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Die verfehlte Verschwörung

Seit einem Monat verkehrte Tarzan regelmäßig bei der schönen Gräfin de Coude, die er verehrte und die ihn immer gerne kommen sah. Oft fanden sich auch andere Mitglieder der kleinen Gesellschaft ein, die sie nachmittags zum Tee empfing, aber sie suchte es so einzurichten, daß sie mit Tarzan auch eine Stunde allein sein konnte.

Eine Zeitlang war sie erschrocken über die Andeutungen, die Rokoff gemacht hatte. Bis dahin hatte sie den starken jungen Mann lediglich als einen Freund betrachtet, aber infolge der Anspielungen ihres Bruders grübelte sie nun über die seltsame Anziehungskraft nach, die der grauäugige Fremde auf sie ausübte. Sie hatte aber nicht die Absicht, ihn zu lieben, und sie wünschte auch nicht, daß er sie lieben sollte.

Sie war viel jünger als ihr Gatte und sehnte sich unbewußt nach der Freundschaft eines Mannes, der ihrem Alter näher stand. Mit zwanzig Jahren ist man zu schüchtern, um mit einem Vierzigjährigen Gedanken auszutauschen.

Die Gräfin fühlte, daß Tarzan sie verstehen konnte, denn er war nur zwei Jahre älter als sie, und er war ein ehrenhafter, ritterlicher Mensch. Sie fürchtete sich nicht vor ihm. Daß sie ihm trauen durfte, hatte sie von Anfang an instinktiv gefühlt.

Rokoff hatte diese wachsende Vertraulichkeit aus der Ferne mit boshafter Freude beobachtet. Seitdem er erfahren hatte, daß Tarzan wußte, daß er ein russischer Spion sei, hatte sich zu seinem Haß gegen den Affenmenschen eine große Furcht gesellt, von ihm bloßgestellt zu werden. Er wartete jetzt nur noch auf eine günstige Gelegenheit zu einem großen Schlag. Er wollte sich für immer von Tarzan befreien und sich gleichzeitig für die durch ihn erlittenen Demütigungen und die Durchkreuzung seiner Pläne rächen.

Tarzan war jetzt noch zufriedener als vor der Zeit, da er durch die Ankunft der Porter-Gesellschaft in seiner friedlichen Dschungel gestört worden war.

Er freute sich über den gesellschaftlichen Umgang mit Olgas Bekannten, während seine Freundschaft mit ihr eine Quelle endlosen Glückes für ihn war. Sie verscheuchte seine trüben Gedanken und war ein Balsam für sein gequältes Herz.

Manchmal begleitete d'Arnot ihn bei seinen Besuchen im Hause de Coudes, denn er kannte Olga und den Grafen schon seit langem. Gelegentlich erschien auch der Graf in der Gesellschaft, aber die mannigfachen Geschäfte seiner amtlichen Stellung und die nie endenden Fragen der Politik hielten ihn gewöhnlich bis spät in die Nacht von seinem Hause fern.

Rokoff spionierte Tarzan fast beständig aus. Namentlich suchte er festzustellen, ob der Affenmensch nicht auch nachts in de Coudes Palast ging, aber das gelang ihm nie. Allerdings kam es vor, daß Tarzan die Gräfin von der Oper nach Hause begleitete; aber er verließ sie stets am Eingang, und das ärgerte ihren lieben Bruder sehr.

Da es unmöglich erschien, Tarzan so zu ertappen, wie sie es wünschten, steckten Rokoff und Pawlowitsch die Köpfe zusammen, um einen neuen Plan auszusinnen. Dieser sollte Tarzan in eine solche Lage bringen, daß er unbedingt bloßgestellt würde.

