Karel Capek
Das Jahr des Gärtners
Karel Capek

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Der Gärtner im Oktober

Man sagt Oktober und glaubt, die Natur trete ihren Winterschlaf an. Aber der Gärtner weiß es besser und wird euch sagen, daß der Oktober ein ebenso guter Monat ist wie der April. Ihr müßt wissen, der Oktober ist der erste Frühlingsmonat, der Monat des unterirdischen Sprießens und Keimens, des verborgenen Aufspringens der prall werdenden Knospen. Grabt nur ein wenig in der Erde nach und ihr werdet starke Knospen, dick wie ein Daumen, zarte Keime und eifrige Wurzeln finden – es nützt nichts, der Frühling ist da! Gehe hinaus, Gärtner, und setze ein (nur achtgeben, damit du mit dem Spaten nicht die keimende Zwiebel einer Narzisse zerschneidest).

Also unter allen Monaten ist der Oktober der Monat des Aussetzens und Umsetzens. Zeitig im Frühjahr steht der Gärtner über sein Beet gebeugt, aus welchem hie und da eine Knospenspitze hervorguckt, und sagt nachdenklich: »Da ist es ein wenig kahl und leer, ich werde noch etwas hersetzen müssen.« Einige Monate später steht der Gärtner vor demselben Beet, auf welchem inzwischen die zwei Meter hohen Stengel des Rittersporns, eine ganze Dschungel Mutterkraut, ein Urwald Glockenblumen emporgeschossen sind, und sagt nachdenklich: »Da ist es ein wenig überwachsen und zu dicht, ich werde Luft machen und es auseinandersetzen müssen.« – Im Oktober steht der Gärtner über das gleiche Beet gebeugt, aus dem hie und da ein trockenes Blatt oder ein kahler Stengel aufragt, und sagt nachdenklich: »Da ist es ein wenig kahl und leer, ich werde etwas hersetzen, vielleicht sechs Flammenblumen oder ein paar größere Astern.« Und geht und tut es. Das Leben des Gärtners ist voll Veränderung und tatenreichem Schöpferwillen.

Mit heimlicher Befriedigung vor sich hinbrummend, findet der Gärtner im Oktober in seinem Garten kahle Stellen. »Sapperment«, sagt er zu sich, »da ist wahrscheinlich etwas eingegangen, da werde ich gleich auf dem leeren Platz etwas einsetzen; vielleicht Goldrute oder lieber Wanzenkraut, das habe ich noch nicht. Am besten würde allerdings Scheingeißbart herpassen; doch für den Herbst würde ich auch ganz gern Pyrethrum uliginosum hier haben. Allerdings eine Gemswurz fürs Frühjahr wäre auch nicht übel. Halt, ich setze eine Goldmelisse ein – entweder Sunset oder Cambridge Scarlet; übrigens eine Taglilie würde sich hier auch gut ausnehmen. Worauf er, in tiefe Nachdenklichkeit versunken, heimgeht; unterwegs erinnert er sich, daß auch die Morina eine dankbare Pflanze ist, vom Mädchenauge ganz zu schweigen; selbst eine Bassung wäre nicht zu verwerfen. Dann bestellt er rasch in einer Gärtnerei Goldrute, Wanzenkraut, Scheingeißbart, Pyrethrum uliginosum, Gemswurz, Goldmelisse, Taglilie, Morina, Mädchenauge, Bassung und schreibt noch Ochsenzunge und Salbei dazu. Einige Tage ist er wütend, will die Blumen nicht und nicht kommen; schließlich bringt ihm der Postbote einen vollen Korb, worauf er sich mit dem Spaten auf jene kahle Stelle stürzt. Mit dem ersten Spatenstich fördert er ein Wurzelknäuel zutage, auf dem sich eben ein ganzes Büschel Knospen drängt. »Jesus Maria«, stöhnt der Gärtner auf, »hier habe ich ja die Trollblume eingesetzt.«

