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Durch das Tal des Schattens

Als Tarzan im strahlenden Glanz des afrikanischen Mondscheins durch die wilde Schlucht wanderte, wurde seine Erinnerung an die Dschungel, in der er früher gelebt hatte, lebhafter denn je. Nicht als ob die Landschaft eine Ähnlichkeit damit gehabt hätte, sondern weil sich die Einsamkeit um ihn breitete. Er fühlte sich wieder als ein freier Mensch, ebenso wie in der Dschungel war er sich der ihn umgebenden Gefahren bewußt. Mit all seinen Sinnen mußte er auf die Feinde aufpassen, die ihn bedrohten.

Die nächtlichen Töne aus den Bergen waren neu für ihn, aber sie berührten sein Ohr wie die sanfte Stimme einer halbvergessenen Liebe. Die Stimmen der wilden Tiere waren ihm vertraut. War es Sheeta, der Leopard, den er jetzt aus der Ferne hörte? Nein, es war offenbar ein Panther.

Doch da drang wieder ein neuer Ton an sein Ohr. Nur mit seinem außerordentlich scharfen Gehör konnte er ihn wahrnehmen. Anfänglich ließ sich nicht unterscheiden, was es sein könnte, aber schließlich sagte er sich, das sei nichts anderes als der Tritt von nackten Füßen einiger Menschen. Anscheinend verfolgte man ihn, denn die Tritte kamen von hinten und näherten sich ständig.

Jetzt leuchtete es ihm ein, weshalb Gernois ihn in dem kleinen Tal zurückgelassen hatte. Wahrscheinlich war nur irgendeine Störung oder Verzögerung eingetreten, so daß die Männer zu spät gekommen waren. Die Tritte wurden immer deutlicher. Tarzan blieb stehen und spähte nach seinen Verfolgern aus, das Gewehr im Griff. Endlich konnte er flüchtig einen weißen Burnus erkennen. Er rief dem Schatten laut zu, was man von ihm wollte. Als Antwort erfolgte ein Gewehrschuß, und dieser traf so unglücklich, daß Tarzan getroffen zu Boden stürzte.

Die Araber trauten sich aber nicht sofort heran. Sie warteten vielmehr, ob sich ihr Opfer nicht wieder aufrichten werde. Dann traten sie plötzlich aus ihrem Versteck und fielen über ihn her. Sie sahen gleich, daß er noch nicht tot war. Einer der Angreifer hielt ihm seinen Gewehrlauf an den Kopf, um ihm den Gnadenschuß zu geben, aber ein anderer stieß ihn auf die Seite: Wenn wir ihn lebend bringen, erhalten wir eine größere Belohnung, meinte er.

So banden die Männer ihm Hände und Füße zusammen, hoben ihn auf und legten ihn auf die Schultern von vier ihrer Leute. Dann ging es wieder der Wüste zu. Als sie aus den Bergen kamen, wandten sie sich gen Süden, und bei Tagesgrauen kamen sie an die Stelle, wo ihre Pferde unter der Obhut zweier Wächter warteten.

Von da an ging es rascher vorwärts. Tarzan, der bald das Bewußtsein wieder erlangt hatte, wurde auf einen mageren Klepper gebunden, den man offenbar zu diesem Zwecke mitgebracht hatte. Seine Wunde war nicht bedeutend, denn die Kugel hatte nur einen Streifschuß an der Schläfe verursacht. Die Wunde blutete auch nicht mehr. Er hatte noch kein Wort gesprochen, und auch die Araber hüllten sich in Schweigen.

Sechs Stunden lang ritten sie im Eilmarsch durch die glühende Wüste, die an ihrem Wege liegenden Oasen wurden dabei vorsichtig umritten. Gegen Mittag kamen sie zu einem Lager von etwa zwanzig Zelten. Hier machten sie Halt. Einer der Araber löste die festen Alfagrasstricke, mit denen Tarzan am Pferd festgebunden war, und schon umringte den Gefangenen ein Gewühl von Männern, Frauen und Kindern. Manche von ihnen, namentlich Weiber, schienen eine besondere Freude daran zu finden, den Gefangenen zu beschimpfen, ihn zu schlagen und mit Steinen zu bewerfen, bis ein alter Scheik erschien und sie fortjagte.