Tagelang verfolgten sie aufmerksam die Zeitungen und beobachteten alle Gänge de Coudes und Tarzans. Schließlich fanden sie eine passende Gelegenheit, ihren Plan auszuführen. In einem Morgenblatt stand eine kurze Notiz über einen Herrenabend, der am folgenden Tage beim deutschen Botschafter stattfinden sollte. Unter den eingeladenen Gästen war auch de Coude erwähnt. Wenn er der Einladung folgte, so war er jedenfalls bis nach Mitternacht von seinem Heim abwesend. Am Abend des Festessens wartete Pawlowitsch auf dem Bürgersteig vor dem deutschen Botschaftsgebäude, um das Gesicht jedes ankommenden Gastes zu prüfen. Er brauchte nicht lange zu warten, bis de Coude aus seinem Wagen stieg und an ihm vorbeischritt. Das genügte ihm. Pawlowitsch eilte nach Hause, wo Rokoff ihn erwartete.

Am elf Uhr nahm Pawlowitsch den Hörer vom Fernsprecher. Er nannte eine Nummer, und als er die Verbindung erhalten hatte, rief er:

Bitte, verbinden Sie mich mit der Wohnung des Leutnants d'Arnot.

Eine Stimme meldete sich.

Ich habe eine Mitteilung für Herrn Tarzan, wenn er sich gefälligst ans Telephon bemühen will.

Eine Minute lang war es still.

Sind Sie da, Herr Tarzan?

Ach ja, mein Herr, hier ist François, Bedienter bei der Gräfin de Coude. Vielleicht erinnern Sie sich meiner.

Ja, mein Herr. Ich habe eine dringende Botschaft von der Frau Gräfin. Sie bittet Sie, sofort zu ihr zu eilen – sie ist in Verlegenheit, mein Herr.

Nein, mein Herr, ich weiß nichts Näheres. Darf ich der Frau Gräfin sagen, daß der Herr bald hier sein wird?

Danke, mein Herr.

Pawlowitsch hängte den Hörer wieder ein und lachte Rokoff an. Dieser ordnete an:

Er wird etwa dreißig Minuten brauchen, um dorthin zu gelangen. Wenn Sie die deutsche Botschaft in einer Viertelstunde erreichen, könnte de Coude in etwa fünfundvierzig Minuten zu Hause sein. Es hängt alles davon ab, ob der Narr noch fünfzehn Minuten länger bleiben wird, wenn er herausgefunden hat, daß ihm ein Streich gespielt worden ist, aber ich würde mich sehr irren, wenn Olga ihn so schnell gehen ließe. Hier ist ein Briefchen für de Coude. Und nun schnell voran!

Pawlowitsch beeilte sich, nach der deutschen Botschaft zu gelangen. Am Eingang übergab er einem Lakai das Billett.

Dies ist für den Herrn Grafen de Coude. Es ist sehr eilig. Sie müssen dafür sorgen, daß es sofort in seine Hände gelangt.

Gleichzeitig ließ er eine Silbermünze in die willige Hand des Bedienten fallen. Dann kehrte er nach seiner Wohnung zurück.

Einen Augenblick später entschuldigte sich de Coude bei seinem Gastgeber, als er den Briefumschlag öffnete. Er erblaßte und seine Hand zitterte, als er folgendes las:

Geehrter Herr Graf de Coude!

Jemand, der die Ehre Ihres Namens zu retten wünscht, greift zu diesem Mittel, um Ihnen mitzuteilen, daß die Heiligkeit Ihres Hauses in diesem Augenblick entweiht wird.

Ein gewisser Mann, der schon seit Monaten ständiger Besucher während Ihrer Abwesenheit ist, weilt jetzt bei Ihrer Frau. Wenn Sie sofort zum Boudoir der Gräfin eilen, so werden Sie sie zusammen finden.

Ein Freund.

Zwanzig Minuten, nachdem Pawlowitsch Tarzan angerufen hatte, bekam Rokoff eine Verbindung mit Olgas Wohnung. Ihre Zofe antwortete am Telephon, das im Boudoir der Gräfin stand.

Als Rokoff mit ihr sprechen wollte, antwortete das Mädchen:

Madame hat sich schon zurückgezogen.

Ich habe aber eine sehr dringende Nachricht, die ich nur der Gräfin selbst mitteilen kann, erwiderte Rokoff. Wenn sie schon zu Bett ist, so sagen Sie ihr, sie möchte aufstehen, etwas überwerfen und ans Telephon kommen. Ich werde in fünf Minuten wieder anrufen.

