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»Es wird ein Unglück geben, Herr!« sagte der Postillon, sich zu mir wendend und mit der Peitsche auf einen Hasen zeigend, der uns über den Weg lief.
Ich wußte auch ohne den Hasen, daß meine Lage eine verzweifelte war. Ich fuhr nach S., um mich vor dem Kreisgericht wegen Bigamie zu verantworten. Das Wetter war entsetzlich. Als ich spät in der Nacht die Poststation erreichte, sah ich wie ein Mensch aus, den man mit Schnee beworfen, mit Wasser begossen und obendrein auch durchgeprügelt hatte: so furchtbar war ich durchfroren, durchnäßt und vom eintönigen Rütteln betäubt. Auf der Station empfing mich der Stationsaufseher, ein langer Kerl in blaugestreifter Unterhose, kahl, verschlafen und mit einem Schnurrbart, der ihm aus den Nasenlöchern zu wachsen schien, so daß er wohl nichts riechen konnte.
Aber es gab da, offen gestanden, was zu riechen. Als der Aufseher, brummend, schnaubend und sich den Hals juckend, die Tür zu den Stationszimmern aufmachte und mir schweigend mit dem Ellbogen meine Ruhestätte zeigte, umfing mich sofort ein durchdringender Geruch von etwas Saurem, von Siegellack und zerdrückten Wanzen, so daß ich beinahe erstickte. Das Blechlämpchen, das auf dem Tische stand und die ungestrichenen Holzwände beleuchtete, qualmte wie ein Kienspan.
»Einen Gestank haben Sie hier, Signore!« sagte ich, als ich eintrat und meinen Koffer auf den Tisch stellte.
Der Aufseher schnupperte die Luft und schüttelte mißtrauisch den Kopf.
»Es riecht wie überall,« sagte er und juckte sich von neuem. »Das kommt Ihnen nach dem Frost nur so vor. Die Kutscher schlafen bei den Pferden, und die Herrschaften riechen nicht.«
Ich schickte den Aufseher hinaus und begann meine provisorische Behausung zu mustern. Das Sofa, auf dem ich schlafen sollte, war breit wie ein zweischläfriges Bett, mit Wachstuch überzogen und kalt wie Eis. Außer dem Sofa befanden sich im Zimmer ferner: ein großer eiserner Ofen, ein Tisch mit dem schon erwähnten Lämpchen, ein Paar Filzstiefel, eine fremde Handtasche und eine spanische Wand, die eine der Zimmerecken abteilte. Hinter der Wand schlief jemand leise. Nachdem ich mir dies alles angesehen hatte, machte ich mir auf dem Sofa mein Nachtlager zurecht und begann mich auszuziehen. Meine Nase gewöhnte sich bald an den Gestank. Nachdem ich den Rock, die Beinkleider und die Stiefel ausgezogen hatte, fing ich an, um den eisernen Ofen herumzuspringen, wobei ich meine bloßen Füße emporwarf, alle meine Glieder dehnte, mich krümmte und vor Behagen lächelte. Diese Sprünge erwärmten mich. Es blieb mir nur noch übrig, mich auf dem Sofa auszustrecken und einzuschlafen, als plötzlich etwas Unerwartetes passierte. Mein Blick fiel zufällig hinter die spanische Wand und ... man stelle sich nur mein Entsetzen vor! Hinter der Wand guckte ein Frauenköpfchen mit aufgelöstem Haar und schwarzen Augen hervor. Es zeigte die Zähne, die schwarzen Brauen zuckten, auf den Wangen zitterten reizende Grübchen, – folglich lachte es. Ich wurde verlegen. Als das Köpfchen sah, daß ich es bemerkt hatte, wurde es auch verlegen und verschwand. Wie schuldbeladen ging ich mit gesenkten Blicken still zu meinem Sofa, legte mich hin und deckte mich mit meinem Pelzmantel zu.
– Furchtbar dumm! – dachte ich mir. – Sie hat also gesehen, wie ich herumgesprungen bin! Furchtbar dumm .... –
Das entzückende Gesichtchen wollte mir nicht aus dem Sinn, und meine Phantasie ging durch. Bilder, eines schöner und verführerischer als das andere, drängten sich in meinem Kopfe, und plötzlich fühlte ich, wohl als Strafe für meine sündhaften Gedanken, einen heftigen, brennenden Schmerz auf der rechten Wange. Ich griff nach der Wange, fing nichts, erriet aber sofort den Sachverhalt: es roch stark nach einer zerdrückten Wanze.
»Das ist wirklich, der Teufel weiß was!« hörte ich im gleichen Augenblick eine weibliche Stimme. »Die verfluchten Wanzen wollen mich wohl auffressen.«
Hm! ... Ich erinnerte mich meiner nützlichen Angewohnheit, auf Reisen stets Insektenpulver mitzuführen. Auch diesmal war ich dieser Gewohnheit treu geblieben. Die Büchse mit dem Insektenpulver war im Nu aus dem Koffer hervorgeholt. Es blieb mir nur noch übrig, der Besitzerin des hübschen Köpfchens dieses Mittel anzubieten, und die Bekanntschaft war geschlossen. Aber wie sollte ich es ihr anbieten?
