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Die Feinschmeckerei ist nicht etwa eine Errungenschaft des neunzehnten Jahrhunderts wie die Philosophie des Unbewußten und die Zündhölzer utan svafvel och fosfor: sie ist uralt, so alt wie die Menschheit selbst. Eva war die erste Feinschmeckerin, Adam der erste Feinschmecker und die Erkenntnis des Guten und Bösen offenbar weiter nichts als die Erkenntnis dessen, was gut und was schlecht schmeckt. Urmutter Evens Leckersinn kostete der Menschheit, wie bekannt, das Paradies, es war daher nur consequent und nach der alten Regel Similia similibus curantur gehandelt, wenn ihre Nachkommen in der Feinschmeckerei selbst Ersatz suchten für das, was sie durch dieselbe verloren hatten, und ihren Scharfsinn an der Kochkunst übten. Auf diese Weise war die Feinschmeckerei der Anfang und der Hebel aller Cultur, ein Hebel, der sich niemals abnutzte und den Kain zur Erfindung des Rostbratens, den Thubalkain zur Erfindung des Kochtopfs führte, so daß Erzvater Noah schon »allerlei Speise« mit in die Arche nehmen konnte. Wie der Sündenfall schlug dann auch die Sündflut zum Vortheil der Feinschmeckerei aus: Noah bekam einen gründlichen Abscheu vor dem Wasser und führte den Weinbau ein, und von Schritt zu Schritt entwickelte sich nun die Kunst und der Sinn für dieselbe über das Linsengericht Jacobs, die Fleischtöpfe Aegyptens, die gastronomischen Gesetze Mosis und das verhängnisvolle Gemüse Thamars, der Schwester Absaloms, hinaus weiter bis zu einer solchen Höhe, daß bereits der weise Salomo all seine Weisheit in dem Satze zusammenfassen konnte: »So gehe hin und iß dein Brot mit Freuden und trink deinen Wein mit gutem Muth, denn dein Werk gefällt Gott wohl« (Eccles. IX, 7). Dreihundert Jahre später prägte Sardanapal diese Lebensregel, deren ganze Bedeutsamkeit er erkannt zu haben scheint, der Welt von neuem ein, indem er auf seinem Standbilde zu Anchialos in jener Keilschrift, die aus Scheffels Ballade vom Abenteuer des Jonas zur Genüge bekannt sein dürfte, die Inschrift anbringen ließ: »Iß, trink und liebe – der Rest ist keine Bohne werth.« Und wie immer, wenn eine längst empfundene Wahrheit endlich ihren klaren Ausdruck gefunden hat, brach dieser Grundsatz sich allmählich, aber unwiderstehlich Bahn und wurde maßgebend für alle Culturvölker des Alterthums vom Indus bis ans atlantische Meer, von den Alpen bis zur Sahara.
Mit dem Siege des Christenthums im römischen Weltreiche brach allerdings eine Reaction herein, die nicht bloß die alten lustigen Götter aus ihren Tempeln vertrieb, sondern sogar die Küche dem Erdboden gleich zu machen drohte. Fast alle frühern Religionen hatten zwar ebenfalls den menschlichen Magen mit der Gottheit in Verbindung gebracht und gewisse Speisen als unrein oder gottgeweiht verboten, sie hatten aber dabei doch immer mehr oder weniger dem Grundsatz gehuldigt: »der Mensch lebt nicht um zu hungern, sondern um zu essen« – das Christenthum dagegen stellte ohne Umstände diese Wahrheit auf den Kopf und lehrte: »Der Mensch lebt nicht um zu essen, sondern um zu hungern.« Denen, die so wie so nichts zu beißen und zu brechen hatten, mußte eine solche Lehre sehr einleuchtend erscheinen, und bei diesen fand sie auch schnellen Eingang; denen aber, die zu essen hatten, kam sie im höchsten Grade ungereimt vor, und daher wurde sie erst zu jener Zeit zur herrschenden, als es in Folge der innern Wirren und der Einfälle der Barbaren im ganzen Reiche nur noch wenige gab, die den Traditionen der guten alten Küche treu bleiben konnten. Damals schien es völlig um die Kunst und ihren Cultus geschehen, denn wo die Enthaltsamkeit eine Tugend und der Genuß von Heuschrecken und Holzäpfeln eine verdienstliche Handlung ist, »da kann die Kochkunst nie gedeihn.« Zum Glück aber ist der Magen ein Despot und der Gaumen ein geborener Diplomat, und so gelang es der Feinschmeckerei bald, auch bei den christlichen Liebesmahlen ihre Rechnung zu finden. Als aber die Agapen abgeschafft wurden, weil die Nächstenliebe dabei einen zu liebenswürdigen Charakter annahm, da zog sie mit den schönen Agapetis zu den Geistlichen, vornehmlich aber zu den Mönchen, die, aller irdischen Sorge und Eitelkeit ledig, am meisten geeignet waren, ihr die vollste und ungetheilteste Hingebung zu widmen. Auf diesem Wege wurden die Klöster und geistlichen Höfe der Hauptsitz der Feinschmeckerei und blieben es das ganze Mittelalter hindurch. Und dort feierte sie ihre glänzendsten Triumphe, dort erlangte sie eine im Alterthum kaum geahnte Ausbildung, dort war sie der Mittelpunkt alles Strebens und begeisterte ihre Verehrer, die frommen Väter und hohen Prälaten, zu wahrhaft genialen Erfindungen wie z. B. die Bereitung des Carthäuser-Wassers und die Castration der Karpfen.
Noch immer aber bestand das Fastengebot und die verkürzte Feinschmeckerei in ihren angestammten Rechten. Zwar war man in den Klöstern auch über diese Schwierigkeit hinweggekommen und hatte durch sinnreiche Sophismen die Fische, die Weichthiere und die Wasservögel aus der Klasse der Fleischspeisen hinausdisputirt und so eine höchst leckere Grundlage für die Fastenkost gewonnen – bei der großen Menge aber, deren Appetit immer gleich stark war, und die weder einen Lachs noch einen Dispens bezahlen konnte, knurrte unter diesen Umständen der Magen immer bedenklicher. Im Süden, wo das Nahrungsbedürfnis geringer ist und zur Befriedigung desselben die leckersten Früchte zur Hand sind, trat diese Magenbewegung weniger scharf hervor, im Norden aber führte sie nach einem vorgängigen Zwiste über den Genuß des Weins zu jener gewaltigen Revolte, welche die Feinschmeckerei schließlich wieder in alle die Rechte einsetzte, die das Christenthum ihr entzogen hatte, und die unter dem Namen der Reformation bekannt ist. Die Reformation war nichts anderes als die erste Restauration der Feinschmeckerei.
