Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Bei seiner Ankunft in Paris begab sich Tarzan sofort in die Wohnung seines alten Freundes d'Arnot. Der Schiffsleutnant war erfreut, ihn wiederzusehen, aber er machte ihm alsbald Vorhaltungen darüber, daß er so töricht war, auf den Titel und die Besitzungen zu verzichten, die ihm von Rechts wegen von seinem Vater John Clayton, dem verstorbenen Lord Greystoke, zustanden.
Sie müssen verrückt sein, mein Freund, sagte d'Arnot, daß Sie leichten Herzens nicht allein auf Reichtum und Stellung verzichten, sondern auch auf die Gelegenheit, aller Welt zu beweisen, daß das edle Blut von zwei der angesehensten englischen Familien in Ihren Adern fließt, nicht aber das Blut einer wilden Menschenäffin. Ich verstehe nicht, daß man Ihnen glauben konnte, am allerwenigsten Miß Porter.
Ich habe nie an Ihre Abstammung von der Äffin geglaubt, sogar damals nicht, als ich Sie hinten in der Wildnis der Dschungel das rohe Fleisch Ihrer Jagdbeute herunterreißen und die fettigen Finger am Schenkel abwischen sah. Schon damals glaubte ich nicht, daß Kala Ihre Mutter sei, obschon ich noch nicht den kleinsten Beweis des Gegenteils in Händen hatte. Jetzt aber kennen wir Ihres Vaters Tagebuch. Er hat das schreckliche Leben darin geschildert, das er mit Ihrer Mutter an der wilden afrikanischen Küste führen mußte. Er erzählt von Ihrer Geburt und gibt so den überzeugendsten Beweis Ihrer wahren Abstammung, sogar der Abdruck Ihrer kleinen Kinderhand ist darin. Alles dies steht schwarz auf weiß vor uns. Da scheint es mir einfach unglaublich, daß Sie trotz allem gewillt sein sollten, ein namenloser, armer Vagabund zu bleiben.
Ich brauche keinen besseren Namen als Tarzan, erwiderte der Affenmensch, und was den armen Vagabunden betrifft, so habe ich nicht die Absicht, es zu bleiben. In der Tat soll die nächste, und wie ich hoffe, die letzte Anforderung, die ich an Ihre uneigennützige Freundschaft stellen muß, die sein, eine Anstellung für mich zu finden.
Ach was, sagte d'Arnot, Sie wissen, daß ich es so nicht meine. Habe ich Ihnen nicht ein dutzendmal erzählt, daß ich genug für zwanzig Mann habe und daß die Hälfte meines Vermögens Ihnen gehört? Und wenn ich Ihnen alles gäbe, würde es auch nur den zehnten Teil des Wertes darstellen, den ich auf Ihre Freundschaft lege, Tarzan? Würden damit die Dienste bezahlt sein, die Sie mir in Afrika erwiesen? Ich kann nie vergessen, mein Freund, daß ich ohne Sie und Ihre wunderbare Tapferkeit am Dorfpfahl von Mbongas Menschenfressern getötet worden wäre. Ihrer liebevollen Aufopferung verdanke ich es, daß ich von den damaligen, schrecklichen Wunden genesen bin. Ich habe erst später entdeckt, welche Entsagung es für Sie war, bei mir im Amphitheater der Affen auszuharren, während Ihr Herz Sie zur Küste drängte.
Als wir schließlich dahin kamen und fanden, daß Miß Porter und ihre Gefährten fort waren, wurde mir erst wirklich bewußt, was Sie für einen völlig Fremden taten. Ich versuche auch nicht, Sie mit Geld zu bezahlen, Tarzan, aber da Sie gegenwärtig Geld brauchen, so stelle ich Ihnen selbstverständlich so viel zur Verfügung, wie Sie wünschen. Das ist kein Opfer, das ich Ihnen bringe, sondern lediglich der Ausdruck meiner Dankbarkeit und meiner Freundschaft.
