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Achte Betrachtung. Ueber den Durst.

49. Durst ist das innere Gefühl des Bedürfnisses nach Flüssigkeit.

Da eine innere Wärme von ungefähr 32° R. unaufhörlich die verschiedenen Flüssigkeiten, deren Kreislauf das Leben unterhält, in Dampf verwandelt und verflüchtigt, so würde der daraus entspringende Verlust diese Flüssigkeiten sehr bald zur Erfüllung ihrer Ausgabe untauglich machen, wenn sie nicht häufig durch Nachfüllung erneuert würden: dies Bedürfnis nun erzeugt das Gefühl des Durstes.

Wir für unsere Person sind der Meinung, daß der Sitz des Durstes das ganze Verdauungssystem ist. Wenn man Durst hat – und in unserer Eigenschaft als Jäger sind wir dem häufig ausgesetzt gewesen – so fühlt man deutlich, wie alle einsaugenden Theile des Mundes, der Kehle und des Magens angegriffen und in Anspruch genommen werden, und stillt man den Durst durch Anwendung der Flüssigkeiten auf andere Körpertheile als seine Organe, wie z. B. durch ein Bad, so wird die Flüssigkeit sogleich nach Eintritt in den Kreislauf dem Sitze des Uebels zugeführt und dort als Heilmittel verwandt.

Verschiedene Arten des Durstes.

Betrachtet man dies Bedürfnis in seinem ganzen Umfange, so kann man drei Arten von Durst unterscheiden: den stillen Durst, den künstlichen Durst und den brennenden Durst.

Der stille oder gewöhnliche Durst besteht in jener unmerklichen Ausgleichung, die zwischen der Ausdünstung einerseits und der Nothwendigkeit des Ersatzes andererseits stattfindet. Ohne eine schmerzliche Empfindung zu erwecken, regt er uns während des Essens zum Trinken an, und ihm verdanken wir es, daß wir beinahe zu jeder Zeit zu trinken vermögen. Dieser Durst begleitet uns überall und macht in gewisser Hinsicht einen Theil unseres Wesens aus.

Der künstliche Durst ist dem Menschen eigenthümlich und entspringt jenem angeborenen Instinkte, der uns antreibt, in den Getränken eine Kraft zu suchen, welche die Natur nicht hineingelegt hat, und die nur durch die Gährung in ihnen erzeugt wird. Dieser Durst ist eher ein künstlicher Genuß als ein natürliches Bedürfnis und in Wahrheit unauslöschlich, weil die Getränke, mit denen man ihn zu stillen sucht, ihn unfehlbar stets von neuem erzeugen. Indem er schließlich zur Gewohnheit wird, bildet er die Trunkenbolde aller Länder, und bei diesen nimmt beinahe immer das Trinken erst dann ein Ende, wenn entweder das Getränk fehlt, oder wenn dieses den Trinker besiegt und unter den Tisch gestreckt hat.

Stillt man dagegen den Durst einzig mit Wasser, welches das natürliche Gegenmittel desselben zu sein scheint, so trinkt man nie einen Schluck über das Bedürfnis.

Der brennende Durst entsteht durch die Steigerung des Bedürfnisses und durch die Unmöglichkeit, den stillen Durst zu löschen.

Man nennt ihn brennend, weil er von einem brennenden Gefühle auf der Zunge, Trockenheit des Gaumens und verzehrender Glut im ganzen Körper begleitet ist.

Das Durstgefühl ist ein so lebhaftes, daß das Wort Durst fast in allen Sprachen das Synonym für übermäßiges Gelüst oder gebieterisches Verlangen bildet. So spricht man z. B. vom Durst nach Gold, nach Reichthümern, nach Macht, nach Rache u. s. w., diese Ausdrücke würden aber gewiß nicht allgemein üblich geworden sein, wenn es nicht hinreichte, auch nur ein einziges Mal im Leben gehörigen Durst gehabt zu haben, um ihre Richtigkeit einzusehen.

Der Appetit ist von einer angenehmen Empfindung begleitet, so lange er nicht in Hunger übergeht, der Durst aber hat keine Dämmerung: sobald er sich fühlbar macht, entsteht Unwohlsein und Beängstigung, und diese Beängstigung ist schrecklich, wenn keine Hoffnung vorhanden ist, den Durst zu löschen.