Ali ben Achmed, rief er, berichtet mir, daß dieser Mann allein in die Berge ging und el adrea erschlug. Was für Geschäfte den Fremden hierher getrieben haben, der unsere Leute hinter ihm hersandte, weiß ich nicht, und was er mit diesem Mann anfangen wird, geht mich nichts an, aber der Gefangene ist ein tapferer Mann, und solange er in unserer Hand ist, soll er mit der Achtung behandelt werden, die einem Manne zukommt, der allein in der Nacht den »König mit dem großen Kopf« erlegt hat.

Tarzan hatte bereits früher erfahren, in welch großem Ansehen ein Mann, der einen Löwen getötet hat, bei den Arabern steht, und er war froh darüber, daß ihm dieser Umstand von den kleinlichen Quälereien befreite.

Bald darauf wurde er in ein Zelt an der oberen Seite des Lagers geschafft. Er erhielt etwas zu essen, und wurde, nachdem man ihn wieder festgebunden hatte, allein im Zelt gelassen. Ein Teppich war sein Lager.

Vor der Türe seines notdürftigen Gefängnisses sah er einen Wächter kauern, aber als er die Stärke seiner Fesseln prüfte, sagte er sich, daß eine weitere Überwachung eigentlich nicht nötig war, denn nicht einmal seine riesenstarken Muskeln konnten diese stahlfesten Stricke zerreißen.

Eben vor Einbruch der Dunkelheit kamen einige Männer in sein Zelt. Alle waren wie Beduinen gekleidet. Einer von ihnen trat an Tarzan heran, und als er das Tuch, das den untern Teil seines Gesichts verhüllte, fallen ließ, erblickte der Affenmensch die bösartigen Züge Nikolaus Rokoffs. Ein gemeines Lächeln zuckte um die bärtigen Lippen des Verräters. Ah, Herr Tarzan, rief er, das ist in der Tat ein Vergnügen. Weshalb stehen Sie nicht auf, um Ihren Gast zu begrüßen?

Dann – mit einem scheußlichen Fluch: Steh auf, Hund!

Zugleich versetzte er ihm mit seinem schweren Stiefel einen Fußtritt in die Seite. Und hier ist noch einer, und noch einer, und noch einer! fuhr er fort. Jeder für eine Beleidigung, die Sie mir zugefügt haben.

Tarzan antwortete nicht. Nachdem er den Russen erkannt hatte, warf er keinen Blick mehr auf ihn. Schließlich griff der Scheik, der bis dahin stumm, aber ärgerlich dem feigen Angriff zugesehen hatte, ein.

Halt! befahl er. Töten Sie ihn, wenn Sie wollen, aber ich will nicht zusehen, wie ein tapferer Mann in meiner Gegenwart so unwürdig behandelt wird. Ich habe fast Lust, ihn freizulassen, um zu sehen, wie lange Sie ihn dann noch stoßen werden.

Diese Drohung bereitete Rokoffs Brutalität ein plötzliches Ende, denn er wünschte Tarzan nicht seiner Fesseln entledigt zu sehen, solange er sich in der Reichweite dieser mächtigen Fäuste befand.

Gut, erwiderte er dem Araber; dann werde ich ihn jetzt töten. Aber nicht innerhalb der Grenzen meines Duars, versetzte der Scheik. Wenn er von hier fortgeht, so soll er lebend fortgehen. Was Sie mit ihm in der Wüste machen, geht mich nichts an, aber ich will nicht, daß das Blut eines Franken wegen des Streites, den er mit einem andern hat, an den Händen meines Stammes klebt. Da würde man Soldaten nach hier schicken und manchen Krieger meines Stammes töten, auch unsere Zelte verbrennen und unsere Herden auseinanderjagen.

Wie Sie wollen, knurrte Rokoff. Ich nehme ihn mit in die Wüste außerhalb Ihres Duars und erschlage ihn dort.