Nun, sagte Tarzan lachend, wir wollen uns wegen des Geldes nicht zanken. Ich brauche es zum Leben, aber es wäre mir lieber, wenn ich es erarbeiten könnte. Sie können mir keinen bessern Beweis Ihrer Freundschaft geben, als indem Sie eine Anstellung für mich suchen. Ich kann nicht untätig leben. Was mein Geburtsrecht betrifft, so ist es in guten Händen. Clayton hat mich dessen nicht beraubt, denn er glaubt in Wirklichkeit, der echte Lord Greystoke zu sein, und er wird voraussichtlich ein besserer englischer Lord sein als ein Mann, der in einer afrikanischen Dschungel geboren und aufgewachsen ist. Sie wissen, daß ich auch jetzt nur halb kultiviert bin. Wenn ich in Zorn gerate und es mir rot vor den Augen wird, so fegen die Instinkte des wilden Tieres, die immer noch in mir schlummern, das wenige, das ich mir von der feineren Kultur angeeignet habe, völlig hinweg.
Und dann, hätte ich verraten, wer ich bin, so hätte ich die Frau, die ich liebe, des Reichtums und der Stellung beraubt, die ihre Heirat mit Clayton ihr jetzt sichert. Das konnte ich doch nicht tun, nicht wahr, Paul?
Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: Das Geburtsrecht ist übrigens von keiner großen Wichtigkeit für mich. So wie ich aufgewachsen bin, erkenne ich im Menschen wie im Tier nur den Wert an, den sie dank ihrer geistigen oder körperlichen Überlegenheit besitzen. Und so bin ich glücklich, wenn ich an Kala, als meine Mutter, denke, denn sie war in ihrer wenn auch wilden Art immer gut gegen mich. Sie muß mich an ihrer haarigen Brust genährt haben von jenem Tage an, da meine eigene Mutter, die arme unglückliche Engländerin, starb. Kala kämpfte für mich gegen die wilden Bewohner des Waldes und gegen die rohen Mitglieder unseres eigenen Stammes mit dem ganzen Mute wahrer Mutterliebe.
Und ich meinerseits liebte sie, Paul. Ich wußte nicht, wie sehr ich sie liebte, bis der grausame Speer und der vergiftete Pfeil von Mbongas schwarzem Krieger sie von meiner Seite gerissen hat. Ich war noch ein Junge, als das geschah, und ich warf mich über ihre Leiche, um meinen Schmerz auszuweinen, wie ein Kind um seine eigene Mutter geweint haben würde. Ihnen, mein Freund, wäre sie als ein häßliches Geschöpf erschienen, aber für mich war sie schön, – so herrlich verklärt die Liebe den Gegenstand ihrer Verehrung. Und so bin ich vollkommen zufrieden, für immer der Sohn von Kala, der Äffin, zu bleiben.
Ich bewundere Sie wegen Ihrer Treue, sagte d'Arnot, aber die Zeit wird kommen, da Sie froh sein werden, Anspruch auf Ihre eigene Abstammung zu erheben. Denken Sie daran, was ich Ihnen sage, und wir wollen hoffen, daß es dann noch ebenso leicht sein wird, den Nachweis zu führen, wie heute. Sie dürfen nicht vergessen, daß Professor Porter und Mr. Philander die einzigen Menschen auf der Welt sind, die schwören können, daß das kleine Skelett, das in der Hütte zusammen mit dem Ihres Vaters und Ihrer Mutter gefunden wurde, das eines jungen Menschenaffen war und nicht der Sprößling von Lord und Lady Greystoke. Dieses Zeugnis ist äußerst wichtig. Beide sind alte Männer und leben vielleicht nicht mehr lange. Und dann, haben Sie nicht daran gedacht, daß Miß Porter, wenn sie einmal die Wahrheit erführe, ihre Verlobung mit Clayton aufheben würde? Sie könnten mit Leichtigkeit Ihren Titel, Ihre Besitzungen und die Frau, die Sie lieben, erringen, Tarzan. Haben Sie nicht daran gedacht?