Wie fast alle Restaurationen entthronter Fürsten hatte auch diese Berge von Leichen und Ströme Bluts gekostet, und doch war man nur einen kleinen Schritt vorwärts gekommen: man hatte nun zwar die Freiheit zum Essen, aber man hatte nicht die Mittel dazu, man hungerte nun zwar nicht mehr, obgleich man zu essen hatte, aber man hungerte noch immer, weil der Fleischkorb für die Menge nach wie vor zu hoch hing. Die ganze civilisirte Welt empfand diese Calamität, und nachdem die Philosophen die nächstliegende Ursache derselben in den Standesvorrechten der Fürsten, Priester und Edelleute entdeckt hatten, gebar das unüberwindliche Streben nach praktischer Bethätigung der Feinschmeckerei jenen ersten großen Heilversuch, der den Namen der französischen Revolution führt. Zur nicht geringen Enttäuschung aber brachte dieser heroische Versuch statt der ersehnten völligen Heilung nur eine geringe Linderung, und nun entdeckte man die Haupt- und Pfahlwurzel des Uebels an einem nie geahnten Orte: im Geldbeutel der Reichen. Die Entdeckung ist gemacht, die Forderung ausgesprochen, und allem Anschein nach schickt die alte Welt sich von neuem im Interesse der Feinschmeckerei zu einem erbitterten Kampfe an, dessen Ausgang sich noch nicht absehen läßt, der aber auf alle Fälle einen neuen Beweis liefern wird für die alte Wahrheit: Die Feinschmeckerei ist die causa movens der Weltgeschichte.
Nach diesem Siebenmeilenstiefelmarsche durch die alte und die neue Geschichte bleibt nur noch weniges über die Feinschmeckerei zu sagen, was sich nicht in dem Werke Brillat-Savarins bereits ausgeführt oder angedeutet fände. Ihren Einfluß auf die geistige Thätigkeit, auf die Gesundheit, auf die Schönheit, auf die Lebensdauer, auf den Handel, auf die Gewerbe, auf die Staatseinkünfte – das alles hat dieser große Kirchenvater des Wohllebens in seiner »Physiologie des Geschmacks« bereits zur Genüge entwickelt und klargelegt. Nur noch zwei Punkte bleiben zu erörtern, aber auch zwei Punkte von eminenter Wichtigkeit: das Verhältnis der Feinschmeckerei zur Moral und ihr Einfluß auf das Eheglück.
Was die Moral anlangt, so wird der, welcher die Einwirkung der Nahrung auf den Körper und den Geist ins Auge faßt, ohne Mühe einsehen, welche Bedeutung die Feinschmeckerei für die Sittlichkeit hat, insofern diese mit der leiblichen und geistigen Gesundheit in Zusammenhang steht. Die Feinschmeckerei thut aber mehr: sie veredelt das Gemüth, indem sie das Gefühl der Bewunderung für die Werke der Natur und der Küche in der Seele wachruft, und wo dies auf der Achtung beruhende Gefühl Raum findet, da ist eine Stätte für alles Gute, Edle und Schöne, denn das Achtungsgefühl, die Ehrfurcht, ist der Urquell und die Grundlage aller Moral. Und mehr als das: nicht nur direct, auch mittelbar fördert sie die Sittlichkeit, indem sie zahllose Gelegenheiten zur Uebung der Tugenden der Selbstlosigkeit und Nächstenliebe bietet. Denken wir uns einen Feinschmecker in dem Momente, wo ein prächtiger Karpfen vor ihm auf dem Tische erscheint. Der Kopf des Thiers mit der unschätzbaren Zunge scheint ihm einen Gruß zuzulächeln und das Gesicht unseres Helden strahlt verklärt wie das Antlitz einer Raphaelischen Madonna. Schon hat er den Vorgeschmack der Seligkeit auf der Zunge, und doch besiegt er sich und präsentirt die Schüssel zuerst dem Nachbar, der ihm – o Schmach und Schmerz! – kaltblütig das ersehnte Stück entführt. Aber nimmer zieht deshalb giftiger Groll in das Herz unseres Helden ein: ruhig ergiebt er sich in das Unabänderliche und vergißt am Rückenstücke des Fisches bald, daß sein Nächster ihn um einen Göttergenuß gebracht hat. Was kann aber moralischer sein als diese Selbstüberwindung und Gottergebenheit? Durch die unausbleibliche Wiederholung derartiger Zufälle wird sein Herz in der Tugend befestigt, die Selbstlosigkeit wird ihm wahrhaft zur Gewohnheit, und das ist der Grund, weshalb ein hartherziger, mitleidloser, rein egoistischer Feinschmecker so selten ist wie ein schwarzer Schwan: rara avis in terris, nigroque simillima cygno. Daher sieht auch ein echter Feinschmecker sich beinahe ebenso gern zum Fasten als zum Alleinessen verurtheilt.
Diese Bemerkung führt uns naturgemäß zur Betrachtung des Verhältnisses der Feinschmeckerei zur Ehe. Brillat-Savarin hat zwar einem besondern Abschnitte seines Werkes den Titel gegeben: Einfluß der Feinschmeckerei auf das eheliche Glück, es kann aber niemand entgehen, daß jener Abschnitt mehr den Einfluß des Eheglücks auf die Feinschmeckerei als den Einfluß der Feinschmeckerei auf das Eheglück feiert. Wir fragen nun aber: kann sich jemand nach dem oben Gesagten noch der Einsicht verschließen, daß ein Individuum, dem Gesellschaft beinahe ein Bedürfnis ist, und das sich fast täglich in der Selbstlosigkeit und Aufopferung übt, nicht bloß eine besondere Neigung, sondern auch die größte Befähigung zum Ehestande haben muß? Wenn trotzdem einige namhafte Feinschmecker unbeweibt geblieben sind, so lag der Grund theils darin, daß das Schicksal vergessen hatte, ihnen das nöthige kleine Geld zukommen zu lassen, theils aber auch darin, daß sie sich erst zur Feinschmeckerei bekehrten, um sich über eine verfehlte Liebe zu trösten. Wenn aber ein Feinschmecker sich die – allerdings mit Draht unterbundenen – Rosenfesseln Hymens anlegt, so ist seine Ehe in Folge der oberwähnten Umstände in der Regel eine glückliche, und überschreitet dennoch das Unglück seine Schwelle, ja fühlt er sich in jenen Orden eingereiht, dessen Decoration seit unvordenklichen Zeiten unauffällig an der Stirn getragen zu werden pflegt – nun, so ist abermals die Feinschmeckerei zur Hand, um ihn zu trösten und ihm durch immer erneute Gunstbezeugungen die schwarzen Gedanken zu vertreiben.
