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Zweiundzwanzigste Betrachtung. Vorbeugende oder heilende Behandlung der Fettleibigkeit.

Vor etwa zwanzig Jahren hatte ich eine Abhandlung ex professo über die Fettleibigkeit niedergeschrieben, von der namentlich der Verlust der Einleitung zu bedauern sein dürfte. Sie war in dramatischer Form abgefaßt und ich bewies darin einem Arzte, daß das Fieber weit weniger gefährlich ist als ein Proceß, denn dieser letztere macht den Kläger, nachdem er ihn zum Laufen, Warten, Lügen und Fluchen verführt und ihn seiner Ruhe, seines Friedens und seines Geldes beraubt hat, zum Schlusse auch noch krank und wirft ihn aufs Sterbebett: eine Wahrheit, die der Verbreitung so gut werth ist wie jede andere.

106. Ich beginne mit der Anführung einer Thatsache, welche beweist, daß Entschlossenheit dazu gehört, wenn man sich vor der Fettleibigkeit bewahren oder von ihr heilen will.

Herr Louis Greffulhe, der später von Sr. Majestät in den Grafenstand erhoben wurde, suchte mich eines Morgens auf und sagte mir, er habe gehört, daß ich mich viel mit der Fettleibigkeit beschäftigt hätte, und da er sehr von diesem Uebel bedroht sei, so bitte er um meine Rathschläge in dieser Hinsicht.

»Mein Herr,« erwiderte ich ihm, »ich bin kein concessionirter Arzt und könnte Sie daher abweisen. Dessen ungeachtet stehe ich Ihnen zu Diensten, aber unter einer Bedingung: Sie müssen mir Ihr Ehrenwort geben, daß Sie einen Monat lang mit peinlichster Genauigkeit die Lebensart führen wollen, die ich Ihnen vorschreiben werde.«

Herr Greffulhe leistete das verlangte Versprechen mit einem Handschlage und am andern Tage händigte ich ihm mein Fetwa ein, laut dessen erstem Artikel er sich zu Beginn und zu Ende der Cur wiegen lassen sollte, damit eine mathematische Basis für die Feststellung des Ergebnisses gewonnen werde.

Nach Monatsfrist suchte Herr Greffulhe mich abermals auf und hielt mir ungefähr folgende Rede:

»Mein Herr, ich bin Ihrer Vorschrift nachgekommen, als ob mein Leben davon abhinge, und habe festgestellt, daß mein Körpergewicht sich im Laufe dieses Monats wirklich um drei Pfund und sogar noch etwas mehr vermindert hat. Um jedoch zu diesem Resultate zu gelangen, habe ich allen meinen Neigungen, allen meinen Gewohnheiten die größte Gewalt anthun müssen, mit einem Wort, habe ich so viel gelitten, daß ich, indem ich Ihnen für Ihren guten Rath danke, doch auf das Gute verzichte, das für mich daraus entspringen kann, und mich für die Zukunft dem anheimgebe, was die Vorsehung über mich bestimmen wird.«

Nach diesem Entschlusse, den ich nicht ohne Betrübnis anhörte, kam denn auch, was kommen mußte. Herr Greffulhe wurde von Tag zu Tag dicker, erduldete alle üblen Folgen der hochgradigsten Fettleibigkeit und starb, kaum vierzig Jahre alt, an einem Stickflusse, von dem er befallen worden war.

Allgemeines.

107. Jede Behandlung der Fettleibigkeit muß mit der Befolgung nachstehender drei Vorschriften der absoluten Theorie beginnen: Mäßigkeit im Essen, Enthaltsamkeit im Schlafen, Bewegung zu Fuß oder zu Pferd.

Das sind die ersten Hilfsmittel, welche uns die Wissenschaft bietet. Doch zähle ich sehr wenig darauf, weil ich die Menschen und die Dinge kenne, und weil jede Vorschrift, die nicht buchstäblich befolgt wird, ohne Wirkung bleibt.