Tarzan schüttelte den Kopf. Sie kennen sie nicht, sagte er. Nichts könnte sie fester an ihr Versprechen binden, als ein etwaiges Mißgeschick, das über Clayton käme. Sie ist aus einer alten amerikanischen Familie des Südens, und denen aus den Südstaaten geht ihre Treue über alles!
*
Die zwei folgenden Wochen benützte Tarzan, um seine frühere kurze Bekanntschaft mit Paris zu erneuern. Tagsüber besuchte er die Buchhandlungen und die Bildergalerien. Er las alles, was ihm in die Hände kam, und wenn er darüber nachdachte, wie ungeheuer groß das Gebiet des Wissens ist, so erschrak er, daß sich der einzelne Mensch doch eigentlich nur einen verschwindend kleinen Teil dieses Wissens aneignen kann. Trotzdem lernte er tagsüber soviel er nur konnte. Abends aber ging er aus, um sich zu zerstreuen und sich zu vergnügen. An Gelegenheit dazu fehlte es ja nicht in Paris.
Wenn er zuviel Zigaretten rauchte und zuviel Absinth trank, so geschah das, weil er die Kultur nahm, wie er sie fand, und weil er lediglich dasselbe tun wollte, wie seine gesitteten Brüder. Das Leben war für ihn etwas Neues und Verlockendes, außerdem hatte er eine Sorge in der Brust und ein großes Sehnen, von dem er wußte, daß es nie gestillt werden konnte. So dachte er durch Studium und Zerstreuung sowohl die Vergangenheit zu vergessen, wie die Gedanken von der Zukunft abzulenken.
Eines Abends sah er in einem Kabarett, schlürfte seinen Absinth und bewunderte die Kunst eines berühmten russischen Tänzers, als er bemerkte, daß zwei böse schwarze Augen einen flüchtigen Blick auf ihn warfen. Ehe Tarzan sich den Mann genauer ansehen konnte, hatte dieser sich umgewandt und war in der Menge am Ausgang des Saales verschwunden. Tarzan war aber sicher, daß er diese Augen schon früher einmal gesehen hatte und daß sie nicht durch einen bloßen Zufall aus ihn gerichtet waren. Schon eine Weile vorher hatte er das unbehagliche Gefühl gehabt, daß er beobachtet würde. Gleichsam aus seinem tierischen Instinkt heraus hatte er sich plötzlich umgedreht und die ihn beobachtenden Augen auf der Tat überrascht.
Er dachte aber nicht weiter darüber nach, und als er die Musikhalle verließ, bemerkte er nicht, daß ein dunkelfarbiger Mensch sich im Schatten eines gegenüberliegenden Eingangs zu verbergen suchte.
Tarzan wußte nicht, daß ein Unbekannter ihm in der letzten Zeit ständig in die Vergnügungslokale nachgefolgt war. Er war nur selten für sich allein gegangen, aber gerade an diesem Abend war d'Arnot durch eine andere Verpflichtung verhindert, mit ihm auszugehen.
Als Tarzan den gewohnten Heimweg einschlagen wollte, eilte der Beobachter aus seinem Versteck über die Straße und überholte ihn in raschem Schritt.
Tarzan war gewöhnt, durch die Maule-Straße nach Hause zurückzukehren. Da sie sehr still und dunkel war, erinnerte sie ihn mehr an seine geliebte afrikanische Dschungel als die geräuschvollen und glänzenden Straßen der Umgebung. Wer Paris kennt, wird sich des abstoßenden Aussehens der engen Maule-Straße erinnern. Wer sie aber noch nicht gesehen hat, braucht nur einen Polizisten darnach zu fragen, und dieser wird ihm schon sagen, daß es in ganz Paris keine Straße gibt, die man nach Einbruch der Dunkelheit so sehr meiden muß wie gerade diese.
