Friedrich von Bodenstedt
Die Lieder des Mirza-Schaffy
Friedrich von Bodenstedt

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Lieder und Sprüche der Weisheit

Auf das empfindsame Volk hab' ich nie was gehalten; es werden,
Kommt die Gelegenheit, nur schlechte Gesellen daraus.
Goethe.

 

1.

        Komm, Jäger, her! Ich will dich Weisheit lehren,
    Du sollst des Daseins Wert erkennen lernen.
Du sollst zum echten Glauben dich bekehren,
    Das Wahre von dem Falschen trennen lernen:

Die Lehre, wie des Wahns, der Torheit Klippen
    Klug zu umgehn, soll dir im Liede werden –
Wohlredenheit und Anmut deinen Lippen,
    Und deinem Herzen Glück und Friede werden!

Fort aus der alten Satzung dumpfen Räumen
    Will ich den Fuß zu besserm Streben führen –
Bei Wein und Liebe, unter Rosenbäumen
    Sollst du ein neues, schönres Leben führen!

Und wenn du übst, was meine Lieder predigen,
    So sollst du's offen, frohen Mutes üben: –
Der Heuchelei, des Truges dich entledigen
    Und im geheimen nichts als Gutes üben!

Kein Schwert hab' ich, die Toren zu bekehren;
    Wer Weisheit übt, legt andern keinen Zwang auf;
Mein Joch ist leicht, der Kern von meinen Lehren
    Löst sich in Wein, in Liebe und Gesang auf.

Unendlich ist der Schönheit Zauberkreis,
    Unendlich sehnsuchtsvollen Dranges bleiben
Die Menschenherzen – doch wird stets der Preis
    Den Zaubertönen des Gesanges bleiben!

 

2.

        Es sucht der echte Weise,
Daß er das Rechte finde:
Jung wird er nicht zum Greise,
Alt wird er nicht zum Kinde!

Der Winter treibt keine Blüte,
Der Sommer treibt kein Eis –
Was früh dein Herz durchglühte,
Das ziemt dir nicht als Greis!

Jung sich enthaltsam preisen,
Alt toll von Sinnen sein,
Wird nie des wahren Weisen
Rat und Beginnen sein!

 

3.

        Höre, was der Volksmund spricht:
Wer die Wahrheit liebt, der muß
        Schon sein Pferd am Zügel haben –
Wer die Wahrheit denkt, der muß
        Schon den Fuß im Bügel haben –
Wer die Wahrheit spricht, der muß
        Statt der Arme Flügel haben!
Und doch singt Mirza-Schaffy:
        Wer da lügt, muß Prügel haben.

 

4.

                  Mag bei dem Reden der Wahrheit auch große Gefahr sein,
Immer doch, Mirza-Schaffy, mußt du ehrlich und wahr sein –
Darfst nicht zum Irrlichte werden im Sumpfe der Lüge,
Denn alles Schöne ist wahr, und des Schönen kannst du nie bar sein!
Doch zu jeglicher Strafe und Unbill kluger Vermeidung
Hüll' deine Weisheit in blumiger Worte Verkleidung.
Gleichwie die Traube mit köstlichem Tranke gefüllt ist
Und doch von Laube und grünem Geranke umhüllt ist.

 

5.

        Soll ich lachen, soll ich klagen,
Daß die Menschen meist so dumm sind,
Stets nur Fremdes wieder sagen
Und in Selbstgedachtem stumm sind!

Nein, den Schöpfer will ich preisen,
Daß die Welt so voll von Toren,
Denn sonst ginge ja der Weisen
Klugheit unbemerkt verloren!

 

6.

        Ein Schriftgelehrter kam zu mir und sprach:
»Mirza-Schaffy, was denkst du von dem Schach?
Ist ihm die Weisheit wirklich angeboren,
Und ist sein Blick so groß wie seine Ohren?«

– Er ist so weise, wie sie alle sind,
Die Träger des Talars und der Kapuze;
Er weiß, wie ehrfurchtsdumm das Volk und blind,
Und diese Dummheit macht er sich zunutze! –

 

7.

                Die Distel sprach zur Rose:
Was bist du nicht ein Distelstrauch?
        Dann wärst du doch was nütze,
Dann fräßen dich die Esel auch!

        Zur Nachtigall die Gans sprach:
Was bist du nicht ein nützlich Tier?
        Das, Blut und Leben opfernd,
Zum Wohl der Menschen stirbt, wie wir?

        Zum Dichter der Philister
Sprach: Was nützt dein Gesang dem Staat?
        Zur Arbeit rühr' die Hände,
Folg' der Philister Tun und Rat!

        Philister, Gans und Distel,
Behaltet euren klugen Rat!
        Ein jeder von euch treibe
Und tue, was er immer tat!

        Der eine schafft und müht sich,
Der andre singt aus voller Brust –
        So war es stets und überall
Zu guter Menschen Glück und Lust.

        Mirza-Schaffy, wie lieblich
Ist deiner Weisheitssprüche Klang!
        Du machst das Lied zur Rede,
Du machst die Rede zu Gesang!

 

8.

        Ich liebe, die mich lieben,
Und hasse, die mich hassen –
So hab' ich's stets getrieben
Und will davon nicht lassen.

