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Beim Frühstück des nächsten Morgens war Tarzans Platz leer. Miß Strong war einigermaßen erstaunt darüber, denn Mr. Caldwell hatte die Gewohnheit, mit ihr und ihrer Mutter zu frühstücken. Als sie später auf dem Deck saß, blieb Thuran bei ihr stehen, um einige freundliche Worte mit ihr zu wechseln. Er schien in vorzüglicher Stimmung zu sein; aber auch sonst war er immer äußerst liebenswürdig. Als er weiter ging, dachte Miß Strong: Herr Thuran ist doch ein netter Mensch.
Sie fing an, sich zu langweilen, denn sie vermißte die ruhige Gesellschaft Mr. Caldwells. Sie hatte sich gewissermaßen zu ihm hingezogen gefühlt. Er verstand es, so unterhaltend von den Ortschaften und Städten, die er gesehen, von den Menschen und ihren Gebräuchen und von den wilden Tieren zu erzählen; auch hatte er eine so drollige Art, treffende, wenn auch manchmal etwas boshafte Vergleiche zwischen den Menschen und den wilden Tieren, die er offenbar sehr gut kannte, anzustellen.
Als Herr Thuran am Nachmittag bei ihr stehen blieb, um mit ihr zu plaudern, war ihr dies sehr erwünscht, weil dadurch die Eintönigkeit des Tages etwas unterbrochen wurde. Sie fing aber an, sich über Mr. Caldwells Abwesenheit ernstlich zu beunruhigen; es kam ihr immer wieder in den Sinn, daß das irgendwie in Zusammenhang stehen müsse mit dem Schrecken, den sie am vorigen Abend hatte, als ein dunkler Gegenstand vor ihrem Kabinenfenster ins Meer sauste.
Jetzt machte sie Herrn Thuran Mitteilung davon. Auch er hatte Herrn Caldwell heute noch nicht gesehen.
Er war nicht, wie gewöhnlich, beim Frühstück, sagte das junge Mädchen. Seit gestern habe ich ihn nicht ein einzigesmal gesehen.
Herr Thuran tat auch sehr besorgt.
Ich hatte nicht das Vergnügen, Herrn Caldwell näher zu kennen, sagte er. Er schien aber ein sehr achtenswerter Herr zu sein. Sollte er vielleicht unpäßlich und in seiner Kabine geblieben sein? Das wäre ja nichts Ungewöhnliches.
Nein, erwiderte das junge Mädchen, das wäre nichts Außergewöhnliches, aber aus irgendeinem unerklärlichen Grunde habe ich eine jener merkwürdigen weiblichen Ahnungen, daß mit Herrn Caldwell nicht alles in Ordnung ist. Ich habe das ganz seltsame Gefühl, als ob er nicht mehr auf dem Schiffe ist.
Herr Thuran lachte belustigt. Aber, meine liebe Miß Strong, wo sollte er denn sein? Wir haben seit Tagen kein Land mehr gesichtet.
Natürlich ist es lächerlich von mir, gab sie zu, aber dann entschied sie: Ich will mir nicht länger den Kopf zerbrechen. Ich werde jetzt zu ermitteln versuchen, wo Herr Caldwell ist. Und sie winkte einem vorübergehenden Steward.
Das wird nicht so leicht sein, wie du glaubst, mein liebes Mädchen, dachte Herr Thuran, und laut bemerkte er: Das wird auf alle Fälle gut sein.
Sie wies den Steward an: Suchen Sie, bitte, Herrn Caldwell auf, und sagen Sie ihm, seine Freunde seien wegen seines langen Ausbleibens sehr besorgt.
Sie können Herrn Caldwell wohl recht gut leiden? fragte Herr Thuran.
Er ist ein prächtiger Mensch, antwortete sie, und meine Mutter ist in ihn ganz vernarrt. Er ist einer von den Männern, bei denen man das Gefühl unbedingter Sicherheit hat. Man kann vollkommen Vertrauen zu ihm haben.
Einen Augenblick später kehrte der Steward zurück und berichtete, Herr Caldwell sei nicht in seiner Kabine. Ich kann ihn nicht finden. Miß Strong, und – er zögerte – ich habe gesehen, daß sein Bett vorige Nacht nicht benützt worden ist. Ich denke, es ist am besten, ich melde dem Kapitän die Sache.