In jener Nacht war Tarzan schon ein gutes Stück an den schmutzigen alten Miethäusern der üblen Straße entlang gegangen, als er Hilferufe aus dem dritten Stock eines gegenüberliegenden Hauses hörte. Es war eine Frauenstimme. Kaum waren die ersten Schreie verhallt, als Tarzan auch schon die Treppe hinaufeilte, um der Frau zu Hilfe zu kommen.
Am Ende des Ganges des dritten Treppenabsatzes war eine Türe leicht angelehnt, und Tarzan hörte aus dem Innern wieder denselben Hilferuf, der ihn angelockt hatte. Im nächsten Augenblick stand er in der Mitte eines trübe erleuchteten Zimmers. Auf einem hohen altmodischen Kaminsims brannte eine Öllampe, die ihre matten Strahlen auf ein Dutzend abstoßender Gestalten warf. Außer einer etwa dreißigjährigen Frau waren es lauter Männer. Das Gesicht der Frau, durch niedrige Leidenschaften und Ausschweifung gekennzeichnet, mochte einst hübsch gewesen sein. Sie stand an die hinterste Wand geduckt und hielt die eine Hand am Halse.
Helfen Sie mir, mein Herr! flehte sie mit leiser Stimme, als Tarzan das Zimmer betrat. Man will mich umbringen.
Als Tarzan sich nach den Männern umsah, gewahrte er die verschlagenen Gesichter von Gewohnheitsverbrechern. Er wunderte sich, daß sie nicht zu entkommen suchten. Eine Bewegung hinter ihm veranlaßte ihn, sich umzudrehen. Ein Mann schlich sich heimlich aus dem Zimmer, und obschon Tarzan ihn nur ganz flüchtig erblickte, erkannte er in ihm Rokoff.
Im selben Augenblick bemerkte er aber auch, daß ein großer Mensch mit gezücktem Messer sich auf den Zehenspitzen von hinten an ihn herangeschlichen hatte. Als dieser sich entdeckt sah, stürzten sich die Spießgesellen gemeinsam von allen Seiten auf Tarzan. Einige zogen ihre Messer, andere ergriffen die Stühle, während der Große mit dem Messer zu einem so mächtigen Stoß ausholte, daß es um Tarzan geschehen gewesen wäre, wenn es auf ihn herabgesaust wäre.
Aber Tarzan, der es in der wilden Dschungel mit der gewaltigen Kraft und der wilden Schlauheit von Terkop und Numa aufgenommen hatte, war viel zu klug und gewandt, er verfügte über zu starke Muskeln, als daß er so leicht zu überwältigen gewesen wäre, wie die Pariser Apachen glaubten.
Erst wehrte er sich gegen seinen gefährlichsten Widersacher, er stürmte mit solcher Wucht auf ihn ein, daß die Waffe jenem entfiel, und während er die Waffe mit einer plötzlichen Seitenwendung aufhob, versetzte er dem Manne einen solchen Schlag unter das Kinn, daß er niederstürzte.
Kaum war dieser erledigt, so wandte er sich gegen die andern. Aber das war nur mehr Sport. Er schwelgte in der Freude am Kampfe. Der dünne Firnis der Kultur war von ihm abgefallen, und zehn starke Schurken sahen sich in einem kleinen Raume mit einem wilden Tier eingeschlossen, gegen dessen Stahlmuskeln ihre schwachen Kräfte völlig wirkungslos waren. Draußen am Ende des Ganges stand Rokoff, der den Ausgang des Streites abwartete. Ehe er sich entfernte, wollte er sich überzeugen, daß Tarzan tot war, aber er wollte nicht während des Mordes im Zimmer sein.