»Das ist entsetzlich!«
»Gnädigste,« sagte ich mit süßer Stimme, »Wenn ich Ihre letzte Bemerkung richtig verstanden habe, so werden Sie von den Wanzen geplagt. Ich aber habe Insektenpulver bei mir. Wenn Sie wünschen, so ....«
»Ach, bitte!«
»In diesem Falle ... ich ziehe sofort meinen Pelz an,« rief ich erfreut, »und bringe es Ihnen ....«
»Nein, nein .... Reichen Sie es mir über die Wand herüber, hierher dürfen Sie nicht!«
»Ich weiß selbst, daß ich es nur über die spanische Wand herüberreichen darf .... Haben Sie keine Angst: ich bin doch kein Räuber ....«
»Wer kann das wissen! Unterwegs begegnet man allerlei Menschen ....«
»Hm! ... Und wenn ich auch hinter die Wand komme .... Es ist doch nichts Besonderes dabei .... um so mehr als ich Arzt bin,« log ich ihr vor. »Aerzte, Gerichtsvollzieher und Damenfriseure haben aber das Recht, ins Privatleben einzudringen.«
»Ist es auch wahr, daß Sie Arzt sind? Im Ernst?«
»Mein Ehrenwort. Darf ich Ihnen also das Insektenpulver bringen?«
»Nun, wenn Sie Arzt sind, dann .... Warum sollen Sie sich aber bemühen? Ich kann ja auch meinen Mann zu Ihnen herausschicken ... Fedja!« sagte die Brünette mit gedämpfter Stimme. »Fedja! So wach doch auf, du Schlafmütze! Steh auf und geh hinaus .... Der Herr Doktor ist so freundlich und bietet uns Insektenpulver an.«
Die Anwesenheit Fedjas hinter der spanischen Wand war für mich eine erschütternde Neuigkeit. Ich war wie vor den Kopf geschlagen .... Meine Seele war von einem Gefühl erfüllt, das wahrscheinlich der Gewehrhahn empfindet, wenn er mal versagt hat: ich empfand Scham, Aerger und eine schmerzliche Enttäuschung .... Es war mir so übel zumute, und dieser Fedja kam mir so gemein vor, daß ich, als er hinter der spanischen Wand hervortrat, beinahe um Hilfe schrie. Fedja war ein großgewachsener, sehniger Mann von etwa fünfzig Jahren mit grauem Backenbart, zusammengepreßten Beamtenlippen und blauen, unruhig zitternden Aederchen an Nase und Schläfen. Er hatte einen Schlafrock und Morgenschuhe an.
»Sie sind sehr freundlich, Herr Doktor...« sagte er, indem er mir das Insektenpulver aus der Hand nahm und wieder hinter seine Wand ging. »Ich danke schön .... Wurden Sie auch vom Schneesturm überrascht?«
»Ja!« brummte ich, indem ich mich wieder aufs Sofa legte und wütend den Pelz über mich zog. »Ja!«
»So, so .... Sinotschka, über dein Näschen läuft gerade eine Wanze! Erlaube, daß ich sie fange!«
»Du darfst es,« antwortete Sinotschka lachend. »Nicht gefangen! Bist ein Staatsrat, alle fürchten dich, und doch kannst du nicht mal mit einer Wanze fertig werden!«
»Sinotschka, der Herr hört dich ja .... (Ein Seufzer.) Immer bist du so .... Bei Gott ....«
»Diese Schweine lassen einen gar nicht einschlafen!« brummte ich. Ich war wütend, ich wußte selbst nicht, auf wen.
Doch die Gatten schliefen bald ein. Ich schloß die Augen und bemühte mich, an nichts zu denken, um einzuschlafen. Es verging aber eine halbe Stunde, eine Stunde .... ich schlief noch immer nicht. Endlich regten sich auch meine Nachbarn und begannen leise zu fluchen.
»Es ist erstaunlich, selbst das Insektenpulver wirkt auf sie nicht!« brummte Fedja. »Diese Menge von Wanzen! Herr Doktor! Sinotschka bittet mich, Sie zu fragen, warum die Wanzen so abscheulich stinken?«
Wir kamen ins Gespräch. Wir sprachen von den Wanzen, vom Wetter, vom russischen Winter, von der Medizin, in der ich mich ebenso auskenne wie in der Astronomie; wir sprachen auch von Edison ....
»Sinotschka, geniere dich doch nicht .... Er ist ja Arzt!« hörte ich ihn nach dem Gespräch über Edison flüstern. »Geniere dich nicht und frage ihn .... Brauchst dich nicht zu fürchten. Scherwezow hat dir nicht geholfen, aber dieser wird vielleicht helfen.«
»Frag' ihn selbst!« flüsterte Sinotschka.