Ganz gewiß, rief Miß Strong aus. Ich will mit Ihnen zum Kapitän gehen. Es ist schrecklich! Ich weiß, daß etwas Entsetzliches geschehen ist. Meine Ahnung hat mich doch nicht betrogen.
Beide waren sehr aufgeregt, als sie sich gleich darauf beim Kapitän meldeten. Er hörte ihre Erzählung schweigend an, und sein Gesicht nahm einen Ausdruck der Bestürzung an, als der Steward ihm versicherte, er habe den vermißten Passagier überall vergeblich gesucht.
Und sind Sie sicher, Miß Strong, daß Sie vergangene Nacht einen Körper über Bord stürzen sahen? fragte der Kapitän.
Es ist nicht der geringste Zweifel möglich, antwortete sie. Ich kann aber nicht behaupten, daß es ein menschlicher Körper war, denn ich hörte keinen Schrei. Aber wenn Herr Caldwell nicht an Bord gefunden wird, so weiß ich bestimmt, daß er es war.
Der Kapitän ordnete eine sofortige gründliche Durchsuchung des ganzen Schiffes an; kein Winkel sollte übersehen werden. Miß Strong wartete ungeduldig den Ausgang der Untersuchung ab. Der Kapitän richtete noch mancherlei Fragen an sie, aber sie konnte ihm über den Vermißten weiter nichts mitteilen, als was sie aus ihrer kurzen Bekanntschaft mit ihm an Bord des Schiffes wußte. Herr Caldwell hatte ihr in der Tat nur weniges über sich und sein früheres Leben mitgeteilt. Alles, was sie wußte, war, daß er in Afrika geboren und in Paris erzogen war, und auch das hatte sie nur erfahren, als sie ihre Verwunderung darüber aussprach, daß ein Engländer das Englische mit einem so ausgesprochenen französischen Akzent sprach.
Hat er je von irgendwelchen Feinden gesprochen? fragte der Kapitän.
Nie.
Hatte er Umgang mit irgendwelchen andern Passagieren?
Nur so wie mit mir, durch zufällige Begegnung auf dem Deck.
War er nach Ihrer Ansicht ein Trinker, Miß Strong?
Meines Wissens trank er überhaupt nicht. Jedenfalls hatte er eine halbe Stunde bevor ich etwas ins Meer fallen sah, noch nichts getrunken, denn bis dahin war ich mit ihm auf dem Deck zusammen.
Das ist wirklich sonderbar, sagte der Kapitän. Er sah auch nicht aus, als ob er Ohnmachtsanfällen oder dergleichen ausgesetzt wäre. Und selbst wenn das der Fall gewesen wäre, so würde er doch nicht über die Reling, sondern aufs Deck gefallen sein. Wenn er nicht mehr an Bord ist, Miß Strong, so ist er über Bord gestürzt worden, und aus der Tatsache, daß Sie keinen Schrei gehört haben, muß man schließen, daß er bereits tot, daß er ermordet war.
Miß Strong zitterte vor Schrecken.
Erst eine Stunde später kam der erste Offizier wieder, um zu berichten.
Herr Caldwell ist nicht an Bord, erklärte er.
Ich fürchte, Herr Brentley, sagte der Kapitän, daß hier etwas Ernsteres als ein Unfall vorliegt. Ich wünsche, daß Sie persönlich alles, was Herrn Caldwell gehört, genau durchsuchen, um festzustellen, ob irgend ein Anhaltspunkt für einen Selbstmord oder einen Mord vorliegt.
Gut, Herr Kapitän, antwortete Herr Brentley, und entfernte sich sogleich.
Hazel Strong war ganz niedergeschlagen. Zwei Tage lang blieb sie in ihrer Kabine, und als sie schließlich wieder aufs Deck kam, sah sie bleich aus und hatte große schwarze Ringe um die Augen. Ob sie wachte oder schlief, immer glaubte sie den dunklen Körper zu sehen, der schnell und lautlos im kalten, schrecklichen Meer versank.
Kurz nachdem sie zum erstenmal wieder auf dem Deck erschien, kam Herr Thuran besorgt zu ihr.