Nun gehört aber erstens viel Willenskraft dazu, um die Tafel zu verlassen, so lange man noch Appetit verspürt, denn so lange dies Bedürfnis anhält, zieht ein Bissen mit unwiderstehlicher Gewalt den andern nach sich, und in der Regel ißt man, so lange man Hunger hat, trotz der Aerzte und sogar nach dem Beispiel der Aerzte.

Zweitens: den Fettleibigen frühes Aufstehen vorschreiben, heißt ihnen das Herz brechen. Sie behaupten, ihre Gesundheit leide darunter, wenn sie früh aufständen, seien sie den ganzen Tag über zu nichts zu gebrauchen, und die Frauen insbesondere klagen, sie bekämen davon blaue Ränder um die Augen. Alle wollen bis tief in die Nacht aufbleiben und dafür bis in den hellen Tag hinein schlafen. Auch dies Mittel geht uns also verloren.

Drittens: das Reiten ist eine kostspielige Arznei, die weder für jeden Stand, noch für jedes Vermögen paßt.

Rathet einer hübschen dicken Dame an, sie solle reiten, so wird sie mit Freuden einwilligen, aber unter drei Bedingungen: erstens, daß sie ein zugleich schönes, feuriges und doch sanftes Pferd erhält, zweitens, daß ihr ein Reitkleid nach der neusten Mode bewilligt wird, und drittens, daß man ihr einen liebenswürdigen und hübschen Stallmeister zum Begleiter giebt. Da nun aber alle diese Dinge nur selten auf einmal zu haben sind, so reitet man eben nicht.

Gegen das Fußgehen werden andere Einwände erhoben: man wird dabei todtmüde, man schwitzt und bekommt Seitenstechen, der Staub ruinirt die schönen Strümpfe, die Steine zerfetzen die feinen Stiefelchen – man kann es unmöglich durchführen! Und wenn nun gar während dieser mannichfachen Versuche der leichteste Anfall von Migräne auftritt, oder nur ein Bläschen von der Größe eines Stecknadelkopfs auf der Haut erscheint, so legt man es sofort der Curmethode zur Last, läßt sie fallen und bringt den Doctor zur Verzweiflung.

Wenn daher auch feststeht, daß jeder, der seine Körperfülle vermindert zu sehen wünscht, mäßig essen, wenig schlafen und sich soviel wie möglich Bewegung machen muß, so sieht man sich doch genöthigt, sich nach einem andern Mittel umzusehen, um zum Ziele zu gelangen. Und allerdings giebt es eine unfehlbare Methode, die Corpulenz an ihrer Weiterentwickelung zu verhindern oder sie zu vermindern, wenn sie bereits das zulässige Maß überschritten hat. Diese auf den sichersten Ergebnissen der Physik und der Chemie beruhende Methode besteht aber ganz einfach in einer zweckdienlichen und angemessenen Diät.

Die Diät ist von allen Mitteln der Arzneiwissenschaft das erste und das bedeutendste, weil sie ohne Aufhören, Tag und Nacht, während des Wachens und während des Schlafes, ihre Wirkung übt, und weil diese Wirkung sich bei jeder genossenen Mahlzeit erneuert und sich schließlich auf alle Theile des Individuums erstreckt. Die die Fettbildung verhindernde Diät wird aber durch die gewöhnlichste und wirksamste Ursache der Fettleibigkeit angezeigt, und da feststeht, daß die Fettanhäufungen sich bei den Menschen wie bei den Thieren insonderheit durch mehl- und stärkereiche Nahrungsmittel bilden, da diese Wirkung sich an den Thieren tagtäglich vollzieht und den Handel mit gemästetem Vieh veranlaßt, so darf man daraus mit aller Bestimmtheit den Schluß ziehen, daß eine mehr oder minder strenge Enthaltsamkeit von allen Mehl und Stärke enthaltenden Nahrungsmitteln zur Verminderung der Corpulenz führt.

