Laurids Bruun
Van Zantens wundersame Reise
Laurids Bruun

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7. Die Höhle mit den lebenden Wänden

Ich ergab mich in mein Schicksal, halb betäubt von der wirbelnden Fahrt durch den schmalen Tunnel, bis ich mit dem Kopf gegen eine runde Kante stieß.

Endlich, dachte ich, und hielt mich mit Händen und Füßen fest, – in der Annahme, daß die Reise zu Ende sei und ich mich bald wieder unter freiem Himmel befinden würde.

Die Kante aber gab nach, die Wand wich zurück, und statt vorwärts wurde ich jetzt nach unten gezogen, in einen Raum, der mir wie ein endloses und unbegrenztes Dunkel schien, bis meine Augen einen Lichtschein unterschieden, der aus Flammen und Rädern zu bestehen schien.

Die Geschwindigkeit nahm ab; mir ahnte ein Widerstand von Luftblasen, die mich hochhielten, oder von Geweben, die mich einspannten.

Der Lichtschein wurde heller, Figuren hoben sich davon ab, die in einem lebendigen Wechsel kamen und gingen.

Plötzlich wurde es mir klar, daß es eine Wand sei, die phosphoreszierte. Das zitternde Licht zeigte einen faltigen Untergrund, als ob die Wand mit einem phantastischen Gobelingewebe bekleidet sei, dessen Fäden wie lebendige Fühlhaare waren.

Die Hitze war so groß, daß ich glaubte, ich sei in das Innere eines kaum erloschenen Kraters geraten, dessen Schlacken und Dämpfe die Wärme noch festhielten. Doch gewöhnte ich mich schnell daran, während ich im Raum hing, hingestreckt auf ein weiches Lager, ohne zu ahnen, wovon ich getragen wurde.

Ich wurde hierhin und dorthin gefühlt. Bald hatte ich die Wand zur Rechten, bald zur Linken, bald geradevor, bald hinter mir; sah ich nach oben, konnte ich durch eine lebende, bewegliche, halb durchsichtige Masse eine gewölbte Decke unterscheiden, – und blickte ich nach unten, begegnete mein Auge auch dort der beweglichen Masse und darunter einem Boden, der sich nach oben wölbte.

Die Höhle, in der ich mich befand, war also entweder eine Kugel oder ein eiförmiger Raum.

Indem mein Auge sich an die seltsame Phosphordämmerung gewöhnte, konnte ich Wesen unterscheiden, die sich ebenso wie ich hin und her bewegten, doch ohne umrissene Linien, die bestimmte Vorstellungen zuließen.

Nach und nach kam mehr Ruhe in die Bewegungen. Es war, als ob ich an einer gedrehten Schnur hinge, die im Begriff war, sich in ihre Gleichgewichtslage zurückzudrehen; je ruhiger die Bewegungen wurden, desto mehr näherte ich mich der Wand.

Schließlich kam ich ihr so nah, daß ich die einzelnen Fäden des Gewebes unterscheiden konnte. Sie bewegten sich, als ob sie wirklich Fühlhaare seien, die nach den schwebenden Nebelgestalten im Raum griffen, auch nach mir, als ob sie trotz ihrer Kleinheit den Versuch machten, uns einzusaugen und festzuhalten.

Da plötzlich glühte das Licht zu einer Phosphorsonne auf, und ich sah zu meinem grenzenlosen Erstaunen, daß die Fäden Arme waren, winzige Menschenarme, von Wesen ausgestreckt, die in den Maschen des Gobelingewebes wie in kleinen Käfigen gefangen saßen, aus denen nur die Arme heraussteckten.

Wie lange ich so geschwebt habe, weiß ich nicht, nach und nach aber durchkribbelte mich die Wärme wie ein Wohlbehagen, und während das Blut mir durch alle Adern prickelte, wurde dieses Wohlbehagen zu einem Sehnsuchtsgefühl nach der Wand, die beständig nahe kam und wieder entwich, – so heftig wurde diese Sehnsucht, daß ich mit der ganzen Kraft meines Wesens die ausgestreckten Arme zu fassen versuchte.

Jedesmal, wenn ich auf die Wand zuschwang, wurde mein Blick klarer, und die Gestalten deutlicher, – es waren Frauengestalten. Indem meine Sehnsucht mich näher und näher trieb, nahmen diese Wesen vor meinen Augen sowohl an Größe wie an Deutlichkeit zu, bis ich schließlich ganz deutlich in den Maschen Gesichter unterschied, lachende und betrübte, in buntem Durcheinander; und von diesen Gesichtern schlug mir dieselbe Hitze entgegen, die ich auf sie ausströmte.

Plötzlich klang ein ferner, seiner Laut durch den Raum. Er begann wie das Sausen von Vogelschwingen in der Dämmerstunde, wurde dann zu einem Geräusch, als ob eine Schar Knaben und Mädchen zum Klange von Dorfviolinen und Klarinetten über eine Wiese angetanzt kämen.

Je stärker der Laut wurde, desto wilder wurde er auch. Schließlich war es wie eine Tanzmusik von lauter seltsamen Instrumenten, schreienden, gurgelnden, glucksenden, pfeifenden, mit Tierstimmen und Menschenstimmen vermischt.

Es war, als ob alle Laute von der Insel der Dämmerung sich in diesem merkwürdigen Tanzsaal auf dem Grunde eines erloschenen Vulkans ein Stelldichein gegeben hätten. Erloschen? Stand nicht eher ein Ausbruch bevor? Diese Hitze – diese brennende Sehnsucht?

Es war, als ob die Masse, in der ich schwebte, sich an der Wand vor mir zusammenklumpte, als ob sich dort etwas in bestimmten Umrissen loslöste und vor einer Öffnung drängte, die ich noch nicht gesehen hatte.