O, das ist aber schrecklich, Miß Strong, sagte er, ich muß immer wieder daran denken.
Ich auch, sagte Hazel ganz matt. Gewiß hätte er noch gerettet werden können, wenn ich Lärm geschlagen hätte.
Sie brauchen sich keine Vorwürfe zu machen, liebe Miß Strong. Sie können doch nicht dafür. Jeder andere hätte auch so gehandelt wie Sie. Wer nimmt auch an, daß, wenn etwas vom Schiff in die See fällt, es ein Mensch sein müsse? Wenn Sie das Schiff auch alarmiert hätten, so wäre der Ausgang doch nicht anders geworden. Eine Weile hätte man Ihre Erzählung nicht ernst genommen und gemeint, es wäre nur eine nervöse Sinnestäuschung gewesen. Wären Sie aber bei Ihrer Behauptung geblieben, so wäre es zur Rettung zu spät gewesen, denn bis das Schiff gehalten hätte und die Boote herabgelassen worden wären, hätten sie meilenweit zurückrudern müssen, um die Stelle aufzufinden, wo sich die Tragödie abgespielt haben könnte. Nein, Sie brauchen sich keine Vorwürfe zu machen. Sie haben für den armen Herrn Caldwell mehr getan, als irgend jemand von uns, denn Sie haben die Nachforschung nach ihm veranlaßt.
Hazel Strong war gerührt von diesen freundlichen, ermutigenden Worten. Seither blieb Herr Thuran oft bei ihr, ja, während der ganzen übrigen Fahrt wich er kaum von ihrer Seite, und sie schätzte ihn immer mehr.
Thuran hatte erfahren, daß die schöne Miß Strong aus Baltimore ein wohlhabendes Mädchen sei, das über eigenes Vermögen verfügte und noch eine bedeutende Erbschaft zu erwarten hatte. Deshalb versäumte er nicht, ihre Gesellschaft recht oft zu suchen.
Anfänglich hatte er die Absicht gehabt, in dem nächsten anzulaufenden Hafen das Schiff zu verlassen. Mit der Beseitigung Tarzans hatte er ja seinen Zweck erreicht. Er wollte jetzt möglichst schnell nach Europa zurückkehren und dann im nächsten Schnellzug nach Petersburg eilen.
Inzwischen aber war ihm ein anderer Gedanke gekommen, der ihn veranlaßte, seinen ursprünglichen Plan vollständig abzuändern. Das Vermögen der Amerikanerin war wirklich nicht zu verachten, und zudem war die Besitzerin ein reizendes Mädchen.
Donnerwetter, sagte er zu sich, welches Aufsehen würde sie in Petersburg erregen!
Seitdem Herr Thurau auf diese Dollarmillionen hoffte, hatte er seinen früheren Reiseplan begraben. Jetzt schützte er dringende Geschäfte in Kapstadt vor, die ihn dort einige Zeit festhalten würden.
Miß Strong hatte ihm gesagt, sie würde dort ihren Onkel besuchen und mit ihrer Mutter wahrscheinlich monatelang dort bleiben.
Sie war erfreut, als Herr Thuran durchblicken ließ, er werde sich auch längere Zeit dort aufhalten.
Ich hoffe, daß wir unsere Bekanntschaft fortsetzen können, sagte sie. Sie müssen Mama und mich besuchen, sobald wir dort sind.
Herr Thuran war sehr erfreut darüber. Frau Strong aber war nicht so sehr von ihm eingenommen wie ihre Tochter. Eines Tages, als sie über ihn sprachen, sagte sie:
Ich weiß nicht, weshalb ich eigentlich etwas mißtrauisch gegen ihn bin. Er scheint in jeder Hinsicht ein vollkommener Gentleman zu sein, aber zuweilen ist doch ein so eigentümlicher Ausdruck in seinem Blick, den ich nicht beschreiben kann, der in mir aber ein unbehagliches Gefühl erregt.
Die Tochter lachte. Was du dir nicht einbildest, Mama!
Es ist nun einmal so. Mir wäre jedenfalls Herr Caldwell lieber.
Mir auch! stimmte Hazel zu.