»O Gott!« höre ich euch alle rufen, Leser und Leserinnen, »o Gott! seht doch nur, was für ein Barbar der Professor ist! Mit einem einzigen Wort spricht er die Acht aus über alles, was wir lieben, über die weißen Brötchen Limets, über die Biscuits Achards, über die Zuckerkuchen und alle die schönen Dinge, die aus Mehl und Butter, aus Mehl und Zucker, aus Mehl, Zucker und Eiern bereitet werden! Er verschont weder die Kartoffeln noch die Macaronis! Hätte man das von einem Kenner erwarten sollen, der so nachgiebig und gut schien?«

»Was höre ich da?« gebe ich streng zur Antwort, indem ich eine Miene annehme, die ich jährlich nur einmal aufzustecken pflege. »Gut denn, eßt, werdet fett, werdet häßlich, unbehülflich, engbrüstig und sterbt an eurem Fett! Ich werde mir den Fall notiren und euch in der zweiten Auflage meines Werkes eine Stelle gönnen ... Aber was sehe ich? Eine einzige Phrase hat euch besiegt, ihr habt Furcht und bittet, um den Blitzstrahl abzuwenden? ... Beruhigt euch, ich werde euch eure Diät vorschreiben und euch beweisen, daß eurer doch noch einige Genüsse harren in diesem Jammerthale, wo man lebt, um zu essen.

»Ihr liebt das Brot? Gut, eßt Roggenbrot. Der ehrenwerthe Cadet de Vaux hat schon lange das Lob desselben gesungen. Es ist zwar weniger nahrhaft und vor allem weniger angenehm, aber desto leichter könnt ihr meiner Vorschrift nachkommen. Denn um sicher zu gehen, muß man vor allem die Versuchung fliehen. Behaltet das wohl: es ist eine Sittenregel.

»Ihr liebt die Suppe? Eßt Kräutersuppen, Suppen mit grünem Gemüse, Kohl und Rüben. Brot, Nudeln und Brei von Hülsenfrüchten verbiete ich euch.

»Vom ersten Gange dürft ihr mit wenig Ausnahmen, als da sind Reis mit Geflügel und die Kruste der warmen Pasteten, alles essen. Eßt, aber seid vorsichtig, damit ihr nicht später ein Bedürfnis befriedigt, das nicht mehr existiren darf.

»Der zweite Gang erscheint, und nun ruft die Philosophie zu Hilfe. Flieht die Mehlspeisen, in welcher Gestalt sie euch auch locken mögen – bleibt euch nicht der Braten, der Salat, das Krautgemüse? Und da ihr etwas Süßes haben müßt, so gebt der Chocoladencrême und den Punsch-, Orangen- und andern Gelées den Vorzug.

»Das Dessert wird aufgetragen. Neue Gefahr – aber habt ihr euch bis dahin gut geführt, so wird eure Weisheit und Tugend beständig neue Siege erringen. Hütet euch vor den Tafelaufsätzen: sie bestehen stets aus mehr oder minder aufgeputztem Gebäck, schaut weder nach den Biscuits noch nach den Macronen! Es bleiben euch ja noch immer die verschiedenen Früchte, die Confitüren und viele andere Sachen, die ihr auszuwählen wissen werdet, wenn ihr meine Principien annehmt.

»Nach dem Essen verordne ich euch den Kaffee, erlaube euch den Likör und empfehle euch bei Gelegenheit den Thee und den Punsch.

»Zum Frühstuck nehmt das unerläßliche Roggenbrot und eher Chocolade als Kaffee, doch erlaube ich auch Milchkaffee, wenn er einigermaßen stark ist, aber keine Eier – alles übrige nach Belieben. Nie aber kann man zu früh frühstücken. Frühstückt man spät, so rückt das Mittagsessen heran, bevor die Verdauung beendet ist, man ißt deshalb keinen Bissen weniger, und eben diese Esserei ohne Appetit ist eine höchst wirksame Ursache der Fettleibigkeit, weil sie häufig wiederkehrt.

