augen viel Leidenschaft verraten … Aber ich möchte lieber nicht an alles dies denken; es ermüdet mich zu sehr. Erschöpft und unbefriedigt heimkommen, sich die ganze Nacht nicht beruhigen können … genug davon! – Ich liebe … Sie und Ihn voller Hingebung, mit stürmischer Leidenschaft, die mich bis zu ihnen emporreißt; sie genügt, um meine Zeit und mein Herz auszufüllen. – – Die Zeit der Mittagsruhe ist nun bald vorüber, du hochmütiger Freund, den ich trotz alledem liebe – und der auch mich liebt!
Wende nicht den Kopf zur Seite! Deine sonderbare Schamhaftigkeit soll verbergen, was du Schwäche heißest, was ich aber Liebe nenne. Glaubst du, ich sei blind? Wenn ich mit Ihr nach Hause komme, habe ich schon zwanzigmal hinter der Fensterscheibe dein dreieckiges Gesicht gesehen, das sich aufhellt und bei meinem Kommen lächelt. Aber während wir die Tür öffnen, hast du schon deine Katzenmaske aufgesetzt, deine hübsche japanische Maske mit den listigen Augen … Kannst du es leugnen?
Kiki: (hartnäckig nicht hinhörend): Die Stunde der Mittagsruhe ist vorüber. Der kegelförmige Schatten der Birnbäume auf dem Kies wird immer länger. Unser ganzer Schlaf ist beim Schwatzen verflogen … Du hast die Fliegen vergessen, deinen dich quälenden Magen, die Hitze, die in Wellen auf den Wiesen tanzt. Der schöne schwere Tag geht zu Ende. Schon regt sich die Luft und entsendet uns den Duft der Tannen, deren Stämme durchsichtige Tränen vergießen.
Toby: Da ist auch Sie schon.! Sie ist von Ihrem Korbsessel aufgestanden, hat Ihre anmutigen Arme gereckt, und aus der Bewegung Ihrer Kleider glaube ich auf einen Spaziergang hoffen zu dürfen. Siehst du Sie hinter den Rosen? Sie bricht mit dem Nagel vom Zitronenbaum ein Blatt ab, zerreibt es und atmet seinen Duft ein … Ihr gehöre ich an. Mit geschlossenen Augen ahne ich Ihre Gegenwart …
Kiki: Ich sehe Sie. Sie ist ruhig und sanft … für einen Augenblick wenigstens. Ich weiß, daß Er von seinem Papier aufstehen wird, um Ihr entgegenzugehen. Er wird hinaustreten und rufen »Wo bist du?« und wird sich müde auf die Bank setzen. – Für Ihn erhebe ich mich dann höflich und kratze mit meinen Krallen an seinen Beinkleidern. Schweigend und glücklich werden wir beide dann den Tag zu Ende gehen hören. Wenn der Duft der Linde süß wird bis zum Übelwerden, dann werden meine Seheraugen groß und schwarz und werden geheimnisvolle Zeichen in der Luft lesen … Dort hinten, hinter den zackigen Bergen, ist eine stille Feuersbrunst; später leuchtet dann ein kreisförmiger Dunst auf, der in dem Blaugrau der Nacht eine frostige rote Farbe bekommt, aus welchem die blendende Scheibe eines scharfumrissenen Mondes aufgeht, der die Wolken durchbricht, emporschwebt … Und dann kommt die Schlafenszeit. Er setzt mich auf Seine Schulter, und ich schlafe (denn es ist jetzt nicht die Zeit der Liebe) auf Seinem Bett, zu Seinen Füßen, die meine Ruhe schützen. Aber am frühen Morgen sitze ich wieder bebend, verjüngt, im Angesicht der Sonne in der silbernen Aureole, mit der der Tau mich umgibt, dem Gotte gleichend, der ich einstmals gewesen. –