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16. Kapitel.
Ein Morgenritt.

Als Frau Evringham die Geschichte zu Ende gelesen hatte, erntete sie Dank und Beifall von ihren Zuhörern. Alle drei unterhielten sich dann noch eine Weile über den Inhalt.

»Ich möchte, ich könnte Alma kennen lernen,« bemerkte Juwel, »und den anderen helfen, freundlich zu ihr zu sein.«

»O, es wird ihr jetzt sehr gut gehen,« entgegnete Herr Evringham, »das kann man sogar schon mit halbem Auge sehen. Gab es in der Schule, die du besuchtest, auch solche Almas?«

»Nein, die gab es nicht. Wir brachten unser Frühstück nicht mit, und wir fuhren in einem Omnibus nach Hause.«

»Juwel ging in eine sehr nette Privatschule,« sagte Frau Evringham. »Als Gegenleistung schneiderte ich für die Lehrerinnen; sie gehörten der Christlichen Wissenschaft an.«

Die Holzscheite im Kamin glühten, und das Getöse der sturmgepeitschten See drang vom Strande herüber in das behagliche Gemach.

»Nun, wir haben bei Bel-Air-Park auch eine gute Schule für Juwel, aber geschneidert wird nicht mehr dafür, Julia,« meinte Herr Evringham, freundlich lächelnd.

Seine Schwiegertochter betrachtete ihn sinnend. »Es macht mich sehr glücklich, dies zu wissen, denn es gibt noch andere Arbeit, die ich lieber tun würde.«

»Das sollte ich meinen; die Launen törichter Frauen zu befriedigen, die selbst nicht wissen, was sie wollen, denke ich mir sehr, sehr unangenehm! Ja, wir haben eine feine Schule in Bel-Air; Juwel, du wirst im nächsten Winter stramm arbeiten müssen; wie wird dir das gefallen?«

»Die Musikstunde wird mir am meisten Spaß machen,« sagte Juwel.

»Und die Tanzstunde.«

»Ach, Großpapa, das wird herrlich! Ich kannte kleine Mädchen, die in Chicago zur Tanzstunde gingen.«

»Ja, das wird dir sicher gefallen; du wirst die neuesten Tänze und Sprünge lernen, die es gibt. Ich denke, du wirst sie rasch lernen. Solange ich dich kenne, bist du nur immer hin- und hergehüpft.«

Juwel nickte ihrer Mutter beglückt zu und schlug vor Freude über solche Aussichten die Hände zusammen.

Frau Evringham sagte nachdenklich zu ihrem Schwiegervater: »Hoffentlich werden Sie mit der Arbeit, die ich mir vorgenommen habe, einverstanden sein, Vater.«

»Worin besteht denn diese Arbeit? Im Bücherschreiben? Vollkommen einverstanden, versichere ich Sie. Ich denke, Sie haben schon einen guten Anfang gemacht.«

Frau Evringham lächelte. »Nein, nicht im Bücherschreiben. Ich möchte christlich-wissenschaftlich praktizieren.«

»Das tun Sie ja schon die ganze Zeit!«

»Ich meine, Patienten annehmen.«

»Was!« Herr Evringham richtete sich in seinem Stuhl kerzengerade auf und starrte sie ungläubig an. »Irgendwen? Hinz und Kunz? Das kann doch unmöglich Ihre Absicht sein!«

Sein Ton war so scharf, daß Juwel sich von dem Fell erhob, ihm auf den Schoß kletterte und den Kopf an seine Brust schmiegte. Seine Finger umschlossen unbewußt die kleine, weiche Hand.

»Ich glaube, ich verstehe Sie nicht recht,« fügte er milder hinzu.

»Nicht in Ihrem Hause,« entgegnete Julia. Sie hatte sich schon tagelang in Gedanken auf diese Auseinandersetzung vorbereitet. »Es ist natürlich ausgeschlossen, daß dort zu jeder Zeit Fremde aus- und eingehen.«

»Unsinn, Unsinn, meine Liebe, das schlagen Sie sich nur gleich aus dem Sinn. Von jetzt ab werden Sie nichts weiter zu tun haben, als Ihr Kind zu erziehen und Ihrem Manne die Hemdknöpfe in Ordnung zu halten.«

»Beides werde ich nicht vernachlässigen,« entgegnete Julia ruhig, »aber Herr Reeves sagt, in Bel-Air fehlt es sehr an praktischen Vertretern. Sie wissen, wo das Lesezimmer ist. Daran stößt ein kleiner Raum, den ich haben könnte.«

»Als Bureau, meinen Sie? Unsinn!« rief der alte Herr noch einmal, »Harry denkt gar nicht daran, so etwas zu erlauben.«

Julia lächelte. »Wenn er es nun aber gestattet, gestatten Sie es dann auch?«

»Welche Antwort soll ich ihr geben, Juwel?« fragte der alte Herr und blickte nieder auf das ernste kleine Gesicht.