Bei richtiger Ausgleichung vermag aber auch das Trinken uns je nach den Umständen ungemein lebhafte Genüsse zu verschaffen, und wenn man einen hochgradigen Durst stillt oder einen mäßigen Durst mit einem ausgezeichneten Getränke löscht, so kitzelt dies das ganze Schmeckwarzen-System von der Zungenspitze an bis in die Tiefen des Magens.

Man stirbt auch am Durst weit schneller als am Hunger. Es giebt Beispiele, daß Menschen ihr Leben mehr als acht Tage lang ohne jede Speise nur mit Wasser fristeten, während die, welche durchaus jedes Getränks beraubt sind, nie den fünften Tag überleben.

Der Grund dieses Unterschieds ist darin zu suchen, daß der Hungernde nur an Schwäche und Erschöpfung stirbt, während der Durstende von einem Fieber ergriffen wird, das ihn verzehrt und sich fortwährend steigert.

Und nicht immer widersteht man dem Durste auf so viele Tage: im Jahre 1787 starb einer von den Hundert Schweizern, der Leibwache Ludwigs XVI., weil er sich nur während vierundzwanzig Stunden des Trinkens enthalten hatte.

Der Mann befand sich mit einigen Kameraden in der Schenke, als ihm einer von diesen, da er sein Glas hinhielt, zum Vorwurf machte, er trinke öfter als die andern und könne sich dessen keinen Augenblick entschlagen.

Daraufhin wettete der Soldat, er werde vierundzwanzig Stunden lang gar kein Getränk zu sich nehmen. Die Wette wurde angenommen: es galt zehn Flaschen Wein.

Von diesem Augenblicke an hörte unser Schweizer zu trinken auf, blieb aber noch über zwei Stunden in der Schenke und sah den andern zu, bevor er sich zurückzog.

Die Nacht ging, wie man annehmen kann, ziemlich gut vorüber. Am Morgen aber fand er es sehr hart, daß er nicht sein Gläschen Branntwein zu sich nehmen durfte, wie er sonst nie zu thun verfehlte.

Den ganzen Vormittag über war er unruhig und verstört. Er kam, ging, setzte sich, stand wieder auf – alles ohne Grund und mit einer Miene, als ob er nicht wisse, was er thue.

Um ein Uhr nachmittags legte er sich in der Hoffnung, Ruhe zu finden, zu Bett. Er empfand Schmerzen und war in der That krank, vergebens aber forderte ihn seine Umgebung zum Trinken auf, er behauptete, es noch bis zum Abend aushalten zu können. Augenscheinlich wollte er die Wette gewinnen, und ohne Zweifel hinderte ihn auch der militärische Stolz ein wenig, dem Schmerze nachzugeben.

So schleppte er sich bis um sieben Uhr hin. Um siebeneinhalb Uhr aber fühlte er sich sehr unwohl, röchelte und gab den Geist auf, ohne ein Glas Wein, das man ihm vorhielt, haben kosten zu können.

Alle diese Einzelheiten wurden mir noch am selben Abend von dem Herrn Schneider mitgetheilt, ehrsamen Pfeifer der Compagnie, bei dem ich in Versailles wohnte.

Ursachen des Durstes.

50. Mannigfache Umstände vermögen im Verein oder auch einzeln zur Vergrößerung des Durstes beizutragen. Wir führen nachstehend einige derselben an, die auf unsere Gewohnheiten und Gebräuche nicht ohne Einfluß gewesen sind.

Die Hitze vermehrt den Durst: daher die Neigung der Menschen aller Zeiten, sich an den Ufern der Flüsse anzusiedeln.

Körperliche Anstrengungen vermehren den Durst. Daher versäumen die Grundbesitzer nie, ihre Arbeiter durch Getränke zu stärken, und daher auch das Sprichwort, daß der den Arbeitern gegebene Wein immer der am vortheilhaftesten verkaufte sei.

Der Tanz vermehrt den Durst: daher die Auslese stärkender oder erfrischender Getränke, die bei Tanzgesellschaften unerläßlich ist.

Reden vermehrt den Durst: daher das Glas Zuckerwasser, das die Vorleser und Redner mit Anmuth zum Munde zu führen bedacht sind, und das man bald auch auf dem Kanzelbrett neben dem weißen Taschentuch erblicken wird Der Domherr Délestra, ein sehr beliebter Prediger, versäumte nie, in den Pausen, die er zwischen den einzelnen Hauptpunkten seiner Predigt machte, um den Zuhörern zum Husten, Schneuzen und Spucken Zeit zu lassen, eine überzuckerte Nuß zu verschlucken..