Herr Thuran machte häufig Besuch im Hause von Hazels Onkel. Er war von einer rührenden Aufmerksamkeit und suchte allen Wünschen Hazels so zuvorzukommen, daß sie immer mehr von ihm eingenommen wurde. Wenn sie, ihre Mutter oder ihr Onkel einer Begleitung bedurfte, oder wenn man sonst einen kleinen freundschaftlichen Dienst erwartete, so war Herr Thuran immer zur Stelle. So machte er sich geradezu unentbehrlich.
Als er den Zeitpunkt für günstig hielt, schritt er zum Heiratsantrag.
Hazel war aber so enttäuscht darüber, daß sie anfänglich gar nicht wußte, was sie ihm antworten sollte.
Ich habe nie gedacht, sagte sie, daß Sie sich mit einer solchen Absicht trügen, und betrachtete Sie immer als einen wirklich lieben Freund. Einstweilen möchte ich Ihnen noch keine Antwort geben. Vergessen Sie, daß Sie um meine Hand angehalten haben. Wir wollen bleiben, was wir waren. Vielleicht entdecke ich einmal, daß meine Gefühle für Sie mehr als freundschaftliche sind. Ich habe jedenfalls bisher nie einen Augenblick daran gedacht, daß ich Sie liebte.
Mit dieser Zusage war Herr Thuran schon vollkommen zufrieden. Er bedauerte, daß er zu hastig vorgegangen war, aber er hätte Hazel schon so lange geliebt, daß er glaubte, das Geheimnis nicht länger bewahren zu können.
Seitdem ich Sie zum erstenmal gesehen, Hazel, sagte er, habe ich Sie geliebt. Ich werde warten, denn ich bin überzeugt, daß eine so große, aufrichtige Liebe wie die meinige belohnt werden wird. Das einzige, was ich einstweilen von Ihnen verlange, ist, daß Sie keinen andern lieben. Wollen Sie mir das versprechen?
Ich habe noch nie in meinem Leben geliebt, erwiderte sie, und das genügte ihm. Ja, er war mit einer solchen Zuversicht erfüllt, daß er auf dem Heimweg vergnügt vor sich hin sann und schon in Gedanken am Schwarzen Meer eine prächtige Villa für eine Million Dollar baute, vor der eine elegante Jacht auf den Fluten tanzen sollte.
*
Am nächsten Tage erlebte Hazel Strong eine ihrer freudigsten Überraschungen: als sie aus einem Juwelierladen kam, stieß sie direkt auf Jane Porter.
Wie, Jane! rief sie aus. Wo in aller Welt kommst du her? Ich traue meinen Augen kaum.
Jawohl, ich bin's! rief die ebenfalls überraschte Jane aus. Und ich habe immer gedacht, du wärest noch in Baltimore.
Dabei umarmte sie ihre Freundin und küßte sie herzlich.
Nun fing das Erzählen an, und so erfuhr Hazel, daß Lord Tenningtons Jacht Kapstadt angelaufen hatte und übermorgen ihre Fahrt längs der Westküste Afrikas nach England fortsetzen wollte. Dort werde ich dann heiraten, schloß Jane.
Dann bist du also nicht verheiratet? fragte Hazel.
Noch nicht, versetzte Jane, und fügte hinzu: Ich wollte, zwischen England und hier lägen eine Million Meilen.
Nun wurden Besuche ausgetauscht. Es wurden Essen und Ausflüge in die Umgegend veranstaltet. Dabei war Herr Thuran überall als willkommener Gast dabei. Er selbst lud die Herren zu einem Essen ein und verfehlte nicht, sich besonders bei Lord Tennington beliebt zu machen.
Eines Tages, als er allein mit ihm war, verriet er ihm im Vertrauen, daß seine Verlobung mit Miß Strong bei ihrer Rückkehr nach Amerika bekannt gegeben würde. Aber kein Wort davon, lieber Tennington, kein Wort!
Seien Sie unbesorgt, antwortete der Lord, ich kann das wohl verstehen. Aber man muß Ihnen Glück wünschen. Wirklich ein famoses Mädel!
Herr Thuran erkannte, daß sich jetzt eine andere Möglichkeit ergebe, nach Europa zurückzukehren, und am anderen Tage kam die Sache zur Sprache.