Sie nehmen ihn einen ganzen Tagesritt von meiner Gegend mit fort, sagte der Scheik in entschiedenem Tone, und einige meiner Leute werden Ihnen folgen und aufpassen, daß Sie meinen Befehl befolgen, sonst wird es zwei tote Franken in der Wüste geben.

Rokoff zuckte zusammen. Dann muß ich bis morgen warten, sagte er, denn es ist bereits dunkel.

Wie Sie wollen, erklärte der Scheik. Aber eine Stunde nach Sonnenaufgang müssen Sie mein Zeltdorf verlassen haben. Ich habe keine besondere Vorliebe für Ungläubige und erst recht nicht für Feiglinge.

Rokoff hätte gern Einwendungen erhoben, aber er bezwang sich, denn er sagte sich, bei dem geringsten Vorwand würde der Alte ihm in den Weg treten.

Beide verließen das Zelt, aber beim Heraustreten konnte Rokoff der Versuchung nicht widerstehen, Tarzan noch einmal zu verhöhnen.

Schlafen Sie wohl, mein Herr, sagte er, und vergessen Sie nicht zu beten, denn morgen, wenn Sie sterben, werden Sie vor lauter Fluchen nicht dazu kommen.

Seit Mittag hatte Tarzan weder Essen noch Wasser erhalten, und so litt er großen Durst. Er fragte sich, ob es sich verlohne, seinen Wärter um Wasser zu bitten; aber er verzichtete lieber darauf, da er schon zwei oder drei Fragen an ihn gerichtet hatte, ohne eine Antwort zu erhalten.

Fern im Gebirge hörte er einen Löwen brüllen. Wie viel sicherer ist man doch bei den wilden Tieren, als bei den Menschen! sagte er zu sich. Während seines ganzen Dschungel-Lebens war er nicht derartig verfolgt worden, wie in der vergangenen kurzen Zeit, die er bei zivilisierten Menschen zugebracht hatte. Noch nie war er dem Tode so nahe gewesen. Wieder brüllte der Löwe. Er schien etwas näher zu sein. Tarzan fühlte den alten, wilden Drang, mit dem Kampfruf seiner Art zu antworten, in sich. Seiner Art? Ja, denn er hatte beinahe vergessen, daß er ein Mensch und nicht ein Affe war. Er zerrte an seinen Fesseln. Ach, könnte er sie doch nur bis an seine starken Zähne bringen! Eine ohnmächtige Wut überkam ihn, daß er sich nicht freimachen konnte.

Jetzt brüllte Numa fast ununterbrochen. Er kam offenbar herunter in die Wüste, um auf Raub auszugehen. Er brüllte vor Hunger. Tarzan aber beneidete ihn, denn der Löwe war wenigstens frei. Keiner wagte es, ihn mit Stricken zu binden oder wie ein Schaf abzuschlachten. Das war es, was den Affenmenschen so ärgerte. Er fürchtete sich nicht vor dem Tode, ihn quälte nur das Bewußtsein, daß er vor dem Tode so gedemütigt wurde und keine Möglichkeit haben sollte, für sein Leben zu kämpfen.

Es muß nahe an Mitternacht sein, dachte Tarzan. Er hatte nur wenige Stunden mehr zu leben. Vielleicht bot sich auf dem weiten Ritt eine Gelegenheit, an Rokoff heranzukommen. Und wer weiß, ob es ihm nicht doch gelingen würde, sich von seinen Fesseln zu befreien?

Jetzt hörte er den König der Wüste schon aus nächster Nähe. Wahrscheinlich suchte er sich unter den Tieren des Duars seine Beute.

Lange Zeit blieb es stumm. Dann aber vernahm Tarzans scharfes Ohr das leise Geräusch eines schleichenden Körpers. Es kam vom hinteren Zelt, das den Bergen am nächsten stand. Es kam näher und näher. Er horchte gespannt auf, ob es vorüberginge. Eine Weile war es draußen ruhig. Es war eine fürchterliche Stille, und Tarzan wunderte sich, daß er nicht den Atem des Tieres hörte, das sich offenbar schon bis an die hintere Wand seines Zeltes herangeschlichen hatte.