Fortsetzung der Diät.

108. Bis jetzt habe ich euch als liebevoller und ein wenig nachsichtiger Vater die Umrisse einer Diät vorgezeichnet, welche die Fettleibigkeit von euch fernhält. Jetzt nun noch einige Vorschriften zur Bekämpfung der schon bestehenden Corpulenz.

Trinkt jeden Sommer einige dreißig Flaschen Selterser Wasser, ein tüchtiges Glas voll morgens beim Aufstehen, zwei vor dem Frühstück und dann noch zwei vor dem Schlafengehen. Zu Tischweinen wählt ausschließlich leichte, säuerliche Weißweine, wie z. B. die aus dem Anjou; das Bier flieht wie die Pest. Eßt oft Radieschen, Artischocken in Pfefferbrühe, Spargel, Sellerie und spanische Karden. Unter den Fleischspeisen gebt dem Kalbsbraten und dem Geflügel den Vorzug; vom Brote genießt immer nur die Kruste. In zweifelhaften Fällen laßt euch von einem Arzte rathen, der meinen Principien beipflichtet, und in welchem Augenblicke ihr dann auch meine Vorschriften zu befolgen beginnt, immer werdet ihr binnen kurzem frisch, hübsch, beweglich, gesund und zu allem tauglich sein.

Nachdem ich euch dergestalt auf den rechten Weg gebracht habe, muß ich euch nun auch noch die Klippen zeigen, damit ihr mir nicht im Eifer der Fettbekämpfung über das Ziel hinausschießt.

Die Klippe, auf die ich euch aufmerksam machen will, ist der gewohnheitsmäßige Genuß der Säuren, der bisweilen von Unwissenden angerathen wird, dessen üble Folgen aber die Erfahrung sattsam bewiesen hat.

Gefährlichkeit der Säuren.

109. Bei den Frauen geht eine unselige Doctrin im Schwange, der alljährlich nicht wenige junge Mädchen zum Opfer fallen: man betrachtet nämlich die Säuren, und namentlich den Essig, als Mittel gegen die Fettleibigkeit.

Zweifelsohne macht der beständige Genuß von Säuren mager, er zerstört aber auch zugleich die Frische, die Gesundheit und nicht selten das Leben. Selbst der Limonade, obgleich sie von allen Säuren die mildeste ist, widerstehen auf die Dauer doch nur wenige Magen.

Diese eben ausgesprochene Wahrheit kann gar nicht genug und zu oft gepredigt werden. Die meisten von meinen Lesern würden sie mit einer von ihnen gemachten Beobachtung belegen können: ich wähle aus der großen Anzahl nur eine einzige aus, die mich gewissermaßen persönlich angeht.

Im Jahre 1776 hielt ich mich in Dijon auf. Ich studirte dort die Rechte und hörte überdies einen Lehrcursus der Chemie bei dem damaligen General-Advocaten Guyton de Morveau und einen Cursus der häuslichen Medicin bei dem ständigen Secretär der Akademie Herrn Maret, dem Vater des Herzogs von Bassano.

Ich hegte damals eine freundschaftliche Sympathie für eins der reizendsten Mädchen, deren Bild mir im Gedächtnis geblieben ist. Ich sage freundschaftliche Sympathie, was streng der Wahrheit gemäß, zugleich aber auch sehr seltsam ist, denn ich war zu jener Zeit im höchsten Grade zu Verbindungen befähigt, die ganz andere Anforderungen stellen.

