Friedrich von Bodenstedt
Die Lieder des Mirza-Schaffy
Friedrich von Bodenstedt

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Tiflis.
Verschiedenes.

Im Wasser wogt die Lilie, die blanke, hin und her.
Doch irrst du, Freund, sobald du sagst, sie schwanke hin und her!
Es wurzelt ja so fest ihr Fuß im tiefen Meeresgrund,
Ihr Haupt nur wiegt ein lieblicher Gedanke hin und her.
Platen.

 

1.

        Wodurch ist Schiras wohl, die Stadt,
    Berühmt mit Ros' und Wein geworden?
Wodurch berühmt der Roknabad,
    Berühmt Mosellas Hain geworden?

Nicht ihre Schönheit war der Grund,
    Viel Schöneres auf Erden gibt es –
Sie sind berühmt durch dein Gedicht,
    Durch dich, Hafis! allein geworden!

Das Bonzentum hast du gestürzt,
    Und Schiras' Ruhm hast du gegründet –
Es ist durch dich das Kleine groß,
    Durch dich das Große klein geworden!

Verherrlicht hast du Stadt und Hain,
    Verschönt den Strom und seine Ufer –
Durch dich ist jeder Stein der Stadt
    Zu einem Edelstein geworden!

Auch Tiflis ist an Schönheit reich,
    Hat Rosen, Wein und schmucke Mädchen
Und durch dich selbst, Mirza-Schaffy,
    Ist auch ein Sänger sein geworden!

Drum soll, was Schiras durch Hafis,
    Tiflis durch deine Lieder werden –
Denn aller Zubehör ist dir
    Im herrlichsten Verein geworden.

Die stromdurchrauschte Gartenstadt,
    Umragt von himmelhohen Bergen,
Und was darinnen blüht und lebt,
    Mirza-Schaffy! ist dein geworden!

Ihr schönen Mädchen (merkt euch das!)
    Gehört jetzt mir und meinem Liede!
Mein sind nun Augen, Wang' und Mund
    Samt ihrem Glanz und Schein geworden!

Zum Paradiese wird mein Lied
    Für Schönheit, Blumen, Wein und Liebe –
Was eingeht in dies Paradies,
    Ist aller Sünden rein geworden!

Doch eine Hölle wird es sein
    Für Bonzen, Kuß- und Weinverächter –
Für dies Geschlecht ist jeder Vers
    Zur Stätte ewiger Pein geworden!

So soll durch alle Lande nun,
    Mirza-Schaffy, dein Lied ertönen –
Für alles schöne Sein und Tun
    Ist es ein Widerschein geworden.

*   *   *
Du sandtest deine Jünger aus,
    Und es geschah, wie du verheißen:
Berühmt ist Tiflis durch dein Lied
    Vom Kyros bis zum Rhein geworden.

 

2.

        Die schönen Mädchen von Tiflis,
Die lieben Schmuck und Zier:
Ein Diadem die Stirne
Schmückt jeder jungen Dirne;
Von Samt und Seide schier
Muß Beinkleid und Gewand sein,
Buntfarbig jedes Band sein,
Die Füßchen fein beschuht,
Und blendendweiß die Tschadren
Man darf darob nicht hadren;
Es steht den Mädchen gut!

Die schönen Mädchen von Tiflis
Sind ganz nach meinem Sinn!
Ich will die Schönen in
Ureigener Gestalt sehn,
Die fremden Schmucks entbehrt,
Oder von Schmuck umwallt sehn,
Der ihrer Schönheit wert!
Ein Weib, das sich nicht kleiden kann,
Mag schön auch die Gestalt sein,
Ist, was kein Dichter leiden kann,
Und sollt' er noch so alt sein!

 

3.

        Mirza-Schaffy, leichtsinnig Flatterherz!
Du wechselst deine Liebe wie die Lieder.

– Es lieben mich die Frauen allerwärts,
Und da, wo ich geliebt bin, lieb' ich wieder! –

 

4.