»Ich glaube, Mutter muß es tun,« antwortete das Kind. »Jeder, der es kennt und Zeit hat, möchte es tun. Das kannst du doch einsehen, Großpapa, denn dein Arm ist doch besser geworden?«

»Ja, unsere Hausärztin gefällt mir sehr gut, aber wir brauchen sie für uns allein. Ich glaube nicht, daß ich je meine Zustimmung zu ihrem Vorhaben geben werde.«

»O, Großpapa, das wirst du doch tun, wenn es das Richtige ist.« Das Flachsköpfchen an seiner Brust nickte weise. »Eines Morgens wirst du herunterkommen und sagen: ›Julia, wenn Sie wollen, können Sie jetzt gehen und das Bureau mieten.‹«

Frau Evringham drückte ihr Taschentuch an die Lippen. Die beiden im Lehnstuhl waren so mit sich selbst beschäftigt, daß sie sie nicht beachteten; auf Herrn Evringhams Gesicht zeigte sich ein urkomischer Ausdruck des Erstaunens.

»Auf mein Wort!« rief er nach einer Minute, »auf mein Wort!«

»Habt Ihr nun genug darüber gesprochen?« fragte Juwel nach einer Pause.

»Ich sicherlich,« erwiderte Herr Evringham.

»Ich auch,« fügte seine Schwiegertochter hinzu. Sie war zufrieden, daß erst einmal der Same gesät war und zog es vor, den alten Herrn jetzt nicht weiter zu drängen.

»Hör' mal, Großpapa,« fuhr Juwel fort, »ich habe darüber nachgedacht, ob die Fugen in dem Boot nicht dicht gemacht werden könnten; dann brauchte ich nicht das Wasser auszuschöpfen und könnte rudern lernen.«

»Ha, diese kleinen Hände und rudern!« rief Herr Evringham neckend.

»Wieso, Großpapa? Ich könnte es wohl. Ich weiß sicher, daß ich es könnte. Zuerst machte mir das Schöpfen Spaß, aber jetzt mag ich es nicht mehr; ich bin so sehr, sehr gern auf dem Teich – beinah' so gern wie auf Stern!«

Herrn Evringhams Augen verrieten eine ungewöhnliche Befriedigung. »Ist es möglich?« antwortete er, »wir haben hier ein richtiges Wasserbaby!«

»Ja, Großpapa, wenn ich erst schwimmen und rudern und segeln kann – ja,« der übertrieben erstaunte Ausdruck seines Gesichtes ließ sie lustig auflachen, »und segeln auch, dann werde ich glücklich sein!«

»Hör' auf, hör' auf, ein achtjähriges Baby!«

»In fünf Wochen werde ich neun Jahre alt!«

»Nun,« seufzte Herr Evringham, »das ist besser als neunzehn.«

»Wieso, Großpapa,« sagte sie ernsthaft, »du vergißt, vielleicht magst du mich auch leiden, wenn ich erwachsen bin.«

»Es wäre möglich,« antwortete der Makler.

+++

Wie hell schien die Sonne am nächsten Morgen! Vom Fenster des Landhauses aus gesehen, bildeten die schaumgekrönten Wellen, die noch gegen den Strand stürmten, eine ausgebreitete weiße Fläche.

Ein Ritt durch die wogenden Felder, wo die blühende Goldrute bereits das nahende Ende des Sommers verkündete, war auch für Essex Maid und Stern höchst willkommen.

Sterns zierliche kleine Beine mußten tüchtig ausgreifen, um mit Essex Maid Schritt zu halten, die, trotzdem ihr Herr sie scharf im Zügel hielt, ungeduldig vorwärtsstrebte. Je rascher sie dahinflogen, desto größer wurde Juwels Freude. Sie verstand es jetzt, Stern zu großer Eile anzutreiben, und das Pony fühlte seine Reiterin kaum, so gut paßte sie sich allen seinen Bewegungen an.

