Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
6. Der Geschmack ist derjenige von unsern Sinnen, der uns durch die eigenthümliche Empfindung, welche durch die schmeckenden Körper in dem zum Schmecken bestimmten Organe erregt wird, zu eben diesen Körpern in Beziehung setzt.
Der Geschmack, der durch den Appetit, den Hunger und den Durst angeregt wird, bildet die Grundlage verschiedener Verrichtungen, deren Ergebnis darin besteht, daß das Individuum wächst, sich entwickelt, sich erhält und die durch die vitalen Ausscheidungen verursachten Verluste ersetzt.
Die organischen Körper ernähren sich nicht sämmtlich auf dieselbe Weise. Ebenso mannigfaltig in seinen Methoden wie sicher in der Ausführung, hat der Schöpfer ihnen verschiedene Nährweisen vorgeschrieben.
Die Pflanzen, welche die unterste Stufe unter den lebenden Wesen einnehmen, nähren sich vermittelst in den mütterlichen Boden eingesenkter Wurzeln, die durch eine eigenthümliche Mechanik die Substanzen auswählen, welche zur Förderung ihres Wachsthums und zu ihrer Erhaltung geeignet sind.
Auf einer etwas höhern Stufe in der Ordnung der Geschöpfe findet man Körper, die mit animalem Leben begabt, aber keiner Ortsveränderung fähig sind. Sie entstehen in einer Umgebung, die ihre Existenz begünstigt, und der sie durch besondere Organe alles entnehmen, was bei ihrem Antheil am Leben und während ihrer Lebensdauer zu ihrer Erhaltung erforderlich ist. Sie suchen ihre Nahrung nicht, sondern die Nahrung sucht sie.
Für die Thiere endlich, die sich frei im Raume bewegen, und unter denen unstreitig der Mensch das vollkommenste ist, ist abermals ein anderer Nährmodus festgesetzt worden. Ein besonderer Instinkt belehrt sie, wenn sie der Nahrung bedürfen; sie suchen, bemächtigen sich der Dinge, die ihnen zur Stillung ihres Bedürfnisses geeignet erscheinen, verspeisen dieselben, stellen dadurch ihre Kräfte wieder her und durchlaufen auf diese Weise die ihnen bestimmte Bahn im Leben.
Man kann den Geschmack aus drei verschiedenen Gesichtspunkten betrachten:
Im physischen Menschen ist er der Apparat, mit dessen Hilfe die Schmackhaftigkeit der Dinge geprüft wird;
Im moralischen Menschen betrachtet, ist er die Empfindung, welche das durch einen schmeckenden Körper gereizte Organ im gemeinsamen Centrum erzeugt;
Endlich in seiner materiellen Ursache betrachtet, ist der Geschmack das einem Körper eigenthümliche Vermögen, das Geschmacksorgan zu reizen und die Empfindung zu erzeugen.
Der Geschmack scheint hauptsächlich auf zweierlei Art von Nutzen zu sein:
Erstens regt er uns durch das Vergnügen an, die ununterbrochenen Verluste zu ersetzen, die wir durch die Lebensthätigkeit erleiden;
Zweitens hilft er uns unter den verschiedenen, von der Natur dargebotenen Substanzen diejenigen auswählen, die geeignet sind, uns zur Nahrung zu dienen.
Bei dieser Wahl wird der Geschmack in hervorragender Weise durch den Geruch unterstützt, wie wir noch weiter unten sehen werden, denn man darf im Großen und Ganzen den Grundsatz aufstellen, daß die nährenden Substanzen weder dem Geschmack noch dem Geruch zuwider sind.
7. Die genaue Feststellung, worin eigentlich das Organ des Geschmackssinns besteht, ist keine leichte Sache, denn dies Organ ist complicirter, als es den Anschein hat.
Sonder Frage spielt die Zunge im Mechanismus des Schmeckens eine bedeutende Rolle, da sie in Anbetracht ihrer ziemlich ungebundenen Muskelkraft zum Durcheinanderrühren, Umwenden, Auspressen und Verschlucken der Speise dient.
Außerdem saugt sie mittelst einer mehr oder weniger großen Anzahl von Warzen, mit denen sie bedeckt ist, die schmeckenden und löslichen Theile der Körper ein, mit denen sie in Berührung kommt. Aber das alles ist noch nicht hinreichend, und noch verschiedene andere angrenzende Theile tragen zur Vervollständigung der Empfindung bei, nämlich die Wangen, der Gaumen und vor allem die Nasenhöhle, deren Antheil die Physiologen noch nicht zur Genüge hervorgehoben haben dürften.