        Sie hielt mich auf der Straße an
Und fragte: »Kannst du schreiben?« – »Ja!« –
»So schreib mir einen Talisman!«
– Wird der dein Weh vertreiben?« – »Ja!« –

Ich griff sofort zum Kalemdan.
»Komm« – sprach sie – »treten wir ins Haus,
Dort schreibst du mir den Talisman!«
– Und darf dann bei dir bleiben? – »Ja!«

Mit ihr ins Haus trat ich alsdann . . .
Mirza-Schaffy, es währte lang!
Doch: schriebst du ihr den Talisman?
Und half dein langes Bleiben? – Ja! –

 

5.

        Schlag die Tschadra zurück! Was verhüllst du dich?
Verhüllt auch die Blume des Gartens sich?
Und hat dich nicht Gott, wie der Blume Pracht,
Der Erde zur Zierde, zur Schönheit gemacht?
Schuf er all diesen Glanz, diese Herrlichkeit,
Zu verblühen in dumpfer Verborgenheit?

Schlag die Tschadra zurück! Laß alle Welt seh'n,
Daß auf Erden, wie du, Kind, kein Mädchen so schön!
Laß die Augen herzzündende Funken sprüh'n,
Laß die Lippen in rosigem Lächeln glüh'n,
Daß dich, Holde, kein anderer Schleier umschwebt,
Als mit dem dich das Dunkel der Nächte umwebt!

Schlag die Tschadra zurück! Solch ein Antlitz sah
Nie zu Stambul der Harem des Padischah –
Nie säumte zwei Augen so groß und klar
Der langen Wimpern seid'nes Haar –
Drum erhebe den Blick, schlag die Tschadra zurück!
Dir selbst zum Triumphe, den Menschen zum Glück!

 

6.

        Gelb rollt mir zu Füßen der brausende Kur
Im tanzenden Wellengetriebe;
Hell lächelt die Sonne, mein Herz und die Flur –
    O, wenn es doch immer so bliebe!

Rot funkelt im Glas der kachetische Wein,
Es füllt mir das Glas meine Liebe –
Und ich fang' mit dem Wein ihre Blicke ein –
    O, wenn es doch immer so bliebe!

Die Sonne geht unter, schon dunkelt die Nacht,
Doch mein Herz, gleich dem Sterne der Liebe,
Flammt im tiefsten Dunkel in hellster Pracht –
    O, wenn es doch immer so bliebe!

In das schwarze Meer deiner Augen rauscht
Der reißende Strom meiner Liebe;
Komm, Mädchen! Es dunkelt und niemand lauscht –
    O, wenn es doch immer so bliebe!

 

7.

        Es hat der Schach mit eigner Hand
Ein Manifest geschrieben,
Und alles Volk im Farsenland
Ist staunend stehngeblieben.

»Wie klug der Sinn, wie schön das Wort!«
So scholl es tausendtönig –
Man jubelt hier, man jubelt dort:
»Heil, Heil dem Farsenkönig!«

Mirza-Schaffy verwundert stand,
Das Schreien war ihm widrig.
Er sprach: »Denkt man im Farsenland
Von Königen so niedrig?

Stellt man so tief im Farsenland
Der Fürsten Tun und Treiben,
Daß man erstaunt, wenn mit Verstand
Sie handeln oder schreiben?«

 

8.

      Daß du am Abend zu mir kommst,
        Wird sehr zu deinem Frommen sein,
Wenn du am Morgen lieber kommst
        Es soll dir unbenommen sein –
Komm du zu irgendeiner Zeit,
        Wirst allezeit willkommen sein!

 

9.

        Dies soll euch jetzt als neuestes Gebot
            Verkündigt werden:
Es soll auf Erden nicht mehr ohne Not
            Gesündigt werden!

Wo nicht ein süßer Mund, ein schönes Auge
            Verlangen weckt, –
Da soll den Sündern alle Gnade nun
            Gekündigt werden!

Jedweder Mund, der sich in schlechten Küssen
            Versündigt hat,
Kann nur durch eine Flut von echten Küssen
            Entsündigt werden!

 

10.
An Fatima

        O Mädchen, dein beseligend Angesicht
Übt größere Wunder als das Sonnenlicht!
Die Sonne kann uns nicht mit Glut erfüllen,
Wenn Nacht und Wolken ihren Glanz verhüllen,
Sie muß in ganzer Majestät sich zeigen,
In uns die Glut zu wecken, die ihr eigen.