»Herr Doktor,« wandte sich Fedja an mich: »Woher mag es wohl kommen, daß meine Frau immer diese Brustbeklemmung hat? Sie hustet, wissen Sie .... und dabei hat sie so einen Druck in der Brust, als ob in der Lunge etwas eingetrocknet wäre ....«
»Das ist eine lange Geschichte, so einfach kann ich Ihre Frage nicht beantworten,« sagte ich, um mich aus der Affäre zu ziehen.
»Das macht doch nichts, daß es eine lange Geschichte ist! Wir haben ja genug Zeit, wir schlafen sowieso nicht .... Lieber Freund, untersuchen Sie sie doch! Ich muß vorausschicken, daß sie bisher von Scherwezow behandelt wurde. Dieser ist zwar ein guter Mensch, aber ... wer soll sich da auskennen? Ich traue ihm nicht! Ich traue ihm gar nicht! Ich sehe wohl, daß Sie keine Lust haben, aber seien Sie doch so gut! Untersuchen Sie sie, und ich gehe inzwischen zum Stationsaufseher und lasse einen Samowar bringen.«
Fedja schlürfte mit seinen Pantoffeln und ging hinaus. Ich begab mich hinter die spanische Wand. Sinotschka saß auf einem breiten Sofa, von einer Menge Kissen umgeben, und hielt den Spitzenkragen ihrer Nachtjacke fest.
»Zeigen Sie mal die Zunge!« begann ich, indem ich mich neben sie aufs Sofa setzte und die Stirne runzelte.
Sie zeigte die Zunge und lachte. Die Zunge war rot und ganz gewöhnlich. Ich tastete nach ihrem Puls.
»Hm! ...« sagte ich, nachdem ich den Puls nicht gefunden hatte.
Ich weiß nicht mehr, was ich an sie noch alles für Fragen stellte, während ich ihr ins lachende Gesicht blickte; ich weiß nur noch, daß ich schließlich so dumm und blöde geworden war, daß mir gar keine Fragen mehr einfallen wollten.
Schließlich saß ich in Gesellschaft Fedjas und Sinotschkas vor dem Samowar; ich mußte ihr ein Rezept verschreiben, und ich machte es nach allen Regeln der ärztlichen Wissenschaft:
Rp. Sic transit 0,05 Gloria mundi 1,0 Aquae destillatae 0,1 Einen Löffel alle zwei Stunden. Für Frau Ssjelowa.
Dr. Saitzew
Als ich am Morgen vollkommen reisefertig, mit dem Koffer in der Hand, von meinen neuen Bekannten für alle Ewigkeit Abschied nahm, hielt mich Fedja am Rockknopf fest und reichte mir einen Zehnrubelschein.
»Nein, Sie sind verpflichtet, das Geld zu nehmen!« redete er mir zu. »Ich pflege jede ehrliche Arbeit zu bezahlen! Sie haben doch studiert und gearbeitet! Ihr Wissen hat Sie genug Schweiß und Blut gekostet! Ich weiß es doch!«
Was sollte ich machen? Ich mußte den Zehnrubelschein einstecken.
Beiläufig so verbrachte ich die Nacht vor der Gerichtsverhandlung. Ich will gar nicht beschreiben, was ich fühlte, als vor mir die Tür aufging und der Gerichtsdiener mir die Anklagebank zeigte. Ich will nur sagen, daß ich blaß und verlegen wurde, als ich um mich blickte und die tausend auf mich gerichteten Augen sah; und als ich die ernsten, feierlichen Physiognomien der Geschworenen musterte, las ich mir selbst das Sterbegebet ....
Doch ich kann gar nicht beschreiben, und Sie können sich auch gar nicht vorstellen, welches Grauen mich beschlich, als ich meinen Blick auf den mit rotem Tuch bedeckten Richtertisch hob und auf dem Staatsanwaltssessel – wen glauben Sie wohl? – Fedja erblickte! Er saß da und schrieb etwas. Als ich ihn ansah, mußte ich an die Wanzen, an Sinotschka und an meine Diagnose denken, und ein ganzes Eismeer überlief mir den Rücken .... Als er mit seinem Schreiben fertig war, sah er mich an. Zuerst erkannte er mich nicht, dann aber erweiterten sich seine Pupillen, sein Unterkiefer hing auf einmal kraftlos hinab, seine Hand zitterte. Er stand langsam auf und richtete auf mich seinen bleiernen Blick. Auch ich stand, ich weiß selbst nicht warum, auf und starrte ihn an ....
»Angeklagter, nennen Sie Ihren Namen, Stand usw.« begann der Vorsitzende.
Der Staatsanwalt setzte sich hin und trank ein Glas Wasser. Kalter Schweiß war ihm in die Stirne getreten.
– Nun werde ich was erleben! – dachte ich mir.
Anscheinend hat der Staatsanwalt fest beschlossen, mich ordentlich zu verdonnern. Während der ganzen Verhandlung war er aufgeregt, wühlte in den Zeugenaussagen herum, machte lange Geschichten und schimpfte ....
Ich muß aber schließen. Ich schreibe dies im Gerichtsgebäude während der Mittagspause .... Gleich kommt die Rede des Staatsanwalts.
Was werde ich wohl erleben?