Laurids Bruun
Van Zantens wundersame Reise
Laurids Bruun

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4. Im Gemach der Königin

Der Fahrstuhl hielt. Die Tür sprang auf, und der Führer schob uns in einen halbrunden Saal, dessen Rundwand ganz aus Glas war.

Hinter dem Glase starrte uns ein trostloses Grau entgegen, eine Öde, in der hellere und dunklere Schatten wogten, als ob wir uns auf einer Zinne befanden, die bis in die Wolkendecke ragte.

Der Saal schien leer zu sein und war ohne Zweifel der oberste Raum des Turmes, denn mitten in der gewölbten Decke befand sich ein Loch, wie ein Ochsenauge in einer Schiffswand; es war mit Schrauben verschlossen, und darunter stand auf einem hohen Stativ ein Drehteleskop, dessen Rohr offenbar genau in die Öffnung hineinpaßte.

Im Saal befanden sich eine Menge seltsamer Instrumente, mit Leitungen durch den Boden und längs der Wände. Der Saal war mit niedrigen, langgestreckten, bequemen Stühlen möbliert, und mit Tischen, auf denen kleine Apparate und Gegenstände standen, deren Bestimmung mir schleierhaft war; überall aber lagen in kostbaren, schimmernden Schalen dieselben Stangen wie die, von denen die Menschen auf der Straße abgebissen hatten.

Ein Laut. Ich wandte den Kopf. Ein Gesicht reckte sich über die Rückwand eines Arbeitstisches an der Glaswand, den ich noch nicht bemerkt halte.

Ein Frauengesicht, nicht grau wie das der anderen Nebelbewohner, sondern weiß wie poliertes Elfenbein. Die Brauen ein mattgoldener vollendeter Bogen; die Nase leicht geschwungen, kühn, edel; die Mundlinie schmal und gespannt wie eine gehärtete Saite. Nichts Sanftes, nichts Unbestimmtes und dennoch leuchtete etwas Weibliches aus den großen nebelgrauen Augen, die von Willen und Herrschergeist ohne Fehl sprachen.

Die elastische Linie des schmalen Körpers wurde von einem weißen Kittel aus einem wunderbar glänzenden Stoff halb verborgen. Schmale, seltsam greifende, gnadenlose Hände. Alles vereint ein Kunstwerk, von einer göttlichen Hand zu einem Instrument geformt, auf dem eine überlegen weibliche Intelligenz unter dem Hochdruck ihres Eigenwillens spielte.

Das war mein erster Eindruck von der Königin der Nebelinsel und er veränderte sich nicht.

Indem sie lautlos auf dem elastisch zurückweichenden Teppich auf uns zukam, wurde Toko Opfer seines Rasseinstinktes: er warf sich vor der Macht auf die Erde, indem er den Teppich mit seiner Stirn berührte.

Sie schob ihn beiseite, indem ein Schimmer von Unwillen über ihre Züge glitt, bei einem Anblick, der ihr offenbar ungewohnt war. Darauf blieb sie vor mir stehen und musterte mich scharf.

Kurze, melodische Laute sprangen ihr auf eigentümlich sprudelnde Weise von den schmalen Lippen.

Ich schüttelte lächelnd den Kopf, aber sie erwiderte mein Lächeln nicht. Mit einem Ausdruck wie ein Gelehrter, der ans Experimentieren geht, wandte sie sich dem nächststehenden kleinen Tisch zu und ließ ihre Finger über ein Instrument spielen, das wie eine Rechenmaschine aussah, mit Tasten und Zeichen. Ich sah gleich, daß es dasselbe Instrument war, das der Untersuchungsrichter und alle anderen an der linken Seite ihres Kittels trugen, nur größer.

Kaum hatte sie die Tasten angeschlagen, als ein Filmbild vor meinen Augen in der Luft stand. Und in schneller Folge kamen andere, die mich, sie, Toko, die Wache zeigten.

Ich begriff, daß sie Fragen stellte, aber ich konnte die Fragen nicht deuten, noch wußte ich, wie ich sie beantworten sollte.

Ich warf einen Blick auf Toko; obgleich sein Blick auf die Bilder gerichtet war, schien er doch nichts zu sehen.

Plötzlich fuhr er mit einem Schrei des Entsetzens einige Schritte zurück, als ob er auf seiner heimatlichen Insel einem bösen Geist begegnet sei. Und im selben Augenblick sah ich an seinen wild starrenden Augen, daß der Apparat auf ihn eingestellt worden war. Jetzt begriff ich, daß die Bilder, die ich vom Fahrstuhl aus kreuz und quer durch die Straßen eilen gesehen hatte, Mitteilungen eines ähnlichen Apparates gewesen waren, der auf alle eingestellt war – wahrscheinlich waren es Anzeigen oder öffentliche Bekanntmachungen gewesen.

Als die Königin Tokos Entsetzen sah und ich noch immer den Kopf schüttelte, erhob ste sich von dem Tisch mit dem Instrument und ergriff – wie ein Gelehrter, der zu einem anderen Versuch übergeht – von einem anderen Tisch eine große Brille, die an einer runden Metallplatte befestigt war, mit einer Hörfläche an jeder Seite.

Sie trat an mich heran, legte die Spange über meinen Kopf, so daß die Hörflächen dicht vor meinen Ohren waren, und schob die Brille vor meine Augen.

Ebensolchen Apparat befestigte sie auf ihrem eigenen Kopf, brachte darauf die Leitungsdrähte beider Apparate miteinander in Verbindung, und im selben Augenblick sah ich ihr Gesicht mit den nebelhaften Augen und den schmalen Lippen vergrößert ganz dicht vor mir.