Die Gastronomie oder Gastrosophie verhält sich zur Feinschmeckerei wie die Wissenschaft zur bloßen Erfahrung. Beide haben den mundum edibilem zum Gegenstande, aber während die Feinschmeckerei in erster Linie die Befriedigung des Geschmackssinns bezweckt ohne besondere Rücksicht auf sonstige Interessen, strebt die Gastronomie eine Vereinigung aller Interessen an und sucht mit dem Angenehmen das Nützliche zu verbinden. Dementsprechend faßt die Feinschmeckerei nur den Geschmack der eßbaren Dinge ins Auge und sucht die Kunst auf rein experimentellem und materiellem Wege zu fördern; die Gastronomie dagegen geht auf die Art und die Ursachen der Wirkung der Nahrungsmittel ein und gründet den Fortschritt der Kunst auf die Erkenntnis der Ursachen und Bedingungen jener Wirkung. Selbstredend bedarf sie, um ihrem Zwecke zu genügen und sich ihrem Ziele zu nähern, der Unterstützung und Beihilfe anderer Wissenschaften, und daher bedient sie sich
1. der Naturbeschreibung, um die eßbaren Dinge und deren natürliche Beschaffenheit kennen zu lernen und sie danach zu classificiren;
2. der Chemie, um die Grundbestandtheile der Nahrungsmittel festzustellen:
3. der Physiologie, um deren Beziehung zum menschlichen Organismus zu erkunden;
4. der Ethnographie und der Culturgeschichte, um sich über die verschiedenen Nährweisen zu unterrichten, und
5. der Statistik, um die Quantität des Verbrauchs bestimmter Nahrungsmittel kennen zu lernen.
Während sie aber auf der einen Seite entnimmt, unterstützt sie andererseits
1. die Heilkunst durch Feststellung diätetischer Regeln;
2. die Kochkunst durch Ergründung der Gesetze der Speisebereitung;
3. den Ackerbau durch den Nachweis culturfähiger und ergiebiger Nährpflanzen;
4. den Handel durch Angabe mit Nutzen aus- oder einzuführender Nahrungsmittel und
5. die Technik durch Vorschriften über die Art und Gestalt der
zur Bereitung wie zum Genusse der Speisen erforderlichen Geräthschaften.
Durch diese tabellarische Uebersicht über die mannigfachen Beziehungen der Gastronomie scheint uns die hohe Bedeutsamkeit derselben für die Menschheit zur Genüge erwiesen, und wir glauben nunmehr zu einigen Bemerkungen über die allgemeinen Lehrsätze dieser Wissenschaft übergehen zu dürfen.
Leider dürfen wir da nicht verhehlen, daß in dieser Hinsicht bisher noch wenig für die Gastronomie geschehen ist: wir besitzen Kochbücher und wissenschaftliche wie gemeinverständliche Schriften über Diätetik und Nahrungsmittellehre in schwerer Menge, aber außer einigen gelegentlichen Bemerkungen Grimod de la Reynières, einigen Regeln über das Essen vom Dr. Roques und den zwanzig Aphorismen, mit denen Brillat-Savarin seine »Physiologie des Geschmacks« eröffnet, und von denen noch dazu einige schweren Bedenken unterliegen, findet man selbst in den bedeutenden Werken, von Beauvilliers, Carême, Rumohr u. a. kaum einen oder den andern Satz, der auf Gemeingiltigkeit Anspruch machen könnte. Wahrhaft betrübend aber ist es, daß selbst von den beiden Fundamentalsätzen der ganzen Gastrosophie bisher nur der erste (durch Brillat-Savarin) zum Gemeingut geworden ist, während der zweite, der für unsere Wissenschaft dieselbe Bedeutung hat wie das Princip des Widerspruchs für die Logik, noch in keinem Werke mit jener Klarheit zum Ausdruck gekommen ist, die allein einer Wahrheit zum Durchbruch helfen kann. Zu Nutz und Frommen der Wissenschaft und zum Besten der Gegenwart wie der Zukunft – der Vergangenheit ist leider nicht mehr zu helfen – sei daher an dieser Stelle jenen beiden Grundwahrheiten ein Ehrenplatz eingeräumt.
Fundamentalsätze der Gastronomie.
I. Alles, was lebt, ißt.
II. Der Mensch lebt nicht um zu essen, sondern um gut zu essen.
Wir haben dies zweite Princip mit dem Satze des Widerspruchs verglichen, und wir glauben mit vollem Recht. Denn wie der Satz des Widerspruchs der Probirstein ist für die Wahrheit alles Wahrgenommenen und Vorgestellten, so ist unser zweites Princip der Probirstein für das ganze Gebiet der Gastronomie. Was nicht mit diesem Principe in Einklang steht, ist zweckwidrig, unwürdig, verwerflich und muß ausgerottet werden, und nur der kann ein wahrer Gastronom heißen, der sich rückhaltlos zu diesem Satze bekennt. Wer aber zweifelt und sich nicht bei Zeiten bekehrt, der ist verdammt und kann nie mehr selig werden.
Denn gleich der Religion und der Philosophie verheißt auch die Gastronomie ihren Bekennern nichts Geringeres als die Seligkeit, und selbst der Neid muß bekennen, daß sie ihr Wort besser zu halten pflegt als jene. Daher spürt man auch bei den Gastronomen nichts von jenem seltsamen Widerspruche, der sich so häufig zwischen dem Leben und der Lehre der Frommen wie der Philosophen zeigt: ihr Leben und ihre Lehre, ihr Handeln und ihr Meinen offenbaren vielmehr jene hohe Harmonie, welche die Grundlage und die erste Stufe der Seligkeit ist, und man darf unbedenklich behaupten, daß ein Volk von lauter Gastronomen und Feinschmeckern das glücklichste, einigste und beste unter der Sonne sein würde. Ein solcher Gastronomen-Staat liegt durchaus nicht außer dem Bereiche der Möglichkeit. Ja, in unserm Jahrhundert der Centralisation liegt selbst der Gedanke nicht fern, daß auch die Gastronomen sich eines Tages zusammenschaaren und im Zeichen des Messers und der Gabel eine eigene Partei bilden werden, die zur Vertretung der gastronomischen Interessen Abgeordnete in die Kammer schickt, Zweckessen und Wohlthätigkeits-Soupers veranstaltet, gastronomische Flugschriften verbreitet und Schlagwörter ausgiebt und sich schließlich als »Christliche Anti-Hungerleider-Liga« oder im Gegensatze zur rothen, schwarzen und goldenen als »Weiße Internationale« etablirt. Wer weiß – – – doch was kümmert uns das? Vielleicht würden wir sogar eine solche Wandlung nur zu bedauern haben, denn sie möchte leicht den idealistischen Schwung in den Herzen der Gastronomen ersticken, und nach der Gastronomie selbst ist die Begeisterung für dieselbe unstreitig das Höchste, was die Menschheit hat.
