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6. Kapitel.
Die Würfel sind gefallen.

»O Großpapa, wie sind wir lustig gewesen!« rief Juwel an dem Nachmittag, als sie die Stufen der Terrasse hinuntersprang, um den alten Herrn am Wagenschlag zu begrüßen.

Harry und Julia standen bei den Korbstühlen und beobachteten die Begrüßung. Sie sahen, wie Herr Evringham sich bückte, um sich von dem Kind umarmen zu lassen, und bemerkten, mit welcher Aufmerksamkeit er ihrem Geplauder lauschte, während er nach fröhlichem Gruß auf sie zuschritt.

»Vater und ich haben die meiste Zeit in der Schlucht verspielt. War es nicht nett, Vater?«

»Ja, es war nett und naß. Mir fehlt ein zweites Paar Stiefel, und ich werde wohl in Lackschuhen nach Chicago reisen müssen.«

Julia betrachtete ihren Schwiegervater mit anderen Augen. Jedes Gefühl von Verantwortlichkeit war verschwunden. Ihre augenblickliche passive Rolle gefiel ihr sehr.

»Ich kenne jetzt schon mehr von diesem schönen Erdenfleck als heute morgen,« sagte sie. »Es kommt mir vor, als befände ich mich an einem Zauberort, als könnten Alltagsmenschen hier gar nicht immer leben.«

»Es freut mich, daß es Ihnen gefällt,« entgegnete der Makler, und seine schnelle, schroffe Art zu sprechen, fiel ihr nicht mehr unangenehm auf. »Sind Sie ausgefahren?«

»Nein, wir zogen es vor, Juwel den Feldzugsplan zu überlassen, und sie meinte, wir warteten besser mit dem Fahren auf Sie.«

Der Makler wandte sich um und blickte auf den glatten Kopf mit den bauschigen Bandschleifen hinter den Ohren. Die völlige Ausdruckslosigkeit seines Gesichts ließ Julia die Kußepisode am Telephon wie einen Traum erscheinen.

»Was für einen Plan hast du denn, Juwel?« fragte er.

Sie wippte elastisch auf den Zehenspitzen. »Ich dachte, zwei von uns im Phaethon und zwei zu Pferde,« antwortete sie.

»Hm! Du im Phaethon und ich auf Stern vielleicht.«

»O, Großpapa, deine Füße würden auf dem Boden schleifen!«

Die Heiterkeit des Kindes machte sich in einem hellen Gelächter Luft.

Der Makler sah sich nach seiner Schwiegertochter um und überreichte ihr das große, weiße Paket, das er in den Händen hielt.

»Eine Kleinigkeit von mir, meine Gnädige.«

Julia errötete anmutig beim Enthüllen der Bonbonnière. »Ach, von Huyler!« rief sie. »Wie herrlich! Vielen Dank, Vater.«

Juwels Augen wurden ganz schwarz vor Entzücken. »Gerade solche schenkte Dr. Ballard immer Cousine Heloise,« sagte sie mit einem Seufzer. »Einmal werde ich auch erwachsen sein!«

Herr Evringham hob sie mit einem Ruck in seine Arme. »Der Tag ist noch in weiter Ferne, Gott sei Dank,« murmelte er. Sein Bart streifte ihr Haar; dann ließ er sie herunter, bis er ihr ins Gesicht sehen konnte, und sagte: »Wie hast du uns arrangiert, Juwel? Wer fährt und wer reitet?«

»Vielleicht würde Vater gern Mutter im Phaethon fahren,« sagte die Kleine, als sie wieder auf den Füßen stand.

Harry lächelte. »Dein letzter Plan, dachte ich, war, daß ich die Stute reiten sollte.«

»Ja,« entgegnete Juwel ein wenig verlegen. »So gut wie Großpapa würdest du auf Essex Maid nicht aussehen, aber, –« fügte sie sanft hinzu, »wenn es dir Freude macht, Vater –«

Die anderen lachten so herzhaft, daß die Kleine die eine Schuhspitze in den Boden bohrte; und sie wußten nur zu gut, was das bedeutete.

»Hier,« sagte der Vater schnell, »welchen von diesen herrlichen Bonbons möchtest du haben, Juwel? O, wie appetitlich sehen sie aus! Ich sage dir, mach' schnell, wenn du überhaupt welche haben willst. Ich habe nur bis morgen Zeit, davon zu essen.«

»Wirklich morgen, Vater?« entgegnete das Kind und hielt erschreckt inne. »Morgen!«

»Ja, wirklich.«

»Nach Chicago, meinst du?«

»Nach Chicago,« nickte er bekräftigend.

Juwel warf ihrer Mutter einen flehenden Blick zu. »Läßt es sich nicht ändern?« fragte sie mit schwankender Stimme.

»Ich glaube nicht, Liebling. Das Geschäft kommt vor dem Vergnügen, weißt du.«

Ihre drei Gefährten sahen, wie sie sich mühsam beherrschte. Die Schokolade, die sie sich genommen hatte, fiel in die Schachtel zurück.

Auf ihren Lippen zitterte ein heroisches Lächeln, als sie zu dem starren Gesicht des großen, stattlichen Mannes aufsah. »Also morgen, Großpapa,« sagte sie leise, und ihr Blick flehte ihn an, sich ihrer Abmachung zu erinnern.

Er beugte sich zu ihr herab, bis seine Augen auf gleicher Höhe mit den ihren waren. Sie rührte ihn nicht an, ihre ganze Kraft ging auf in dem Bemühen, sich zu beherrschen.

»Ich habe deine Mutter gebeten,« sagte Herr Evringham, »eine Zeitlang hierzubleiben und Ferien zu nehmen. Hat sie dir nichts davon gesagt?«

Juwel schüttelte stumm den Kopf.