Diese Freundschaft, die man für das nehmen muß, was sie war, nicht aber für das, was sie hätte werden können, wurde durch eine Vertraulichkeit charakterisirt, die vom ersten Tage an zu einem gegenseitigen Vertrauen geworden war, das uns ganz natürlich schien. Wir hatten beständig etwas zu kichern und in die Ohren zu zischeln, ohne daß die Mama darüber in Sorge gerieth, denn unsere Gespräche waren so unschuldig wie das Geplauder von Kindern. Louise war also, wie gesagt, sehr hübsch und besaß namentlich, in richtigem Verhältnis, jene classische Fülle, welche die Augen entzückt und den Stolz der nachahmenden Künste bildet.

Obgleich nur ihr Freund, war ich doch keineswegs blind für die Reize, die sie sehen oder ahnen ließ, und vielleicht erhöhten diese, ohne daß ich mir dessen bewußt war, das keusche Gefühl, das mich an sie fesselte. Wie dem aber auch sei, eines Abends, als ich Louise aufmerksamer als sonst betrachtet hatte, sagte ich zu ihr: »Sie sind krank, theure Freundin, denn wie mir scheint, sind Sie magrer geworden.« – »O nicht doch,« erwiderte sie mit einem Lächeln, das etwas Melancholisches hatte, »ich befinde mich ganz wohl, und wenn ich etwas magerer geworden bin, so kann ich ja wohl in dieser Hinsicht ein wenig einbüßen, ohne darum arm zu werden.« – »Einbüßen?!« rief ich feurig. »O, Sie haben nicht nöthig, etwas einzubüßen oder etwas zuzulegen! Bleiben Sie, wie Sie sind: zum Anbeißen schön,« und was dergleichen Phrasen mehr sind, die ja einem zwanzigjährigen Freunde immer zu Gebote stehen.

Seit jener Unterhaltung aber beobachtete ich das junge Mädchen mit einem Interesse, das nicht von Besorgnis frei war, und bald sah ich ihre Gesichtsfarbe erblassen, ihre Wangen hohl werden, ihre Reize verwelken ... O, was ist doch die Schönheit für ein flüchtig und gebrechlich Ding! Endlich redete ich sie wieder im Ballsaale an, den sie noch wie gewöhnlich besuchte, und bestimmte sie, sich während der Dauer zweier Contretänze auszuruhen. Diese Zeit benutzte ich und erpreßte ihr endlich das Geständnis, daß sie, der Spöttereien einiger Freundinnen endlich müde, die ihr prophezeiten, sie würde binnen zwei Jahren so dick sein wie der heilige Christoph, und durch die Rathschläge einiger andern verführt, sich bemüht habe, abzumagern, und zu diesem Zwecke einen Monat lang jeden Morgen ein Glas Essig getrunken habe. Sie fügte hinzu, daß sie bis jetzt noch niemand dies Geheimnis anvertraut habe.

Ich erbebte bei diesem Bekenntnis. Ich fühlte die ganze Größe der Gefahr und machte sogleich am nächsten Morgen der Mutter Louisens Mittheilung davon. Diese war nicht weniger erschrocken als ich, denn sie betete ihre Tochter an. Es wurde keine Zeit verloren: die Aerzte kamen zusammen, beriethen und verschrieben Arzneien. Vergebene Müh'! die Lebensquellen waren auf unheilbare Weise angegriffen, und in dem Augenblicke, wo man die Gefahr zu ahnen begann, blieb auch schon keine Hoffnung mehr.

Auf diese Weise verfiel die reizende Louise, nur weil sie einfältige Rathschläge befolgt hatte, in jenen schrecklichen Zustand, der die Auszehrung charakterisirt, und entschlief, kaum achtzehn Jahre alt, bald darauf für immer.

Sie verschied mit einem schmerzlichen Blicke auf eine Zukunft, die ihr nicht mehr zu Theil werden sollte, und der Gedanke, daß sie, wenn auch wider Wissen und Willen, selbst ihr Leben untergraben hatte, machte ihr Ende noch schmerzhafter und beschleunigte es.