Da! Jetzt bewegte es sich wieder ... es schleicht näher heran ... Tarzan wendet den Kopf nach der Seite, woher das Geräusch kommt. Es ist ganz dunkel im Zelt. Langsam hebt sich die hintere Zeltwand. Da kriecht etwas herein ... ein Körper ... Kopf und Schultern zwingen sich herein, aber in der Dunkelheit läßt sich nicht erkennen, was es ist. Draußen wird es etwas heller, denn über der dunklen Wüste blitzen Sterne am Himmel.

Ein grimmiges Lächeln schwebt um Tarzans Lippen. Wenn der Löwe ihn zerreißt, so wird Rokoff um seine Freude betrogen. Wie wird dieser sich ärgern! Und der Tod zwischen den Zähnen des Löwen wird Tarzan lieber sein als von der Hand des Russen.

Jetzt fällt das Tuch des Zeltes wieder herunter und alles ist so dunkel wie zuvor. Er hört etwas in seiner Nähe kriechen ... jetzt ist es neben ihm ...

Er schließt die Augen und erwartet den Schlag der mächtigen Pranken.

Da spürt er an seinem abgewandten Gesicht eine zarte Hand, die in der Dunkelheit tastend sucht, und dann hört er eine weiche Mädchenstimme seinen Namen kaum hörbar flüstern: Tarzan!

Ja, ich bin es, antwortet er ebenfalls im Flüsterton. Aber um Himmelswillen, wer sind Sie?

Die Uled-Nail aus Sidi Aissa, lautete die Antwort.

Während sie sprach, spürte Tarzan, daß sie sich an seinen Fesseln zu schaffen machte. Er fühlte den kalten Stahl eines Messers seine Haut berühren.

Einen Augenblick später war er frei.

Kommen Sie! flüsterte sie.

Auf Händen und Knien kriechend folgte er ihr auf demselben Wege, auf dem sie sich hereingeschlichen hatte.

Dann krochen sie weiter dem Boden entlang, bis sie verdeckende Sträuche erreichten.

Hier hielt sie einen Augenblick an, bis er an ihrer Seite stand.

Ernst betrachtete er sie, bevor er sprach.

Ich kann nicht verstehen, sagte er dann, wie Sie hierher kamen. Wie konnten Sie wissen, daß ich in diesem Zelt gefangen gehalten wurde? Und wie kam es, daß Sie mich gerettet haben?

Sie lächelte. Ich habe diese Nacht einen weiten Weg zurückgelegt, und wir haben noch einen weiten Weg vor uns, bis wir außer Gefahr sind. Kommen Sie nur! Ich werde Ihnen unterwegs alles erzählen.

Nun machten sie sich auf den Weg durch die Wüste den Bergen entgegen.

Ich war nicht sicher, ob ich Sie überhaupt erreichen würde, sagte sie. El adrea ist diese Nacht draußen, und als ich die Pferde verlassen hatte, fürchtete ich, er bekäme Wind von mir und würde mir folgen. Ich war sehr ängstlich.

Sie sind ein tapferes Mädchen, sagte er. Und Sie haben sich all diesen Gefahren für einen Fremden, einen Ungläubigen, ausgesetzt.

Sie reckte sich kühn in die Höhe.

Ich bin die Tochter des Scheiks Kadur ben Gaden, antwortete sie. Ich wäre keine würdige Tochter von ihm, wenn ich nicht mein Leben dranwagte, um das eines Mannes zu retten, der mich gerettet hat, obschon er mich nur für eine gewöhnliche Uled-Nail ansehen konnte.

Und doch, sagte er, Sie sind ein wackeres Mädchen. Aber wie konnten Sie wissen, daß ich hier gefangen wurde?