Die Wangen liefern den Speichel, der ebenso zum Kauen wie zur Bildung des Bissens von nöthen ist. Wie der Gaumen sind sie mit einem Bruchtheil von Geschmackschätzungsvermögen begabt, und ich bin nicht sicher, ob in gewissen Fällen nicht sogar das Zahnfleisch einigen Antheil an der Schmeckfähigkeit hat. Unstreitig aber würde ohne das Riechen, das in der Rachenhöhle vor sich geht, die Geschmacksempfindung nur schwach und durchaus unvollständig sein Da die Geschmacksobjecte nur im gelösten Zustande schmeckbar sind (s. den folgende» Abschnitt) und die Zunge jederzeit eine große Neigung zur Berührung der Wandungen der Mundhöhle hat, so ist die Feststellung der die Geschmacksempfindungen vermittelnden Theile mit besondern Schwierigkeiten verknüpft, denn infolge jener Umstände ist es fast unmöglich, eine Uebertragung der Geschmacksobjecte auf andere Theile als den in Untersuchung genommenen zu verhüten. Die Physiologen haben daher, wenn auch nicht dem Zahnfleisch und den Wangen, so doch dem weichen Gaumen, dem Gaumenbogen, dem der Zungenwurzel gegenüberliegenden Theil des Schlundes und sogar der Schleimhaut der Luftröhre Geschmacksempfindung zuerkennen zu müssen geglaubt – die Angaben darüber sind aber so mannigfaltig und zum Theil widersprechend, daß man vorläufig am besten thut, die Zunge als das einzige Geschmacksempfindungen vermittelnde Organ festzuhalten. Nicht alle Theile der Zunge aber sind in gleichem Grade mit Schmeckfähigkeit ausgestattet: die untere Seite entbehrt dieselbe ganz, der mittlere Theil der vordem Zungenhälfte ist nur in geringem Maße damit versehen, stärker tritt sie an den Zungenrändern auf und am ausgeprägtesten endlich an der Zungenwurzel, in die der Zungenschlundkopfnerv ( Nervus glossopharyngeus) einmündet. Dieser Nerv scheint der Hauptleiter für die Geschmacksempfindungen zu sein, und daraus erklärt sich, warum selbst bei Abtrennung der Zunge bis auf die Wurzel das Geschmacksvermögen nicht erlischt. In welchem Grade der Lingualast des Quintus ( Nervus trigeminus) an den Geschmacksempfindungen der vordern Zungenhälfte Antheil hat, ist noch nicht mit Sicherheit bekannt, der Hypoglossus dagegen, der dritte von den drei großen zur Zunge gehenden Nerven, steht unzweifelhaft in keiner Beziehung zu diesen Sensationen, sondern dient nur zur Bewegung der Zunge. Der Uebers..
Personen, die ohne Zunge geboren oder denen dieselbe abgeschnitten wurde, schmecken immer noch ziemlich gut. Fälle der erstern Art finden sich in allen Büchern angeführt, einen Fall der zweiten aber konnte ich ziemlich eingehend an einem armen Teufel studiren, dem in Algier die Zunge abgeschnitten worden war, weil er mit einigen Mitgefangenen einen Fluchtversuch gemacht hatte.
Ich traf diesen Mann in Amsterdam, wo er als Packträger sein Leben fristete, und da er einige Erziehung genossen hatte, konnte man sich schriftlich mit Leichtigkeit mit ihm verständigen.
Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß ihm der ganze vordere Theil der Zunge bis zum Bändchen weggeschnitten war, fragte ich ihn, ob er noch einigermaßen schmecke, was er esse, und ob die Geschmacksempfindung die grausame Operation überlebt habe, der man ihn unterworfen hatte.
Er erwiderte mir, daß das Schlucken, das nur mit einiger Schwierigkeit vor sich ging, ihm am meisten beschwerlich falle, daß der Geschmack sich ziemlich gut erhalten habe, und daß er wie die andern das Unschmackhafte vom Angenehmen unterscheide, daß aber scharf saure oder bittere Sachen ihm unerträgliche Schmerzen verursachten.
Er belehrte mich auch, daß das Zungenabschneiden eine in den afrikanischen Ländern gewöhnliche Strafe sei, die besonders über solche verhängt würde, die man für die Häupter irgend eines Complots ansehe, und daß man besondere Instrumente dazu habe. Ich hätte gern eine Beschreibung derselben gehabt, bezüglich dieses Punktes aber legte er einen so schmerzlichen Widerwillen an den Tag, daß ich nicht weiter darauf bestand.
Ich dachte über seine Mittheilungen nach, und indem ich mich in die dunkeln Zeiten des Aberglaubens, wo man den Gotteslästerern die Zunge durchlöcherte und abschnitt, und in die Epoche zurückversetzte, wo diese Gesetze aufgestellt worden waren, glaubte ich mich zu dem Schlusse berechtigt, daß sie afrikanischen Ursprungs und durch die rückkehrenden Kreuzfahrer nach Europa gebracht seien.
Wir haben oben gesehen, daß die Geschmacksempfindung hauptsächlich in den Zungenwarzen ihren Sitz hat. Nun lehrt aber die Anatomie, daß nicht alle Zungen gleichmäßig damit versehen sind, sondern daß bisweilen eine Zunge dreimal mehr Warzen besitzt als eine andere. Dieser Umstand macht erklärlich, warum bisweilen von zwei Essern, die an demselben Tische sitzen, der eine sich wonnig ergriffen fühlt, während der andere ein Gesicht macht, als ob er zum Essen gezwungen würde: die Zunge des letztern ist eben schlecht mit Handwerkszeug versehen. Das Reich des Geschmacks hat eben auch seine Blinden und Tauben.
8. Man hat fünf oder sechs verschiedene Ansichten über die Weise, in der die Geschmacksempfindung vor sich geht. Auch ich habe die meine, und hier ist sie:
Die Geschmacksempfindung ist eine chemische Operation auf nassem Wege, wie man früher sagte, d. h. die schmeckenden Moleküle müssen in irgend einer Flüssigkeit aufgelöst sein, um von den Nervenbüscheln, Schmeckwarzen oder Saugrüsseln, mit denen das Innere des Schmeckapparats bekleidet ist, absorbirt werden zu können
Als Ergänzung zu diesen Angaben über die Mechanik des Schmeckens geben wir nachstehend eine bezügliche Stelle aus einem Vortrage des Dr. Wolff über die
Mechanik des Riechens.
