Karel Capek
Das Jahr des Gärtners
Karel Capek

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Der Gärtner im März

Sollen wir der Wahrheit und den uralten Erfahrungen gemäß den März des Gärtners schildern, müssen wir vor allem zwei Dinge sorgfältig unterscheiden: a) was der Gärtner tun soll und will; und b) was er tatsächlich tut, weil er nicht mehr tun kann.

a) Er will eifrig und inständig, das versteht sich von selbst: er will nur das Reisig wegnehmen und die Blumen abdecken, will graben, düngen, rigolen, umhacken, umstechen, auflockern, harken, einebnen, begießen, vermehren, Stecklinge zurechtmachen, beschneiden, einsetzen, umsetzen, anbinden, mit Wasser besprengen, Dünger zugeben, jäten, zusetzen, aussäen, reinigen, stutzen, die Spatzen und Amseln verjagen, an der Erde riechen, mit dem Finger Triebe ausgraben, über die blühenden Schneeglöckchen jubeln, den Schweiß von der Stirn wischen, das Kreuz hohl machen, wie ein Wolf essen und wie ein Loch trinken, mit den Spatzen zu Bette gehen und mit den Lerchen aufstehen, die Sonne und den Morgentau preisen, die harten Knospen befühlen, die ersten Frühlingsschwielen und Wasserblasen züchten und überhaupt ungezwungen, frühlingsmäßig und üppig auf Gärtnerart leben.

b) Statt dessen flucht er, daß der Boden immer noch oder schon wieder zugefroren ist, wütet daheim wie ein gefangener Löwe im Käfig, wenn der Garten verschneit ist, sitzt mit einem Schnupfen zu Hause beim Ofen, muß zum Zahnarzt gehen, hat eine Tagfahrt bei Gericht, bekommt den Besuch einer Tante, eines Uronkels oder des Teufels Großmutter und verliert überhaupt so einen Tag um den andern, von allen möglichen Ungemachen, Schicksalsschlägen, Angelegenheiten und Unannehmlichkeiten verfolgt, die wie verabredet alle im Monat März zusammentreffen. Ihr müßt nämlich wissen, daß der »März der dringlichste Monat für den Garten ist, der auf die Ankunft des Frühlings vorbereitet werden soll«.

Ja, erst als Gärtner schätzt man jene etwas abgenützten Redensarten richtig ein, wie »unerbittliche Kälte«, »hartnäckiger Nordwind«, »strenger Frost« und andere ähnliche poetische Schimpfworte; der Gärtner selber gebraucht noch viel poetischere Ausdrücke, wenn er sagt, daß der Winter heuer ein Luderszeug, eine verdammte, verfluchte, elende, verwünschte und verteufelte Sache sei. Zum Unterschied von den Dichtern schimpft er nicht nur auf den Nordwind, sondern auch auf die bösartigen Ostwinde; er verwünscht weniger das naßkalte Schneegestöber, als den leisetreterischen, heimtückischen Kahlfrost. Er ist den bildlichen Aussprüchen gewogen, wie »der Winter wehrt sich gegen die Angriffe des Frühlings«, und fühlt sich überaus gedemütigt, daß er in dem Kampf nicht mithelfen kann, den tyrannischen Winter zu bezwingen und niederzuschlagen. Könnte er ihn mit der Hacke oder dem Spaten, mit dem Gewehr oder der Hellebarde angreifen, würde er sich die Hüften gürten und, ein Siegesgeschrei ausstoßend, in den Kampf ziehen; so aber kann er nichts andres tun, als jeden Abend beim Radio auf den Situationskampfbericht des staatlichen meteorologischen Institutes zu warten und wild die Hochdruckgebiete über Skandinavien und die Störungen über Island zu verwünschen. Wir Gärtner wissen nämlich, woher der Wind weht.