Der Liebesgenuß vermehrt den Durst: daher jene poetischen Schilderungen von Cypern, Amathus, Gnidos und andern Wohnsitzen der Venus, in denen man immer kühlschattigen Gehölzen und rieselnden Murmelbächen begegnet.

Singen vermehrt den Durst: daher der Weltruf der Musiker als unermüdliche Trinker. Selbst ein Musiker, erhebe ich mich gegen dies Vorurtheil, dem heute weder Witz noch Wahrheit innewohnt.

Die Virtuosen, die unsere Salons besuchen, trinken mit ebenso viel Mäßigung wie Einsicht. Was sie indessen auf der einen Seite verloren haben, haben sie auf der andern gewonnen: wenn sie keine Trunkenbolde mehr sind, so sind sie dafür Feinschmecker erster Klasse, so daß sogar versichert wird, im Verein für Transcendental-Harmonie habe bisweilen die Feier des Cäcilienfestes mehr als vierundzwanzig Stunden in Anspruch genommen Der Zechruhm der Musiker ist nicht blos vom Volksmunde durch ein Sprichwort beglaubigt: »Gute Pfeifer, brave Säufer« – sondern hat auch ein so ehrwürdiges Alter, daß man schon aus Pietätsrücksichten nicht daran rütteln sollte. Im Jahre 309 v. Chr., erzählt Livius, unter der Censur des Appius Claudius, kehrten die Herren von der Flöte Rom den Rücken und wanderten in corpore nach Tibur aus, weil der Censor ihnen das Vorrecht entziehen wollte, dem zufolge sie an gewissen Tagen auf Staatskosten im Jupitertempel gespeist und getränkt wurden. Da man nun ihrer in Rom bei den religiösen Feierlichkeiten nicht entrathen konnte, alle Vorstellungen und Bitten aber bei den gekränkten Künstlern nicht verfangen wollten, so besann Appius Claudius sich auf eine List, die seinem Regierungstalente alle Ehre macht. Er sandte nämlich Boten nach Tibur, wahre agents provocateurs, welche die trotzigen Musiker zu einer soliden Kneiperei verleiten mußten, die naturgemäß mit einem totalen Pyrrhussiege des ganzen Corps endete. Die wackern Emissäre des Censors packten nun die edle Künstlerschaar säuberlich auf mehrere Wagen und führten sie während der Nacht nach Rom und auf das Forum, wo sie ihren Rausch ausschlief und dann der Streit zu aller Zufriedenheit beigelegt ward. Aus dieser Episode erhellt zweierlei, einmal daß die der edlen Musica Beflissenen sich schon in nebelhafter Vorzeit auf das Trinken verstanden, und zweitens, daß der Strike keineswegs eine moderne Erfindung ist, sondern schon im Alterthum nach allen Regeln der Kunst in Scene ging. D. Uebers..

Beispiel.

51. Ein lebhafter Zugwind, dem man ausgesetzt ist, bildet eine sehr wirksame Ursache der Durstvermehrung, und ich glaube, die folgende Beobachtung darüber wird besonders von den Freunden der Jagd mit Vergnügen gelesen werden.

Wie bekannt, halten sich die Wachteln mit Vorliebe auf hohen Bergen auf, wo ihre Brut in größerer Sicherheit aufkommt, weil dort das Einbringen der Ernte später stattfindet als in der Ebene.

Wird der Roggen gemäht, so flüchten sie in den Hafer und die Gerste, und beginnt man auch diese zu schneiden, so ziehen sie sich in die Getreidefelder zurück, wo die Reife noch nicht so weit vorgeschritten ist.

Das ist der rechte Augenblick zur Jagd, denn nun findet man die Wachteln, die einen Monat zuvor noch über die ganze Feldmark einer Gemeinde zerstreut waren, auf einige wenige Morgen Landes zusammengedrängt, und überdies sind sie gerade zu dieser Zeit, gegen Ende des Sommers, hinlänglich groß und fett.

Eines Tages befand ich mich mit einigen Freunden auf einem Berge im Arrondissement Nantua, in dem unter dem Namen der Hotonner Fläche ( Plan d'Hotonne) bekannten Bezirk, und wir standen im Begriff, unsere Jagd an einem der schönsten Septembertage unter den Auspicien eines Sonnenscheins zu eröffnen, wie kein cockney Mit diesem Ausdruck bezeichnet man die Bewohner Londons, die nie aus der Stadt herausgekommen sind. Er ist gleichbedeutend mit dem pariser badaud ihn je gesehen hat.