»Beim Schmecken,« sagt Wolff, »machen wir zunächst die Zunge breit, pressen ihre vordere Hälfte energisch und luftdicht an den Gaumen und ziehen nun, wie wir deutlich fühlen und zischen hören, Speichel hinein in einen zwischen dem nicht anliegenden Theile der Zunge und dem Gaumen bleibenden Zwischenraum. Auf diesen Zug und auf diesen Zwischenraum kommt es zuvörderst an. Wir ziehen nämlich die Zunge, deren Rücken ja für gewöhnlich unmittelbar am Gaumen anliegt, in ihrem mittleren Theile ebenso kräftig herab und in ihrem hinteren nach oben und vorn, wie wir ihr vorderes Ende fest an den vorderen Theil des Gaumens pressen. Da sich nun auch die seitlichen Theile der Zunge, wie wir ebenfalls fühlen können, innig an die absteigenden Wände des Gaumengewölbes anlegen, so folgt, daß die Zunge durch diese ihre Arbeit sich mehrweniger hohl macht und zwischen sich und dem Gaumen einen leeren Raum herzustellen bestrebt ist, dessen Umfang sich natürlich nach dem Umfange der Masse richten wird, welche die Zunge auf sich genommen hat. Haben wir nun z. B. ein Stückchen Frucht auf der Zunge, so wird dieses durch die angedeutete Arbeit der letztern förmlich ausgesogen, und zwar umsomehr, als namentlich der vordere Theil der Zunge den Bissen in dem Maße, als er durch die Saugbewegung ihres mittleren Theiles kleiner wird, an den Gaumen andrückt. Hiernach ist beim Schmecken, wie beim Riechen, ein Druck- und Saugwerk thätig – beide, der mechanische Druck, den die Zunge gegen den Gaumen bez. den Bissen ausübt, wie die Saugbewegungen der Zunge arbeiten aber auf dasselbe Ziel hin. Sie treiben die Flüssigkeit, die der Bissen von Hause aus oder durch seine Benetzung bez. Vermengung mit Speichel enthält, aus ihm heraus. Da nun der Zug von unten und hinten her und der Druck von vorn und nach oben erfolgt, so muß die ausgetriebene Flüssigkeit vorzugsweise gegen den hintern Theil der Zungenoberfläche andrängen. Hier aber liegen, wie wir wissen, unsere Geschmacksbecher, Geschmacksnervenendigungen: folglich wird die aus dem Bissen gedrückte und gesogene Flüssigkeit, die wir eben schmecken wollen, gerade gegen diese Theile drücken, und werden die Moleküle der ersteren zwischen die der letzteren mehr oder weniger eindringen. Gleichzeitig muß aber durch die beim Schmecken ausgeführten Saugbewegungen der Zunge das chemisch zwar noch nicht genügend untersuchte, keinesfalls aber indifferente, sondern alkalische Secret der so sehr zahlreichen sogenannten Schleimdrüsen, die sich hinten auf der Zunge und über derselben am harten und weichen Gaumen befinden, aus ihren steifen, weiten Ausführungsgängen herausgesogen werden. Wir hören es deutlich zischen, wenn wir in der beschriebenen Weise, auch ohne etwas auf der Zunge zu haben, anziehen, und fühlen deutlich, daß sich sofort eine Menge Flüssigkeit ansammelt, die wir, wenn die Druck- und Saugarbeit der Zunge unterbrochen wird, alsbald das Bedürfnis haben hinunterzuschlucken. Folglich wird dieser Speichel oder Schleim in die ausgepreßte und ausgesogene Flüssigkeit des Bissens von allen Seiten her hineinstürzen, sich mit ihr aufs Innigste vermischen, werden die Moleküle der beiden Flüssigkeiten aufs Heftigste gegen einander bewegt und wenigstens theilweise in neue, andersartig zusammengesetzte Moleküle umgewandelt werden, mithin chemische Verbindungen in ähnlicher Weise enstehen können wie beim Riechen, wo die im Riechschleime verflüssigten Gasmoleküle mehr oder weniger vollständig in die von jenem gedrängt werden. Es müssen also hier wie dort Moleküle, die eine andere Atomzusammensetzung und andere Bewegungsverhältnisse haben, in die Endigungen der Sinnesnerven mehrweniger eindringen, deren Molekularzusammensetzung und die Molekularbewegung in ihren Röhren ändern, sie mit einem Worte reizen und so die specifische Empfindung hervorbringen, die wir riechen und schmecken nennen. Was aber für den feuchten Bissen gilt, gilt
mutatis mutandis auch für die Geschmacksprüfung von Flüssigkeiten. Demnach ist der beschriebene künstlich herstellbare Zwischenraum zwischen Zunge und Gaumen der Wirbelthiere als
Geschmackshöhle aufzufassen, und es ist im Beihalt einer Menge anderer, hier nicht näher aufzuführender Gründe nicht zweifelhaft, daß die Schleimdrüsen an den Wänden der Geschmackshöhle die eigentlichen
Geschmacksdrüsen, d. h. die Producenten derjenigen Flüssigkeit sind, welche auf die zu schmeckende Substanz chemisch einwirkt.« S.
Virchow-Holtzendorff, Samml. gemeinverständl. wissenschaftlicher Vorträge, Heft 289, S. 25 ff, D. Uebers..
Ob neu oder nicht, beruht dies System auf physischen und fast handgreiflichen Beweisen.
Reines Wasser verursacht keine Geschmacksempfindung, weil es keine schmeckenden Theile enthält. Aber man löse ein Körnchen Salz, einen Tropfen Essig darin auf, und die Empfindung wird sich einstellen.
Dagegen rufen alle übrigen Getränke eine Empfindung bei uns hervor, weil sie nichts anderes sind als mehr oder minder gesättigte Lösungen schmeckender Moleküle.
Vergebens würde man den Mund mit zerkleinerten Theilchen eines unlöslichen Körpers anfüllen, die Zunge würde nur die Gefühlsempfindung, keine Geschmacksempfindung spüren.
