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John Caldwell aus London

Als Tarzan Abschied nahm, ritten Kadur ben Saden und fünfzig weißgekleidete Krieger mit ihm nach Bu Saada. Während sie aufstiegen, kam das Mädchen, um Tarzan Lebewohl zu sagen.

Ich habe gebetet, daß Sie bei uns bleiben möchten, sagte sie einfach, als er sich aus dem Sattel herabbeugte, um ihr die Hand zu reichen, und nun will ich beten, daß Sie wiederkehren.

In ihren schönen Augen stand ein ernster Ausdruck, und es zuckte um ihre Mundwinkel. Auch Tarzan war bewegt.

Wer weiß? antwortete er, und dann wandte er sich und ritt im Galopp den abziehenden Arabern nach.

Vor Bu Saada trennte er sich von Kadur ben Saden und seinen Leuten, denn er hatte triftige Gründe, um möglichst heimlich in die Stadt zu gelangen. Er setzte dies dem Scheik auseinander und dieser war sofort mit seinem Entschluß einverstanden. Die Araber sollten vor ihm in Bu Saada einreiten und nichts davon verlauten lassen, daß Tarzan zu ihrer Gesellschaft gehörte. Später wollte er allein nachfolgen und in einer bestimmten Eingeborenen-Herberge einkehren.

Als er in der Dunkelheit einzog, wurde er von keinem Bekannten gesehen, und erreichte die Herberge unbemerkt. Nachdem er mit Kadur ben Saden zusammen gegessen hatte, ging er auf Umwegen zu seinem früheren Gasthofe. Durch eine Hintertüre eintretend, suchte er den Wirt auf, der sehr überrascht zu sein schien, ihn noch am Leben zu sehen.

Er sagte, es sei Post für ihn da; er wolle sie ihm sogleich bringen. Auf Tarzans Bitte versprach er, niemanden etwas von dessen Rückkehr zu sagen.

Gleich darauf kam er mit einigen Briefen zurück.

Einer enthielt den Befehl seines Vorgesetzten, sein bisheriges Tätigkeitsfeld zu verlassen und mit dem ersten erreichbaren Dampfer nach Kapstadt zu fahren. Dort werde er bei einem Agenten, dessen Name und Adresse ihm angegeben wurden, die weiteren Anweisungen erhalten. Das war alles – kurz, aber klar.

Tarzan traf Vorbereitungen, Bu Saada früh am nächsten Morgen zu verlassen. Dann ging er zum Hauptmann Gerard, der, wie ihm der Wirt gesagt hatte, am vorhergehenden Tage mit seiner Abteilung von seiner Streife zurückgekehrt war.

Er fand den Offizier in seinem Quartier und wurde von ihm mit freudiger Überraschung begrüßt.

Der Hauptmann erzählte ihm:

Als Leutnant Gernois zurückkehrte und meldete, er habe Sie nicht an der Stelle gefunden, die Sie zum Bleiben gewählt hatten, während die Abteilung das Gebirge durchsuchte, war ich lebhaft beunruhigt. Wir suchten tagelang die Berge ab. Dann kam die Nachricht, Sie seien von einem Löwen überfallen und aufgefressen worden. Als Beweis dafür wurde uns Ihr Gewehr überbracht. Ihr Pferd ist am zweiten Tage nach Ihrem Verschwinden zum Lagerplatz zurückgekehrt. Wir konnten nun nicht mehr an Ihrem Tode zweifeln. Leutnant Gernois war vor Gram gebeugt. Er schrieb sich allein die Schuld zu. Er war es, der den Araber mit Ihrem Gewehr fand. Wie wird er sich freuen, wenn er hört, daß Sie wohlbehalten zurückgekehrt sind!

Zweifellos! sagte Tarzan mit einem grimmigen Lächeln.

Er ist jetzt in der Stadt, fuhr der Hauptmann fort. Sobald er zurückkehrt, werde ich es ihm sagen.

Tarzan ließ den Offizier bei der Meinung, er habe sich verirrt gehabt, und er sei schließlich in das Lager Kadur ben Sadens gelangt, der ihn bis nach Bu Saada begleitet habe.

Er verabschiedete sich sobald als möglich von dem braven Offizier und beeilte sich, in die Stadt zurückzukehren.

In der Eingeborenen-Schenke hatte er durch Kadur ben Saden eine interessante Nachricht erfahren. Es handelte sich um einen Weißen mit schwarzem Bart, der immer als Araber gekleidet umherging. Eine Zeitlang hatte er ein gebrochenes Armgelenk gepflegt. Kürzlich war er aus Bu Saada verschwunden, aber jetzt war er wieder dort, und Tarzan erfuhr, wo er sich verborgen hielt. Nun ging er dorthin.