Wenden wir uns zur Wirklichkeit zurück. Wie der Mensch die höhere Potenz des Affen, so ist die Gastronomie die höhere Potenz der Feinschmeckerei: daraus folgt unwiderleglicher Weise, daß alle die Vorzüge, die wir mit Stolz der Feinschmeckerei nachrühmen dürfen, sich in noch höherm Grade bei der Gastronomie wiederfinden. Um diese Wahrheit an einem Beispiele zu erhärten, sei hier noch – des leichtern Vergleichs halber – mit einigen Zeilen des Einflusses der Gastronomie auf die eheliche Glückseligkeit gedacht. Wie wir gezeigt haben, ist der Einfluß der Feinschmeckerei auf die Ehe rein moralischer Natur: sie verleiht die Charakter-Tugenden, welche für den Ehestand von Wichtigkeit sind, übt also in diesem Falle eine indirecte Wirkung, die durch andere Umstände leicht in Frage gestellt werden kann. Die Gastronomie nun verleiht jene Tugenden ebenfalls, aber sie weiß ihnen überdies eine Körpertugend hinzuzufügen, die fast die unerläßlichste für die Ehe ist und durch keine andere ersetzt werden kann. Wie sie Mittel gefunden hat, der Fettleibigkeit zu begegnen, wie sie Arcana entdeckt hat, um die Magerkeit zu heben, wie sie in das Geheimnis eingedrungen ist, die Kraft von fünfzig westphälischen Schinken in einem Gerichte für eine einzige Person zu concentriren, so hat sie auch Specifica gefunden und Wege entdeckt,
Pour rendre les maris aimables
Et guérir les chiens geleux,
wie ein Klassiker der Tafel sich ausdrückt, von dem sonst nichts auf die Nachwelt gekommen ist, nicht einmal sein Name. Mit andern Worten: die Gastronomie hat in gewissen Nahrungsmitteln besondere Stoffe, geheime Kräfte, verborgene Fähigkeiten entdeckt, die im Stande sind, den Gatten feuriger und die Gattin zärtlicher, den Reiz stärker und das Vermögen dauernder zu machen, und ist auf diese Weise in den Besitz von Mitteln gelangt, welche Frau Venus nicht bloß vor der sprichwörtlichen Kälte zu schützen, sondern sie auch herbeizurufen und ihr Gesundheit und langes Leben zu sichern vermögen. Wer kennt nicht die angenehme Wirkung der Pastinake, von der Johann von Mailand singt:
Confortat coitum, non est ad menstrua muta,
die Wunderkraft des Kopflauchs, von dem das Dictum sagt:
Porrum foecundas reddit persaepe puellas,
die kostbare Eigenschaft der Trüffeln, die Brillat-Savarin gefeiert hat, die Wirksamkeit der Sellerie, vor der Grimod de la Reynière die Junggesellen warnt, u. s. w. u. s. w? Und noch sind die Forschungen in dieser Richtung nicht abgeschlossen, noch sind nicht alle Nahrungsmittel der Untersuchung unterzogen, und vielleicht wird sich eines Tages ein gottbegnadeter Gastronom erheben und auf dem Altare der Menschheit ein Büchlein niederlegen für alle Eheleute und solche, die es werden wollen, ein Büchlein, das uns für jeden Tag des Jahres eine Speise vorschreibt, die uns zum Genusse der höchsten irdischen Lust befähigt und zugleich vor Entkräftung bewahrt. An diesem Tage wird große Freude sein auf Erden, man wird zu Ehren des großen Wohlthäters der Menschheit ein allgemeines erotisches Gabelfrühstück veranstalten, man wird ihm von Staatswegen eine Pension zuerkennen, sein Buch wird auf Anordnung des Cultusministers in allerneuester Orthographie gedruckt und durch die Gensdarmerie empfohlen und verbreitet werden, und vom Aufgang bis zum Niedergang wird nur eine Stimme sein: Gastronomy for ever!
Von der wahrhaft überwältigenden Erhabenheit der Muse der Gastronomie eingeschüchtert, hat bisher noch keine von den bildenden Künsten gewagt, sie unmittelbar zum Gegenstande ihrer Darstellung zu machen und unter ihrer eigenen Gestalt zu verherrlichen. Um so zahlreicher aber sind die Darstellungen der Handlung, durch welche Gasterea am meisten geehrt und am besten gefeiert wird, nämlich des Mahles in seinen verschiedenen Gestalten als Morgenkaffee, Gabelfrühstück, Mittagessen, Vesperbrot, Abendessen, Nachttrunk, Zechgelage, ästhetischer Thee u. s. w. u. s. w. Wer alle diese Darstellungen zu überschauen vermöchte, der würde finden, daß die Gastronomie den meißelnden und malenden Künstlern eine wahrhaft unendliche Anzahl von Süjets geliefert hat, und zugleich die bemerkenswerthe Entdeckung machen, daß gerade das Christenthum, seiner eßfeindlichen Tendenz zum Trotz, der Factor gewesen ist, der die meisten und erhabensten Verherrlichungen des Mahles veranlaßt hat – ein neuer Beleg für die alte Wahrheit, daß das Schicksal Gefallen daran findet, den physikalisch-chemischen Proceß, den wir gemeinhin Weltgeschichte nennen, zu einem Reiche der Ironie und des Widerspruchs zu gestalten.