Louise war die erste Person, die ich sterben sah: sie hauchte in meinen Armen den Geist aus, als ich sie eben, ihrem Wunsche gemäß, aufrichtete, um sie das Tageslicht schauen zu lassen. Ungefähr acht Stunden nach ihrem Ableben bat mich ihre trostlose Mutter, sie bei einem letzten Besuche zu begleiten, den sie den irdischen Resten der Tochter machen wollte, und mit Staunen sahen wir beide, daß das Gesicht der Todten einen strahlenden, verzückten Ausdruck angenommen hatte, den wir früher nie bemerkt hatten. Ich wunderte mich darüber, und die Mutter betrachtete diesen Umstand als ein tröstendes Vorzeichen. Aber dieser Fall ist nicht selten: Lavater gedenkt seiner schon in seiner Physiognomik.

Gürtel wider Fettleibigkeit.

110. Jede auf Bekämpfung der Fettleibigkeit abzielende Diät muß durch eine Vorsichtsmaßregel unterstützt werden, die ich anzuführen vergessen habe, mit der ich aber eigentlich hätte beginnen sollen. Sie besteht darin, daß man Tag und Nacht einen Gürtel trägt, der den Bauch umspannt und mäßig einzwängt.

Um die Nothwendigkeit dieses Gürtels einzusehen, muß man sich klar machen, daß die Wirbelsäule, die eine der Wandungen des Eingeweidesacks bildet, fest und unbiegsam ist. Daraus folgt, daß jede Gewichtszunahme, die den Eingeweiden zu Theil wird, in dem Augenblicke, wo die Fettleibigkeit sie aus der senkrechten Lage bringt, auf die verschiedenen Hüllen drückt, welche das Bauchfell ausmachen. Diese Hüllen aber, die sich beinahe endlos ausdehnen können Mirabeau sagte von einem übermäßig beleibten Menschen, Gott habe ihn nur geschaffen, um der Welt zu zeigen, bis zu welchem Grade sich die menschliche Haut ausdehnen könne, ohne zu platzen.
(Ein kleiner Irrthum des Verfassers: dieser Ausspruch rührt nicht von Mirabeau le monstre her, sondern bezog sich vielmehr auf einen Mirabeau, nämlich den jüngern Bruder des Redners, der wegen seines enormen Bauches und seiner Trunksucht Mirabeau-Tonneau hieß. Das Fett hatte übrigens seinem Witze keinen Abbruch gethan. Als man ihm eines Tages sein Lieblingslaster vorwarf, erwiderte er kaltblütig: »Was wollt ihr? Als ich zur Besinnung kam, hatte mein Bruder schon alle übrigen Laster in Beschlag genommen – für mich blieb nur das Trinken, und so trinke ich denn.« D. Uebers.)
, würden nicht genug Spannkraft haben, um sich beim Nachlassen jenes Drucks wieder zusammenzuziehen, wenn man ihnen nicht eine mechanische Beihilfe zu Theil werden ließe, die, da sie das Rückgrat zum Stützpunkt hat, jenem Druck entgegenwirkt und das Gleichgewicht herstellt. Dieser Gürtel hat also die doppelte Wirkung, daß er einmal den Bauch verhindert, dem vorhandenen Gewicht der Eingeweide noch ferner nachzugeben, und daß er ihm sodann auch die zum Zusammenziehen erforderliche Kraft giebt, wenn jenes Gewicht abnimmt. Man darf ihn aber niemals ablegen, denn sonst würde der am Tage durch ihn erzeugte Vortheil durch die Vernachlässigung während der Nacht wieder zu nichte gemacht werden. Er ist indessen wenig beschwerlich, und man gewöhnt sich sehr schnell daran.

Dieser Gürtel, der auch als Warner dient, indem er den Augenblick anzeigt, wo der Magen zur Genüge gefüllt ist, muß mit einiger Sorgfalt angefertigt werden. Sein Druck muß gelind und immer gleichmäßig sein, er muß also so eingerichtet werden, daß er sich zusammenziehen läßt, je mehr der Körperumfang abnimmt.