Durch enge, dunkle und übelriechende Gäßchen ging sein Weg, schließlich eine wacklige Treppe hinauf, an deren Ende er auf eine geschlossene Tür mit einem winzigen Guckloch stieß. Tarzan schaute durch die Öffnung hinein. Der Raum war beleuchtet, und an einem Tische saßen Rokoff und Gernois. Letzterer war gerade am Sprechen.

Rokoff, Sie sind ein Teufel! sagte Gernois. Sie haben mich gehetzt, bis ich den letzten Funken meiner Ehre verloren habe. Sie haben mich zum Mörder gemacht, denn das Blut jenes Tarzan klebt an meinen Händen. Wenn nicht der andere teuflische Mensch, Pawlowitsch, mein Geheimnis kennen würde, so erwürgte ich Sie noch in dieser Nacht mit meinen bloßen Händen.

Rokoff lachte. Das werden Sie schön bleiben lassen, sagte er. Sobald meine Ermordung gemeldet würde, hätte der liebe Alexei nichts Schnelleres zu tun, als dem Kriegsminister den vollen Beweis für jene Angelegenheiten, die Sie so sorgfältig geheim halten, zu übermitteln und Sie wegen meiner Ermordung anzuzeigen. Seien Sie also vernünftig. Ich bin Ihr bester Freund. Habe ich Ihre Ehre nicht in Schutz genommen, als ob es meine eigene wäre?

Gernois konnte nur höhnisch lachen und stieß einen Fluch aus.

Bezahlen Sie mir nur noch eine kleine Summe, fuhr Rokoff fort, und geben Sie mir die Papiere, die ich wünsche, dann erhalten Sie mein Ehrenwort, daß ich nie mehr einen Centime und nie mehr eine weitere Auskunft von Ihnen verlange.

Und aus einem triftigen Grunde, brummte Gernois. Was Sie verlangen, ist mein letztes Geld und das letzte wichtige militärische Geheimnis, das ich noch besitze. Sie müßten mich eigentlich für das Geheimnis bezahlen, statt daß Sie dafür noch Geld verlangen.

Sie bezahlen noch dafür, daß ich Sie nicht verrate, erwiderte Rokoff. Aber wir müssen zu einem Abschluß kommen. Wollen Sie oder wollen Sie nicht? Ich gebe Ihnen drei Minuten Bedenkzeit. Wenn Sie nicht einwilligen, so sende ich Ihrem Kommandanten noch in dieser Nacht eine Botschaft, die mit Ihrer Absetzung endigen wird.

Einen Augenblick saß Gernois mit gesenktem Kopf da. Dann stand er auf. Er zog zwei Schriftstücke aus seinem Rock.

Hier, sagte er hoffnungslos. Ich hielt sie bereit, denn ich wußte im voraus, daß Sie mir keinen anderen Ausweg lassen würden.

Er reichte sie dem Russen.

Rokoffs grausames Gesicht leuchtete in hämischer Freude. Er ergriff die Schriftstücke.

Das ist schön von Ihnen, Gernois, sagte er. Jetzt werde ich Sie nicht mehr behelligen – es sei denn, daß Sie noch mehr Geld oder Auskünfte beschaffen könnten. Und dabei lachte er herzlos.

Sie erhalten nie wieder etwas von mir, Sie Hund! zischte Gernois. Das nächstemal werde ich Sie umbringen. Heute war ich nahe genug daran. Eine ganze Stunde habe ich mit diesen zwei Schriftstücken an meinem Tisch gesessen, ehe ich hierher kam. Daneben lag mein geladener Revolver. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Das nächstemal wird meine Wahl leichter sein, denn ich habe schon meinen Entschluß gefaßt. Heute abend hatten Sie noch Glück, aber versuchen Sie das Schicksal nicht wieder!

Damit stand Gernois auf, um fortzugehen. Tarzan hatte kaum Zeit, sich zurückzuziehen und sich neben der Tür dicht an die Mauer zu drücken. Die Tür wurde geöffnet und Gernois trat heraus. Rokoff dicht hinter ihm. Keiner sprach mehr ein Wort. Gernois war erst drei Stufen hinuntergestiegen, als er stehen blieb und sich halb umdrehte, wie um wieder hinaufzugehen.