Was die schöne Literatur anlangt, so ist schon von Brillat-Savarin hervorgehoben worden, daß »die Tafel zu allen Zeiten der Leyer den Ton angegeben hat.« In der That giebt es auch nur wenige Dichter, die nicht himmelhoch jauchzend oder zum Tode betrübt der Tafel und ihrer Freuden gedacht haben: sind doch selbst dem in den höchsten Regionen sternwandelnden Sänger des »Messias« die bezeichnenden Verse entschlüpft:
Ach, du redest umsonst, vordem gewaltiges Kelchglas,
Heitre Gedanken mir zu,
und legt doch selbst der bittere Dichter des Manfred das Bekenntnis ab:
Wie Alexander denk' ich, daß das Essen
Und ein Paar Freuden von der gleichen Art
Uns manche Noth des Lebens läßt vergessen.
Ohne Zweifel würde die Mittheilung einer größern Anzahl gastronomischer Dichtungen unserer Skizze zur besondern Zierde gereichen, wir beschränken uns jedoch darauf, Berchoux's » Gastronomie« und Colnets » L'art de dîner en ville« als beachtenswertheste Leistungen auf diesem Gebiete namhaft zu machen, um uns ungesäumt den Schriften und den Autoren zuzuwenden, die eine Stelle in der noch zu schreibenden Geschichte der Gastronomie verdienen. Freilich wird unsere Zusammenstellung bei dem Mangel an Vorarbeiten eitel Stückwerk sein, wie das ja nach des unsterblichen Katers Hiddigeigei maßgeblicher Meinung alles Menschenwerk überhaupt ist – der bloße Gedanke aber, daß der Gastrosophie damit ein wenn auch noch so kleiner Dienst erwiesen wird, hebt uns über alle Bedenken hinweg und läßt uns kühnen Muthes das Unzulängliche wagen.
Als ältester Schriftsteller über gastronomische Angelegenheiten muß Moses genannt werden, denn seine Sonderung der Thiere in reine und unreine hatte unstreitig nur den Zweck, den Israeliten eine gute und gesunde Nährweise zur Pflicht zu machen. Die Gelehrten sind über diesen Punkt seit langem einig, und nur die bedauernswerthe Nachlässigkeit und Oberflächlichkeit, die bei diesen Herren in Sachen der Gastronomie Regel ist, hat sie bisher verhindert, dies Verdienst des großen Gesetzgebers ausdrücklich und förmlich anzuerkennen.
Moses hatte nur den Gegenstand der Gastronomie ins Auge gefaßt: die sieben Weisen Griechenlands thaten einen Schritt weiter und stellten in ihren bekannten, bisher aber ihrer wahren Bedeutung nach völlig verkannten Gnomen Regeln für die Behandlung dieses Gegenstandes d. h. Gesetze für die Kochkunst auf Man sehe das Nähere in unserer Vorrede zu Geist der Kochkunst, der demnächst leibhaftig in der Univ.-Bibl. erscheinen wird..
In die Fußtapfen dieser mit Recht berühmten Männer traten bald würdige Nachfolger, deren Namen uns Athenäus aufbewahrt hat, deren Schriften aber – ein unersetzlicher Verlust! – sammt und sonders verloren gegangen sind. Von hervorragender Bedeutung scheint namentlich ein Werk des Archestratos gewesen zu sein – wenigstens rühmt Athenäus ihn als den Born, aus welchem verschiedene berühmte Köche die Principien ihrer Kunst geschöpft hätten.
Ein glücklicherer Stern waltete über den Werken der römischen Gastrosophen Cato und Coelius Apicius. Sowohl des erstern Schrift De re rustica, deren Inhalt zum Theil einem Werke des Karthagers Mago entlehnt sein mag, als des Coelius Buch De arte coquinaria sind auf die Nachwelt gekommen, und das letztere ist sogar bezüglich der Form maßgebend geworden für fast sämmtliche spätern Kochbücher bis herab auf die neueste Zeit.
Auf das Zeitalter des Coelius folgte eine unsäglich traurige Epoche, eine küchenlose, entsetzliche Zeit für Europa, die bis gegen das Ende des vierzehnten Jahrhunderts währte. Der vielleicht einzige lichte Punkt in diesem Chaos sind die gastronomischen Lehrsprüche der Schule von Salern, die um die Mitte des zwölften Jahrhunderts von Johann von Mailand verfaßt wurden, deren erhabener, staunenswerth umfassender Inhalt aber hinlänglich bekundet, daß die ganze Schule an der Arbeit Theil nahm:
Anglorum regi scribit schola tota Salerni.
Außerhalb des Kreises der Aerzte macht der Sinn für die Kunst sich zuerst in Frankreich von neuem bemerkbar. Dort schrieb bereits um 1393 ein Pariser, dessen Name bisher allen Nachforschungen entschlüpft ist, eine moralisch-gastronomische Abhandlung von ziemlich umfassendem Charakter, die zuerst 1847 unter dem Titel Le Ménagier de Paris, traité de morale et d'économie domestique par un bourgeois parisien vom Verein der französischen Bibliophilen herausgegeben worden ist.
Auf dem Ménagier folgte im fünfzehnten Jahrhundert Le Livre de Taillevant, grand cuysinier du roi de France, das erste bedeutende Werk der neuen Epoche, die nun für die Kochkunst anbrach.
An Taillevant schlossen sich Nicolas de la Chesnaye, dessen Nef de santé 1507 erschien, und Etienne Daigue mit seinem Singulier Traicté, contenant la propiété des tortues, escargots, grenoilles et artichaultz, eine Art Monographie, deren Veröffentlichung in das Jahr 1530 fiel.
Auch die Gelehrten wandten sich jetzt mehr und mehr dem Studium gastronomischer Fragen zu. Der Jesuit Julius Cäsar Bullingerus schrieb De conviviis, Martin Schookius seine Abhandlung De aversione casei und Platina von Cremona veröffentlichte sein Werk De honestate, voluptate et valetudine, das unter dem Titel: »Von der eerlichen, zierlichen, auch erlaubten Wolust des Leibes etc. durch Baptist Platina von Cremona etc., jetzt gründlich aus dem latein verdeutscht durch M. Stephanum Vigileum Vadimontanum. Im Jar 1542« zu Augsburg auch in deutscher Uebersetzung erschien.