Was die festen schmeckenden Körper anlangt, so müssen sie von den Zähnen zerkleinert, vom Speichel und den übrigen Mundflüssigkeiten durchfeuchtet und von der Zunge gegen den Gaumen gepreßt werden, damit ein Saft austritt, der alsdann, da er nun hinlänglich mit Geschmack gesättigt ist, von den Schmeckwarzen geprüft wird, die dem auf obige Weise zermalmten Körper den Paß ausstellen, dessen er bedarf, um Zulaß zum Magen zu finden.
Dies System, das noch weiter entwickelt werden wird, löst ohne Mühe die hauptsächlichsten Fragen, die man vorbringen kann.
Denn wenn gefragt wird, was unter schmeckenden Körpern zu verstehen sei, so lautet die Antwort: jeder Körper, der löslich und zur Aufsaugung durch das Geschmacksorgan geeignet ist.
Und wenn gefragt wird, wie der schmeckende Körper wirkt, so erfolgt die Antwort: er wirkt jedesmal, wenn er sich in einem solchen Lösungszustande befindet, daß er in die kleinen Höhlungen eintreten kann, welche zur Aufnahme und Vermittlung der Empfindung bestimmt sind.
Mit einem Wort: Nichts schmeckt, als was bereits gelöst oder der Lösung nahe ist.
9. Die Zahl der Geschmäcke ist eine unendliche, denn jeder lösliche Körper besitzt einen besondern Geschmack, der nie völlig einem andern gleicht.
Außerdem verändern sich die Geschmäcke durch die einfache, doppelte und mehrfache Zusammenstellung, sodaß es unmöglich ist, ein methodisch geordnetes Verzeichnis derselben vom lockendsten an bis zum unleidlichsten, von der Erdbeere an bis zur Coloquinte, zu entwerfen. Auch ist bis jetzt jeder derartige Versuch nahezu völlig mißglückt.
Darüber braucht man sich aber nicht zu wundern, denn da es thatsächlich unendliche Reihen einfacher Geschmäcke giebt, die durch gegenseitige, mit beliebiger Zahl und Menge vorgenommene Verbindungen modificirt werden können, so bedürfte es einer neuen Sprache, um alle diese Spielarten zu bezeichnen, eines Riesengebirgs von Folianten, um sie zu definiren, und unbekannter Zahlzeichen, um sie fortlaufend zu numeriren.
Da sich aber bisher noch keine Gelegenheit gefunden hat, bei der man irgend einen Geschmack mit mathematischer Genauigkeit hätte definiren können, so ist man noch immer gezwungen, sich an eine kleine Reihe allgemeiner Bezeichnungen wie süß, bitter, sauer, herb u. s. w. zu halten, die sich in letzter Linie auf zwei, nämlich angenehm schmeckend und unangenehm schmeckend, reduciren lassen, dabei aber hinreichen, um sich verständlich zu machen und ungefähr die Geschmackseigenthümlichkeit des schmeckenden Körpers zu bezeichnen, mit dem man sich beschäftigt.
Unsere Nachkommen werden mehr darüber wissen als wir, denn es steht kaum noch zu bezweifeln, daß die Chemie ihnen die Ursachen oder die Grundbestandtheile der Geschmäcke enthüllen wird.
10. Die Stufenfolge einhaltend, die ich mir vorgeschrieben habe, bin ich unvermerkt zu dem Punkte gelangt, wo ich den Geruch in die ihm gebührenden Rechte einzusetzen und die wichtigen Dienste anzuerkennen habe, die er bei der Beurtheilung der Geschmäcke leistet. Ich habe nämlich unter den Autoren, die mir unter die Hände gekommen sind, noch keinen einzigen gefunden, der ihm volle Gerechtigkeit hätte widerfahren lassen.
Ich für mein Theil bin nicht nur überzeugt, daß es ohne Betheiligung des Geruchs keine vollständige Geschmacksempfindung
giebt, sondern auch geneigt zu glauben, daß Geruch und Geschmack nur einen einzigen Sinn ausmachen, dessen Werkstatt der Mund und dessen Rauchfang die Nase ist, oder, genauer ausgedrückt, von denen der eine zum Schmecken der fühlbaren Körper, der andere zum Schmecken der Gase dient
Unzweifelhaft steht der Geruch in engster Beziehung zum Geschmack und trägt wesentlich zum Zustandekommen der vollständigen Geschmacksempfindung bei; daher bezeichneten auch die Lateiner den objektiven Geruch und Geschmack mit ein und demselben Ausdruck:
sapor
. Diese enge Beziehung und dies Zusammenwirken der beiden Sinne begründet aber noch keineswegs eine Identität derselben, denn wenn auch der Geruch die Geschmacksempfindung vervollständigt, so vervollständigt doch nicht auch umgekehrt der Geschmack die Geruchsempfindung, wie man leicht erproben kann, indem man eins Rose zerkaut oder auch nur einfach in den Mund nimmt und ihren Duft durch die Nase ausathmet: in beiden Fällen ist die Geruchsempfindung höchst unbedeutend im Vergleiche zu der, welche man bei unmittelbarem Aufsaugen des Duftes durch die Nase hat.
Uebrigens wird der Geschmackssinn nicht bloß durch den Geruch, sondern auch durch das Gesicht unterstützt, wie die Weinproben mit verbundenen Augen beweisen. Doch dürfte in diesem Falle die Erinnerung an frühere Eindrücke, also eine Thätigkeit des Centralorgans, mehr Antheil am Zustandekommen der Geschmacksempfindung haben als die Thätigkeit des Auges für sich. D. Uebers..
Dies System kann nachdrücklich vertheidigt werden, da ich aber nicht die Absicht habe, Schule zu machen, so deute ich es hier nur an, um den Leser zum Nachdenken anzuregen und ihm zu zeigen, daß ich mich eingehend mit dem Gegenstande beschäftigt habe, den ich behandle. Jetzt nun fahre ich in meiner Darlegung der Wichtigkeit des Geruchs wenn nicht als eines Bestandtheils des Geschmackssinns, so doch als des unerläßlichen Zubehörs desselben fort.