Dich aber, Mädchen, brauch' ich nicht zu sehn,
Um ganz in Glut und Wonne zu vergehn:
So strahlend lebt dein Bild in meinem Innern,
Ich brauche bloß mich deiner zu erinnern.

Ich glühe für dich – aber kalt bleibst du,
Und selber ruhig, – raubst du meine Ruh.

O, fühle selbst die Glut, die du entfachst,
Sei selbst so glücklich, wie du glücklich machst!

 

11.

        Tu nicht so spröde, schönes Kind,
Wenn ich noch spät vorübergeh'
Und fasse dein weiches Händchen lind
Und heimlich einen Kuß erfleh' –

Der dir so schöue Huldigung
Gebracht in reinem Liedesschmuck,
Der braucht wohl nicht Entschuldigung
Für einen Kuß und Händedruck.

Es wird ein jeder Kuß von dir
Ein klingend Lied in meinem Mund –
Und jeder Händedruck gibt mir
Zu einem neuen Kusse Grund!

 

12.

        Ein liebeleeres Menschenleben
Ist wie ein Quell, versiegt im Sand,
Weil er den Weg zum Meer nicht fand,
Wohin die Quellen alle streben.

 

13.

        Sprich nicht von Zeit, sprich nicht von Raum,
Denn Raum und Zeit sind nur ein Traum,
Ein schwerer Traum, den nur vergißt,
Wer durch die Liebe glücklich ist.

 

14.

        Es dreh'n die Welten sich im Kreise,
Sie wandeln stets die alten Gleise.

Es geht die Menschheit ihre Bahn
Zum Grabe, wie sie stets getan.

Es blüht die Blume wunderbar
Und welkt wie einst und immerdar.

Zerstörend ist des Lebens Lauf,
Stets frißt ein Tier das andre auf.

Es nährt vom Tode sich das Leben,
Und dies muß jenem Nahrung geben.

Ein ewig Werden und Vergehn,
Wie sich im Kreis die Welten dreh'n.

Ein Kreislauf, der zum Wahnsinn triebe,
Gäb' ihm nicht Licht und Sinn die Liebe!

 

15.

        Ist ein Witz dir zur rechten Stunde gekommen,
So antwortet jeder, den du nie gefragt hast:
Du hast mir das Wort aus dem Munde genommen,
Oft hab' ich gedacht, was du mir gesagt hast!

Mirza-Schaffy, das ist dein Geschäft so,
Was die andern denken, das schreibt deine Hand –
Manch kernigen Witz umschließt jedes Heft so,
Und all deine Witze sind einzig im Land!

 

16.

        Nach einem hohen Ziele streben wir,
                So ich, wie du!
Uns in Gefangenschaft begeben wir,
                So ich, wie du!
In mein Herz sperr' ich dich – du mich in deines,
Getrennt und doch vereint, so leben wir,
                So ich, wie du!
Dich fing mein Witz und mich dein schönes Auge,
Und wie zwei Fisch' am Angel schweben wir,
                So ich, wie du!
Und doch den Fischen ungleich – durch die Lüfte
Uns wie ein Adlerpaar erheben wir,
                So ich, wie du!

 

17.

        So singt Mirza-Schaffy: Wir wollen sorglos
                In der Gefahr sein –
Im Bund mit Wein, mit Rosen und mit Frauen
                Des Kummers bar sein!

Mag Heuchelei mit Hochmut sich verbünden,
                Bosheit mit Dummheit –
Wir aber wollen eine geisterlesne
                Geweihte Schar sein!

Vorläufer der Erlösung, Tempelstürmer
                Des Aberglaubens –
Verkündiger der Wahrheit, die einst allen
                Wird offenbar sein!

Ein Schwert ist unser, schärfer als das schärfste
                Schwert von Damaskus –
Und wo es trifft, da wird geheilt den Blinden
                Der schwarze Star sein!

Wir reißen Sonne, Mond und Sterne nieder,
                Es soll ihr Feuer
Im Liede glühn, und Opferflamme auf der
                Schönheit Altar sein!

So wandeln wir einher mit froher Botschaft,
                Und nichts hinfort
Soll uns Verfängliches, als schöne Augen
                Und schönes Haar sein!

 

18.