Die Reiter, deren Wangen von der scharfen Seeluft gerötet waren, bogen schließlich in einen stillen Landweg ein und ließen ihre Pferde Schritt gehen.

»Ich habe mich inzwischen um das Boot gekümmert, Juwel,« sagte Herr Evringham, »das Ding ist kaum die Reparatur wert. Diese würde auch zu viel Zeit in Anspruch nehmen, und wir wollen das Boot doch jetzt gebrauchen.«

»Na, dann müssen wir auch so mit dem Boot auskommen,« entgegnete das Kind. »Es gibt hier so viel Schönes, daß es einerlei ist, ob das Boot heil ist oder nicht. Aber, Großpapa, wenn du nun nicht so hübsche Schuhe anzögest und ich barfuß ginge, dann könnten wir beide auf einer Ruderbank sitzen und ruhig das Wasser hereinlaufen lassen; ich nehme das eine Ruder und du das andere; oder« – ihr Gesicht leuchtete auf bei dem köstlichen Einfall – »wir könnten beide unsere Badeanzüge anziehen!«

»Ja,« erwiderte der Makler, »ich glaube, wenn du ruderst, könnten wir sie gebrauchen.«

Das Kind lachte.

»Nein, Juwel, nein, wenn wir baden wollen, dann baden wir, und wenn wir rudern wollen, dann rudern wir, aber nicht beides zusammen. Mit diesem Waschfaß von Boot könntest du gar nichts anfangen, weil die Ruder so plump sind.«

Herr Evringham sah deutlich die Enttäuschung der Kleinen, aber er sah auch ihr Bemühen, die Enttäuschung zu überwinden.

»Ach, ich habe ja so viel anderes Schönes,« antwortete sie.

»Es wird heute morgen am Strande ein großartiger Anblick sein, Sonnenschein auf den stürmischen Wogen,« sagte Herr Evringham. »Das Wasserbaby wird aber trotzdem nicht hineindürfen.«

Juwel zuckte die Achseln und sah ihn an, »Dann müßten wir wohl hinüberrudern, was meinst du dazu?«

»Du willst wohl keine völlige Landratte werden?« fragte der Makler.

»Nein,« seufzte Juwel, »ich möchte lieber Wasser schöpfen, als vom Teich fernbleiben; aber ich vergaß, Mutter würde ja naß werden, wenn wir sie hinüberruderten; es wäre doch zu unrecht, wenn wir sie allein durch die Felder gehen ließen.«

Während einer Weile herrschte Schweigen; dann lenkte Herr Evringham die Pferde auf den Heimweg.

»Mir ist zu Mut, als könnte ich frühstücken, Juwel. Wie ist es mit dir?«

»Ach, ich könnte essen,« fiel das Kind ein, »ich könnte essen –«

»Eier?« schlug der alte Herr vor, als sie innehielt, um sich etwas ganz Besonderes auszudenken.

»Beinah',« antwortete das Kind ernsthaft. Wieder eine Pause, dann fuhr es fort: »Wie nett wäre es doch, Großpapa, wenn Mutter auch einen Spielkameraden hätte, dann könnten wir immer im Boot hinausfahren, wenn du Lust dazu hast.«

»Ja, warum beschleunigt dein Vater nicht die Abwicklung seiner Geschäfte?«

Juwel sah den alten Herrn an: »Das hat er getan; er meinte, es sei Irrtum, wenn er den Leuten im Geschäft nicht gesagt hätte, daß er nicht bei ihnen bleiben würde; darauf haben sie sich gleich bemüht, jemand anders zu finden und haben jetzt auch schon jemand.«

»So?« fragte der Makler, »dein Vater ist nun also frei in Chicago? Wann hast du das gehört?«

»Mutter erhielt gestern Vaters Brief und erzählte es mir, als ich zu Bett ging.«

»Dann kommt er also bald?«

»Wir würden uns freuen, Vater hierzuhaben,« antwortete Juwel, »aber Mutter war nicht sicher, wie du darüber dächtest, wenn er jetzt schon kommt, ehe das Geschäft anfängt.«

»Warum hat sie mir das nicht gestern abend erzählt?« fragte Herr Evringham.

»Ich glaube,« sagte Juwel, »daß sie so sehr gern möchte, wenn Vater zusammen mit uns hier wäre, aber daß du es vielleicht nicht gern sähest, – und – ich glaube, sie war ein wenig ängstlich. Du weißt doch, Mutter ist nicht deine richtige Verwandte, Großvater.« Das Kind neigte den Kopf auf die Seite, als wolle es ihn für die Mutter um Entschuldigung bitten.

