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Wenn ich sie Sektierer nenne, so geschieht es nicht deshalb, weil sie mit großem Eifer Kakteen züchten; diesen Tatsachenbestand kann man als Leidenschaft, Marotte oder Manie bezeichnen. Das Wesen einer Sekte besteht nicht darin, etwas mit Eifer zu tun, sondern darin, an etwas leidenschaftlich zu glauben. Es gibt Kakteenzüchter, die an Marmorpulver glauben, während andere an Ziegelpulver und wieder andere an Holzkohle glauben. Die einen sind fürs Begießen, die andern verwerfen es. Es gibt einige tiefere Geheimnisse der echten Kakteenerde, die kein Kakteenzüchter verraten wird, und wenn man ihn ans Rad flöchte. Alle diese Sekten, Vorschriften, Riten, Schulen, Logen sowie auch die wilden und eigenbrötlerischen Kakteenzüchter schwören darauf, nur mit Hilfe ihrer Methode so wunderbare Resultate zu erzielen. Sehen Sie sich mal diesen Echinocactus Myriostigma an. Haben Sie schon jemals bei irgend jemand einen solchen Echinocactus Myriostigma gesehen? Ich sage es Ihnen, aber nur unter der Bedingung, daß Sie es niemandem verraten: man darf ihn nicht begießen, sondern nur besprengen. So. – Was! ruft ein anderer Kakteenzüchter. Wer hat schon jemals gehört, daß man einen Echinocactus Myriostigma besprengen darf? Wollen Sie, daß er sich den Scheitel verkühlt? Oho, lieber Herr, falls Sie nicht wünschen, daß Ihr Echinocactus glatt verfault, dürfen Sie ihn nur so befeuchten, daß Sie ihn samt dem Blumentopf einmal wöchentlich in weiches, 23,789 Grad Celsius warmes Wasser stellen. Dann wächst er wie eine Rübe. – Um Christi Himmels willen, schreit der dritte Kakteenzüchter auf, seht euch nur diese Mörder an! Wenn Sie den Blumentopf ins Wasser stellen, Herr, überzieht er sich mit Grünalgen, der Boden wird sauer, und Sie können einpacken mit Ihrer Weisheit, jawohl, einpacken; außerdem bekommt Ihr Echinocactus Myriostigma die Wurzelfäule. Wollen Sie vermeiden, daß die Erde sauer wird, müssen Sie ihn tagsüber mit sterilisiertem Wasser begießen, und zwar so, daß auf ein Kubikzentimeter Erde 0,111111 Gramm Wasser kommt, das genau um einen halben Grad wärmer ist als die Luft. – Worauf alle drei Kakteenzüchter zugleich laut zu schreien beginnen und mit Fäusten, Zähnen, Füßen und Krallen aufeinander losgehen. Aber wie es schon einmal auf dieser Welt ist, die eigentliche Wahrheit kommt auch dadurch nicht zutage.
Eines ist allerdings wahr: daß die Kakteen diese besondere Leidenschaft verdienen, schon deshalb, weil sie geheimnisvoll sind. Eine Rose ist schön, aber nicht geheimnisvoll. Zu den geheimnisvollen Pflanzen gehören die Lilie, der Enzian, die Goldfarne, der Baum der Erkenntnis, uralte Bäume überhaupt, einige Pilze, Mandragora, das Knabenkraut, Eispflanzen, Gift- und Heilkräuter, Wasserrosen, die Mittagsblumen und die Kakteen. Worin das Geheimnisvolle liegt, sage ich euch nicht, das Geheimnisvolle muß einfach anerkannt werden, damit wir es finden und uns ihm demütig beugen. Es gibt Kakteen, die ähneln Meerigeln, Gurken und Kürbissen, Leuchtern, Krügen, dem Barett eines Priesters und Schlangennestern; solche, die mit Schuppen, Saugnäpfen, Haaren, Häkchen, Warzen, Stacheln, Jataganen und Sternchen bedeckt sind; es gibt rundliche und langgestreckte, struppige wie ein Trupp Lanzenträger, schneidige wie ein Zug Säbelschwinger, aufgequollene, holzige und runzelige, mit Ausschlag gezeichnete, bärtige, schrullenhafte, brummige, sauertöpfische, stachlige wie ein Drahtverhau, wie ein Korb geflochtene, und solche, die aussehen wie Geschwülste, Tiere und Waffen: die männlichste von allen je nach ihrem Geschlecht samentragenden Pflanzen, die am dritten Tage erschaffen wurde. («Nein, so etwas«, sprach dann der Schöpfer und wunderte sich selber darüber, was er da erschaffen hatte.) Man kann sie lieben, ohne sie unanständig zu berühren, zu küssen oder an die Brust zu drücken; sie halten nichts von Intimitäten und anderen ähnlichen Frivolitäten. Sie sind hart wie Stein, bis an die Zähne bewaffnet, entschlossen, sich nicht zu ergeben; mach, daß du weiterkommst, Bleichgesicht, oder ich schieße! So eine kleine Kakteensammlung sieht aus wie ein Lager von Kriegszwergen. Hacken wir diesem Krieger den Kopf oder die Hand ab, wächst ein neuer, Schwerter und Dolche schwingender Bewaffneter hervor. Das Leben ist ein Kampf.
Aber es gibt geheimnisvolle Augenblicke, wo sich dieser trotzige und empfindliche Starrkopf ein wenig vergißt und träumt; dann bricht eine Blüte aus ihm heraus, eine große, leuchtende, fürstliche Blüte unter den gezückten Waffen. Es ist eine große Gnade und seltene Begebenheit, die nicht gleich jeder erlebt. Ich sage euch, der Mutterstolz ist nichts gegen die Überhebung, die Prahlsucht eines Kakteenzüchters, der einen blühenden Kaktus besitzt.