Und nun erzählte sie ihm:

Achmed din Taleb, mein Vetter von Vaterseite, hatte Freunde besucht, die zu dem Stamm gehören, der Sie gefangen genommen hatte. Er war im Duar, als Sie eingeliefert wurden. Nach Hause gekommen, erzählte er uns von dem starken Franken, den Ali ben Achmed für einen andern Franken gefangen genommen hatte und den dieser töten wollte. Aus der Beschreibung erriet ich, daß Sie es sein müßten. Mein Vater war fort. Ich suchte mehrere Männer zu überreden, Sie zu retten, aber sie lehnten es ab, indem sie sagten: Laß die Ungläubigen sich gegenseitig töten, wenn ihnen es gefällt. Das geht uns nichts an, und wenn wir hingehen und Ali ben Achmeds Pläne durchkreuzen, so rufen wir lediglich einen Kampf mit unserem eigenen Volke hervor.

Als es dunkel geworden war, ging ich allein. Ich ritt zu Pferd und führte ein anderes für Sie mit. Sie sind nicht weit von hier angebunden. Morgen werden wir im Duar meines Vaters sein. Er wird jetzt wohl schon zu Hause sein. Wenn wir erst dort sind, mag man nur kommen und versuchen, den Freund Kadur ben Gadens zu entführen!

Einige Minuten gingen sie schweigend weiter. Dann sagte sie: Wir müssen den Pferden nahe sein. Es ist sonderbar, daß ich sie noch nicht sehe!

Einen Augenblick später blieb sie stehen, und stieß einen leisen Schrei der Überraschung aus:

Sie sind fort! Hier hatte ich sie angebunden!

Tarzan bückte sich, um den Boden zu untersuchen. Er fand, daß ein großer Strauch mit den Wurzeln ausgerissen worden war.

El adrea war hier, sagte er zu dem Mädchen. Es ist aber anzunehmen, daß die Pferde ihm entwischt sind. Wenn sie einen kleinen Vorsprung hatten, so konnten sie sich retten.

Nun blieb den beiden nichts anderes übrig, als zu Fuß weiter zu gehen. Ihr Weg führte jetzt durch das unübersichtliche Hügelgelände der Vorberge, aber das Mädchen kannte ihn so genau, daß sie nicht irre gehen konnten. Sie schritten tüchtig aus und unterhielten sich; zuweilen schauten sie zurück und horchten, ob keine Schritte ihnen folgten.

Bei strahlendem Mondschein war die Luft frisch und würzig. Hinter ihnen lag in unabsehbarer Weite die Wüste, nur hier und dort von einer Oase unterbrochen. Die Dattelpalmen der kleinen fruchtbaren Oase, die sie eben verlassen hatten, und deren Zelte hoben sich scharf vom gelben Sande ab, wie ein phantastisches Paradies, inmitten eines phantastischen Meeres. Vor ihnen ragten die düsteren, schweigenden Berge empor. Tarzans Blut floß lebhafter durch die Adern. Das war ein Leben! Er schaute auf das neben ihm schreitende Mädchen herab; er, der Sohn der Dschungel, ging mit einer Tochter der Wüste durch eine tote Welt. Er lächelte bei dem Gedanken. Er wünschte, sie hätte eine Schwester, die ihr ähnlich wäre. Welch prächtige Genossin wäre das für ihn gewesen!

Jetzt gelangten sie in die Berge. Sie kamen langsamer voran, denn der Weg war steil und steinigt.

Einige Minuten hatten sie geschwiegen. Das Mädchen fragte sich, ob sie ihres Vaters Duar erreichen würden, bevor die Verfolger sie einholen könnten. Tarzan hätte immer so weiter wandern mögen. Wenn das Mädchen doch ein Mann wäre! Er sehnte sich nach einem Freunde, der dasselbe wilde Leben liebte wie er. Zwar hatte er Freunde gefunden, aber es war ein Mißgeschick, daß die meisten dieser Männer blendendes Leinen und ihre Klubs der Nacktheit und der Dschungel vorzogen. Er konnte das nicht recht verstehen, aber es war nun einmal so.

Die beiden waren eben um einen vorschießenden Felsen herumgegangen, als sie plötzlich stehen blieben. Unmittelbar vor ihnen stand auf dem Wege Numa el adrea, der düstere Löwe. Seine grünen Augen sahen wirklich böse drein, er fletschte die Zähne und schlug die Seiten ärgerlich mit dem Schweife. Dann brüllte er, es war der fürchterliche Donnergroll des hungrigen, zornigen Löwen.