Dann hing er den Hörer wieder ein. Einen Augenblick später trat Pawlowitsch herein.

Hat der Graf den Brief? fragte Rokoff.

Er wird augenblicklich auf dem Heimweg sein, sagte Pawlowitsch.

Gut! Meine Gräfin wird gegenwärtig im Negligee in ihrem Boudoir sitzen. In einer Minute wird der treue Jacques Herrn Tarzan zu ihr führen, ohne ihn anzumelden. Die Erklärung wird einige Minuten dauern. Olga wird in ihrem Nachtkleid bezaubernd aussehen, zumal es ihre Reize nur halb verhüllt. Sie wird überrascht, aber nicht ungehalten sein.

Wenn der Graf nur einen Tropfen roten Blutes in seinen Adern hat, so wird er in etwa fünf Minuten in eine sehr hübsche Liebesszene hineinplatzen. Ich glaube, wir haben alles wunderbar inszeniert, mein lieber Alexei. Wir wollen ausgehen und einen ordentlichen Absinth auf das Wohl des Herrn Tarzan trinken. Dabei wollen wir nicht vergessen, daß der Graf de Coude ein Meister des Degens in Paris und bei weitem der beste Schütze in ganz Frankreich ist.

*

Als Tarzan Olgas Heim erreichte, erwartete Jacques ihn am Eingang.

Kommen Sie hier herein, mein Herr! sagte er und führte ihn die breite Marmortreppe hinauf. Im nächsten Augenblicke hatte er eine Tür geöffnet, und indem er einen schweren Vorhang beiseite zog, geleitete er Tarzan in einen matt erhellten Raum. Dann verschwand er.

Am Ende des Zimmers sah Tarzan Olga vor ihrem kleinen Schreibtisch sitzen, auf dem ihr Telephon stand. Sie klopfte ungeduldig auf die polierte Tischplatte. Sie hatte sein Eintreten nicht bemerkt.

Olga, sagte er, was ist geschehen?

Erschrocken aufschreiend, wandte sie sich nach ihm um.

Jean! schrie sie. Was tun Sie hier? Wer ließ Sie herein? Was soll das heißen?

Tarzan war wie vom Blitz getroffen, aber in einem Augenblick erriet er einen Teil der Wahrheit.

Haben Sie mich denn nicht rufen lassen, Olga?

Sie rufen lassen? Um diese Zeit – mitten in der Nacht! Mein Gott, Jean, glauben Sie denn, daß ich verrückt bin?

François telephonierte mir, ich möchte sofort kommen; Sie wären in Verlegenheit und verlangten nach mir.

François? Wer in aller Welt ist François?

Er sagte, er wäre Ihr Diener. Er sprach, als ob ich ihn kennen müsse.

Ich habe keinen Diener, der François heißt. Es hat jemand sich einen Scherz mit Ihnen erlaubt, Jean! Und Olga lachte.

Ich fürchte, daß es ein sehr böser Scherz ist, Olga, antwortete er.

Was meinen Sie? Sie denken doch nicht etwa, daß ...

Wo ist der Graf? unterbrach er sie.

In der deutschen Botschaft.

Das ist wieder ein Streich Ihres ehrenwerten Bruders. Morgen wird der Graf es erfahren. Er wird die Dienstboten befragen. Alles läßt darauf schließen, daß – nun, daß der Graf denken wird, was Rokoff wünscht.

Der Schurke! rief Olga. Sie war aufgestanden und nahe an Tarzan herangetreten. Ängstlich schaute sie zu ihm hinauf. In ihren fragenden Augen war ein Ausdruck, wie ihn der Jäger in denen eines armen, gehetzten Rehes sieht. Sie zitterte, und um sich aufrecht zu halten, griff sie nach seinen breiten Schultern.

Was sollen wir tun, Jean? sagte sie leise. Es ist schrecklich! Morgen wird ganz Paris es lesen, – er wird schon dafür sorgen.