Aber während wir frühstückten, erhob sich ein äußerst heftiger Nordwind, der unserm Vergnügen höchst hinderlich war – dessenungeachtet rückten wir ins Feld.

Kaum hatten wir eine Viertelstunde gejagt, als der Empfindlichste von uns über Durst klagte. Ohne Zweifel hätte man ihn weidlich deshalb geneckt, wenn nicht jeder von uns dasselbe Bedürfnis empfunden hätte.

Wir tranken alle, denn wir hatten einen Esel als Marketender bei uns, aber die Erleichterung war von kurzer Dauer. Der Durst trat von neuem mit solcher Heftigkeit auf, daß einige sich für krank hielten, andere zu erkranken fürchteten und man schon von der Heimkehr sprach, in welchem Falle wir eine Reise von zehn Stunden ohne allen Zweck und Nutzen gemacht haben würden.

Ich hatte Zeit gehabt, meine Gedanken zu sammeln, und hatte die Ursache dieses außerordentlichen Durstes herausgefunden. Ich versammelte daher meine Gefährten um mich und erklärte ihnen, daß wir unter dem Einflusse von vier Ursachen ständen, die uns gemeinschaftlich die Kehle austrockneten, nämlich: die Verminderung des Luftdrucks, welche die Circulation der Flüssigkeiten im Körper beschleunigen mußte, die Einwirkung der Sonne, die uns unmittelbar erhitzte, das Laufen, welches die Respiration beschleunigte, und vor allem endlich die Einwirkung des Windes, der uns durch die Kleider auf die Haut blies, das Product der Transpiration entführte, die Flüssigkeit aus dem Körper sog und jedes Feuchtwerden der Haut verhinderte.

Ich fügte hinzu, daß bei allem dem keine Gefahr vorhanden sei, daß man aber den Feind, da er nun bekannt sei, bekämpfen müsse, und es ward beschlossen, daß man jede halbe Stunde trinken würde.

Doch auch diese Vorsichtsmaßregel war unzureichend: der Durst war unbesieglich – weder Wein, noch Branntwein, noch Wein mit Wasser, noch Wasser mit Branntwein vermochten etwas dagegen. Wir hatten sogar während des Trinkens Durst und fühlten uns den ganzen Tag über höchst unbehaglich.

Doch auch dieser Tag ging schließlich zu Ende wie jeder andere. Der Besitzer der Domäne Latour nahm uns gastlich auf und kam unsern Vorräthen mit den seinen zu Hilfe.

Wir speisten vortrefflich und verkrochen uns dann bald in duftiges Heu, um uns eines erquicklichen Schlummers zu erfreuen.

Am andern Morgen ward meine Theorie durch die Erfahrung glänzend bestätigt. Der Wind hatte sich während der Nacht gelegt, und obgleich die Sonne nicht weniger schön und sogar wärmer schien als am Tage zuvor, jagten wir doch einen Theil des Tages, ohne uns von unbequemem Durst belästigt zu fühlen.

Das größte Uebel war jedoch bereits geschehen! Wenn auch mit weiser Vorsicht gefüllt, hatten unsere Flaschenkeller doch den wiederholten Angriffen von unserer Seite nicht widerstehen können: sie waren nur noch Leiber ohne Seelen, und wir Unglücklichen fielen in die Hände der Schenkwirthe.

Wir mußten uns wohl zu diesem verzweifelten Schritte entschließen, aber es geschah nicht ohne Murren, und ich für meine Person richtete an den Trockenwind eine Rede voll der beleidigendsten Schmähungen, als ich sehen mußte, wie ein Gericht, das eines Königs Tafel zur Zierde gereicht hätte, eine Schüssel Spinat in Wachtelfett, mit einem Wein begossen wurde, der kaum dem Surêner gleichkam Surêne, ein recht hübsches Dörfchen zwei Stunden von Paris, ist wegen seiner schlechten Weine berüchtigt. Man pflegt sprichwörtlich zu sagen, zum Trinken eines Glases Surêner seien drei Männer von nöthen: der Trinker und zwei Akolyten, die ihn vor dem Umfallen bewahren. Ganz dasselbe sagt man vom Wein von Périeux – und doch wird er getrunken!.


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