Nun folgte eine Reihe bemerkenswerther gastronomischer Publikationen ziemlich schnell aufeinander: 1543 erschien La Fleur de toute cuisine von Pidoux, 1655 das Excellent et moult utile opuscule ... qui monstre la façon de faire confitures de plusieur sortes von Michel von Notre-Dame, 1558 La Pratique de faire toutes sortes de confitures etc. von Rigaud und Saugrain, 1560 des Johann Brueyrinus Campegius De re cibaria libri XXII, 1570 die Opera di Bartolo Scappi, cuoco secreto di Papa Pio V., 1581 das Prachtwerk Marx Rumpolts: »Ein new Kochbuch etc. durch M. Marxen Rumpolt, Churf. Maintzischen Mundkoch« u. a. m.
Das siebzehnte Jahrhundert brachte neben einer Anzahl Abhandlungen über den Thee, den Kaffee und die Chocolade 1607 den Thrésor de Santé, 1665 die Délices de la campagne etc. von de Bonnefons, 1667 Lavarennes Vrai cuisinier français, 1688 die Ecole des Ragouts u. s. w.
Daran schlossen sich im achtzehnten Jahrhundert » Der aus dem Parnasso ehmals entlauffnen vortrefflichen Köchin, welche bey denen Göttinnen Ceres, Diana und Pomona, viele Jahre gedienet, hinterlassene und bißhero, bey unterschiedlichen der Löbl. Koch-Kunst beflissenen Frauen zu Nürnberg, zerstreuet und in großer Geheim gehalten gewesene Bemerk-Zettul etc.« (Nürnberg, 1702), S. Müllers »Bericht vom Brodt-Backen« (Königsberg, 1706), E. P. Florins »Allgemeiner kluger und Rechts-verständiger Hausvater in neun Büchern« (Nürnberg, 1749), von denen das neunte von der Kochkunst handelt, Gilliers Cannaméliste francais (Nancy, 1751) und Menous Soupers de la Cour (Paris, 1768).
Der Revolutionssturm bereitete diesen Soupers ein blutiges Ende. Die bisherigen Vertreter der Feinschmeckerei wanderten aufs Schaffot oder in die Verbannung, ihr Vermögen wurde confiscirt, und fast schien es, als würde die Gastronomie von diesem zu ihren Gunsten in Scene gesetzten Umsturz statt Vortheils nur schweren Schaden ernten. Aber der Mensch denkt, und Gott lenkt: kaum hatte das Kopfabhacken ein wenig nachgelassen, als die neuen Machthaber den Faden der gastronomischen Ueberlieferung wieder aufnahmen und da fortfuhren, wo ihre Vorgänger unterbrochen worden waren. Bald aber bekam diese Fortsetzung völlig den Charakter ihrer Zeit: bis dahin hatten nur Höflinge, Gelehrte, Literaten, Courtisanen und Roués an der guten Tafel gesessen, jetzt nahmen Helden daran Platz, und diese brachten einen heldenhaften Appetit mit. Man nippte und kostete nicht mehr, man aß und trank jetzt in der umfassendsten Bedeutung des Worts, und wenn die neuen Gastronomen nicht wie ihre Vorgänger die Racezeichen des feinen Fußes und der schmalen Hand aufzuweisen hatten, so hatten sie doch einen bessern Magen als jene, und in der Gastronomie sind nicht die Hände und die Füße, sondern der Magen die Hauptsache.
Von jeher haben die Gastronomen mit lebhaftem Bedauern den Namen des ersten Napoleon auf der Liste der Gastrosophen vermißt. Was hätte dieser Mann nicht auf diesem Gebiete leisten können! Offenbar hatte auch die Vorsehung ihn für dies Gebiet bestimmt – warum hätte sie ihn sonst mit all seiner Ueberlegenheit gerade in dem Momente geboren werden lassen, wo sie mit der Anbahnung einer neuen Phase der Feinschmeckerei umging? Napoleon hat das verkannt, er hat zum Schwerte statt zum Löffel gegriffen, er ist statt eines Erhalters ein Zerstörer geworden, mit einem Wort: er hat seinen Beruf verfehlt und hat deshalb auf St. Helena büßen und am Magenkrebse sterben müssen! Gott läßt sich nicht spotten und die Gastronomie noch viel weniger – das ist das einstimmige Urtheil aller Gastrosophen, die wir über diesen Gegenstand zu Rathe ziehen konnten.
In Ermanglung Napoleons stehen indessen eine nicht geringe Anzahl bedeutender Männer seiner Zeit und seiner Umgebung im goldenen Buche der Gastronomie verzeichnet: so sein Bruder Jerôme, sein Schwager Murat, sein Hausminister Cambacerès, der große Diplomat Talleyrand, der Palast-Präfect Louis de Cussy, der Marquis Villevieille, der berühmte d'Aigrefeuille – und vor allem Grimod de la Reynière, der unsterbliche Verfasser des Almanach des Gourmands, der Tertullian der Tafel und Aristoteles der Gastronomie!
Alexandre Balthazar Laurent Grimod de la Reynière – wir wünschten, der Name wäre noch um einige Dutzend Silben länger, damit der Leser ihn nicht in sträflichem Leichtsinn überhüpfen könnte – Alexandre Balthasar Laurent Grimod de la Reynière also verdient eine ausführliche Biographie, die ihm auch an anderer Stelle zu Theil werden wird Man sehe das Vorwort zu Rumohrs Geist der Kochkunst.. Hier beschränken wir uns – zur Beruhigung derer, die der Vergleich mit Aristoteles stutzig machen könnte – auf die Bemerkung, daß der Autor des Manuel des Amphytrions nichts mit der Metaphysik des Lehrers Alexanders des Großen zu schaffen hat, und daß er weit davon entfernt ist, die Form (??äïò) für das Wesentliche und den Stoff (?ëç) für nebensächlich zu halten, wie der Stagirit das in unbegreiflicher Verblendung gethan hat. Dergleichen verschrobene Lehren sind der wahren Gastronomie ebenso zuwider wie der wahren Philosophie. –
Ludwig XVIII. erkannte seine Bestimmung besser als Napoleon und verfolgte den Ruhm nicht mit dem Schwerte sondern mit der Gabel in der Hand. Die Vorsehung wußte ihm Dank dafür und sicherte ihm, nachdem er seinen standhaftesten Gegner, den Herzog von Escar, glücklich unter den Tisch und ins Grab gegessen hatte, den Ruf des hervorragendsten Essers seiner Zeit. Das war aber nichts Geringes in einer Epoche, die als die fruchtbarste an großen Gastronomen betrachtet werden darf, denn nicht bloß hatten fast sämmtliche bedeutende Feinschmecker des Kaiserreichs den Sturz desselben überlebt, sondern es war auch eine Anzahl neuer Gastronomen hinzugekommen, wie z. B. Colnet, der Dr. Joseph Roques und – last not least – Brillat-Savarin. Alle diese Männer hatten zwar auch schon unter dem Kaiserreich nach Kräften gut und viel gegessen, ihre eigentliche Blütezeit aber fällt in die Periode der Restauration.