Ihr Messer! raunte Tarzan dem Mädchen zu und streckte hastig die Hand darnach aus. Sie drückte ihm den Griff des Messers in die Hand. Dann stieß er sie von sich und rief ihr zu: Zurück in die Wüste, so schnell Sie nur können! Wenn Sie mich rufen hören, so ist alles gut, dann kommen Sie wieder.

Das ist nutzlos, sagte sie verzweifelnd. Wir sind verloren.

Tun Sie, wie ich Ihnen sage! befahl er. Schnell! Er kommt! Das Mädchen wich einige Schritte zurück und wartete auf das furchtbare Schauspiel, auf das sie sich gefaßt machte.

Der Löwe näherte sich Tarzan langsam, die Nase dicht am Boden, wie ein zum Kampf vorgehender Stier; der Schweif war jetzt gerade ausgestreckt.

Der Affenmensch stand halb gebückt da, sein langes arabisches Messer glänzte im Mondlicht. Hinter ihm die zu einer Statue erstarrte Gestalt des Mädchens. Sie war etwas nach vorn gebeugt, mit offenen Lippen und weitgeöffneten Augen. Sie konnte nur noch daran denken, welche Wunder der Tapferkeit der Mann mit dem bloßen Messer gegenüber dem König der Wüste verrichten würde. Ein Mann ihres Blutes wäre zum Gebet niedergekniet und hätte sich den furchtbaren Zähnen des Löwen ohne Widerstand ergeben. Aber in beiden Fällen mußte das Ergebnis das gleiche sein; es war nicht abwendbar. Sie konnte jedoch einen Schrei der Bewunderung nicht unterdrücken, als ihre Blicke auf der Heldengestalt vor ihr ruhten. Nicht ein Zucken war an der Riesengestalt zu bemerken, die die gleiche drohende Haltung einnahm wie el adrea selbst.

Der Löwe war jetzt ganz nahe an ihn heran, aber noch einige Schritte vorher duckte er sich, um zum Sprung auszuholen. Er betrachtete den Mann als eine ebenso leichte Beute wie die vielen Menschen, die er schon gefressen hatte. Für ihn war der Mensch ein plumpes, unbeholfenes, wehrloses Geschöpf, vor dem er wenig Achtung hatte.

Diesmal sollte er aber finden, daß er gegen ein Geschöpf zu kämpfen hatte, das ebenso behend und flink war wie er. Als er nämlich mit betäubendem Gebrüll auf ihn lossprang, war der Mann nicht mehr auf seiner Stelle.

Das beobachtende Mädchen war starr vor Erstaunen, mit welcher Leichtigkeit der sich bückende Mann den großen Tatzen auswich. Und jetzt – oh Allah! – hatte er sich von hinten auf el adreas Schulter gestürzt, ehe das Tier sich umdrehen konnte, und hatte es bei der Mähne gepackt. Der Löwe bäumte sich auf wie ein Pferd. Tarzan wußte, daß er dies tun würde, und war bereit. Sein gewaltiger Arm legte sich um den dunkelmähnigen Hals, und einmal, zweimal, zwölfmal drang die scharfe Klinge in die Seite hinter der linken Schulter.

Toll waren die Sprünge Numas, schrecklich war sein Brüllen der Wut und Pein, aber er konnte den Riesen von seinem Rücken nicht abschütteln und also auch nicht mit seinen Reißzahnen oder Pranken erreichen. Dazu war die Zeit zu kurz, die dem König mit dem großen Kopf noch zu leben übrig blieb. Er war tot, als Tarzan seinen Halt losließ und aufstand.

Dann erlebte die Tochter der Wüste etwas, was sie noch mehr erschreckte als es der Löwe selbst getan hatte. Der Mann setzte seinen Fuß auf den toten Körper seiner Beute und stieß, sein schönes Gesicht gegen den Vollmond erhebend, das schrecklichste Gebrüll aus, das je in ihr Ohr gedrungen war.

