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Einen in Nr. 223 der »Börsennachrichten« eingewickelten Gegenstand unter dem Arm haltend, betrat Sascha Smirnow, der einzige Sohn seiner Mutter, mit sauersüßem Gesicht das Sprechzimmer des Doktors Koscheljkow.
»Ach, lieber Jüngling!« empfing ihn der Doktor. »Nun, wie fühlen Sie sich? Was haben Sie mir zu sagen?«
Sascha zwinkerte mit den Augen, drückte seine Hand aufs Herz und sagte mit bewegter Stimme:
»Einen schönen Gruß von Mama, Iwan Nikolajewitsch, und Sie läßt Ihnen herzlich danken ... Ich bin der einzige Sohn meiner Mutter, Sie haben mir das Leben gerettet ... Sie haben mich von der gefährlichen Krankheit kuriert ... und wir beide wissen gar nicht, wie Ihnen danken.«
»Lassen Sie es sein, junger Mann!« unterbrach ihn der Doktor, vor Vergnügen schmelzend. »Ich tat nur das, was auch jeder andere an meiner Stelle getan hätte.«
»Ich bin der einzige Sohn meiner Mutter ... Wir sind arme Menschen und können Ihnen Ihre Mühe natürlich nicht bezahlen ... Wir müssen uns sehr schämen, Herr Doktor, obwohl übrigens Mama und ich ... der einzige Sohn meiner Mutter, Sie inständigst bitten, als Zeichen unseres Dankes diesen Gegenstand anzunehmen, welcher ... Der Gegenstand ist wertvoll, aus antiker Bronze ... ein seltenes Kunstwerk.«
»Gar nicht nötig!« sagte der Doktor und verzog das Gesicht. »Wozu das?«
»Nein, schlagen Sie es uns bitte nicht ab,« murmelte Sascha, den Gegenstand aus dem Papier befreiend. »Sie kränken sonst mich und Mama ... Der Gegenstand ist sehr hübsch ... aus antiker Bronze ... Wir haben ihn vom seligen Vater geerbt und stets als teueres Angedenken aufbewahrt ... Mein Papa pflegte alte Bronzen zu kaufen und an Liebhaber wieder zu verkaufen ... Mama und ich betreiben jetzt das gleiche Geschäft ...«
Sascha packte den Gegenstand aus und stellte ihn feierlich auf den Tisch. Es war ein niedriger antiker Bronzeleuchter von künstlerischer Arbeit. Er stellte eine Gruppe dar: auf dem Sockel standen zwei weibliche Figuren im Evakostüm und in Posen, die zu beschreiben ich weder die Kühnheit noch das Temperament habe. Die beiden Figuren lächelten kokett und sahen so aus, als ob sie, wenn sie nicht verpflichtet wären, den Leuchter zu stützen, vom Sockel herunterspringen und im Zimmer einen Skandal verüben würden, dessen bloße Vorstellung schon eine Unanständigkeit ist, lieber Leser.
Der Doktor sah sich das Geschenk an, kratzte sich hinter dem Ohr und schneuzte sich verlegen.
»Ja, das Ding ist wirklich hübsch,« stammelte er, »aber ... wie soll ich es nur sagen, es ist ... allzu unparlamentarisch ... Das ist schon kein Dekolleté mehr, sondern weiß der Teufel was ...«
»Wieso?«
»Der Teufel selbst hätte nichts Uebleres erfinden können ... So ein Ding auf den Tisch zu stellen, heißt doch seine ganze Wohnung versauen!«
»Sie haben so merkwürdige Anschauungen über die Kunst, Herr Doktor!« versetzte Sascha beleidigt. »Das ist doch ein Kunstgegenstand, schauen Sie ihn nur an! Soviel Schönheit und Anmut, daß die Seele von Andacht erfüllt wird und Tränen in die Augen kommen! Wenn man solche Schönheit sieht, vergißt man alles Irdische ... Schauen Sie nur, wieviel Bewegung, wieviel Leichtigkeit, welcher Ausdruck!«
»Das sehe ich alles, mein Lieber,« unterbrach ihn der Doktor. »Ich habe aber Familie, meine Kinder laufen hier umher, wir haben auch oft Damenbesuch ...«
»Natürlich, wenn man es vom Standpunkte der Menge aus betrachtet,« sagte Sascha, »so erscheint dieses hohe Kunstwerk in einem anderen Lichte ... Herr Doktor, erheben Sie sich doch über die Menge, um so mehr, als Sie durch Ihre Weigerung, den Gegenstand anzunehmen, mich und meine Mama aufs tiefste kränken. Ich bin der einzige Sohn meiner Mama ... Sie haben mir das Leben gerettet ... Wir geben Ihnen einen Gegenstand, der unser kostbarster Besitz ist, und ... und es tut mir nur leid, daß wir kein Pendant dazu haben ...«
»Ich danke Ihnen, mein Lieber, ich danke Ihnen von Herzen ... Grüßen Sie Ihre Mama von mir, aber urteilen Sie doch selbst: meine Kinder laufen hier herum, wir haben oft Damenbesuch ... Nun, soll er schon dableiben! Ihnen kann ich es ja gar nicht klarmachen ...«
»Sie brauchen mir gar nichts klarzumachen,« entgegnete Sascha erfreut. »Stellen Sie doch den Armleuchter gleich hier neben diese Vase hin. Wie schade, daß wir kein Pendant haben! Furchtbar schade! Nun, leben Sie wohl, Herr Doktor!«
Als Sascha fort war, betrachtete der Doktor lange den Armleuchter, kratzte sich hinterm Ohr und überlegte. – Das Ding ist sehr schön, das ist keine Frage, – dachte er sich: – Es wäre schade, es wegzuwerfen ... Aber behalten kann ich es auch nicht ... Hm' ... Eine schwierige Frage! Wem könnte ich es nur schenken oder stiften? –
Nach langem Ueberlegen erinnerte er sich seines guten Freundes, des Advokaten Uchow, dem er noch etwas für einen Prozeß schuldete.
