Anton Tschechow
Lustige Geschichten
Anton Tschechow

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Der Kater

Übersetzt von Alexander Eliasberg

Warwara Petrowna erwachte und begann zu horchen. Ihr Gesicht wurde blaß, ihre großen schwarzen Augen wurden noch größer und drückten höchstes Entsetzen aus: denn es war kein Traum .... Von Grauen erfaßt, bedeckte sie ihr Gesicht mit den Händen, setzte sich im Bett aufrecht und begann, ihren Mann zu wecken. Der Mann lag zusammengerollt wie eine Brezel, schnarchte leise und pustete ihr seinen Atem ins Gesicht.

»Aljoscha, Schatz .... Wach auf! Mein Lieber! Ach ... es ist zu schrecklich!«

Aljoscha stellte sein Schnarchen ein und streckte die Beine. Warwara Petrowna kniff ihn in die Wange. Er streckte sich wieder, seufzte tief auf und erwachte.

»Aljoscha, Schatz .... Wach auf! Jemand weint ....«

»Wer weint? Was fällt dir ein?«

»Horche nur ein wenig. Hörst du es? Jemand seufzt ....«

»Man hat wohl bei uns ein kleines Kind ausgesetzt .... Ich kann es nicht mehr anhören!«

Aljoscha richtete sich auf und horchte hinaus. Das Fenster stand offen, eine graue Nacht blickte hinein. Zugleich mit dem Dufte der Fliederbüsche und dem Flüstern der Linden brachte der leise Wind seltsame Laute ins Zimmer .... Man konnte nicht recht unterscheiden, was es für Laute waren: Kinderweinen oder der Gesang eines Bettlers oder ein Heulen .... Eines war nur klar: die Laute klangen unmittelbar vor dem Fenster und kamen nicht aus einer Kehle, sondern aus mehreren .... Es waren darunter Altstimmen, Diskantstimmen und Tenöre .... »Es sind ja Katzen, Warja!« sagte Aljoscha. »Du dummes Kind!«

»Katzen? Unmöglich! Woher dann die Bässe?«

»Die Baßstimme gehört einem Schwein. Vergiß nicht, daß wir auf dem Lande sind. Hörst du? Gewiß sind es Katzen .... Beruhige dich und schlafe wieder ein.«

Warja und Aljoscha legten sich wieder hin und zogen sich die Bettdecken über die Köpfe. Kühle Morgenluft zog durchs Fenster, und sie fröstelten. Sie rollten sich zusammen und schlossen die Augen. Nach fünf Minuten wurde Aljoschta unruhig und warf sich hin und her.

»Sie lassen einen gar nicht einschlafen, daß sie der Teufel...!«

Der Katzengesang stieg inzwischen crescendo. Zu den Sängern gesellten sich neue Katzen mit neuen Kräften; das leise Geräusch unter dem Fenster verwandelte sich allmählich in einen unerträglichen Lärm. Das zarteste Piano erreichte die Stärke eines Fortissimo, und bald füllte sich die ganze Luft mit empörenden Lauten. Die einen Kater gaben kurze abgerissene Schreie von sich, die anderen trillerten wie nach Noten mit Achtel- und Sechzehntel-Tönen; andere zogen immer den gleichen gedehnten Ton .... Ein Kater, wohl der älteste und leidenschaftlichste von allen, sang mit einer ganz unnatürlichen Stimme, die bald wie Baß und bald wie Tenor klang:

»Mal ... mal ... Tu ... tu ... tu ... Karriau ....«

Wären nicht die bekannten zischenden Laute dazwischen gewesen, so hätte man gar nicht glauben können, daß es Katzengesang war .... Warja drehte sich auf die andere Seite und brummte etwas vor sich hin, Aljoscha sprang auf, sandte ein kräftiges Schimpfwort ins Freie und schloß das Fenster. Ein Fenster ist aber eine höchst unvollkommene Sache: es ist für Schall, Licht und Elektrizität durchlässig.

»Ich muß um acht Uhr aufstehen und in den Dienst,« sagte Aljoscha empört, »sie schreien aber so, daß man gar nicht einschlafen kann! Diese Satans! Schweige du wenigstens! Du winselst mir die Ohren voll! Was kann ich denn dafür? Die Kater gehören doch nicht mir!«

»Jag' sie doch weg, Schatz!«

Der Mann ließ wieder ein kräftiges Schimpfwort los, sprang vom Bett und ging ans Fenster .... Die Morgendämmerung brach bereits an.