Herr Evringham strich sich den Bart, nahm aber gleich wieder eine ernste Miene an. Sein Blick begegnete dem Juwels.

»Ich denke, wie du denkst; es würde uns sehr gut passen, wenn deine Mutter auch einen Spielkameraden hätte; was meinst du, wenn wir ihn herkommen ließen?«

»O, das laß uns tun,« rief das Kind freudig.

»Abgemacht,« erwiderte der Makler und ließ Essex Maid die Zügel schießen. Stern mußte sich so sehr anstrengen, um nebenher zu galoppieren, daß Juwel laut auflachte.

Als die Familie sich später im Eßzimmer zum Frühstück traf, wandte sich Herr Evringham vergnügt an seine Schwiegertochter:

»Nun, das sind ja gute Nachrichten von Harry, wie ich höre.«

Julia errötete und begegnete nachdenklich seinem Blick. Bis jetzt hatte der alte Herr nie eine Ähnlichkeit mit Juwel an ihr entdeckt; aber in diesem Augenblick hatte sie denselben Gesichtsausdruck wie die Kleine.

»Es ist doch auch mein Sohn, den sie gerne hier haben möchte,« dachte er, »beim Zeus, sie soll ihn haben.«

»Ich war nicht sicher, ob Sie es gutheißen würden, daß Harry seine Stellung so rasch aufgegeben hat; aber es gab keinen anderen rechtschaffenen Weg,« antwortete sie.

»Je eher abgebrochen wird, desto besser,« erwiderte Herr Evringham. »Ich will ihm telegraphieren, gleich seine Wohnung aufzugeben und hier mit uns zusammenzutreffen.«

Mutter und Kind wechselten einen glückstrahlenden Blick, und Juwel klatschte in die Hände. »Vater kommt, Vater kommt!« rief sie freudig.

Der Makler blickte sie finster an.

»Bist du ganz ehrlich, Juwel?« fragte er.

»Ich weiß nicht,« entgegnete die Kleine.

»Vor ein paar Minuten sagtest du, du wünschtest einen Spielkameraden für deine Mutter. Dein Enthusiasmus ist verdächtig.«

»Ach, Vater ist einfach großartig,« sagte Juwel.

Nach dem Frühstück begaben sich die drei auf eine bedeckte Terrasse, wo sie täglich die Lektion lasen; darauf schlug Herr Evringham vor, rasch an den Strand zu gehen, um den herrlichen Anblick zu genießen, ehe die Wellen das gewohnte Gleichmaß wieder annehmen würden.

»Juwel und ich hatten vor, das Boot zu benutzen, statt über die Felder zu gehen. Aber das alte Waschfaß ist für die Kleider einer Dame nicht sehr einladend.«

»Ich ziehe den einsamen Spaziergang vor,« sagte Frau Evringham. »Rudern Sie, bitte, ruhig mit Juwel.«

»Nein, wir wollen lieber mit dir gehen,« sagte das Kind mit Selbstüberwindung.

Julia lächelte. »Ich habe die Vögel und die Blumen, ich brauche Euch nicht.«

»Nun, dann begleiten Sie uns an das Boot,« sagte Herr Evringham. So gingen die drei über den Rasen bis zum Teich, zwei mit gelassenen Schritten und die dritte vor Vergnügen tänzelnd.

Als sie an den kleinen Steg kamen, sahen die scharfen Augen des Kindes, daß zwei Boote dort Seite an Seite schaukelten.

»Sieh' doch, Großpapa, hier muß Besuch gekommen sein,« sagte sie, den andern vorauslaufend. Ein leichtes, schlankes Boot hob und senkte sich mit den Wellen. Es war innen und außen goldbraun und glänzend lackiert. Die vier Sitze waren mit weinroten Kissen belegt, vier schmale Ruder lagen am Boden und die Gaffeln blitzten. Aber das Schönste war ein schlanker Mast, mit schneeweißem Segel umwickelt, der auf der Bootkante lag.

»Großpapa, bitte, frag' mal, wem es gehört, und ob wir uns wohl einen Augenblick hineinsetzen dürfen?« bat Juwel in verhaltener Erregung.

»Ach, hier gibt es nur gute Nachbarn. Die werden's schon erlauben, wer es auch sei,« entgegnete Herr Evringham sorglos und kletterte zu des Kindes Erstaunen in das Boot.