– Ausgezeichnet! – sagte sich der Doktor. – Als guter Freund wird er sich genieren, von mir für seine Mühe Geld zu nehmen; es wird sich also sehr gut machen, wenn ich ihm das Ding schenke. Ich bringe ihm mal diesen teuflischen Gegenstand hin! Außerdem ist er Junggeselle und leichtsinnig ... –
Ohne die Sache aufzuschieben, zog sich der Doktor an, nahm den Armleuchter und fuhr mit ihm zu Uchow.
»Guten Tag, lieber Freund!« sagte er zum Advokaten, den er zu Hause antraf. »Ich komme zu dir ... um mich bei dir für deine Mühe zu bedanken ... Geld willst du von mir nicht nehmen, also nimm diesen Gegenstand ... hier, mein Lieber ... Das Ding ist fabelhaft!«
Der Advokat geriet beim Anblick des Gegenstandes in helle Begeisterung.
»Ist das ein Ding!« rief er lachend. »Hol's der Teufel, wie sie nur so was erfinden können! Prachtvoll! Wunderbar! Wo hast du diese Herrlichkeit her?«
Nach diesem Erguß von Begeisterung schielte der Advokat nach der Türe und sagte:
»Nimm nur dein Geschenk wieder mit, mein Bester. Ich kann es nicht annehmen ...«
»Warum?« rief der Doktor erschrocken.
»Weil ... weil mich hier meine Mutter besucht, ich empfange hier meine Klienten ... Auch muß ich mich vor den Dienstboten schämen.«
»Nein, nein, nein ... du darfst das Geschenk nicht ausschlagen!« sagte der Doktor, mit den Händen fuchtelnd. »Das wäre eine Schweinerei von dir! Der Gegenstand ist von künstlerischem Wert ... soviel Bewegung ... Ausdruck ... Ich will darüber gar nicht reden! Das wäre eine Kränkung für mich!«
»Wenn es wenigstens verdeckt wäre, oder wenn sie Feigenblätter vorhätten ...«
Der Doktor fuchtelte aber noch aufgeregter mit den Händen, verließ schnell die Wohnung Uchows und fuhr, hocherfreut darüber, daß er den Gegenstand angebracht halte, nach Hause ...
Als er weg war, betrachtete der Advokat den Armleuchter, betastete ihn von allen Seiten mit den Fingern und zerbrach sich, gleich dem Doktor, lange den Kopf, was mit ihm anzufangen wäre.
– Es ist ein Prachtstück, – sagte er sich: – es wäre schade, es wegzuwerfen, aber ich kann es auch nicht behalten ... das beste wäre, – es jemandem zu schenken ... Halt! Ich schenke diesen Armleuchter heute abend dem Komiker Schaschkin. Der Kerl liebt solche Sachen, außerdem hat er heute Benefiz... –
Gesagt – getan. Am Abend wurde der sorgfältig verpackte Armleuchter dem Komiker Schaschkin überreicht. Den ganzen Abend drängten sich in der Garderobe Schaschkins die Männer, die sich das Geschenk ansehen wollten; die ganze Zeit tönte in der Garderobe ein begeistertes Gemurmel und ein Lachen, das wie Gewieher klang. Wenn eine der Schauspielerinnen anklopfte und fragte: »Darf ich?« so ertönte sofort die heisere Stimme des Komikers:
»Nein, nein, Mütterchen! Ich bin nicht angezogen!«
Nach der Vorstellung zuckte der Komiker die Achseln, spreizte die Hände und sagte:
»Wo tu ich diesen Dreck hin? Ich wohne ja privat! Mich besuchen auch Schauspielerinnen! Das ist doch keine Photographie, die man in die Tischlade stecken kann!«
»Verkaufen Sie ihn doch, Herr,« riet ihm der Theaterfriseur, der dem Komiker beim Auskleiden half. »Hier wohnt in der Vorstadt eine Alte, die antike Bronzen kauft ... Fahren Sie hin und fragen Sie nach der Smirnowa ... Ein jeder kennt sie.«
Der Komiker folgte dem Rat ... Zwei Tage später saß Doktor Koscheljkow in seinem Sprechzimmer und dachte, den einen Finger an die Stirn gedrückt, an die Gallensäuren. Plötzlich ging die Tür auf, und herein stürzte Sascha Smirnow. Er lächelte, und sein ganzes Gesicht strahlte vor Glück. In den Händen trug er etwas, das in eine Zeitung eingewickelt war.
»Herr Doktor!« begann er keuchend. »Denken Sie sich nur, diese Freude! Sie haben Glück! Es gelang uns, ein Pendant zu Ihrem Armleuchter aufzutreiben! ... Mama ist so glücklich ... Ich bin der einzige Sohn meiner Mutter ... Sie haben mir das Leben gerettet.«
Und Sascha stellte, vor Dankbarkeit zitternd, vor dem Doktor den Armleuchter hin. Der Doktor machte den Mund auf, um etwas zu sagen, sagte aber nichts: er hatte die Sprache verloren.