Aljoscha sah zunächst auf den Himmel und entdeckte nur einen matt flimmernden Stern .... Im Laube der Linde regten sich die Spatzen, die das beim Oeffnen des Fensters entstandene Geräusch aufscheuchte. Aljoscha sah hinunter und erblickte etwa zehn Kater. Mit hocherhobenen Schwänzen gingen sie zischend mit gekrümmten Rücken, Dromedaren gleich, um ein reizendes Kätzchen herum, das auf einem umgestülpten Eimer saß, und sangen. Es war schwer zu entscheiden, was sie mehr bewegte: die Liebe zum Kätzchen oder das Bewußtsein der eigenen Würde? Hatte sie die Liebe hergeführt, oder die Absicht, ihre Würde zur Schau zu stellen? In ihren Beziehungen zueinander konnte man den verfeinerten Haß erkennen. Jenseits des Gartengitters stand ein Mutterschwein mit Ferkeln und grunzte, denn es wollte in den Garten.

»Fort!« zischte Aljoscha. »Pssst! Ihr Satans! ... Fort! ...«

Die Kater schenkten aber dem keine Beachtung. Nur das Kätzchen warf ihm einen kurzen gleichgültigen Blick zu. Es war zu glücklich, um sich irgendwie für Aljoscha zu interessieren ....

»Pssst! ... Daß euch der Teufel! Warja, reich' einmal die Wasserflasche her! Ich will ihnen eine Dusche machen!«

Warja sprang aus dem Bett und reichte ihm nicht die Wasserflasche, sondern den Wasserkrug vom Waschtisch. Aljoscha beugte sich vor und neigte den Krug ...

»Ach meine lieben Freunde!« sagte plötzlich eine Stimme über seinem Kopf. »Nein, diese Jugend! Darf man denn so etwas tun? Ach! Diese Jugend!« Aljoscha sah hinauf und erblickte eine Gestalt in einem Schlafrock aus großgeblümtem Kattun. Auf den Schultern dieser Gestalt saß ein kleiner Kopf mit einer Nachtmütze auf den ergrauten Haaren; ein trockener sehniger Finger drohte .... Der Greis saß am Fenster und sah unverwandt auf die Kater. Seine Augen leuchteten in höchster Verzückung, als ob er ein Ballett vor sich hätte. Aljoscha riß den Mund auf, erbleichte und lächelte ....

»Exzellenz geruhen zu schlafen?« fragte er ganz dumm.

»Es ist nicht schön, mein Herr; Sie kämpfen gegen die Naturgesetze! Sie untergraben sozusagen die Gesetze der Schöpfung! Es ist nicht schön! Was geht das Sie an? Es sind doch lebende Wesen? Oder, wie glauben Sie? Doch lebende Wesen? Man soll es würdigen! Ich muß Ihnen meine Mißbilligung aussprechen, mein Herr!«

Aljoscha erbleichte, schlich sich auf den Zehen zum Bett und legte sich leise hin. »Es ist mein Vorgesetzter ....« flüsterte Aljoscha. »In eigener Person .... Er schläft nicht. Er delektiert sich an den Katern. Der Satan! Es ist schrecklich, unter seinem Vorgesetzten zu wohnen!«

»Junger Freund!« hörte Aljoscha nach einigen Minuten wieder die Greisenstimme. »Wo sind Sie? Treten Sie doch ans Fenster!« Aljoscha ging zum Fenster und blickte zum Alten hinauf.

»Sehen Sie diesen weißen Kater? Wie finden Sie ihn? Er gehört mir! Seine Manieren, nein, diese Manieren! Dieser Gang! ... Sehen Sie doch nur hin! Miau, miau .... Waßjka, du Schelm! Was für einen Schnurrbart er hat! Der Kerl ist von echter sibirischer Rasse! Das Kätzchen ... das Kätzchen wird wohl nicht widerstehen können! Mein Kater war immer der Sieger! Sie werden sich gleich davon überzeugen! Nein, diese Manieren!«

Aljoscha sagte, daß er das Fell des Katers hervorragend schön finde. Er habe in seinem Leben kein so auserlesenes Exemplar von einem Katertier gesehen. Der Greis begann ihm nun die Gewohnheiten seines Katers zu beschreiben; er kam in Schwung und erzählte bis zum Sonnenaufgang. Er erzählte mit Begeisterung, wobei er fortwährend schmatzte und seine sehnigen Finger beleckte .... So konnte Aljoscha in dieser Nacht gar nicht einschlafen!

Auch in der nächsten Nacht gegen ein Uhr begannen die Kater wieder ihren Gesang und weckten Warja. Aljoscha wagte nicht mehr, sie zu vertreiben. Denn unter ihnen befand sich der Kater Seiner Exzellenz. Aljoscha und Warja mußten bis zum frühen Morgen das Katzenkonzert anhören.


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