In diesem Falle hätte er Tarzan unbedingt bemerken müssen. Rokoff stand noch auf der Türschwelle, nur einen Fußbreit von Tarzan entfernt, aber er schaute nach der andern Seite, dem Fortgehenden nach. Gernois schien seinen Entschluß wieder aufgegeben zu haben, denn jetzt ging er die Treppe hinunter.

Tarzan vernahm deutlich, wie Rokoff erleichtert aufatmete. Einen Augenblick später kehrte der Russe ins Zimmer zurück und schloß die Tür.

Sobald Gernois außer Hörweite war, stieß Tarzan die Tür auf und trat ins Zimmer.

Rokoff saß da und prüfte bereits die Schriftstücke, die Gernois ihm gegeben hatte. Noch ehe er sich in der Überraschung erheben konnte, stand jemand vor ihm, und als er aufschaute und sein Blick auf das Gesicht des Affenmenschen fiel, wurde er totenblaß.

Sie! keuchte er.

Jawohl, ich! sagte Tarzan.

Was wollen Sie? brachte Rokoff mühsam heraus, denn der Blick in Tarzans Augen hatte ihn so erschreckt, daß er kaum noch sprechen konnte. Kommen Sie, um mich zu töten? Wagen Sie es nur nicht, denn es wird Sie das Leben kosten.

Ich wage es schon, Rokoff, antwortete er, denn niemand weiß, daß Sie hier sind, und auch niemand, daß ich hier bin, und Pawlowitsch wird annehmen, daß Gernois es gewesen. Ich habe gehört, was Sie mit Gernois gesprochen haben. Aber das soll mich nicht beeinflussen. Mir macht es nichts aus, wenn jemand erfährt, daß ich Sie umgebracht habe. Das Vergnügen, Sie zu erwürgen, wird mich für jede Strafe entschädigen, die man mir auferlegen könnte. Sie sind der elendeste Halunke und Feigling, von dem ich je gehört habe! Sie haben den Tod verdient!

Dabei trat er näher an ihn heran.

Rokoff war derartig außer sich, daß er nahe am Zusammenbrechen war. Mit einem Schrei flüchtete er nach dem anstoßenden Zimmer, aber der Affenmensch war schnell hinter ihm her und erfaßte ihn, ehe er noch die Türe erreicht hatte. Es waren Finger von Stahl, die ihm an die Kehle griffen. Der große Feigling schrie wie am Spieße, bis Tarzan ihm einen Knebel gab.

Dann warf der Affenmensch ihn zu Boden und würgte ihn. Der Russe sträubte sich zwar, aber er war in der mächtigen Faust dieses Riesen wehrlos wie ein kleines Kind.

Tarzan hob ihn wieder auf und setzte ihn auf einen Stuhl. Er hatte seine Kehle losgelassen, und als Rokoff wieder zu Atem gekommen war, herrschte er ihn an:

Ich habe Ihnen einen Vorgeschmack der Todesqualen gegeben, aber diesmal will ich Sie noch nicht töten. Ich verschone Sie einzig und allein aus Rücksicht auf eine anständige Frau, die leider Ihre Schwester ist. Aber ich verschone Sie ihretwegen nur noch dieses eine Mal. Sollte ich je erfahren, daß Sie Ihre Schwester oder deren Mann noch einmal belästigt haben, oder sollte ich hören, daß Sie nach Frankreich oder irgend einer französischen Besitzung zurückgekehrt sind, so wird es meine einzige Sorge sein, Sie zu erreichen und Sie vollends zu vernichten.

Dann wandte er sich zu dem Tische, auf dem die zwei Schriftstücke noch lagen, und nahm sie an sich.

Das eine war ein Scheck, das andere eine Urkunde mit militärischen Geheimnissen. Er überflog sie nur, sah aber gleich, daß der Inhalt für einen Feind Frankreichs von großem Wert sein würde.

Rokoff war vor Schrecken zusammengefahren. Er hatte erst angefangen, das Schriftstück zu lesen, und noch keine Zeit gehabt, sich die wichtigsten Punkte daraus zu merken.

Das wird den Generalstab interessieren, sagte Tarzan, indem er die Papiere in die Tasche schob.

Rokoff knurrte, wagte es aber nicht, laut zu fluchen, bis Tarzan sich entfernt hatte.

*

Am nächsten Morgen ritt Tarzan nordwärts nach Buira und Algier. Leutnant Gernois stand auf der Veranda seines Hotels, als er vorbeiritt. Beim Anblick des Affenmenschen wurde er weiß wie Kreide. Tarzan hätte diese Begegnung gern vermieden, aber jetzt war es zu spät. Er grüßte den Offizier beim Vorbeireiten.