Frau Strong, Hazel und Herr Thuran waren Lord Tenningtons Gäste an Bord seiner Jacht. Frau Strong hatte ihm eben versichert, sie seien über seinen Besuch in Kapstadt hoch erfreut und bedauerten deshalb sehr, daß ein eben eingetroffener Brief aus Baltimore sie nötige, eher nach Amerika zurückzukehren, als sie beabsichtigt hatten.
Wann wollen Sie fahren? fragte Tennington.
Ich denke, Anfang der Woche, antwortete sie.
Das trifft sich vorzüglich! rief Herr Thuran aus. Ich habe wirklich Glück. Auch ich muß möglichst bald zurückkehren, und so werde ich die Ehre haben, Sie zu begleiten und Ihnen weiterhin behilflich zu sein.
Das ist nett von Ihnen, Herr Thuran, antwortete Frau Strong. Wir werden also die Freude haben, auch weiterhin unter Ihrem Schutz zu stehen.
Im Grunde ihres Herzens hätte sie allerdings gewünscht, von seiner Gegenwart befreit zu sein. Weshalb, das konnte sie eigentlich nicht sagen.
Einen Augenblick später rief Lord Tennington: Ich habe eine großartige Idee, wahrhaftig großartig!
Das wird eine großartige Idee sein, warf Clayton spöttelnd dazwischen. Sie wollen jetzt wohl über den Südpol nach China fahren?
Ach, Clayton, Sie brauchen nicht so boshaft zu sein, weil Sie selbst nicht auf den Gedanken gekommen sind. Und doch werden alle zugeben, daß es eine großartige Idee ist. Wenn es Mrs. und Miß Strong, sowie Herrn Thuran recht ist, so sollen sie alle mit uns zusammen auf der Jacht nach England fahren. Ist das nicht schön?
Allerdings, stimmte auch Clayton bei. Das ist ein guter Gedanke von Ihnen, lieber Tenny.
Dann wollen wir also Anfang der Woche abfahren, je nachdem es Ihnen angenehm ist, Mrs. Strong.
Ich danke Ihnen, Lord Tennington, antwortete die Dame, aber Ihre Einladung ist so großmütig, daß wir sie nicht annehmen können.
Warum denn nicht? versetzte Tennington. Auf unserer Jacht fahren Sie ebenso gut wie auf einem Passagierschiff und werden jede Bequemlichkeit haben. Wir alle wünschen, daß Sie zustimmen.
So wurde denn beschlossen, daß die ganze Gesellschaft am nächsten Montag abfahren sollte.
Am Tage nach der Abreise saßen die beiden Mädchen in Hazels Kabine und zeigten sich die Photographien, die diese seit ihrer Abfahrt von Amerika gemacht hatte. Jane stellte allerlei Fragen, und Hazel gab die nötigen Erklärungen zu den Bildern.
Und hier, sagte sie plötzlich, ist ein Mann, den du kennst. Der arme Kerl! Ich habe schon so oft mit dir über ihn sprechen wollen, aber ich habe es nie übers Herz bringen können.
Sie hielt das kleine Bild so, daß Jane das Gesicht des Mannes nicht sehen konnte.
Er hieß John Caldwell, fuhr Hazel fort. Erinnerst du dich nicht seiner? Er erzählte, er hätte dich gekannt. Er ist ein Engländer.
Ich erinnere mich dieses Namens nicht, antwortete Jane. Doch, laß mich das Bild sehen!
Der arme Mensch fiel auf unserer Fahrt längs der Küste über Bord, erklärte Hazel, indem sie ihrer Freundin das Bild reichte.
Fiel über Bord? – – Wie, Hazel, er ist doch nicht tot? Hazel, das sagst du doch nur im Scherz, wimmerte Jane.
Ohnmächtig sank sie zu Boden, ehe die erstaunte Hazel sie hatte festhalten können.
Sie erholte sich nach einer Weile wieder, nachdem Hazel sich um sie bemüht hatte. Dann aber saßen beide noch geraume Zeit schweigend da.
Ich wußte nicht, Jane, sagte Hazel beklommen, daß du John Caldwell so gut kanntest.
John Caldwell? fragte Miß Porter. Wie kommst du zu diesem Namen?
So hieß er doch, Jane, John Caldwell aus London.