Plötzlich sah ich, daß es lebende Wesen waren, Paar für Paar, die sich in dem Raum mit dem phosphoreszierenden Licht drängten; sie tanzten im Takt zu der merkwürdigen Musik.

Zuerst sah ich sie wie durch das Sehfeld eines umgedrehten Opernglases, klein, huschend, je näher sie kamen, desto größer aber wurden sie vor meinen Augen, und auch die Musik, deren Ursprung ich nicht finden konnte, wurde lauter und wilder. Schließlich war der Raum um mich herum voll von seltsamen Tanzpaaren.

Ich erkannte Gestalten aus dem hastenden Strom der grauen Dahingegangenen, wie ich sie zwischen den Stämmen im Walde gesehen hatte. Ich erkannte sie an den Gewächsen, die im Tanze zitterten, an den entstellten Gesichtszügen.

Über allen lag eine zunehmende Hingabe an das, was das Eigengepräge jedes einzelnen war, – das strotzende Gewebe wurde immer strotzender, das schlaffe immer schlaffer, das fahle immer fahler, das rote immer röter, das stechende immer stechender. Und das Merkwürdige an dem Tanz war, daß zwischen den Partnern gar kein Zusammenklang zu sein schien, kein gemeinsamer Takt, sondern sie schienen eher durch denselben Grad von Leidenschaft oder Lust, womit jeder sich seiner besonderen Laster oder seiner schlechten Gewohnheit hingab, zusammengewürfelt zu werden; nur in diesem Sinne schien ein Zusammenhang zwischen den tanzenden Paaren zu bestehen. Und auf diese Weise erreichten sie trotz der verschiedenen Tanzschritte dennoch einen gewissen gemeinsamen Takt, der mit dem Klang der Instrumente, dem Spiel der Phosphorlichter an den Wänden und dem phantastischen Halbdunkel des Raumes übereinstimmte.

Während jeder einzelne der Tanzenden, ob er einen Partner hatte oder die Tanzschritte allein ausführte, sich tanzend in unheimlicher Weise befleißigte, das zu vervollkommnen, wozu das Leben ihn gemünzt hatte, lag über allen ein qualvoller Ausdruck der Zufriedenheit, ja, des Triumphes über die Erniedrigung, an die Siegerfreude dessen erinnernd, der eine Sache gut zu Ende geführt hat.

Dieser gemeinsame Ausdruck war so lebendig, daß ich bei mir dachte: Das war's also, wonach ihr gestiebt habt, das war's, was euch so ruhelos vorwärtsgetrieben hat – die Vervollkommnung der Dunkelheit, der Dunkelheit, die aus jedem von euch das Licht verdrängt hat.

Ich blickte mich nach der Öffnung in der Wand um und dachte: Dort mußt du hin, wenn du wieder heraus willst. Doch das Verlangen herauszukommen war nicht mehr so stark in mir; die Lust, die lebenden Arme an den Wänden zu erreichen, war stärker.

Während ich mich zwischen den Paaren durchzudrängen versuchte, ohne daß jemand Notiz von mir nahm, bemerkte ich, wie ein Dahingegangener der Wand zu nahe kam, und von zwei Armen eingefangen wurde, die sich um ihn schlossen.

Und indem ich mich mit einer letzten Kraftanstrengung der Wand ganz zu nähern versuchte, sah ich eine nackte Frau in blendendem Phosphorglanz sich aus der Masche lösen und mit ausgebreiteten Armen auf mich zuschwingen.

Und seltsam! Als das Licht über ihr Gesicht spielte, war es auch diesmal, als sei es Alis Blick und Alis Lächeln, wie an jenem Abend, als sie zuerst die Arme nach mir ausstreckte.

Alles verschwamm vor meinen Augen. Ich fühlte mich von Flammen ergriffen, es war, als ob ein vulkanischer Schoß sich um mich schloß, ein Schmelzofen mich umfing.

Schmerz war nicht damit verbunden, sondern nur ein atemloses Entsetzen, gegen das ich mit aller Gewalt ankämpfte. Die furchtbare Hitze vergewaltigte Körper, Gemüt und Gehirn.

Schließlich gab ich allen Widerstand auf. Kaum aber hatte ich mich gefügt, als ich merkte, wie der Griff sich lockerte: ich konnte mich wieder bewegen, wieder frei atmen. Das Phosphorlicht war erloschen; ich schwebte in tiefer Finsternis, während ein unsichtbares Gewimmel um mich herum war.

Jetzt ertönte ein hohles Dröhnen, das die Luft erzittern machte. Ich stieß gegen eine Wand, die wie im Krampf erbebte, wurde zwischen Wesen gewirbelt, die über und unter mir taumelten.

Wieder erbebte der Raum, und ich wurde gegen eine andere Wand geworfen, die ebenfalls erzitterte. Darauf wurde ich mit der übrigen lebendigen Masse gegen die Öffnung gepreßt, von wo ein schwacher Luftzug in den Raum drang.

Meine Hand stieß gegen eine schleimige, abgerundete Kante; mit Händen und Füßen klammerte ich mich daran fest und wurde zwischen andere Wesen geklemmt, die auch hinausdrängten.

Während ich so stand, begann der ganze Raum zu beben. Die Kante, an die ich mich klammerte, wich zurück, ich war gezwungen, sie loszulassen, wurde aber gleichzeitig von einem gewaltigen Luftstoß aus dem Grunde der Höhle herausgestoßen.

Plötzlich spürte ich frische Luft auf meiner Stirn und, den Kopf nach unten, preßte ich mich durch eine schmale Öffnung ins Freie.


 << zurück weiter >>