Colnet du Ravel (1768-1832) hat uns die Art de dîner en ville geschenkt, der Dr. Roques (1772-1850) sich durch seinen Traité des plantes usuelles bekannt gemacht, Brillat-Savarin aber hat der Welt die Physiologie du goût gegeben, nach Form und Inhalt vielleicht das vollendetste Werk, welches das neunzehnte Jahrhundert bisher hervorgebracht hat.
Anthelme Brillat-Savarin, geboren am 1. April 1755 zu Belley, der Hauptstadt der Jura-Landschaft Le Bugey, die später den Namen des Departement de l'Ain erhielt, stammte aus einer angesehenen Familie, deren männliche Mitglieder schon mehrere Generationen hindurch nicht unbedeutende Aemter im Staatsdienste und namentlich bei der Justiz bekleidet hatten. Auch der junge Anthelme widmete sich dieser Carrière und erhielt, nachdem er seine Rechtsstudien in Dijon beendet hatte, das Amt eines Civilrichters der Vogtei Belley, eine Stellung, die ihm hinreichend Muße ließ, um seine auf der Universität begonnenen physikalischen und chemischen Studien fortzusetzen, sich eine eingehende Kenntnis der classischen Literatur seines Landes anzueignen und nebenbei der Jagd, der Musik und dem Minnedienste obzuliegen. Bei diesem angenehmen Zeitvertreibe überraschte ihn die Revolution und führte ihn 1789 als erwählten Vertreter des dritten Standes des Bugey in die constituirende Versammlung nach Paris. Da im Bugey der dritte Stand schon vor der Revolution politische Rechte besessen hatte und die socialen Verhältnisse in der kleinen Landschaft verhältnismäßig vortrefflich waren, so kann es bei dem friedliebenden Charakter, der allen Gastronomen eigen ist, nicht befremden, daß der Deputirte des Bugey sich allen Neuerungen abgeneigt zeigte und unter anderm die Eintheilung des Landes in Departements, die Einführung der Geschwornen-Gerichte und die Abschaffung der Todesstrafe von der Tribüne herab bekämpfte. Ueberdies folgte er in dieser Hinsicht nicht bloß seiner eigenen Ueberzeugung, sondern auch der Ansicht der Mehrzahl seiner Wähler, die wie er und – die Feinschmeckerei vielleicht abgerechnet – aus denselben Gründen conservativ gesinnt waren.
Nach Ablauf seines Mandats am 30. September 1791 wurde Brillat-Savarin zum Präsidenten des Civilgerichts des neu gebildeten Departement de l'Ain ernannt, er bekleidete jedoch diese Stelle nur kurze Zeit, denn in Folge der Ereignisse des 10. August 1792, die dem Königthum den Garaus machten, wurde er seines Amtes enthoben und nach Hause geschickt. Um ihm gewissermaßen für diese Unbill Genugthuung zu geben, erwählten ihn seine Mitbürger zum Maire von Belley, erwiesen ihm aber damit einen schlimmen Dienst, denn bald gerieth der neue Maire mit den revolutionären Behörden in Conflict, und nach der Niederlage der Gironde am 2. Juni 1793 schwebte er in der größten Gefahr, vor das Revolutions-Tribunal gestellt und guillotinirt zu werden, ein Loos, vor dem nur sein musikalisches Talent ihn bewahrte, das ihn in den Augen der Frau des Volksrepräsentanten Prôt Gnade finden ließ. Unter diesen Umständen hielt er es jedoch für das Gerathenste, eine möglichst weite Strecke Wegs zwischen sich und die Guillotine zu bringen und flüchtete daher zuerst nach Köln, ging dann nach der Schweiz und setzte endlich nach Amerika über, wo er zunächst in Hartfort und später in New-York als Sprachlehrer und Mitglied der Theatercapelle sich wohl oder übel durchschlug.
Nach dreijähriger Abwesenheit kehrte er endlich 1796 nach Frankreich zurück, erhielt, nachdem er von der Liste der Emigranten gestrichen worden, eine Stelle als Stabssecretär, begleitete als solcher 1797 den General Augereau an den Rhein und wurde dann vom Directorium als Regierungs-Commissar beim Criminalgerichtshofe in Versailles angestellt. Nach dem Sturze des Directoriums berief ihn der erste Consul auf Vorschlag des Senats an das reorganisirte Oberappellationsgericht in Paris, und in dieser Stellung ist er bis zu seinem Tode verblieben.