Die Frau stand noch immer an derselben Stelle wie in dem Augenblick, wo Tarzan hereingekommen war, aber in den wenigen Minuten, die seither verstrichen waren, hatte sich ihr Gesichtsausdruck unzählige Male verändert. Scheinbar verzweifelt, als Tarzan das Gesicht zuerst sah, hatte es einen listigen Ausdruck angenommen, als er sich plötzlich umdrehte, um dem Rückenangriff zu begegnen. Tarzan sah diesen Wechsel nicht. Später verdrängte ein Ausdruck der Überraschung und dann der des Schreckens die andern. Und das war sehr begreiflich, denn der feine Herr, den ihre Schreie hereingelockt hatten und der dort den Tod finden sollte, hatte sich plötzlich in einen Racheteufel verwandelt. Das war nicht ein Herr mit weichen Muskeln, der nur schwachen Widerstand leistete, sondern ein toll gewordener Herkules.
Mein Gott! schrie sie, das ist ja ein wildes Tier!
Er schien an zwölf Stellen zu gleicher Zeit zu sein, denn in gewaltigen Sprüngen eilte er im Zimmer hin und her, und erinnerte die Frau dabei an den Panther, den sie im Tiergarten gesehen hatte.
Mit Schmerzensschreien flüchteten die Männer so schnell sie konnten in den Gang, aber ehe der erste blutend und zerschunden aus dem Zimmer taumelte, hatte Rokoff genug gesehen, um sich zu überzeugen, daß es nicht Tarzan sein würde, der in dieser Nacht in jenem Hause erschlagen würde, und so eilte der Russe zum nächsten Telephon, um der Polizei mitzuteilen, daß ein Mann auf dem dritten Stock des Hauses Maulestraße 27 im Begriffe sei, einen Mord zu begehen.
Als die Polizisten ankamen, fanden sie drei Männer stöhnend im Zimmer liegen und eine erschrockene Frau auf einem schmutzigen Bett, das Gesicht mit den Armen bedeckt. Tarzan hatte die Tritte der die Treppe heraufstürmenden Polizisten gehört, und gedacht, es käme eine Verstärkung. Die Schutzleute sahen aber nicht einen feinen, jungen Herrn mitten im Zimmer, sondern ein wildes Tier, das sie mit seinen stahlgrauen Augen durch halbgeschlossene Lider anschaute. Die letzte Spur der Kultur hatte Tarzan verlassen, seitdem er Blut gesehen hatte, und jetzt stand er da, wie ein von Jägern umringter Löwe. Er wartete auf die Fortsetzung des Kampfes, bereit, jeden neuen Angreifer zu erledigen.
Was ist hier geschehen? fragte einer der Polizisten.
Tarzan erklärte kurz den Vorfall, aber als er sich nach der Frau umwandte, damit sie seine Aussage bestätigen sollte, wurde er durch ihre Antwort in höchstes Erstaunen versetzt.
Er lügt! rief sie in schrillem Ton den Polizisten zu. Er kam in mein Zimmer, als ich allein war, und sicher nicht in einer guten Absicht. Als ich ihn zurückwies, wollte er mich töten, und er hätte es sicher getan, wenn nicht auf meine Hilferufe diese Herren, die eben vorbeigingen, herbeigeeilt wären. Er ist ein Teufel, meine Herren; er allein hätte beinahe zehn Mann getötet.
Tarzan war über die Undankbarkeit dieses Weibes so verblüfft, daß er im ersten Augenblick nicht recht wußte, was er dazu sagen sollte. Die Polizisten glaubten der Frau auch nicht ohne weiteres, denn sie hatten schon allerlei Erfahrungen mit ihr und ihren Zuhältern gemacht. Aber sie waren Polizisten, nicht Richter, und so beschlossen sie, alle Personen, die sich in dem Raume befanden, in Haft zu nehmen und es den zuständigen Richtern zu überlassen, die Unschuldigen von den Schuldigen zu trennen.
Sie sollten aber erfahren, daß es zwei verschiedene Dinge waren, diesem wohlgekleideten jungen Manne zu sagen, er sei verhaftet, und ihn auch wirklich festzunehmen.
Ich habe niemand angegriffen, sagte er ruhig, sondern mich nur verteidigt. Ich weiß nicht, weshalb die Frau eine solche Aussage gemacht hat. Sie kann keine Feindschaft gegen mich haben, denn bevor ich auf ihre Hilferufe in dieses Zimmer trat, habe ich sie nie gesehen.
