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Das grosse Übel der heutigen englischen Nation liegt nicht in ihrer Prahlerei. Sie prahlt nicht mehr als die anderen Nationen, gewiss, aber sie prahlt mit einer Sache, mit der man kaum grosstun kann, ohne sie zu verlieren. Der Franzose kann sich rühmen, kühn und logisch zu sein und Kühnheit und Logik dabei behalten; der Deutsche mag sich rühmen, ein ordnungsliebender Denker zu sein und diese Eigenschaft nicht verlieren; aber ein Engländer kann nicht mit seiner Einfachheit und Geradheit prahlen und dabei einfach und gerade bleiben. Es ist ein eigen Ding mit dieser seltsamen Tugend: wer sich ihrer bewusst wird, verliert sie. Es mag einer sich seiner Heldenhaftigkeit und Göttlichkeit bewusst sein, aber er kann, allen angelsächsischen Poeten zum Trotz, niemals seiner Unbewusstheit bewusst sein.
Man wird kaum leugnen können, dass es sich nicht etwa so mit einer Sorte von Menschen verhält, die ihrer eigenen Meinung nach wenigstens grundverschieden von den Angelsachsen und ihrer Schule sind. Ich meine diese neue Schule, die meist mit Tolstoi genannt wird. Wenn es wahr ist, dass jemand, der stets mit seiner Kraft prahlt, zum Schluss weniger kräftig werden muss, so ist es noch wahrer, dass das beständige Betonen und Hervorheben der Einfachheit zum Schluss diese beeinträchtigen muss. Eine Klage, scheint mir, muss gegen alle Einfachheitsapostel gehen (seien sie nun Vegetarianer oder halsstarrige Duchoborzen), und das ist: dass sie uns Einfachheit in unwichtigen und Komplexität in wichtigen Dingen lehren. Einfachheit in Dingen, die nicht von Belang sind, wie Kost, Kleidung, Etikette und allgemeine Ökonomie, Komplexität aber in Dingen, die sehr wesentlich sind, wie Philosophie, Wahrheitsliebe, geistige Bejahung und geistige Verneinung. Es ist nicht von zwingender Wichtigkeit, ob einer geröstete oder rohe Paradiesäpfel isst, wohl aber in welcher Geistesverfassung er sich befindet, wenn er sie zu sich nimmt. Nur Eine Einfachheit lohnt es sich zu pflegen, es ist die des Herzens, und dessen Fähigkeit, sich zu freuen. Es frägt sich nun, wie wir diese bewahren. Das Einfachheits system aber zerstört sie, soviel ist sicher. Jemand, der Kaviar impulsiv geniesst, ist einfacher als derjenige, der Nüsse aus Prinzip isst. Der Hauptirrtum dieser Menschen liegt schon in ihrer Devise: »einfach leben und hoch denken.« Aber sie sind sich nicht bewusst, dass ihre einfache Lebensweise und hohe Denkungsart ihnen weder nützlich noch förderlich ist. Gerade das Gegenteil ist es, was sie brauchen. Etwas Lebensart und eine einfache Denkungsweise ist ihnen vonnöten. Erstere (ich rede aus Erfahrung) würde ihnen die Bedeutung und den Wert der menschlichen Festlichkeiten, den Wert des Liebesmahles, das seit Anbeginn der Welt steht, beibringen. Es würde ihnen die historische Tatsache vor Augen bringen, dass das künstliche älter als die Natur ist. Es würde sie lehren, dass der Freundesbecher älter ist als der Hunger. Nur eine einfachere Denkungsart würde sie über die grillenhafte harsche Ethik ihrer Lehre aufklären, wie überzivilisiert und kompliziert das Gehirn eines Tolstoianers sein muss, der wirklich glaubt, dass es Sünde sei, sein Vaterland zu lieben und das Schwert zu führen.
Da steht ein Mann mit Sandalen und in einfacher Kleidung, einen rohen Paradiesapfel in der Hand und sagt: »Die Familienbande und die Vaterlandsliebe sind der vollen Entwicklung der Nächstenliebe zuwider.« Der normal-denkende Mensch wird ihm erstaunt und halbbewundernd antworten: »Was müssen Sie nachgedacht haben, um zu dieser Ansicht gekommen zu sein.« Der Mann mit der hohen Denkungsart wird die Paradiesäpfel verschmähen, der einfach-denkende Mensch aber ebenso energisch die ständige Auffassung von sich weisen, dass der Krieg etwas sündhaftes sei.
Gute Lebensart lehrt uns, das nichts materialistischer ist, als ein Vergnügen als etwas rein materielles zu verachten. Die einfache Denkungsart: dass nichts materialistischer ist, als unser Entsetzen und Grauen für materielle Wunden aufzusparen.