Jeder schmeckende Körper hat nothwendigerweise auch Geruch und gehört demzufolge ebenso in den Bereich des Geruchs- wie des Geschmackssinns.
Man ißt nichts, ohne es zugleich mit größerer oder geringerer Ueberlegung zu riechen, und unbekannten Speisen gegenüber versteht die Nase stets das Amt einer Schildwache, die Werda? ruft.
Setzt man den Geruchssinn außer Thätigkeit, so wird auch der Geschmack paralysirt. Das erhellt aus drei Versuchen, von deren Richtigkeit sich jeder durch eigene Erfahrung überzeugen kann und immer mit gleichem Erfolge überzeugen wird.
Erster Versuch. Wenn die Nasenschleimhaut durch eine heftige Coryza (Schnupfen) krankhaft gereizt wird, so verschwindet der Geschmack. Man schmeckt in diesem Falle gar nicht, was man ißt, und doch befindet sich die Zunge in ihrem natürlichen Zustande.
Zweiter Versuch. Hält man sich beim Essen die Nase zu, so verspürt man zu seinem Erstaunen nur eine schwache und unvollkommene Geschmacksempfindung. Die widerwärtigsten Arzneien passiren auf diese Weise den Schlund fast unbemerkt.
Dritter Versuch. Die nämliche Wirkung beobachtet man, wenn man im Augenblicke des Hinabschluckens die Zunge an den Gaumen gedrückt hält, anstatt sie in ihre natürliche Lage zurückzubringen. Man verhindert dadurch die Luftcirculation, der Geruchssinn wird infolge dessen nicht erregt, und es findet kein Schmecken statt.
Alle diese Wirkungen beruhen auf der nämlichen Ursache, auf dem Mangel der Mitwirkung des Geruchssinns. Infolge dieses Mangels wird der schmeckende Körper nur nach seinem Safte und nicht auch nach dem Geruche beurtheilt, der ihm entströmt.
11. Nachdem ich auf diese Weise die Principien festgestellt habe, halte ich es für ausgemacht, daß der Geschmack Empfindungen von dreierlei Art veranlaßt, nämlich die unmittelbare Empfindung, die vollständige Empfindung und die überdachte Empfindung.
Die unmittelbare Empfindung ist jene erste Wahrnehmung, welche durch die unmittelbare Thätigkeit der Mundwerkzeuge veranlaßt wird, während der schmeckende Körper sich noch auf der Vorderzunge befindet Einige Physiologen schreiben allerdings der Zungenspitze eine ausgeprägte Schmeckfähigkeit zu, da aber die Hauptaufgabe des Zungenastes des Quintus unstreitig die Leitung der Tastempfindungen ist, so darf man eher der Ansicht Karl Vogts beistimmen, der den größeren Theil der Empfindungen auf der Vorderzunge für Tastempfindungen erklärt und deren Mannigfaltigkeit aus der ungemeinen Empfänglichkeit der Zungenspitze für Tasteindrücke ableitet. Die unmittelbare Geschmacksempfindung Brillat-Savarins wird demnach nur zum kleinern Theile durch eigentliche Geschmackseindrücke, zum größern vielmehr durch Tasteindrücke gebildet, die aber eben infolge des ungemeinen Feingefühls der Zungenspitze nicht unwesentlich zur Erzeugung der vollständigen Empfindung beitragen. D. Uebers.
Die
vollständige Empfindung setzt sich aus dieser ersten Wahrnehmung und dem Eindrucke zusammen, welcher entsteht, wenn die Speise jene erste Stellung verläßt, in die Rachenhöhle übergeht und durch ihren Geschmack und Geruch auf das ganze Organ einwirkt
Diese
vollständige Empfindung ist mithin höchst zusammengesetzter Art. Sie besteht
1. aus den
Tastempfindungen, welche durch das Umwenden und Auspressen des Bissens mittelst der Zunge erzeugt werden;
2. aus den eigentlichen
Geschmacksempfindungen, die durch die Einwirkung der gelösten Bestandtheile des Bissens auf die Schmeckwarzen entstehen;
3. aus den
Geruchsempfindungen, welche das Vorbeigleiten des Bissens vor den hintern Nasenöffnungen im Gefolge hat, und
4. endlich aus dem vom Autor erst im folgenden Abschnitt behandelten
Nachgeschmack, dessen Entstehungsweise noch nicht mit Sicherheit bekannt ist. D. Uebers.
Die
überdachte Empfindung endlich ist das Urtheil, das die Seele über die Eindrücke fällt, die ihr durch das Organ übermittelt werden
Die
überdachte Empfindung (
sensation réflechie) ist also die Umsetzung einer Wahrnehmung in Vorstellung, eines Seienden in Gewußtes, also eine Action des Gehirns, an der das Geschmacksorgan keinen Antheil mehr hat, und die daher nicht mehr eine Lust aus dem Körper, sondern eine Lust aus dem Wissen gewährt.
Die
Geschmackstäuschungen übergeht unser Autor. Dieselben sind fast durchgängig unangenehmer Art und bilden in nicht seltenen Fällen die Veranlassung zum Vergiftungswahn, sodaß der Kranke die Annahme jeder, auch der unschuldigsten Nahrung verweigert.
Der Uebersetzer..
Bringen wir nun dies System in Anwendung und sehen wir, was im essenden oder trinkenden Menschen vorgeht.