Ach, Hazel, könnte ich das nur glauben! Aber diese Züge sind so tief in mein Gedächtnis und mein Herz geprägt, daß ich sie unter tausend andern Menschen in der Welt erkennen würde.
Was meinst du, Jane? rief Hazel, die jetzt sich ernstlich beunruhigte.
Das ist doch das Bild von Tarzan.
Jane!
Ein Irrtum ist ausgeschlossen. O Hazel, bist du sicher, daß er tot ist? Kann da keine Verwechslung vorliegen?
Leider nein, antwortete Hazel traurig. Ich würde mich freuen, wenn eine Verwechslung möglich wäre, aber jetzt bestätigen mir viele Einzelheiten, daß es Tarzan gewesen ist. Ich habe früher nicht darauf geachtet, weil er sich als John Caldwell aus London ausgab. Er sagte, er sei in Afrika geboren und in Paris erzogen worden.
Das stimmt schon, murmelte Jane Porter.
Der erste Offizier, der sein Gepäck durchsuchte, fand nichts, was auf einen John Caldwell aus London hindeutete. Alles, was er besaß, war in Paris hergestellt oder wenigstens dort gekauft worden. Seine Sachen waren mit dem Buchstaben T oder mit J. C. T. bezeichnet. Wir schlossen daraus, daß er inkognito unter seinen zwei ersten Namen gereist sei, da wir J. C. als John Caldwell deuteten.
Tarzan führte den Namen Jean C. Tarzan, flüsterte Jane bewegt. Und er ist tot! Ach, Hazel, das ist schrecklich! Er starb allein im furchtbaren Ozean! ... Ich kann es nicht fassen, daß dieses wackere Herz aufgehört hat, zu schlagen, daß diese starken Muskeln für immer still und kalt sind. Er, der das Leben, die Gesundheit und männliche Kraft geradezu verkörperte, soll jetzt die Beute der Tiefe sein?
Sie konnte nicht weiter sprechen – mit einem leisen Ächzen legte sie den Kopf in die Arme und sank wieder ohnmächtig zurück.
Tagelang war Miß Porter krank und wollte niemand sehen außer Hazel und Esmeralda. Als sie dann wieder an Deck kam, waren alle betroffen von der Veränderung, die mit ihr vorgegangen war. Sie war nicht mehr die lebhafte amerikanische Schönheit, die alle durch ihr reizendes Wesen erfreut hatte. Sie war jetzt ein ruhiges, stilles Mädchen mit einem erschütternden Ausdruck hoffnungsloser Trauer, den nur Hazel Strong sich erklären konnte.
Die ganze Gesellschaft bemühte sich, sie aufzuheitern und zu unterhalten, aber ohne Erfolg. Gelegentlich gelang es wohl dem launigen Lord Tennington, sie zu einem leichten Lächeln zu bringen, aber meistens saß sie da und schaute mit weit geöffneten Augen auf die See.
Seit Jane Porters Unwohlsein schien die Jacht ein Mißgeschick nach dem andern zu treffen. Zuerst kam ein Bruch an der Maschine vor, und das Schiff kam nur langsam von der Stelle, weil die Reparatur zwei Tage beanspruchte. Dann überfiel sie unerwartet eine starke Bö, die fast alles, was auf dem Deck war, ins Meer riß. Später gerieten zwei Matrosen auf dem Vorderdeck in Streit, so daß der eine mit einem Messer schwer verwundet wurde und der andere in Ketten gelegt werden mußte. Um nun das Unglück voll zu machen, fiel eines Nachts der Steuermann über Bord und ertrank, bevor man ihm zu Hilfe kommen konnte. Die Jacht kreuzte noch zehn Stunden lang an der Unglücksstelle, aber es wurde keine Spur mehr von ihm gesehen.
Mannschaft wie Passagiere waren niedergedrückt. Alle fürchteten, es könnte noch etwas Schlimmeres kommen, und die Besatzung wurde abergläubisch und erinnerte dabei an allerlei schlimme Vorzeichen auf der bisherigen Fahrt.
Die Unglückspropheten brauchten denn auch nicht lange zu warten. In der zweiten Nacht nach dem Unfall des Steuermannes scheiterte die kleine Jacht. Um ein Uhr nachts erfolgte ein furchtbarer Stoß, der Passagiere und Mannschaft aus ihren Betten trieb. Eine starke Erschütterung ging durch das kleine Fahrzeug, das sich nach Steuerbord neigte, und die Maschinen standen still. Einen Augenblick neigte sich das Schiff noch stärker zur Seite – dann sank es tiefer in die See und richtete sich wieder auf.