»Ich denke, sie geht darauf ein, wenn du ihr auch zuredest,« fuhr der Makler ruhig fort. »Sie bedarf der Ausspannung, – und du würdest natürlich mit hierbleiben, um sie zu pflegen.«

Wie ein Lichtstrahl huschte es über das tränenbenetzte Gesicht. Herr Evringham erwartete, sie werde ihm um den Hals fallen. Statt dessen wandte sie sich um, lief auf ihren Vater zu und sprang auf seinen Schoß.

»Vater, Vater,« rief sie, »sollen wir denn nicht mit dir gehen?«

Harry räusperte sich. Die kleine Szene hatte auch ihm die Augen feucht gemacht. »Liegt dir denn etwas an mir?« fragte er und bemühte sich, einen scherzhaften Ton anzuschlagen.

Juwel umarmte ihn zärtlich. »Ach, Vater,« sagte sie ernst, »das weißt du doch; und der einzige Grund, weshalb ich meinte, du würdest dich nicht so gut auf Essex Maid machen, ist, daß Großpapa einen so wunderschönen Reitanzug hat, in dem er aussieht wie ein König. Du könntest nie wie ein König aussehen in dem Anzug, den du auch im Geschäft trägst, nicht wahr, Vater?«

»Unmöglich, mein Liebling.«

»Aber du sollst die Maid reiten, wenn du es gern möchtest, und Mutter und ich wollen mit dir nach Chicago gehen, wenn du sonst traurig wirst.«

»So, wollt ihr das wirklich?«

Juwel zögerte, wandte dann den Kopf und hielt Herrn Evringham die Hand hin, die er ergriff. »Wenn Großpapa dann nicht traurig wird,« antwortete sie. »Ach, ich weiß gar nicht, was ich eigentlich möchte. Ich wollte, ich wäre nicht so gern mit euch allen zusammen.«

Auf dem kleinen Gesicht malte sich so deutlich die Schwierigkeit, diese Aufgabe zu lösen, daß der Makler waghalsig mit einem Vorschlag herausplatzte, den er in seinem sorglich durchdachten Programm ungefähr drei Monate hinauszuschieben geplant hatte, vorausgesetzt, daß eine nähere Bekanntschaft mit seiner Schwiegertochter ihm keine Enttäuschung bringen würde.

»Du hängst wohl nicht allzusehr an Chicago, Harry?«

Der junge Mann sah überrascht auf. »Nein, das gerade nicht. Bisher hat Chicago mich wie ein Mittelding zwischen einem herrenlosen Hund und einem Stiefkind behandelt; aber ich werde mich auch dort zufriedengeben, wenn ich erst Erfolg habe.«

»Und wenn du nicht dort nach Erfolg suchtest,« sagte der Makler mit etwas belegter Stimme, »sondern hier?« –

Harry schüttelte den Kopf. »Newyork ist mir unerreichbar. In Chicago habe ich wenigstens Fuß gefaßt.«

»Jawohl,« fuhr der Makler fort, der als geborener Newyorker Verachtung für die Stadt der Winde hegte, »ich weiß, daß du in Chicago Fuß gefaßt hast, aber zieh' ihn weg, den Fuß.«

»Himmel, willst du mich wieder zum rollenden Stein machen?«

»Nein, ich will dir einen Platz verschaffen. – Wenn du an dem nicht Moos ansetzest, kannst du dich selbst als Langohr unterschreiben.«

Harrys Blick wurde hell; er richtete sich auf und schob Juwel ein wenig zur Seite, um seinen Vater besser sehen zu können. »Ist das dein Ernst?« fragte er erregt.

Der Makler nickte. »Laß dir Zeit, um deine Angelegenheiten in Chicago zu ordnen,« sagte er. »Wenn du hier im September eintriffst, ist es früh genug.«

Der junge Mann richtete den Blick auf seine Frau, die sein Lächeln freudig zurückgab. Das Herz klopfte ihr laut. Dieser einflußreiche Mann, vor dem sie bis zum heutigen Morgen solche Scheu empfunden hatte, stand im Begriff, ihrem alten Leben ein Ende zu machen und ihnen ihre Sorgen abzunehmen. Soviel erkannte sie blitzartig, daß es auch der Kleinen wegen geschah, deren Wangen wie Rosen glühten, während sie von einem zum andern schaute und die Glücksverheißung in sich aufnahm, die in den Worten der beiden Männer lag.

»Vater, kommst du hierher zurück?« fragte sie erregt.

»Das täte ich nur zu gern, Juwel,« erwiderte er.

Sie lehnte sich zu dem alten Herrn hinüber, dessen Hand sie noch festhielt. Glückseliges Leuchten strahlte ihr aus den Augen.

»Großpapa, sollen Vater, Mutter und ich mit dir zusammenbleiben, – immer?« fragte sie begeistert.

»Immer –, wenn ihr wollt, Juwel.«

Es war nicht seine Absicht gewesen, dies vor dem Herbst auszusprechen, wenigstens nicht, ehe er sich fest überzeugt hatte, daß er seinen Kopf nicht in eine Schlinge stecke; aber das Gesicht der Kleinen lohnte es ihm jetzt tausendfältig und versüßte ihm diesen Augenblick so sehr, daß kein Bedauern aufkam.

»Wußten wir nicht, daß die göttliche Liebe für uns sorgen würde, Großpapa?« fragte sie mit leisem Triumph. »Wir wußten es wohl – auch, als ich weinte, wußten wir es, nicht wahr?«

Der Makler sonnte sich in ihrem aufwärts gerichteten Blick und legte auch die andere Hand über die kleinen Finger, die ihn so festhielten.


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