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Toko erwachte erst, als die Sonne schon hoch am Himmel stand.
Von dem Erlebten erzählte ich ihm nichts, es war mir nicht möglich, davon zu sprechen.
Er war um unser Boot besorgt, und wir gingen zusammen zum Strande, um uns danach umzusehen.
Es lag noch, wie wir es verlassen hatten, und Toko vertäute es fester.
Als ich gegessen hatte, sah ich, wie er die Nasenflügel blähte. Er saß auf der Reling und schnupperte den leisen Südwind.
»Schildkrötenwetter?« fragte ich, und er nickte beseligt.
Ich überließ ihn seiner Leidenschaft. Wir konnten das Boot ruhig verlassen, denn hier war keine Brandung, das Meer glitt wie eine Liebkosung über den flachen Strand; und wer sollte es rauben, hier, wo außer Toko und mir keine Menschen aus Fleisch und Blut waren?
Wir vereinbarten, daß wir uns beim Boote treffen wollten. Wie weit er auch herumschweifte, den Ort am Strande würde er schon wiederfinden.
Er folgte der Sonne längs des Strandes. Kaum aber war er hinter der Rundung der Küste verschwunden, als ich zu der Stelle zurückkehrte, wo ich vorhin gelegen hatte.
Spähend schlenderte ich von Anhöhe zu Anhöhe. Ich hatte keinen Blick für die Blumen, keinen Gedanken für die duftenden Wiesen. Ich suchte nur nach ihr.
Ich wollte gar nicht glauben, daß es Ali gewesen war. Denn es war ja unmöglich, daß ich sie nicht gleich das erstemal erkannt hatte, als sie mir auf dem Bergpfade, mit dem Licht in der Hand, entgegenkam! Gewißheit aber wollte ich haben.
Ich sah die schwebenden Gestalten, doch beständig in der Ferne; entweder flüchteten sie vor mir – es bestand ja, wie ich wußte, eine merkwürdige Gemeinsamkeit zwischen ihnen, was dem einen zustieß, schien auch den anderen zu treffen – oder sie wurden auf der anderen Seite der Insel von irgend etwas gefesselt.
Am Ufer eines Sees sah ich eine Schar gelagert. Ich ging so nah wie möglich an sie heran, mit ausgebreiteten Armen, indem ich meinen Zügen einen Ausdruck von ruhiger Freude zu geben versuchte.
Sie wandten sich um, mit forschenden Blicken –
Durch Erfahrung klug gemacht, blieb ich stehen, sobald ich Anzeichen von Scheu bemerkte.
Mütter waren unter der Schar, mit Kindern auf dem Arm. Unter ihnen suchte ich am eifrigsten. Kaum aber bemerkten sie es, als sie die Kleinen mit ihren Armen verdeckten, als fürchteten sie ›meinen bösen Blick‹.
Das stimmte mich unsagbar traurig, und ich verbarg meinen Kummer nicht. In ihren Augen meinte ich Mitleid zu lesen, die, die ich suchte, aber blieb mir fern.
Mein Gemüt war tief beschwert. Und ich fühlte die Niedergedrücktheit um so stärker, als alles um mich her leicht und spielend war – die Anhöhen so schimmernd grün, die Blumen so bunt leuchtend, mit ihren Edelsteinaugen und Bechern voller Sonnentropfen und Wohlgeruch, die Wiesen so duftend, die Seen so blinkend, und der Himmel so hoch und klar, wie ich ihn nie geträumt hatte.
Es wurde Abend.
Die Sonne verweilte einen Augenblick in der Dämmerung, als ob sie sich von dem Anblick ihres herrlichen, neugeschaffenen Werkes nicht zu trennen vermöchte.
Mein Schatten wurde immer länger, er reichte bis ans Meer; soweit mein Auge sah, konnte ich auf der Insel nichts anderes Dunkles sehen, was das zögernde Licht aufhielt.
Sanfter Nebel erhob sich auf den Wiesen. Ich sah die lichten Menschenwesen, nach denen ich mich mit ganzer Seele sehnte, angeschwebt kommen. Ihre langen Schleier vereinigten sich mit den leichten Nebeln, bis das Ganze ein einziges bewegtes Lichtwesen zu sein schien, – Glück ohne Schatten, in schattenlosen Gemütern, die jenseits der Wiesen in den Armen sanft ansteigender Höhen Ruhe suchten.
Aus dem entschwindenden Nebel löste sich die Schar. Am Wiesensaum sah ich sie Ruhe suchen, zwei und zwei oder drei und vier. Sie verschwanden hinter dem Abhang, und schließlich war alles um mich her leer geworden.
Da suchte auch ich mir einen Ruheplatz und schlief sofort ein.