        »Endlich wird es mir zuwider,
        Dieses ew'ge Minnespiel!
Immer hallen deine Lieder
Nur von Wein und Liebe wider,
        Was zuviel ist, ist zuviel!«

– Kannst du Besseres mir geben?
        Zeige mir den Weg, das Ziel;
Gut, weiß ich, ist all mein Streben,
Und in diesem Jammerleben
        Ist des Guten nie zuviel! –

 

19.

        Gott hieß die Sonne glühen
Und leuchten durch alle Welt;
Er hieß die Rose blühen
Auf duftigem Blumenfeld.

Er hieß die Berge sich türmen
Und über die Lande erheben –
Ließ Winde wehen und stürmen,
Schuf vielgestaltiges Leben.

Er gab den Vögeln Gefieder,
Dem Meere sein ewiges Rauschen,
Mir gab er sinnige Lieder,
Euch Ohren, ihnen zu lauschen!

 

20.

      Und was die Sonne glüht,
Was Wind und Welle singt,
Und was die Rose blüht, –
Was auf zum Himmel klingt,
Und was vom Himmel nieder:
Das weht durch mein Gemüt,
Das klingt durch meine Lieder!

 

21.
Die Geschichte von der schönen Chanin Fatme

          Es schaute aus üppigem Frauengemach
Die schöne Chanin den Hof entlang,
Wo unter schattigem Blätterdach
Aus Marmor hoch die Fontäne sprang –
Es war unter allen Haremsfrauen
So schön wie Fatme keine zu schauen:
Das Auge so groß, so klein der Mund,
Der Wuchs so schlank, der Arm so rund –
Wer sie sah, blieb im Zauber verloren,
Sie war zum Bezaubern geboren.

Urplötzlich ein Schrei ihren Lippen entfuhr,
Und das Auge war wie umnachtet:
Sie sah, wie unten im Hausesflur
Ein Sklav' ein Lämmlein schlachtet –
Die Chanin stand in Tränen zerflossen,
Als würde ihr eigenes Herzblut vergossen.

Und wie sie noch so wehmutsvoll
Für das arme Lämmlein litt, –
Mit gekreuzten Armen und demutsvoll
Zu ihr eine Sklavin tritt.
»Hat das Gift gewirkt?« fragt Fatme schnell –
Die Sklavin nickt und zittert –
Doch der Chanin Auge blickt wieder hell:
»Der hab' ich die Freude verbittert!
Nun mag er sich winden und grämen,
Ich will mich der Tat nicht schämen!
Selbst lieber wollt' ich tot sein,
Als von solcher Buhlin bedroht sein,
Warum hat er sie hergebracht,
Daß sie mein Glück verscheuchte –
Ich will, daß in der Haremsnacht
Nur ein Gestirn ihm leuchte!«

Und sie wischt aus dem Auge die Träne,
Blickt rachegesättigt und munter
In den schattigen Hofraum hinunter.
Im Hofe springt die Fontäne,
Und wirft ihren blitzenden Silberstaub
Bis hoch an der Bäume grünes Laub.

Es lag so schwül und schwer in der Luft,
Von ferne zog ein Gewitter her –
Aus den Bäumen weht es wie Grabesduft,
Und auch der Chanin ward schwül und schwer.
Sie wankte dem weichen Lager zu,
Sie suchte Ruh und fand nicht Ruh.

Sie barg in den Polstern ihr heiß' Gesicht,
Sie wollte schlafen und konnte nicht.

 

22.

        Zum Diwan der Veziere mußt' ich kommen,
        So war des Schachs Befehl –
Mirza! Jetzt sag' ob dem, was du vernommen
        Dein Urteil ohne Hehl!

Ich sprach: Ich will dir sagen, was ich fühle,
        Ich mach' es dir kein Hehl!
Ich höre das Geklapper einer Mühle,
        Doch sehe ich kein Mehl!

 

23.

      Mirza-Schaffy, liebliche Biene,
Lange bist du umhergeflogen,
Hast von Rosen und Jasmine
Nektar und süße Düfte gesogen;
Höre jetzt auf zu wandern
Von einer Blume zur andern –
Kehr' mit dem Gefieder
Deiner duftigen Lieder,
Kehr' mit all deinem Honigseim
Heim, zur Geliebten heim!

 


 


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