In ihrem Blick, ihrer Haltung, ihren Worten lag der beredte Hilferuf des bedrängten Weibes an seinen natürlichen Beschützer, den Mann. Tarzan nahm eine der kleinen, warmen Hände, die an seiner Brust lagen, in seine eigenen, starken Hände. Das geschah ganz unwillkürlich, und ebenso legte er seinen schützenden Arm um die Schultern der jungen Frau.

Das Ergebnis war elektrisch. Niemals war er ihr so nahe getreten. Wie überraschte Schuldige sahen sie einander plötzlich in die Augen. Wo Olga de Coude hätte stark sein sollen, war sie schwach, denn sie drückte sich fester in des Mannes Arme und schlang ihre eigenen um seinen Hals. Tarzan aber nahm die schweratmende Gestalt in seine mächtigen Arme und bedeckte ihre heißen Lippen mit Küssen.

*

Raoul de Coude entschuldigte sich eilig bei seinem Gastgeber, nachdem er das Billett gelesen hatte. Er gab irgendeinen Grund für sein Fortgehen an. Es war ihm alles wie verschleiert vor den Augen bis zu dem Augenblick, wo er auf der Schwelle seines Hauses stand. Dann aber wurde er kaltblütig und ging ruhig und vorsichtig voran. Aus einem ihm unerklärlichen Grunde hatte Jacques die Türe schon geöffnet, ehe er noch die Treppe halbwegs erstiegen hatte. In dem Augenblick fiel es ihm allerdings nicht weiter auf, doch erinnerte er sich dessen später.

Leise ging er die Treppe hinauf bis zu dem Boudoir. In der Hand hatte er einen schweren Spazierstock. Er war entschlossen, den Räuber seiner Ehre niederzuschlagen.

Olga sah ihn zuerst. Mit einem Schrei des Entsetzens riß sie sich aus Tarzans Armen, und der Affenmensch drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um einen schrecklichen Hieb, den de Coude nach seinem Kopfe ausführte, abzuwehren. Einmal, zweimal, dreimal sauste der Stock mit Blitzesschnelle auf ihn nieder, aber jeder Schlag trug dazu bei, den Affenmenschen mehr in das Leben seiner Dschungel zurückzuversetzen.

Mit dem Knurren eines Riesenaffen sprang er auf den Mann. Den Stock riß er ihm aus der Hand und zerbrach ihn, als ob es ein Streichholz wäre, und dann sprang er ihn wie ein rasendes Tier an.

Olga de Coude schaute entsetzt der schrecklichen Szene zu; dann aber sprang sie auf Tarzan zu, der im Begriff stand, ihren Gatten zu erwürgen und ihn schüttelte wie ein Terrier eine Ratte schütteln würde.

Sie riß wie wahnsinnig an seinen großen Händen. Heilige Mutter Gottes! schrie sie, Sie töten ihn, Sie töten ihn! O Jean, Sie töten meinen Mann!

Tarzan war taub vor Wut. Plötzlich schleuderte er den Körper auf den Boden, und dann erhob er das brüllende Siegesgeschrei, das er im Urwald stets angestimmt hatte, wenn er ein wildes Tier erlegt hatte.

Als diese schrecklichen Töne im Palast des Grafen de Coude erklangen, wo sie bis in den Keller und unters Dach drangen, erblaßten und zitterten die Bedienten. Die Gräfin aber sank bebend neben dem Körper ihres Gatten auf die Knie.

Langsam schwand die rote Vision vor Tarzans Augen. Die Dinge nahmen wieder Gestalt an, und er selbst fing wieder an, wie ein zivilisierter Mensch auszusehen. Sein Blick fiel auf die Gestalt der knienden Frau.

Olga! flüsterte er.

Sie schaute auf; aber während sie geglaubt hatte, in die wahnsinnigen Augen eines Mörders zu sehen, erblickte sie Tarzan traurig und zerknirscht.

O Jean! rief sie. Sehen Sie, was Sie getan haben! Er war mein Mann. Ich liebte ihn, und Sie haben ihn getötet!