Gernois erwiderte den Gruß unwillkürlich und seine weit aufgerissenen Augen folgten dem Reiter voll Entsetzen. Es war, als ob ein Toter auf ein Gespenst schaute ...

Als Tarzan in Sidi Aissa ankam, traf er einen französischen Offizier, den er bei seinem vorigen Aufenthalt in dieser Stadt kennen gelernt hatte.

Sie haben Bu Saada wohl schon früh verlassen? fragte der Offizier. Dann haben Sie nichts von dem armen Gernois gehört?

Er war der letzte Mann, den ich beim Wegreiten sah, antwortete Tarzan. Was ist mit ihm?

Er ist tot! Heute morgen gegen 8 Uhr hat er sich erschossen.

Zwei Tage später erreichte Tarzan Algier. Dort erfuhr er, daß er in ein paar Tagen Gelegenheit hätte, nach Kapstadt abzudampfen. Die Mußezeit benutzte er, um einen ausführlichen Bericht über die bisherigen Erlebnisse seiner Sendung abzufassen. Die geheimen Schriftstücke, die er Rokoff abgenommen hatte, wagte er nicht aus der Hand zu geben; er wollte vielmehr warten, bis er ermächtigt würde, sie einem anderen Agenten zu übergeben, oder bis er selbst damit nach Paris zurückkehrte.

Als Tarzan an Bord ging, wurde er von zwei Männern vom oberen Deck beobachtet. Beide waren modern gekleidet und glatt rasiert. Der größere der beiden hatte rotes Haar, aber schwarze Augenbrauen. Später am Tage begegnete Tarzan ihnen zufällig auf dem Deck, aber der eine hatte eben die Aufmerksamkeit des andern auf irgendeine Erscheinung auf dem Meere gelenkt, und so waren ihre Gesichter von Tarzan abgekehrt, als er vorbeiging. Er achtete auch nicht weiter auf sie.

Den Anweisungen seines Vorgesetzten entsprechend hatte Tarzan sich unter dem angenommenen Namen John Caldwell aus London in die Schiffsliste eintragen lassen. Er zerbrach sich allerdings den Kopf darüber und er war neugierig, welche Rolle er in Kapstadt spielen sollte.

Auf alle Fälle, dachte er, danke ich dem Himmel, daß ich von Rokoff befreit bin. Er fing an, mir lästig zu werden. Ich frage mich, ob ich allmählich so zivilisiert werde, daß ich anfange, nervös zu werden. Ich hätte es wahrhaftig schon werden können. Der Kerl kämpft nicht mit ehrlichen Waffen. Man weiß nie, zu welchen Mitteln er seine Zuflucht nimmt. Es ist gerade, als ob er gegen mich die Mittel vereinigte, über die Numa, der Löwe, Tantor, der Elefant, und Histah, die Schlange, einzeln verfügen. Wenn ich noch länger dort geblieben wäre, so hätte ich nie gewußt, wo und von wem und wie ich nächstens wieder angegriffen würde. Die wilden Tiere sind ritterlicher als ein solcher Mensch, denn sie kennen so feige Kniffe nicht.

Bei der Abendmahlzeit erhielt Tarzan seinen Platz neben einer jungen Dame zur Linken des Kapitäns. Der Offizier stellte ihn der Dame vor.

Miß Strong! Wo hatte er diesen Namen früher schon einmal gehört? Er kam ihm sehr bekannt vor, doch konnte er sich nicht darauf besinnen. Da fand er des Rätsels Lösung, als die Mutter sich mit ihrer Tochter unterhielt und sie Hazel nannte.

Hazel Strong! Welche Erinnerungen weckte dieser Name in ihm! Es war ja ein an dieses Mädchen gerichteter Brief, den Jane Porter mit ihrer lieben Hand geschrieben und den er in der Hütte am Urwald für kurze Zeit an sich genommen und gelesen hatte. Wie lebhaft erinnerte er sich der Nacht, da sie diesen Brief am Schreibtisch seines längst verstorbenen Vaters geschrieben hatte, während er ihr draußen aus der Dunkelheit heimlich zuschaute. Wie entsetzt wäre sie gewesen, wenn sie damals gewußt hätte, daß das wilde Dschungeltier draußen vor ihrem Fenster jede ihrer Bewegungen beobachtete! Und dies war Hazel Strong, Jane Porters beste Freundin!


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