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Das Sprechzimmer eines Arztes betritt ein trübes Individuum mit matten Augen und katarrhalischem Gesicht. Nach der Färbung seiner Nase und dem finsteren Gesichtsausdruck zu schließen, sind ihm alkoholische Getränke, chronischer Schnupfen und philosophische Meditationen nichts Fremdes.
Das Individuum nimmt Platz und klagt über Atemnot, Sodbrennen, Melancholie und schlechten Geschmack im Munde.
»Was ist Ihr Beruf?« fragt der Arzt.
»Ich bin Dramatiker!« erklärt das Individuum nicht ohne Stolz.
Der Arzt fühlt sofort Hochachtung vor dem Patienten und lächelt ehrfurchtsvoll.
»Ein so seltener Beruf ...« stammelt er. »Eine Menge nervenaufreibender Gehirnarbeit!«
»Das will ich glauben!«
»Es gibt so wenig Dichter ... Ihr Leben kann ja wirklich nicht dem Leben gewöhnlicher Menschen gleichen ... daher möchte ich Sie bitten, mir Ihre Lebensweise zu beschreiben, Ihre Gewohnheiten, Umgebung und Arbeitsweise ...«
»Sehr gerne ...« erwiderte der Dramatiker. »Ich stehe auf gegen Mittag, manchmal auch früher ... Wenn ich aufgestanden bin, rauche ich sofort eine Zigarette und trinke zwei Glas Schnaps, zuweilen auch drei ... Manchmal sind es auch vier: es hängt davon ab, wieviel ich am Vorabend getrunken habe ... So ... Und wenn ich nicht trinke, dann flimmert es mir vor den Augen, und der Kopf beginnt zu brummen.«
»Sie trinken wohl überhaupt ziemlich viel?«
»Nein, wieso? Daß ich auf nüchternen Magen trinke, hängt wohl mit meinen Nerven zusammen ... Wenn ich angekleidet bin, gehe ich ins Restaurant Livorno oder zu Ssawrassenkow und frühstücke ... Ich habe schlechten Appetit. . . Zum Frühstück nehme ich nur eine Kleinigkeit ... ein Kotelett oder eine halbe Portion Stör mit Meerrettich ... Wenn ich auch drei oder vier Glas Schnaps zuvor nehme, bekomme ich noch immer keinen Appetit ... Nach dem Frühstück trinke ich Bier oder Wein, je nach meinen Finanzen ...«
»Und dann?«
Dann gehe ich in irgendeine Bierhalle und aus der Bierhalle wieder ins Livorno, wo ich Billard spiele ... So vergeht die Zeit bis etwa sechs Uhr, dann esse ich zu Mittag ... Ich esse schlecht ... Es ist kaum zu glauben; manchmal trinke ich vor dem Essen sechs und selbst sieben Glas Schnaps und habe immer noch keinen Appetit! Wie beneide ich die anderen Leute: alle essen Suppe, mir wird aber vor Suppe ganz übel, und ich trinke statt dessen Bier ... Nach dem Mittagessen gehe ich ins Theater ...«
»Hm ... Das Theater regt Sie wohl sehr auf?«
»Entsetzlich! Ich bin ununterbrochen in großer Aufregung, und dann kommen noch die Freunde und bitten: trinken wir noch eins! Mit dem einen trinke ich Schnaps, mit dem anderen Rotwein, mit dem dritten Bier, und so kommt es, daß ich beim dritten Akt kaum auf den Beinen stehe ... Mit den Nerven ist es wirklich nicht auszuhalten ... Nach dem Theater fahre ich in den ›Salon‹ oder auf einen Maskenball ... Aus dem Salon oder vom Maskenball kommt man, Sie werden es selbst wissen, nicht so schnell heim ... Es ist noch ein Glück, wenn ich am nächsten Morgen in meiner Wohnung aufwache ... Es kommt auch vor, daß ich wochenlang nicht zu Hause schlafe ...«
»Hm ... Sie beobachten wohl das Leben um sich herum?«
»Ja, das auch ... Einmal waren meine Nerven so sehr zerrüttet, daß ich ganze vier Wochen überhaupt nicht nach Hause kam und sogar meine Adresse vergessen hatte ... Ich mußte mich nach der Adresse auf der Polizei erkundigen ... Und so geht es beinahe täglich!«
»Nun, wann schreiben Sie aber Ihre Stücke?«
»Meine Stücke? Wie soll ich es Ihnen sagen?« erwiderte der Dramatiker achselzuckend. »Alles hängt von den Umständen ab ...«
Wollen Sie mir, bitte, den Prozeß Ihres Schaffens beschreiben ...«
»Nun, es fällt mir zufällig irgendein deutsches oder französisches Stück in die Hände ... Meistens machen mich aber die Freunde darauf aufmerksam, denn selbst habe ich keine Zeit, alles zu verfolgen. Wenn das Stück einigermaßen taugt, bringe ich es zu meiner Schwester oder kaufe mir für fünf Rubel einen Studenten ... Diese übersetzen es, und ich richte es den russischen Sitten entsprechend ein: ersetze die ausländischen Namen durch russische und so weiter ... Das ist alles ... Es ist aber schwer! Außerordentlich schwer!«
Das trübe Individuum rollt die Augen und seufzt. Der Arzt beginnt es zu betasten, zu behorchen und zu beklopfen ...