»Famose Ausstattung nicht wahr?« fuhr er fort, während er den Bau der Barke musterte und den Mast hochhob.

»O, segeln kann man auch damit, segeln kann man auch damit!« rief Juwel und hüpfte auf und ab. »O, Mutter, hast du je ein so hübsches Boot gesehen?«

»Niemals,« erwiderte Frau Evringham, »es wird wohl jemand aus einem der schönen Häuser jenseits des Teiches herübergekommen sein.«

Heimlich war sie ein wenig erstaunt über die Art, in der Herr Evringham sich in dem Boot bewegte. Er setzte den Mast auf, verschränkte dann die Arme und blickte in Juwels gespanntes, sonnengebräuntes Gesicht und in ihre leuchtenden Augen.

»Wie wäre es, wenn ich ins Haus zurückginge und um Erlaubnis fragte, ob wir ein wenig segeln dürften?« fragte er.

»O, das wäre herrlich, Großpapa,« sagte Juwel, »aber – sie könnten Nein sagen, darf ich nicht lieber erst einen Augenblick hinein?«

»Ja, komm' nur.«

Das Kind wartete keine zweite Einladung ab, sondern sprang in das Boot, prüfte den trockenen, glänzenden Boden und befühlte voll Staunen und Bewunderung die gepolsterten Kissen.

»Halloh, sieh' mal her,« sagte Herr Evringham und beugte sich über den Bootsrand. »Sachte, sachte.« Juwel war eiligst hingeklettert, um zu sehen was da sei. Er brachte das Boot ins Gleichgewicht, während ihr Flachskopf sich eifrig über Bord beugte.

In glänzend schwarzen hübschen Buchstaben war dort der Name »Juwel« zu lesen.

Das Kind hob rasch den Kopf: »Großpapa, das – kann doch kaum möglich sein,« sagte sie, atemlos vor Staunen.

Er nickte. »Eins ist gewiß, die Natur wird jetzt den Teich nicht austrocknen, da dieses Boot zu dir gekommen ist.«

»Zu mir, mir?« rief das Kind. Ihre Lippen zitterten. Das Gesichtchen erblaßte unter der von der Sonne gebräunten Hautfarbe; dann fiel ihr ein, auf welche Weise ihr das Pony gekommen war. Die Augen, die vor Erregung ganz dunkel wurden, liefen ihr plötzlich über, und stürmisch warf sie sich an des Großvaters Hals, wodurch das Boot in wildschaukelnde Bewegung kam.

Herr Evringham winkte mit der einen Hand seiner Schwiegertochter zu, während er mit der andern den Mast ergriff. »Bestellen Sie Harry unsere letzten Grüße,« rief er.

»Juwel, Juwel, was machst du?« rief Frau Evringham.

»Es gehört mir, es gehört mir!« rief das Kind und hob den Kopf, um dies herauszuschreien, drückte ihn dann aber gleich wieder an die Brust des alten Herrn.

»Was soll das heißen?« fragte Frau Evringham und trat vorsichtig auf den Steg, der so alt und wacklig war, daß sie bisher vorgezogen hatte, auf festem Boden zu bleiben.

»Ja, sehen Sie,« antwortete Herr Evringham, »das Landhausboot war nicht so ganz unmöglich für zwei alte Seebären, wie Juwel und ich; aber, als es sich darum handelte, ihre Mutter zum Mitfahren einzuladen, sah ich ein, daß wir etwas Besseres haben mußten. Und es scheint ja, als ob es Juwel gefällt.« Er zwinkerte seiner Schwiegertochter über den kleinen Flachskopf hinweg zu.

»Was für ein glückliches, glückliches Kind!« rief Julia aus, »ich kann kaum die Zeit abwarten, bis ich auf einem dieser hübschen, roten Kissen sitze.«

»Juwel wird Sie wohl sehr bald dazu einladen, denke ich,« sagte Herr Evringham. »Ich hoffe es wenigstens, denn einer meiner Füße ist nach innen gedreht, und sie steht darauf, aber ich möchte sie nicht gern entfernen. Ich warte, bis sie von selber heruntergeht.«

Er sah, wie seine Enkelin schwer schluckte, und wenn sie auch die Füßchen fortnahm, konnte sie doch noch nicht den Kopf aufrichten.