Man braucht ihn aber nicht das ganze Leben hindurch zu tragen. Sobald man auf dem gewünschten Punkte angelangt und mehrere Wochen darauf stehen geblieben ist, kann man ihn ohne Nachtheil beseitigen, nur muß man natürlich immer eine angemessene Diät beobachten. Ich trage schon seit sechs Jahren keinen Gürtel mehr.

Ueber die Chinarinde.

111. Es giebt eine Substanz, die ich für ein sehr wirksames Mittel gegen die Fettleibigkeit halte. Ich bin durch mehrere Beobachtungen auf diesen Gedanken gebracht worden, gebe indessen noch dem Zweifel Raum und fordere daher die Aerzte auf, Versuche darüber anzustellen.

Diese Substanz ist die Chinarinde.

Zehn oder zwölf Personen meiner Bekanntschaft litten lange Zeit an Wechselfiebern. Einige davon heilten sich durch Hausmittel, Pulver u. s. w., andere durch fortgesetzten Gebrauch der Chinarinde, die nie ihre Wirkung verfehlt.

Alle fettleibigen Individuen der ersterwähnten Klasse erlangten nach der Cur wieder ihre frühere Corpulenz, alle Mitglieder der zweiten Kategorie dagegen sind ihres Ueberflusses an Fett entledigt geblieben. Aus diesem Umstande glaube ich schließen zu dürfen, daß einzig die Chinarinde diese letzterwähnte Wirkung hervorgebracht hat, denn der ganze Unterschied zwischen den beiden Klassen bestand eben in der Art der Heilung.

Die rationelle Theorie widerstreitet auch dieser Folgerung nicht, denn einestheils kann die Chinarinde, die alle Lebenskräfte steigert, sehr wohl den Kreislauf der Säfte so beschleunigen, daß die zur Fettbildung bestimmten Gase fortgerissen und zerstreut werden, und anderntheils steht fest, daß die Chinarinde eine gewisse Menge Gerbstoff enthält, der die Kapseln, die für gewöhnlich zur Aufnahme der Fettanhäufungen bestimmt sind, zu schließen vermag. Wahrscheinlicherweise unterstützen auch beide Wirkungen einander und verstärken sich gegenseitig.

Nach dieser Annahme, deren Richtigkeit jeder beurtheilen kann, glaube ich allen denen, die sich einer unbequem gewordenen Fettfülle entledigen wollen, den Gebrauch der Chinarinde anrathen zu dürfen. Dummodo annuerint in omni meditationis genere doctissimi Facultatis professores Wofern also nur die gelehrten Herren Professoren der Facultät jedwede Heilmethode genehmigt haben werden., bin ich daher der Ansicht, daß der oder die, welche sich zu entfetten wünscht, nach einem Monat angemessener Diät gut thun wird, wenn sie einen Monat lang ein um den andern Tag um sieben Uhr morgens, zwei Stunden vor dem Frühstück, ein Glas guten Weißweins trinkt, in welchem etwa ein Theelöffel voll guter rother Chinarinde aufgelöst worden ist – man wird eine gute Wirkung davon verspüren.

Das sind die Mittel, die ich zur Bekämpfung eines Uebels in Vorschlag bringe, das ebenso lästig, wie allgemein verbreitet ist. Ich habe sie sorglich der menschlichen Schwäche angepaßt und nach dem gesellschaftlichen Zustande modificirt, in welchem wir leben.

Zu diesem Behufe habe ich mich an die durch die Erfahrung festgestellte Wahrheit gehalten, daß eine Diät um so weniger wirkt, je strenger sie ist, da man sie in diesem Falle nur schlecht oder auch gar nicht befolgt.

Große Willensanstrengungen sind selten, und wenn man daher seine Rathschläge befolgt sehen will, so darf man den Menschen nur das zumuthen, was ihnen leicht wird, oder auch, wenn möglich, was ihnen angenehm ist.


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