Für uns Gärtner haben auch die Bauernregeln eindringliche Geltung. Wir glauben noch, daß »der Hl. Matthias das Eis bricht«, und tut er es nicht, erwarten wir es vom Hl. Joseph, dem himmlischen Werkmeister; wir wissen, daß »wir im März hinter den Ofen kriechen«; wir glauben an die drei Eismänner, an die Frühlingsnachtgleiche, an die Sprüche: »Gibt's an Lichtmeß Sonnenschein, wird's ein spätes Frühjahr sein«, »Macht Medardus naß, regnet's ohne Unterlaß« und andere ähnliche Vorhersagen, aus denen hervorgeht, daß die Menschen seit jeher mit dem Wetter schlechte Erfahrungen gemacht haben. Kurz, die Bauernregeln verkünden uns meist mißliche und traurige Dinge. Deshalb wisset, daß die Existenz der Gärtner, die trotz dieser schlechten Erfahrungen mit dem Wetter jahraus, jahrein den Frühling begrüßen und einweihen, Zeugnis von dem nicht umzubringenden und wunderbaren Optimismus des Menschengeschlechtes gibt.

Der Mensch, der zum Gärtner wurde, sucht mit Vorliebe »Alte Augenzeugen« aus. Das sind zumeist ältere und etwas zerstreute Leute, die jedes Frühjahr erklären, sich an ein solches Frühjahr nicht erinnern zu können. Ist es kühl, sagen sie, einen solchen kühlen Frühling noch nie erlebt zu haben (»ich erinnere mich einmal, es ist schon an die sechzig Jahre her, da war es so warm, daß zu Lichtmeß die Veilchen blühten«). Ist es dagegen etwas wärmer, behaupten die Augenzeugen, sich an einen solchen warmen Frühling nicht erinnern zu können (»einmal, es ist schon an die sechzig Jahre her, konnten wir zu Joseph noch rodeln«). Kurzum, auch aus den Aussagen dieser alten Augenzeugen geht hervor, daß, was das Wetter anbelangt, in unserem Klima einfach die entfesselte Willkür herrscht, wogegen man rein nichts tun kann.

Ja, es läßt sich wirklich nichts tun; wir haben Mitte März, und im vereisten Garten liegt noch Schnee. Möge Gott den Blumen der Gärtner gnädig sein!

Das Geheimnis, wie sich die Gärtner gegenseitig erkennen, verrate ich euch nicht, sei es nun am Geruch, an irgendeinem Losungswort oder einem geheimen Zeichen. Aber Tatsache bleibt, daß sie einander bei einer Begegnung gleich zu erkennen pflegen, ob es nun in den Gängen des Theaters, beim Tee oder im Wartezimmer eines Arztes ist. Mit dem ersten Satze, den sie sprechen, tauschen sie ihre Ansichten über das Wetter aus (»nein, mein Herr, an so einen Frühling kann ich mich überhaupt nicht erinnern«), worauf sie zur Frage der Feuchtigkeit übergehen, zu den Georginen, den Kunstdüngemitteln, einer holländischen Lilie (»verflixt noch einmal wie heißt sie denn nur, na, das ist ja alles eins, ich gebe Ihnen eine Zwiebel davon«), zu den Erdbeeren, den amerikanischen Preislisten, den Schäden, die der heurige Winter verursacht hat, zur Schildblattlaus, zu den Astern und anderen ähnlichen Themen. Es scheint nur so, daß man zwei Männer im Smoking im Wandelgange eines Theaters vor sich habe; in einer tieferen und echteren Wirklichkeit sind es zwei Gärtner mit Spaten oder Gießkanne in der Hand.

Wenn eine Uhr stehenbleibt, zerlegt man sie und trägt sie dann zum Uhrmacher; wenn jemand mit seinem Auto steckenbleibt, hebt er die Motorhaube hoch, steckt die Finger hinein und ruft dann einen Monteur. Mit allem, was es auf dieser Welt gibt, weiß man sich Rat, alles kann man richten und verbessern, – nur mit dem Wetter läßt sich nichts anfangen. Da hilft kein Eifer und kein Größenwahn, keine Neuerungsucht, kein Vorwitz und kein Lästern; die Knospe springt auf, der Keimling sprießt hervor, wenn ihre Zeit und ihr Gesetz erfüllt sind. Da wirst du dir demütig der Machtlosigkeit des Menschen bewußt, begreifst, daß die Geduld die Mutter aller Weisheit ist.

Übrigens läßt sich nichts andres tun.


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