Mit einem Schrei des Entsetzens wich sie vor ihm zurück. Sie glaubte, er wäre in der furchtbaren Aufregung des Kampfes wahnsinnig geworden. Aber als der Widerhall dieses unmenschlichen Schlachtrufes in den Bergen verklungen war, senkte der Mann seine Augen, bis der Blick wieder das Mädchen traf.

Da verbreitete sich ein freundliches Lächeln über sein Gesicht, und das Mädchen schloß daraus, daß er doch noch bei Verstand war. Erleichtert atmete es auf und lächelte ihm zu.

Was für ein Mann sind Sie? stammelte es. Ihre Tat ist unerhört. Noch jetzt kann ich nicht glauben, daß ein einzelner Mann nur mit einem Messer el adrea überwunden hat, ohne selbst auch nur verletzt zu werden. Und dann dieser unmenschliche Schrei! Was hatte der zu bedeuten?

Tarzan errötete. Ich vergesse manchmal, sagte er, daß ich ein zivilisierter Mensch bin. Wenn ich töte, muß ich wohl ein anderer Mensch sein.

Er versuchte keine weitere Erklärung, denn es schien ihm immer, daß eine Frau ihn, der fast zum Tier geworden war, nur mit Widerwillen ansehen könnte.

Nun nahmen sie ihren Weg wieder auf. Die Sonne stand schon eine Stunde am Horizont, als sie aus den Bergen wieder in die Wüste hinaustraten.

Neben einem Bach fanden sie die Pferde des Mädchens beim Grasen. Soweit waren sie auf ihrem Heimweg gekommen. Nun, da sie dem Löwen entronnen waren, standen sie still und weideten gemächlich.

Tarzan und das Mädchen fingen sie mit leichter Mühe ein, bestiegen sie und ritten zum Duar des Scheiks Kadur ben Saden.

Es zeigte sich keine Spur von Verfolgern mehr. So kamen sie um neun Uhr wohlbehalten an ihrem Ziel an.

Der Scheik war eben erst zurückgekehrt. Er war über das Verschwinden seiner Tochter sehr traurig gewesen, da er glaubte, sie sei abermals von Räubern entführt worden. Mit fünfzig Mann war er schon zu Pferde gestiegen, um sie zu suchen, als die beiden eben in das Duar einritten.

Seine Freude über die Rückkehr seiner Tochter war ebenso groß wie seine Erkenntlichkeit gegen Tarzan, der sie ihm sicher zurückbrachte.

Kadur ben Saden suchte seinem Gast in jeder denkbaren Weise seine Achtung und Freundschaft zu zeigen. Als das Mädchen die Geschichte von dem Löwen erzählt hatte, wurde Tarzan von einer Menge bewundernder Araber umgeben, die ihm auf diese Art ihre Verehrung beweisen wollten.

Der alte Scheik drang in ihn, er möchte ganz bei ihm bleiben. Er wollte ihn als Mitglied seines Stammes aufnehmen, und Tarzan war eine Zeitlang halb entschlossen, den Vorschlag anzunehmen, um für immer bei diesem Naturvolk zu bleiben, das er verstand und das auch ihn zu verstehen schien. Auch seine Freundschaft und seine Neigung zu dem Mädchen drängte ihn, dort zu bleiben.

Wäre das Mädchen ein Mann gewesen, so hätte er nicht gezögert, denn es wäre ein Freund nach seinem Herzen gewesen, und er hätte nach Belieben mit ihm ausreiten und jagen können, aber da es ein Mädchen war, so würden sie sich durch die herkömmlichen Gebräuche, die bei den wilden Nomaden der Wüste noch strenger beobachtet werden, als bei ihren mehr zivilisierten Brüdern und Schwestern, sehr beengt fühlen. Und nach einiger Zeit würde das Mädchen ja doch einen jener dunklen Krieger heiraten, und dann wäre es mit ihrer Freundschaft zu Ende.

So entschloß er sich, den Vorschlag des Scheiks abzulehnen. Er blieb aber noch eine Woche bei ihm als sein Gast.


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