Kaum hatte sie, den Blick auf den meinen geheftet, einige Worte in ihrer eignen Sprache zu mir gesagt, als das Verständnis derselben mir auf unbegreifliche Weise durch den Kopf vibrierte – teilten ihre Augen, ihre Lippen, ihr Gehirn es mir mit? Was weiß ich? Nur so viel wußte ich, daß das Verstehen nicht durch Worte ihrer noch meiner Sprache zu mir kam, sondern wie eine Empfindung, ein Gedankenblitz, der noch nicht in Worte geformt war.

Mein Auge in das ihre gesenkt, antwortete ich in meiner Sprache und las in ihrem Blick dasselbe unmittelbare Verständnis, das in mir aufgelebt war. Wir besaßen jetzt also eine gemeinsame Sprache.

Kaum hatte sie sich überzeugt, daß die Verbindung tadellos funktionierte, als sie wieder mit den Fingern über den Apparat auf dem Tische fuhr. Und jetzt begleitete sie jeden Satz und Gedanken, den sie mir durch den Lautapparat auf ihrem Kopfe mitteilte, durch lebende Bilder.

Das Resultat war erstaunlich.

Da ich zu den Bildern die Erklärung gleichzeitig durch den Hörapparat bekam, dauerte es nicht lange, bis ich mir mit größter Leichtigkeit das Lesen der Bilder auch ohne die ›Übersetzung‹ des vermittelnden Hörapparates angeeignet hatte.

Und bevor die Tage verstrichen waren, von denen ich jetzt erzählen will, hatte ich es so weit gebracht, daß ich mich fließend in der Sprache der lebenden Bilder unterhalten konnte, ohne etwas von der Sprache der Nebelbewohner zu verstehen, nur mit Hilfe des Fingerapparates, der auch mir an der linken Seite des Kittels befestigt worden war.

Was geschah bei meiner ersten Begegnung mit der Königin der Nebelinsel, nachdem die Verbindung zwischen uns hergestellt worden war?

Sie fragte mich, woher wir stammten und wie wir in das Bassin geraten seien.

Ich dachte an unser Boot, das in der Höhle festgeklemmt lag – unsere einzige Möglichkeit zu entkommen, falls ihre Absichten sich als feindlich erweisen sollten.

Ich gab mir den Anschein, daß ich sie nicht verstand und mich nicht verständlich machen konnte, bis ich mir eine Geschichte ausgedacht hatte: ich sei Forschungsreisender und hätte einen großen Dampfer in einem Boot verlassen, um durch die Schären zu der unbekannten Insel mit dem steilen Vorgebirge zu gelangen. Eine Welle aber habe uns gegen den Fuß der Felsen geworfen und das Boot zerschellt, so daß wir uns mit knapper Not auf einen Felsenvorsprung gerettet und von dort um die Felsspitze über steile Wege vorwärtsgekämpft hätten. Dort hatten wir Menschen gesehen und uns vor ihnen versteckt, des Nachts aber hatten wir Schutz in der dunklen Halle gesucht, wo man uns entdeckt hatte. Von dort waren wir durch das Ventil gekrochen und hatten das Bassin durchsucht, um einen Ausgang zu finden. Da es uns aber nicht glückte, waren wir auf demselben Wege zurückgekehrt, und die Wache, von einem Aufseher alarmiert, habe uns gefangen genommen.

Sie hörte mich ruhig bis zu Ende an und gab mir dann zu verstehen, daß sie mir kein Wort glaube.

Die Erklärung unserer Herkunft sei schon deshalb erdichtet, weil es außerhalb der Insel in ihrem Vorgebirge überhaupt nichts in der Welt gäbe außer Nebel und was aus ihm entstanden sei. Da wir nicht zu den Nebelbewohnern gehörten, mußten wir naturnotwendig vom Berge sein.

Daß sie nicht ahnte, was ein Boot sei und meine Erklärung auch in diesem Punkte ablehnte, begriff ich erst später, als ich erfuhr, daß das Meer für die Nebelbewohner ein Urelement sei, dessen Kraft man seit undenklichen Zeiten ausnutzte. Man hatte die Insel mit einem Aufnahmenetz umgeben, durch das der Wellenschlag zu dem künstlichen Licht umgesetzt wurde, das das Leben und die Arbeit im Nebel erforderte. Im Nebelmeer gab es als Ernährung für Menschen nur die Weichtierkeime, die, unempfänglich gegen die mächtigen elektrischen Wirkungen des Aufnahmenetzes, in die Schären hinter das Netz hineindrängen, wo sie sich festsetzten und zu eßbaren Seetieren entwickelten. Da die Rücksicht auf die staatliche Gewinnung dieser vornehmsten Ernährungssubstanz, und die Gefahr, die damit verbunden war, ein Gesetz von der Unverletzbarkeit der Küste seit langem benötigt hatte, waren Boote ein Begriff, den man nur aus prähistorischen Sagen kannte. Welchen stichhaltigen Grund konnte ich dafür angeben, daß man ein inselloses Meer befuhr, ohne Ernährungsmöglichkeit und ohne Ende?

Somit gehörten wir also zum Vorgebirge. Dieses aber war von der eigentlichen Nebelinsel durch eine hohe Mauer getrennt, und mit den rohen und elenden Bewohnern des Berges unterhielten die Nebelbewohner keine Verbindung, bestanden jene doch ausschließlich aus Personen oder Nachkommen von solchen, die wegen eines Vergehens gegen die Gesetze der Nebelinsel dazu verdammt worden waren, ihr Leben auf dem unfruchtbaren und barschen Felsen zu fristen.

Die Frage war und blieb nun, was wir mit unserem Eindringen beabsichtigten. Bis das aufgeklärt sei, würden wir in Gewahrsam gehalten werden und unser Schicksal unentschieden bleiben.


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