Was Brillat-Savarin als Mitglied der constituirenden Versammlung und als Beamter geleistet hat, ist längst vergessen, auch sein Essai historique et critique sur le duel und seine Fragments sur l'administration judiciaire, kleine Abhandlungen, zu denen seine amtliche Thätigkeit ihm Anlaß gab, sind längst verschollen – unvergessen und unvergeßlich aber ist er in seiner Eigenschaft als Gastronom und Verfasser der »Physiologie des Geschmacks.« Fünfundzwanzig Jahre lang hat er an diesem Werke gefeilt und gebessert, dagegen ist es ihm aber auch gelungen, sich mit diesem einzigen Wurfe einen Platz unter den ersten Schriftstellern seiner Nation zu sichern. »Seit dem sechzehnten Jahrhundert,« sagt Balzac mit vollem Recht, »haben wir mit Ausnahme La Bruyères und La Rochefoucaulds keinen Prosaisten gehabt, der dem französischen Ausdruck ein so kräftiges Relief zu geben verstanden hätte. Was aber das Werk Brillat-Savarins ganz besonders auszeichnet, das ist die Komik in Gestalt des Humors, das specielle Kennzeichen der französischen Literatur jener großen Epoche, die mit der Ankunft Katherines von Medicis in Frankreich ihren Anfang nahm. Daher gefällt es auch bei der zweiten Lectüre noch mehr als bei der ersten.« Balzac schrieb dies Urtheil erst eine Reihe von Jahren nach dem Erscheinen der Physiologie. Wie das Werk aber unmittelbar wirkte, darüber haben wir ein vollwichtiges Zeugnis an dem Urtheile, das Grimod de la Reynière nach der ersten Lectüre über dasselbe fällte – Grimod de la Reynière, dessen der stolze Autor der Physiologie mit keinem Worte, mit keiner Silbe gedenkt! »Ich habe,« schreibt der Verfasser des Almanach des Gourmands seinem Freunde de Cussy – »ich habe die Physiologie des Geschmacks von dem armen Brillat-Savarin gelesen, der seinen Erfolg nur so kurze Zeit überlebt hat. Das ist in Wahrheit ein Werk der höhern Gastronomie, neben welchem mein Almanach der Feinschmecker nur trübselige Pfuscherei ist. Wie hat nur ein so umfassendes, so picantes Talent sich so lange verstecken können! ... Es ist ohne Widerrede das beste Buch, das seit vielen Jahren erschienen ist und würde von Rechtswegen dem Autor die Thür der Academie öffnen, wenn diese sich überhaupt für Leute von überlegenem Genie aufthäte.« Und einige Tage später fügt er hinzu: »Ich habe Brillat-Savarin nie gesehen, bedaure ihn aber nach der einfachen Lectüre seines Werks von ganzem Herzen; und dies Gefühl ist durchaus uneigennütziger Natur, denn er hat in seinen beiden Bänden auch nicht ein Sterbenswörtchen vom Almanach der Feinschmecker zu sagen geruht. Und doch durfte er ihn ohne Gefahr citiren, denn ich gestehe gern und willig, daß ich neben einem Künstler von dieser Stärke nur ein Kleckser bin. Er hat die erhabene Gaumenkunst geadelt, indem er als Philosoph, als Metaphysiker, als trefflicher Philologe von ihr spricht, und ich bin im Vergleich zu ihm nur ein jämmerlicher Pfuscher.« So urtheilte Grimod de la Reynière, vielleicht der einzige Mensch, der sich mit Grund über Brillat-Savarin zu beklagen hatte, und dies Urtheil ist zugleich ein kostbarer Beleg für die Wahrheit unserer weiter oben begründeten Behauptung, daß die Gastronomie die beste Schule der Selbstlosigkeit ist und diese Tugend bei ihren Bekennern zu einer Höhe entwickelt, die Staunen und Bewunderung abnöthigt.
Die »Physiologie des Geschmacks« erschien im Jahre 1825 Das Werk ist auch der deutschen Literatur nicht mehr fremd: schon 1864 erschien eine Uebersetzung desselben von dem bekannten Naturforscher Carl Vogt, die seitdem mehrere Auflagen erlebt hat. und machte, durch eine witzige Kritik Hoffmanns im Journal des Débats glänzend eingeführt, den bis dahin nur als liebenswürdigen Tafelgenossen und geistreichen Gesellschafter bekannten Verfasser im Handumdrehen zum berühmten Mann. Aber nur kurze Zeit sollte Brillat-Savarin sich dieses Glücks erfreuen. Bereits unpaß, empfing er am 18. Januar 1826 ein Schreiben des Präsidenten de Sèze, in welchem er aufgefordert wurde, am Jahrestage der Hinrichtung Ludwigs XVI. der Gedenkfeier in der Kirche zu Saint-Denis beizuwohnen. Die Aufforderung schloß mit der Bemerkung: »Ihre Anwesenheit, werther College, wird uns bei dieser Gelegenheit um so angenehmer sein, da es das erste Mal sein wird«. Diese Worte gaben Brillat-Savarin zu denken, und trotz seines Schnupfenfiebers begab er sich am 21. Januar nach Saint-Denis. Die feuchtkalte Luft der Kirche aber verschlimmerte sein Uebel, und schon am 2. Februar 1826 starb er an der Lungenentzündung als Opfer einer nichtsnutzigen Ceremonie, die überdies noch zweien von seinen Collegen, dem Gerichtsrath Robert de Saint-Vincent und dem Generalanwalt Marchangy, welche sich ebenfalls in der Kirche erkältet hatten, in gleicher Weise das Leben kostete. »So schnell zu sterben!« rief ihm Grimod de la Reynière nach – »und wenn es noch wenigstens an einer Unverdaulichkeit gewesen wäre!«
Nachdem wir auf diese Weise den Verfasser der »Physiologie des Geschmacks« von der Wiege bis zur Bahre begleitet haben, wenden wir uns zur gastronomischen Bibliographie zurück, die wir inzwischen ein wenig aus den Augen verloren hatten.
Noch vor der »Physiologie des Geschmacks« erschienen A. Beauvilliers L'art du cuisinier (1816) und C. F. von Rumohrs »Geist der Kochkunst« (1822). Was Brillat-Savarin dem Werke seines Landsmanns nachrühmt: daß es den Stempel einer durchdachten Praxis trage, und daß die Kunst vorher nie mit solcher Klarheit und Methode behandelt worden sei – das dürfen wir mit noch größerm Rechte dem deutschen Werke nachrühmen, das wir daher auch demnächst dem Publikum in etwas erneuerter Gestalt vorzulegen gedenken.
Von spätern Werken sind in erster Linie die Schriften Antonin Carêmes zu nennen, namentlich seine Art de la cuisine française au dix-neuvième siècle. Ferner heben wir noch hervor A. Martins Cuisinier des gourmands (1829), James Johnstons Chemistry of common life ( London 1854), G. H. Lewes' Physiology of common life (Leipzig, 1860), Moleschotts »Physiologie der Nahrungsmittel« (Gießen, 1859, 2. Aufl.), The dinner question von Tabitha Tickletooth (London, 1860), The Dictionary of daily wants (London, 1861), A. Payens Précis des substances alimentaires (Paris 1865, 4. édit.) und endlich »Die Nahrungsmittel« von Edward Smith (deutsche Ausgabe, Leipzig, 1874).
Niemand weiß besser als wir selbst, wie lückenhaft und unzulänglich dieser Versuch einer gastronomischen Bibliographie ist. Es kam uns aber auch hauptsächlich nur darauf an, auf den Gegenstand aufmerksam zu machen und zu zeigen, daß die Gastronomie eine wahre und wirkliche Wissenschaft ist, und daß es einer ernsten geistigen Arbeit bedarf, um sich zur Höhe eines Gastrosophen aufzuschwingen und jener unbeschreiblichen Wonne theilhaftig zu werden, die ein nach den Regeln der Kunst bereitetes Mahl einzig dem Adepten gewährt. Wir sind zufrieden, wenn wir diesen Zweck auch nur zum Theil erreicht haben, denn ein Gastronom weiß besser als jeder andere, daß man nie zu viel verlangen darf.
Robert Habs.