Die Männer stürmten auf das Deck, gefolgt von den Frauen. Es ging glücklicherweise nur ein schwacher Wind. Die Nacht war dunkel, aber immerhin konnte man auf Backbord eine schwarze aus den Fluten emporragende Masse erkennen.
Ein treibendes Wrack, erklärte der Offizier der Schiffswache. Jetzt stürmte der Maschinist auf das Deck, um den Kapitän zu suchen.
Das Stück, das wir vorn auf den Zylinder gesetzt hatten, ist fort, meldete er, und das Wasser dringt immer mehr ein.
Einen Augenblick später stürzte ein Matrose von unten herauf.
Mein Gott, schrie er, der ganze Schiffsboden ist weggerissen. Die Jacht kann keine zwanzig Minuten mehr schwimmen!
Seien Sie still! fuhr Tennington ihn an. Meine Damen, gehen Sie hinunter und nehmen Sie ihre notwendigsten Sachen zusammen. Vielleicht ist es nicht so schlimm, aber immerhin wollen wir uns in die Boote begeben. Es ist jedenfalls sicherer, sich auf alles vorzubereiten. Gehen Sie, bitte, sogleich! Und Sie, Kapitän Jerrold, senden Sie einen erfahrenen Mann hinunter, um den genauen Umfang des Schadens festzustellen. In der Zwischenzeit sollen die Boote mit Proviant versehen werden.
Die besonnenen Worte des Jachteigentümers trugen viel dazu bei, die ganze Gesellschaft zu beruhigen, und im nächsten Augenblick waren alle damit beschäftigt, seine Weisungen auszuführen.
Als die Damen auf das Verdeck zurückkehrten, war die Verproviantierung der Boote fast vollendet und einen Augenblick später kehrte der Offizier, der hinuntergegangen war, zur Meldung zurück. Die zusammengedrängte Gruppe von Männern und Frauen sagte sich ohnehin schon, daß das Ende der »Lady Alice« gekommen war.
Nun? fragte der Kapitän, als der Offizier zögerte.
Ich möchte die Damen nicht erschrecken, sagte er, aber die Jacht kann sich meiner Ansicht nach kaum noch zwölf Minuten über Wasser halten. Es ist ein Loch darin, so groß, daß man eine Kuh hindurchtreiben könnte.
Fünf Minuten später fing die »Lady Alice« an, mit dem Bug zu sinken. Schon ragte der Hintersteven hoch in die Luft, und es gab keinen festen Halt mehr auf dem Deck.
Das Schiff hatte vier Rettungsboote. Diese waren besetzt und ins Wasser gelassen.
Als sie eilig von der gestrandeten Jacht abstießen, warf Jane Porter noch einen letzten Blick zurück. In demselben Augenblick gab es einen lauten Krach; es dröhnte und stampfte im Innern des Schiffes. Die Maschinen brachen auseinander und polterten gegen den Bug, Verschläge und Schotten mit sich reißend. Der Hintersteven hob sich immer höher. Eine Woge schoß aus dem Ozean empor, dann versank das Schiff in der Tiefe.
In einem der Boote wischte sich der wackere Lord Tennington eine Träne aus dem Auge. Nicht um den Verlust des Geldes, das in diesem Schiff steckte, trauerte er, sondern das Schiff war ihm ein prächtiger Freund gewesen, an dem sein Herz hing.
Endlich ging die lange Nacht vorüber, und die tropische Sonne warf ihre Strahlen auf das wogende Meer. Jane Porter war in unruhigen Schlummer versunken, und erwachte erst, als ihr die glühende Sonne ins Gesicht brannte. Sie sah sich um. In ihrem Boot waren drei Matrosen, Clayton und Thuran. Dann schaute sie nach den anderen Booten aus, aber soweit ihr Auge reichte, war nichts, was die schreckliche Eintönigkeit der großen Wasserfläche unterbrach; sie war mit ihren Begleitern allein auf dem weiten Atlantischen Ozean.