*

Ja, es gibt leidenschaftliche Liebhaber, die in ihrem Garten alles haben wollen, was zu den achtundsechzig Gattungen der Zweikeimblättrigen, zu den fünfzehn der Einkeimblättrigen und zu den zwei der Nacktsamigen gehört; von Kryptogamen wollen sie wenigstens alle Farne, denn mit den Bärenlappen und Moosen ist es ein Kreuz. Dagegen gibt es noch leidenschaftlichere Leidenschaftliche, die ihr Leben einer einzigen Art weihen, die aber wollen und müssen sie in allen bisher gezüchteten und benannten Varietäten haben. So sind zum Beispiel die Zwiebelzüchter dem Kult der Tulpen, Hyazinthen, Lilien, Chionodoxen, Narzissen, Tazetten und anderer Zwiebelwunder ergeben. Dagegen huldigen die Primel- und Aurikelliebhaber ausschließlich den Schlüsselblumen, während sich die Anemonenzüchter dem Orden der Anemonen geweiht haben. Weiter die Irisianer oder auch Schwertlilianer, die vor Schmerz zugrunde gingen, wenn sie nicht alles hätten, was in die Gruppe Apogon, Pogoniris, Regelia, Onocyclus, Juno und Xiphium gehört, die Bastardpflanzen nicht mitgerechnet. Es gibt Delphinisten, die Rittersporn züchten, es gibt Rosenfanatiker oder Rosarianer, die nur mit Madame Druschki, Madame Herriot, Madame Caroline Testout, Monsieur Wilhelm Kordes, Monsieur Pernet und vielen anderen Persönlichkeiten Umgang pflegen, deren Seelen als Rosen weiterleben. Es gibt fanatische Phloxisten oder Philophloxisten, die im August, wenn die Flammenblume blüht, laut die Chrysanthemanen verhöhnen, was ihnen diese im Oktober, wenn die Chrysanthemum Indicum blüht, wieder heimzahlen. Man trifft melancholische Asternisten, die die Spätastern allen Freuden des Lebens vorziehen. Die wildesten aller Leidenschaftlichen aber sind (von den Kaktusnarren abgesehen) die Dahlienzüchter oder Georgianer, die für eine neue amerikanische Dahlie schwindelhafte Summen, bis zu zehn Mark bezahlen. Von all den Genannten haben nur die Zwiebelzüchter eine historische Tradition, ja sogar ihren Schutzpatron, und zwar den hl. Joseph, der bekanntlich eine weiße Madonnenlilie in der Hand hält, obzwar er sich heute schon ein Lilium Brownii anschaffen könnte, das noch weißer ist. Dagegen kommt ein Heiliger mit einer Flammenblume oder einer Georgine nicht vor. Infolgedessen sind Menschen, die dem Kult dieser Blumen ergeben sind, Sektierer und gründen manchmal auch ihre eigene Kirche.

Warum sollten diese Kulte nicht ihre eigenen Heiligenleben haben? Stellt euch zum Beispiel das Leben des heiligen Georginus von Dahlien vor. Georginus war ein tugendhafter und frommer Gärtner, dem es nach vielem Beten gelang, die ersten Georginen zu züchten. Als der heidnische Kaiser Phloxinian davon erfuhr, entbrannte er in Zorn und sandte seine Häscher aus, den frommen Georginus gefangenzunehmen. »Du Krauter«, donnerte ihn Kaiser Phloxinian an, »jetzt wirst du dich vor den abgeblühten Phloxen verneigen!« »Das tue ich nicht«, erwiderte Georginus entschieden, »denn Georginen sind Georginen, aber Phlox bleibt nur Phlox.« »Hackt ihn in Stücke«, brüllte der grausame Phloxinian. Und sie hackten den hl. Georginus von Dahlien in Stücke, verwüsteten seinen Garten und bestreuten ihn mit Eisenvitriol und Schwefel. Aber aus den zerhackten Körperteilen des hl. Georginus wurden die Knollen aller künftigen Georginen: der pfingstrosenartigen, der anemonenartigen, der einfachen, der kakteenartigen und sternartigen, der Mignons, Pompons oder Liliputaner, der Rosetten, Kolaretten und Bastardarten.

So ein Herbst ist eine überaus fruchtbare Zeit. Im Vergleich dazu ist der Frühling sozusagen ein wenig kleinlich. Der Herbst arbeitet gern in großem Maßstab. Hat man je erlebt, daß das Frühlingsveilchen zu drei Meter Höhe aufschieße, oder die Tulpe wachse und wachse, bis sie die Bäume überragt? Na, sehen Sie! Dagegen kommt es vor, daß man im Frühjahr ein paar Herbstastern einsetzt und bis zum Oktober ein zwei Meter hoher Urwald daraus wird, den man nicht zu betreten wagt, in der Furcht, nicht mehr den Weg ins Freie zu finden. Oder man setzt im April die Wurzel einer Sonnenbraut in die Erde ein, und jetzt nicken von oben die goldenen Blüten ironisch auf einen herab, die man nicht einmal mehr mit der Hand erreicht, auch wenn man sich auf die Fußspitzen stellt. Es kommt beim Gärtner alle Augenblicke vor, daß er ein wenig den Maßstab verliert. Deshalb verpflanzt man im Herbst die Blumen; alljährlich schleppt der Gärtner seine Perennen wie eine Katze ihre Jungen von einem Ort zum andern. Alljährlich sagt er befriedigt: »So, jetzt ist alles eingesetzt und in Ordnung.« Im nächsten Jahr atmet er genau so erleichtert auf. Der Garten ist nie fertig. In dieser Beziehung gleicht der Garten der menschlichen Welt und allen menschlichen Unternehmungen.


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