Tarzan hob den schlaffen Körper des Grafen de Coude behutsam auf und trug ihn auf ein Ruhebett. Dann legte er sein Ohr an des Mannes Brust.

Etwas Kognak, Olga! sagte er.

Sie brachte ihn und flößte dem Grafen etwas davon zwischen die Lippen ein. Jetzt kam ein schwacher Hauch aus seinem Munde. Der Kopf drehte sich, und de Coude stöhnte.

Er wird nicht sterben, sagte Tarzan. Gott sei Dank!

Warum taten Sie das, Jean? fragte sie.

Ich weiß es nicht. Er schlug mich und da ergriff mich die Wut. Ich habe es so bei den Affen meines Stammes gesehen. Ich habe Ihnen meine Geschichte niemals erzählt, Olga. Es wäre besser gewesen, Sie hätten sie gekannt. Dann wäre dies nicht so gekommen. Ich habe meinen Vater nie gesehen. Die einzige Mutter, die ich je gekannt habe, war eine wilde Menschenäffin. Bis zu meinem fünfzehnten Jahre habe ich nie ein menschliches Wesen gesehen. Ich war zwanzig Jahre alt, als ich den ersten weißen Menschen sah. Es ist noch nicht viel mehr als zwei Jahre, da war ich noch ein nacktes Raubtier in einer afrikanischen Dschungel.

Beurteilen Sie mich nicht zu streng. In einer so kurzen Zeit kann ein einzelner Mensch sich nicht so umwandeln, wie es die weiße Rasse in zahllosen Zeitaltern getan hat.

Ich spreche gar kein Urteil über Sie aus, Jean. Mein ist die Schuld. Gehen Sie jetzt, – er darf Sie nicht sehen, wenn er das Bewußtsein wieder erlangt. Adieu!

Kummervoll und mit gesenktem Kopf schritt Tarzan aus dem Palast des Grafen de Coude.

Sobald er draußen war, nahmen seine Gedanken eine bestimmte Form an, und bald wußte er, was er jetzt in erster Linie tun wollte. Zwanzig Minuten später trat er in ein Polizeibüro unweit der Maule-Straße. Hier fand er einen der Polizisten, mit denen er vor mehreren Wochen zusammengestoßen war.

Der Polizist freute sich, den Mann wiederzusehen, der ihn damals so rauh behandelt hatte. Nach einem kurzen Gespräch fragte Tarzan ihn, ob er schon einmal etwas von Nikolaus Rokoff und Alexei Pawlowitsch gehört habe.

Schon oft genug, mein Herr! Beide stehen auf unseren Listen, aber da jetzt nichts gegen sie vorliegt, so begnügen wir uns, sie zu überwachen, um sie, sobald es nötig ist, fassen zu können. Weshalb fragen Sie?

Ich kenne sie, sagte Tarzan. Ich möchte Herrn Rokoff in einer kleinen geschäftlichen Angelegenheit sprechen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir seine Wohnung angeben wollten.

Einige Minuten später verabschiedete er sich von dem Polizisten und ging mit einem Streifen Papier in der Tasche, auf dem die Adresse verzeichnet war – die Gauner wohnten in einem ziemlich anständigen Viertel – schnell zu der nächsten Haltestelle von Autodroschken.

Rokoff und Pawlowitsch waren in ihre Zimmer zurückgekehrt und unterhielten sich über den wahrscheinlichen Ausgang der Ereignisse des heutigen Abends. Sie hatten an zwei Morgenzeitungen telephoniert, von denen sie jeden Augenblick einen Vertreter erwarteten, um sie über den Skandal zu unterrichten, der morgen in ganz Paris Aufsehen erregen sollte.

Auf der Treppe wurden schwere Schritte hörbar.

Ach, diese Zeitungsmenschen sind doch pünktlich! sagte Rokoff, und als es an ihrer Tür klopfte, rief er: Herein!

Das Lächeln des Willkomms erstarrte auf des Russen Gesicht, als er in die harten grauen Augen des Besuchers blickte.

Donnerwetter, rief er, indem er aufsprang. Was führt Sie hierher?