Wenn man z. B. eine Pfirsiche ißt, so wird man zunächst durch den Geruch angenehm berührt, der ihr entströmt. Man bringt sie in den Mund, und nun verspürt man eine säuerliche Kühle, die zum Weiteressen auffordert; aber erst im Augenblicke des Hinabschluckens, wenn der Bissen unter den Nasenhöhlen hingleitet, offenbart sich uns der Wohlgeruch, der die Empfindung vervollständigt, welche eine Pfirsiche erregen muß. Und erst nachdem man sie hinabgeschluckt hat, beurtheilt man das Empfundene und sagt sich: »Ah! köstlich!«
Ganz das Nämliche findet beim Trinken statt. So lange der Wein noch im Munde ist, hat man eine zwar angenehme, aber noch nicht vollkommene Empfindung: erst in dem Augenblicke, wo man zu schlucken aufhört, vermag man das jeder Sorte eigenthümliche Parfüm wirklich zu schmecken, zu beurtheilen, ausfindig zu machen, und alsdann bedarf es einer kleinen Pause, bevor der Kenner sagen kann: »Er ist gut oder erträglich oder schlecht. Beim Styx! es ist Chambertin! Allmächt'ger Gott, es ist Grüneberger!«
Daraus erhellt, daß es völlig den Grundsätzen der Wissenschaft und einer zweckmäßigen Methode gemäß ist, wenn die Kenner ihren Wein schlürfen ( they sip it), denn beim Innehalten nach jedem Schlückchen haben sie jedesmal das nämliche Vergnügen, als wenn sie das ganze Glas auf einen einzigen Zug leerten.
Ganz derselbe Vorgang wiederholt sich, nur in noch weit ausgeprägterer Weise, wenn der Geschmackssinn unangenehm berührt werden soll.
Seht dort jenen Kranken, der auf Anordnung des Arztes ein ungeheures Glas voll pechschwarzer Arznei einzunehmen hat, wie man sie zur Zeit Ludwigs XIV. schlucken mußte.
Ein getreuer Eckart, warnt ihn der Geruch vor dem ekelhaften Geschmack des niederträchtigen Tranks. Seine Augen vergrößern sich wie beim Nahen einer Gefahr, auf seinen Lippen prägt sich der Widerwille aus, und sein Magen hebt sich. Aber man spricht ihm Muth ein, er wappnet sich mit Entschlossenheit, gurgelt sich mit Branntwein, hält sich die Nase zu und trinkt ...
So lange der Pesttrank sich im Munde befindet und die Wandungen des Organs bespült, ist die Empfindung verworren und der Zustand noch erträglich. Beim letzten Schlucke aber stellt sich der Nachgeschmack ein, die widrigen Gerüche üben ihre Wirkung, und die Züge des Kranken drücken einen Abscheu und eine Geschmacksempfindung aus, der eben nur die Furcht vor dem Tode Trotz zu bieten vermag.
Handelt es sich dagegen um ein geschmackloses Getränk wie z. B. ein Glas Wasser, so hat man weder Geschmack noch Nachgeschmack: man empfindet nichts, man denkt nichts – man hat getrunken, und das ist alles.
12. Der Geschmackssinn ist nicht so reich begabt wie das Gehör. Dieses kann mehrere Töne zu gleicher Zeit auffassen und mit einander vergleichen, die Thätigkeit des Geschmacks dagegen ist eine einfache, d. h. er kann nicht gleichzeitig zwei verschiedene Geschmäcke empfinden.
Aber er kann mittelst einer Aufeinanderfolge zweifach oder gar mehrfach sein, d. h. man kann nach einander bei ein und demselben Act des Schluckens eine zweite und sogar eine dritte Empfindung haben, die stufenweis schwächer werden, und die man durch die Ausdrücke Nachgeschmack, Parfüm oder Blume bezeichnet – gerade wie ein geübtes Ohr, wenn ein Hauptton angeschlagen wird, noch eine oder auch mehrere Reihen von Nebentönen hört, deren Zahl noch nicht genau festgestellt ist.
Die hastigen und unachtsamen Esser unterscheiden die Eindrücke des zweiten Grades nicht. Diese sind vielmehr das ausschließliche Erbtheil einer kleinen Anzahl Auserwählter, die vermittelst ihrer die verschiedenen Substanzen, die ihrem Gutachten unterworfen werden, nach dem Grade ihrer Vortrefflichkeit zu classificiren vermögen.
Diese feinen, flüchtigen Empfindungen schwingen noch lange im Geschmacksorgane nach, und ohne sich dessen bewußt zu sein, nehmen die Leute von Fach in solchen Fällen eine geeignete Stellung ein: sie verkünden ihr Urtheil immer nur mit gerecktem Halse und mit der Nase im Wind.
13. Werfen wir jetzt einen philosophischen Blick auf das Vergnügen oder den Schmerz, welchen der Geschmack zu veranlassen vermag.
Da finden wir zunächst die Bestätigung der unglücklicherweise nur zu gemeingiltigen Wahrheit, daß die menschliche Organisation für den Schmerz weit empfänglicher ist als für die Lust.
Die Einflößung hochgradig herber, scharfer oder bitterer Substanzen vermag in der That ungemein unangenehme oder schmerzhafte Empfindungen hervorzurufen. Man behauptet sogar, daß die Blausäure nur deshalb so schnell tödte, weil sie einen so starken Schmerz erregt, daß die Lebenskräfte ihn nicht zu ertragen vermögen.
Die angenehmen Empfindungen dagegen durchlaufen nur eine wenig ausgedehnte Stufenfolge, und wenn der Unterschied zwischen dem Unschmackhaften und dem Schmackhaften ziemlich bedeutend ist, so ist die Entfernung zwischen dem anerkannt Guten und dem Vorzüglichen nicht sehr groß, wie die folgende Tabelle veranschaulichen mag:
Erster Grad: zähes und trocknes Rindfleisch;
Zweiter Grad: Kalbsbraten;
Dritter Grad: ein gut gebratener Fasan.