Nur die Einfachheit des Herzens ist's, worauf es ankommt. Wenn sie abhanden gekommen ist, bringen weder Rübenkost, noch Eremitentracht sie zurück, sondern nur Tränen und Schrecken und jenes Feuer, das nicht erlischt. Wo Einfalt des Herzens wohnt, dürfen ein paar altmodische Stühle ruhig stehen bleiben. Lasst uns komplizierte Vorspeisen für den einfach gesinnten alten Herrn bereiten, und nicht einfache Speisen für komplizierte Herren. Solange die menschliche Gesellschaft mein geistiges »Innere« in Ruhe lässt, will ich ihr erlauben, mit meinem physischen Inneren umzugehen, wie es ihr beliebt. Ich will Zigarren rauchen, eine Flasche Burgunder zärtlich umhalsen, und zu einem hansom-cab mich herbeilassen, wenn ich mir nur die Frische des Geistes bewahre und mit Schauern und Beben noch zu geniessen verstehe. Ich will nicht behaupten, dass dies die einzige Erhaltungsmethode ist. Ich neige zu der Anschauung, dass es noch andere geben muss. Aber mit jener »Einfachheit«, die weder Furcht noch Staunen kennt, will ich nichts zu tun haben, so wenig ich mit dem unnatürlichen Kinde zu schaffen habe, das zu einfach ist, um mit Puppen und Eisenbahnen zu spielen.
Das Kind nämlich ist uns hierin wie in vielen Dingen ein Lehrmeister. Seine Kindlichkeit, seine gesunde Einfalt zeigt sich am deutlichsten in der gesunden einfachen Freude, mit welcher es »komplexe« Dinge geniesst. Der falsche Typus der Unnatürlichkeit pocht immer auf den Unterschied zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen. Der wahren Natürlichkeit und Echtheit ist dieser Unterschied unbekannt. Dem Kinde sind der Baum und die Laterne gleich natürlich und wunderbar, oder vielmehr keines von beiden ist ihm selbstverständlich, sondern beide übernatürlich. Denn beide sind herrlich und wunderbar geheimnisvoll. Die Blüte, mit welcher der Schöpfer den Baum und die Flamme, mit welcher der alte Lampenwärter die Laterne schmückt, gehören beide in das goldene Märchenland. Zehn gegen eins ist zu wetten, dass das Bauernkind inmitten eines einsamen Feldes Lokomotive spielt. Und die einzige philosophische und geistige Einwendung, die man Dampfmaschinen gegenüber erheben kann, ist nicht, dass die Menschen dafür arbeiten oder zahlen, oder ihnen eine hässliche Form geben, oder gar in ihnen umkommen, sondern nur, dass sie kein Spielzeug daraus machen. Das Übel liegt darin, dass uns die kindliche Poesie des Räderwerkes abhanden gekommen ist. Das Übel liegt nicht darin, dass die Maschinen zu sehr, sondern nicht genug bewundert werden und nicht, dass die Maschinen zu mechanisch, sondern dass die Menschen zu mechanisch sind.
Diesen und ähnlichen Fragen gegenüber erlaube ich mir den Standpunkt zu vertreten, dass nicht andere Sitten oder andere soziale Routinen vonnöten sind, sondern fundamentale Anschauungen, wie Philosophie und Religion. Was das praktische Leben am meisten fördert, ist eine richtige Menschenkenntnis, eine gesunde Philosophie, kurzum das Abstrakte, und wenn wir begeisterten und leidenschaftlichen Enthusiasmus für diese Dinge an den Tag legten, so würden wir ipso facto einfach leben im wahren und geistigen Sinn des Wortes. Sehnsucht und Gefahr lehrt allen Menschen Einfachheit.
Und jenen, die mit redseliger Überzeugungskraft von Jägerhemden und den Hautporen, von Plasmon und den Magenwänden sprechen, lasst uns die Worte zurufen, welche an die Hanswurste und Schlemmer ergingen: »Sorget euch also nicht ängstlich und saget nicht: was werden wir essen und was werden wir trinken und womit werden wir uns bekleiden? Denn nach allem diesen trachten die Heiden: suchet zuerst das Reich Gottes und die Gerechtigkeit so wird euch dies alles da zugegeben werden.« Dies sind nicht nur unendlich schöne und gute und praktische Worte, sondern auch Worte der höchsten Hygiene. Die einzige Art, Gesundheit, Kraft, Anmut und Schönheit zu erlangen, und zwar in vollkommenem Maasse, ist, den Sinn nach etwas anderem zu richten.
Wenn einer dabei ist, den siebenten Himmel zu erklimmen, so kann er über die Poren seiner Haut ganz ausser Sorge sein. Wenn einer seinen Wagen für die Fahrt nach den Sternen schirrt, wird diese Beschäftigung eine sehr zufriedenstellende Wirkung auf seine Magenwände haben. Denn nachdenken über einfache notwendige Dinge (die moderne Welt erfand hierfür den Ausdruck rationalisieren), ist ein Unding. Die Menschen denken über fernstehende Dinge nach, wie etwa über den Durchgang des Venussternes und sinnen darüber nach, aber nur auf Kosten ihrer eigenen Haut können sie über etwas so Einfaches und Praktisches wie die Gesundheit räsonieren.