Setzen Sie sich, sagte Tarzan so leise, daß man kaum die Worte hören konnte, aber in einem solchen Tone, daß Rokoff sich wieder niederließ und Pawlowitsch es nicht wagte, aufzustehen.

Sie wissen, was mich hierherführt, fuhr er in demselben leisen Tone fort. Eigentlich sollte ich Sie vernichten, aber da Sie Olgas Bruder sind, so will ich das jetzt nicht tun. Ich gebe Ihnen die Möglichkeit, Ihr Leben noch einmal zu retten. Pawlowitsch kommt eigentlich kaum in Betracht, denn er ist nur ein kleines Werkzeug in Ihren Händen, und so werde ich ihn nicht töten, solange ich Sie am Leben lasse. Wenn ich Sie beide lebend in diesem Zimmer belassen soll, so müssen Sie zweierlei tun. Erstens müssen Sie ein vollständiges Geständnis von Ihrer Beteiligung an dem Komplott von heute abend niederschreiben und es unterzeichnen. Zweitens müssen Sie mir unter Todesstrafe versprechen, kein Wort von dieser Angelegenheit in die Zeitungen zu bringen. Wenn Sie nicht beides tun, so wird keiner von Ihnen mehr am Leben sein, wenn ich wieder zu dieser Türe hinausgehe. Haben Sie verstanden?

Und ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: Beeilen Sie sich. Da ist Tinte, Papier und Feder.

Rokoff nahm einen trotzigen Ausdruck an. Durch eine herausfordernde Miene wollte er Tarzan zeigen, daß er seine Drohungen nicht fürchte. Im selben Augenblick aber fühlte er des Affenmenschen Stahlfinger und Pawlowitsch, der auszureißen versuchte, wurde in die Höhe gehoben und in eine Ecke geschleudert, wo er liegen blieb.

Als Rokoff anfing, im Gesicht blau zu werden, ließ Tarzan ihn los und schob ihn auf den Stuhl zurück.

Rokoff starrte den Mann, der ihm gegenüber stand, finster an. Jetzt kam Pawlowitsch wieder zu sich, und hinkte auf Tarzans Befehl mühsam zu seinem Stuhl zurück.

Jetzt schreiben Sie, sagte der Affenmensch. Wenn es nötig ist, Sie noch einmal so zu behandeln, so wird es nicht mehr so gelinde ablaufen.

Rokoff nahm eine Feder und fing an zu schreiben.

Achten Sie darauf, daß Sie keine Einzelheit vergessen und daß Sie jeden Namen erwähnen! mahnte Tarzan.

Jetzt wurde an die Tür geklopft.

Herein! sagte Tarzan.

Ein feiner, junger Mann trat ein. Ich bin vom »Matin«, sagte er. Ich nehme an, daß Herr Rokoff eine Geschichte für mich hat.

Darin haben Sie sich geirrt, mein Herr, sagte Tarzan. Sie haben doch keine Geschichte zur Veröffentlichung, nicht wahr, mein lieber Nikolaus?

Rokoff sah mit einem häßlichen, finsteren Blick auf.

Nein, brummte er, ich habe keine Geschichte zur Veröffentlichung – jetzt nicht.

Auch später nicht, mein lieber Nikolaus.

Der Reporter sah das drohende Leuchten in des Affenmenschen Augen nicht, wohl aber Rokoff.

Überhaupt nicht, wiederholte Tarzan hastig, und sich zu dem Zeitungsmann wendend:

Ich bedauere, daß Sie sich umsonst bemüht haben. Ich wünsche Ihnen guten Abend.

Indern er sich verbeugte, geleitete er den jungen Mann hinaus und schloß ihm die Türe auf der Nase zu.

Eine Stunde später ging Tarzan mit einem ziemlich umfangreichen Manuskript in der Tasche aus Rokoffs Zimmer.

An Ihrer Stelle würde ich Frankreich verlassen, sagte er, denn früher oder später werden Sie mich zwingen, Sie zu beseitigen, und das wird so geschehen, daß Ihre Schwester dadurch nicht bloßgestellt wird.


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