Aber dessenungeachtet ist der Geschmack, sowie die Natur ihn uns verliehen hat, derjenige von unsern Sinnen, der uns alles in allem die meisten Genüsse gewährt,
1. Weil das Eßvergnügen das einzige ist, dem, bei mäßigem Genüsse, keine Abspannung folgt;
2. Weil es jeder Zeit, jedem Alter und jedem Stande gemäß ist;
3. Weil es nothwendigerweise mindestens einmal täglich wiederkehrt und während dieses Zeitraums auch zwei oder dreimal ohne Nachtheil erneuert werden kann;
4. Weil es sich mit allen andern Genüssen verbinden läßt und uns sogar über deren Mangel trösten kann;
5. Weil die Empfindungen des Geschmackssinns dauernder und von unserm Willen abhängiger sind als die der übrigen Sinne, und
6. Weil wir endlich beim Essen ein gewisses unbeschreibliches und ganz eigenthümliches Wohlbehagen empfinden, welches aus dem instinctiven Bewußtsein entspringt, daß wir eben durch die Thätigkeit des Essens unsern Verlust an Lebenskraft ersetzen und unser Dasein verlängern.
Alles dies wird ausführlicher in dem Abschnitte entwickelt werden, in welchem ich speciell das Tafelvergnügen in seiner gegenwärtigen Gestaltung durch die Civilisation behandele.
14. Wir sind in dem süßen Glauben erzogen worden, daß der Mensch unter allem, was da läuft, schwimmt, kriecht oder fliegt, den vollkommensten Geschmack besitzt.
Dieser Glaube wird ernstlich bedroht.
Auf Grund Gott weiß welcher Untersuchungen behauptet der Dr. Gall, daß es Thiere giebt, bei denen der Schmeckapparat besser entwickelt und daher vollkommener ist als der des Menschen.
Diese Lehre ist höchst anstößig und riecht nach Ketzerei.
Der Mensch, von Gottes Gnaden Fürst der Schöpfung, zu dessen Vortheil die Erde bepflanzt und bevölkert worden, muß nothwendigerweise auch mit einem Organe ausgerüstet sein, das ihn in den Stand setzt, zu allem Schmackhaften, das sich in seinem Reiche findet, in Beziehung zu treten.
Die Zunge der Thiere reicht nicht weiter als ihre Intelligenz: bei den Fischen ist sie ein beweglicher Knochen, bei den Vögeln im Großen und Ganzen ein behäuteter Knorpel, bei den Vierfüßlern ist sie oft mit Schuppen oder harten Höckern besetzt und zudem nicht zur Umbiegung befähigt.
Die Zunge des Menschen dagegen kündet schon durch die Zartheit ihres Baus und die Feinheit der verschiedenen Membranen, denen sie benachbart ist, die Erhabenheit der Verrichtungen an, zu denen sie bestimmt ist.
Ueberdies habe ich an ihr mindestens drei Bewegungen entdeckt, die den Thieren fremd sind, und die ich die Spication (vom lateinischen spico ich mache spitz), die Rotation und die Verrition (von verro ich fege) nenne. Bei der ersten Bewegung drängt sich die Zunge wie ein Spieß zwischen den geschlossenen Lippen durch, bei der zweiten bewegt sie sich in dem Raume, der von den Wangen und dem Gaumen eingeschlossen wird, im Kreise, bei der dritten endlich biegt sie sich nach oben oder nach unten und fegt die Speisereste zusammen, die etwa in dem halbkreisförmigen Canale stecken bleiben, der von den Lippen und dem Zahnfleisch gebildet wird.
Die Thiere sind in ihren Geschmacksgenüssen beschränkt: einige leben ausschließlich von Pflanzen, andere fressen nur Fleisch, wieder andere nähren sich ausschließlich von Körnern – keins kennt die zusammengesetzten Geschmäcke.
Der Mensch dagegen ist Omnivore Doch ist er nicht etwa das einzige Geschöpf dieser Art, sondern theilt dies Privilegium mit dem Schwein, dem Bären, der Ente und noch einigen andern Thieren. D. Uebers.. Alles Eßbare ist seinem ausgedehnten Appetite zinspflichtig, und daher muß nothwendigerweise auch sein Schmeckvermögen dem umfassenden Gebrauche entsprechen, den er davon machen soll. In der That ist denn auch das Geschmacksorgan beim Menschen von ungemeiner Vollkommenheit, und um uns eingehend davon zu überzeugen, wollen wir es bei der Arbeit beobachten.
Sobald man einen eßbaren Körper in den Mund einführt, wird er mit Säften und Gasen unwiderruflich in Beschlag genommen.
Die Lippen verhindern sein Rückweichen, die Zähne packen und zermalmen ihn, der Speichel durchfeuchtet ihn, die Zunge knetet und wendet ihn, eine einschlürfende Bewegung schiebt ihn der Speiseröhre zu, die Zunge erhebt sich, um ihn hinabgleiten zu lassen, der Geruch nimmt bei seinem Vorüberschlüpfen die Gase auf, und so wird er in den Magen gebracht, um dort weitere Umwandlungen zu erleiden, ohne daß während dieser ganzen Operation auch nur ein Krümchen, ein Tröpfchen oder ein Atom dem Schmeckvermögen entgangen wäre.
Eben dieser Vollkommenheit wegen ist auch die Feinschmeckerei das ausschließliche Erbtheil des Menschen allein.
Die Feinschmeckerei wirkt sogar ansteckend: sie geht vom Menschen ziemlich leicht auf die Thiere über, die wir gezähmt haben, und die gewissermaßen in geselligem Verein mit uns leben, wie z. B. die Elephanten, die Hunde, die Katzen und sogar die Papageien.