Kommen Sie nur, sagte einer der Polizisten, es ist Sache der Richter, das alles aufzuklären.
Als er nun auf ihn zuschritt, um ihm die Hand auf die Schulter zu legen, lag er gleich darauf zusammengekrümmt in einer Ecke des Zimmers. Nun stürzten seine Kollegen auf den Affenmenschen los, aber auch sie bekamen eine Vorstellung von der Art, mit der er vorher die Apachen erledigt hatte. Das geschah so schnell und so sicher, daß sie nicht einmal die Möglichkeit hatten, ihre Revolver zu ziehen.
Während des kurzen Kampfes hatte Tarzan durch das offene Fenster etwas wie einen Baumstamm oder eine Telegraphenstange vor dem Hause erblickt; was es eigentlich war, konnte er nicht unterscheiden. Als der letzte Polizist zu Boden lag, gelang es einem seiner Kollegen endlich, seinen Revolver zu ziehen und auf Tarzan zu feuern. Der Schuß ging aber fehl und bevor der Polizist ein zweitesmal feuern konnte, hatte Tarzan die Lampe vom Kamin heruntergeworfen, so daß das Zimmer völlig in Dunkelheit gehüllt war.
Das einzige, was die Polizisten noch unterscheiden konnten, war eine geschmeidige Gestalt, die wie ein Panther durch das offene Fenster auf die Telegraphenstange lossprang. Als die Polizisten wieder aufgestanden waren und auf die Straße hinuntereilten, war ihr Häftling nirgends mehr zu sehen.
Der Schutzmann, der unten auf der Straße geblieben war, schwor, daß in der Zwischenzeit kein Mensch zu einem Fenster oder zu der Tür herausgekommen sei. Seine Kollegen dachten zwar, er rede Unsinn, aber sie konnten es ihm nicht beweisen.
Das Frauenzimmer und die Männer, die nicht geflüchtet waren, behandelten sie nicht allzu sanft, als sie diese zur Polizeiwache brachten. Es ärgerte sie, berichten zu müssen, daß ein einzelner unbewaffneter Mann sie alle zu Boden gestreckt hatte und daß er ihnen so leicht entwischt war.
Als Tarzan sich an der Stange vor dem Fenster festhielt, folgte er seinem Dschungel-Instinkt und sah sich nach den Feinden um, bevor er hinunterkletterte. Und er tat wohl daran, denn unten stand gerade ein Polizist. Aber oben war keiner, und so kletterte er weiter hinauf.
Der Mast reichte bis an das Dach des Hauses, und so war es für ihn, der jahrelang im Urwald herumgeklettert war, das Werk eines Augenblicks, auf das Dach zu gelangen. Von einem Dach ging er auf ein anderes, und so setzte er seinen Weg über den Häusern fort, bis er an einer Querstraße einen andern Mast entdeckte, an dem er sich herunterließ.
Eine Strecke ging er noch schnell. Dann verschwand er in einem Nachtkaffee. Dort ging er in die Garderobe, um an Händen und Kleidung die Spuren seiner Wanderung über die Dächer zu entfernen. Als er einige Minuten später herauskam, schlenderte er gemütlich heimwärts.
Bald darauf kam er auf einen hellerleuchteten Boulevard, den er überschreiten mußte. Als er eben unter einer Bogenlampe stand, um ein Auto vorüberfahren zu lassen, hörte er eine sanfte weibliche Stimme seinen Namen aussprechen. Wie er aufschaute, blickte er in die lächelnden Augen der Gräfin Olga de Coude, die sich aus ihrer Limousine herausneigte. Er verbeugte sich tief, um auf den freundlichen Gruß zu antworten, aber als er sich wieder aufrichtete, war das Auto schon weitergesaust.
Rokoff und die Gräfin de Coude am selben Abend! sagte er zu sich selbst. Paris ist schließlich nicht so groß, wie ich geglaubt hatte.