»Großpapa,« fing sie in unsicherem Murmelton an, »ich habe dich doch nicht zu sehr wegen des alten Boots gequält, nicht wahr?«

»Nein – mein Kind!«

»Wirst du – wirst du dieses auch leiden mögen?«

»Das sollt' ich meinen. Ich habe in dem alten Kasten gerade genug Schuhe verdorben; nur meine Reitstiefel sind noch tragbar. Wie wollen wir heute zum Strand hinüberkommen, wollen wir rudern oder segeln? Deine Mutter wartet darauf, daß du sie zum Einsteigen einladest.«

Langsam kamen die bauschigen Schleifen hinter den Ohren der Kleinen wieder in ihre normale Stellung. Sie küßte ihren Großvater herzlich und wandte das erhitzte Gesicht ihrer Mutter zu.

»Steig' ein, Mutter, damit du den Namen am Boot lesen kannst,« sagte sie mit einem Lächeln, das wie Sonnenschein war, der durch Regenwolken bricht.

»Gib mir die Hand, Liebling. Du weißt, so ein armes Stadtkind, wie ich, versteht das Balancieren schlecht.«

Der Name wurde mit lauten Ausrufen des Entzückens gebührend besichtigt.

»Sieh' mal die wunderhübschen Kissen, Mutter. Du kannst dich mit deinen besten Kleidern daraufsetzen. In dem Boot ist es so schön wie in einem Wohnzimmer!«

»Aber wie in einem sehr engen, Juwel. Bitte, bewege dich vorsichtig.«

Frau Evringham hatte sich vorn in das Boot gesetzt. »Vielleicht könnte ich steuern,« meinte sie, indem sie die Taue aufnahm.

»Wie der Admiral es befiehlt,« erwiderte der alte Herr.

»Admiral wirst du sein müssen, Großpapa,« rief Juwel lebhaft, »ich bin die Mannschaft und« –

»Und der Reeder,« warf Herr Evringham ein.

»Ja. Ach, Mutter, was wird Vater sagen?«

»Er wird sagen, daß du ein sehr glückliches, bevorzugtes kleines Mädchen bist, und daß es immer göttliche Liebe ist, die deinen Großvater veranlaßt, dir so unendlich viel Gutes zu tun.«

Juwels Gesichtsausdruck ließ den Admiral einen erneuten Überfall befürchten.

»Sachte, Juwel, sachte. Vergiß nicht, daß wir nicht in unsern Badeanzügen stecken. Was wollen wir nun also tun, rudern oder segeln?«

»Segeln,« jauchzte das Kind, »zum erstenmal, und das kommt nie wieder! Könntest du warten, bis ich Annabel hole?«

»Gewiß.«

Wie ein Pfeil schoß Juwel davon.

Herr Evringham sah ihr lächelnd nach. »Ein Wesen voll Feuer und Sanftmut,« sagte er kopfschüttelnd zu seiner Schwiegertochter.

»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen für alle Ihre Güte gegen sie danken soll,« sagte Julia schlicht.

»Es würde mich kränken, wenn man mir für das, was ich für Juwel tue, danken wollte.«

»Ich verstehe. Sie ist Ihr Fleisch und Blut. Aber was mich hauptsächlich zu Dank verpflichtet, das ist Ihre weise Güte. Ich glaube, Sie werden Sie niemals verziehen, und ich muß sagen, lieber hätte ich in Armut weitergekämpft, als daß ich das erleben möchte.«

Herr Evringham sah der Sprechenden mit einem Anflug von Humor ins Gesicht.

»Ich glaube, ich neige ein wenig dazu, die Tatsache zu übersehen, daß Sie und Harry Rechte an Juwel haben, die respektiert werden müssen; theoretisch erkenne ich sie an, und ich mache es mir zur Aufgabe, das Kind nicht zu verziehen. Es kommt mir fast so vor, als könnten wir das gar nicht,« fügte er hinzu.

»O doch, wir könnten es,« entgegnete Julia, »sehr leicht sogar.«

»Nun wohl,« sagte der alte Herr, »wir sind unserer noch nicht genug, um das zu versuchen. – Ich denke, es ist richtiger, daß ich, anstatt hier auf Juwel zu warten, jetzt rasch ins Haus gehe, um jemand mit dem bewußten Telegramm an Harry fortzuschicken.«

»Ach ja!« rief Julia eifrig, und gleich darauf war sie allein in dem schaukelnden Boot; mit Wonne atmete sie die herrliche Luft ein, und ihre Glücksempfindung ging in ein inniges Dankgebet über.


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