Wenn einige Thiere eine größere Zunge, einen entwickeltern Gaumen und einen weitern Schlund haben, so ist der Grund dafür darin zu suchen, daß die Zunge in diesem Falle als Muskel größere Lasten zu bewegen hat, der Gaumen aber zum Pressen und der Schlund zum Verschlingen größerer Theile bestimmt ist. Ein Schluß auf eine größere Vollkommenheit des Sinns bei diesen Thieren läßt sich aber aus diesen Umständen nicht ziehen.
Da zudem der Geschmack nur nach der Beschaffenheit der Empfindung, die er der Seele übermittelt, beurtheilt werden darf, so kann die Empfindung des Thieres sicher nicht mit der des Menschen auf eine Stufe gestellt werden. Und da diese letztere zugleich deutlicher und bestimmter ist, so setzt sie nothwendigerweise eine größere Vollkommenheit in dem Organe voraus, durch welche sie übermittelt wird.
Was kann man endlich noch mehr von einem Sinne verlangen, der sich in solchem Grade vervollkommnen läßt, daß die Feinschmecker Roms die Fische, welche zwischen den Tiberbrücken gefangen wurden, am Geschmack von denen unterschieden, die man weiter unten im Strome fing? Haben wir es nicht erlebt, daß Leute von Fach in unserer Zeit den besondern Geschmack des Schenkels entdeckt haben, auf dem das Feldhuhn beim Schlafen ruht? Und sind wir nicht von Kennern umringt, die den Breitengrad, unter welchem ein Wein reifte, mit derselben Sicherheit anzugeben vermögen, mit der ein Schüler Biots oder Aragos eine Sonnenfinsternis vorhersagt?
Was folgt daraus? Daß man dem Kaiser geben soll, was des Kaisers ist, daß der Mensch zum großen Feinschmecker der Natur ausgerufen werden muß, und daß man sich nicht wundern darf, wenn es dem braven Doctor ergeht wie dem alten Homer: Zuweilen schläft auch der gute Gall!
15. Bis jetzt haben wir den Geschmack nur in Bezug auf seine physische Beschaffenheit betrachtet und sind dabei, wenn man von einigen anatomischen Einzelheiten absieht, die nur wenige vermissen werden, auf der Höhe der Wissenschaft geblieben. Damit aber ist die Aufgabe, die wir uns gestellt haben, noch keineswegs beendet, denn die Wichtigkeit und Herrlichkeit dieses wohlthätigen Sinns gründet sich vor allem auf seine moralische Geschichte.
Wir haben deshalb im Folgenden die Theorien und die Thatsachen, aus denen diese Geschichte sich zusammensetzt, in kritischer Ordnung aneinander gereiht, und zwar in solcher Weise, daß man daraus Belehrung schöpfen kann, ohne zu ermüden.
Demnach werden wir also in den folgenden Kapiteln zeigen, wie die Empfindungen durch beständige Wiederholung und Rückwirkung das Organ vervollkommt und seinen Wirkungskreis erweitert haben, und wie das Bedürfnis zu essen, das anfangs nur ein Instinct war, zu einer wirksamen Leidenschaft wurde, die einen sehr entschiedenen Einfluß auf alles gewonnen hat, was mit der Gesellschaft zusammenhängt.
Wir werden ferner zeigen, wie alle Wissenschaften, die sich mit der Zusammensetzung der Körper beschäftigen, in übereinstimmender Weise die schmeckenden Körper besonders classificirt und zusammengeordnet haben, und wie die Reisenden dem nämlichen Ziele nachgegangen sind, indem sie die Substanzen, welche die Natur gar nicht zu einem Zusammentreffen mit einander bestimmt zu haben schien, unsern Versuchen zugänglich machten.
Wir werden der Chemie von dem Momente an folgen, wo sie in unsern Küchen eindrang, um unsere Köche zu erleuchten, Principien festzustellen, Methoden zu schaffen und Ursachen zu enthüllen, die bis dahin verborgen geblieben waren.
Schließlich werden wir sehen, wie dann die vereinten Kräfte der Zeit und der Erfahrung plötzlich eine neue Wissenschaft ans Licht brachten, eine Wissenschaft, welche nährt, stärkt, erhält, überzeugt und tröstet, eine Wissenschaft, der es nicht genügt, den Lebenspfad des Individuums aus voller Hand mit Blumen zu bestreuen, sondern die auch in ausdrücklicher Weise zur Wohlfahrt der Staaten beiträgt.
Wenn uns bei diesen ernsten Betrachtungen eine pikante Anekdote, eine liebe Erinnerung, eine abenteuerliche Begebenheit aus unserm bewegten Leben in den Wurf kommt, so werden wir sie ohne Umstände erzählen, um der Aufmerksamkeit unserer Leser einige Rast zu gönnen. Die große Anzahl derselben schreckt uns nicht, im Gegentheil, wir werden gern mit ihnen plaudern, denn sind es Männer, so dürfen wir ebenso auf ihre Nachsicht wie auf ihr Verständnis bauen, und sind es Frauen, so müssen sie nothwendigerweise bezaubernd sein. – –
– Hier ließ der Professor, ganz von seinem Gegenstande erfüllt, die Feder fallen und schwang sich in höhere Regionen empor.
Er stieg den Strom der Zeiten hinauf und belauschte die Wissenschaften, deren Thätigkeit dem Wohle des Geschmackes dient, in ihrer Wiege, er verfolgte ihre Fortschritte durch das Dunkel der Zeiten, und als er sah, daß in Bezug auf die Genüsse, welche jene Wissenschaften uns zuführen, die frühern Jahrhunderte stets minder bevorzugt waren als die folgenden, da ergriff er seine Leier und sang nach dorischer Weise die geschichtliche Melopë, die man im zweiten Theile seines Werkes finden wird. –