Dem Mann von Kraft und Mute
Gilt dieses als das Rechte:
Das Gute für das Gute,
Das Schlechte für das Schlechte!

Man liebt, was gut und wacker,
Man kos't der Schönheit Wange,
Man pflegt die Saat im Acker –
Doch man zertritt die Schlange.

Unbill an Ehr' und Leibe
Verzeihet nur der Schwache:
Die Milde ziemt dem Weibe,
Dem Manne ziemt die Rache!

 

9.

        Mirza-Schaffy! Wo muß ich dich finden!
Wohin hat sich dein Fuß verloren?
Wie kommt der Sehende unter die Blinden,
Wie kommt der Weise zu den Toren?

Ich sprach: Was soll das Wort mir frommen?
Der Weise muß zu den Toren gehn,
Sonst würde die Weisheit verlorengehn,
Da Toren nie zum Weisen kommen.

Die ihr so groß und klug euch deuchtet,
Mögt ihr das eine doch bedenken:
Die Sonne selbst, wenn sie uns leuchtet,
Muß ihren Strahl zur Erde senken!

 

10.

        Der Fromme liebt das Schaurige,
Der Leidende das Traurige,
Der Hoffende das Künftige,
Der Weise das Vernünftige.

 

11.

        Ein jegliches hat seine Zeit,
Ein jegliches sein Ziel –
Wer sich der Liebe ernst geweiht,
Der treibt sie nicht als Spiel.

Wer immer singt und immer flennt
Von Liebesglück und Schmerz,
Dem fehlt, was er am meisten nennt,
Dem fehlt Gemüt und Herz.

 

12.

        Ein graues Auge
Ein schlaues Auge,
Auf schelmische Launen
Deuten die braunen,
Des Auges Bläue
Bedeutet Treue;
Doch eines schwarzen Augs Gefunkel
Ist stets, wie Gottes Wege, dunkel.

 

13.

        Sollst dich in Andacht beugen
Vor jenem hohen Geist,
Von dem die Werke zeugen,
Die er dich schaffen heißt.

Der, was du je vollbracht,
Und was dir je gelungen,
Urbildlich vorgedacht,
Urbildlich vorgesungen!

Der dich belohnt für das,
Was sinnvoll du bereitest –
Und straft, wenn du das Maß
Des Schönen überschreitest.

Wer diese Strafe nie,
Nie diesen Lohn empfunden,
Dem hat die Poesie
Den Lorbeer nicht gewunden!

 

14.

        Ich hasse das süßliche Reimgebimmel,
Das ewige Flennen von Hölle und Himmel,
        Von Herzen und Schmerzen,
        Von Liebe und Triebe,
        Von Sonne und Wonne,
        Von Lust und Brust,
        Und von alledem,
Was allzu verbraucht und gemein ist,
        Und weil es bequem,
        Allen Toren genehm,
Doch vernünftigen Menschen zur Pein ist.

 

15.

        Wenn die Lieder gar zu moscheenduftig
                        Und schaurig wehn –
Muß es im Kopfe des Dichters sehr ideenluftig
                        Und traurig stehn.

 

16.

        Wo sich der Dichter versteigt ins Unendliche,
        Lege sein Liederbuch schnell aus der Hand, –
Vieles gemeinem Verstand Unverständliche
        Hat seinen Urquell im Unverstand.

 

17.

        Der kluge Mann schweift nicht nach dem Fernen,
            Um Nahes zu finden,
Und seine Hand greift nicht nach den Sternen,
            Um Licht anzuzünden.

 

18.

        Sänger gibt es, die ewig flennen,
    In erkünsteltem Gram sich strecken,
    Wimmern, als ob sie stürben vor Schmerzen,
Ewig in falschen Gefühlen entbrennen,
Weil sie das rechte Gefühl nicht kennen,
    Und darum auch in anderer Herzen
    Keine rechten Gefühle wecken.
Hüte dich vor solcher schwindelnden Richtung,
Vor des Geschmacks und Verstandes Vernichtung!
    Frisch und ureigen
    Mußt du dich zeigen,
Wie im Gefühle, so in der Dichtung.

 

19.

        Meide das süßliche Reimgeklingel,
        Wenn dir der Sinn nicht zum Herzen dringt –
Merke dir, daß oft der gröbeste Schlingel
        Die allerzärtlichsten Verse singt.

 

20.

        Wer in Bildern und Worten in Liebestönen
          Zu überschwenglich ist,
Zeigt, daß er dem Geiste des wahrhaft Schönen
          Selbst unzugänglich ist.

 

21.

        Willst du den Geist im Gesang erspüren
Und dich erfreuen an seinem Duft:
Laß dich nicht von eitlem Klang verführen,
Suche der Erde Gold nicht in der Luft.

 

22.

        Wer nicht vermag seine Lieder zu schöpfen
Aus der eignen Brust und der wirklichen Welt,
Der gehört selbst zu den hirnlosen Köpfen,
Denen sein hirnloses Lied gefällt.

 

23.

    Gute Witze wollen erdacht sein.
Gute Verse wollen gemacht sein.

    Ein guter Witz darf nie
    Zu sehr ins Breite gehn,
    Soll nicht die Poesie
    Selbst in die Weite gehn.

 

24.

        Such' keine Weisheit und Erfahrung
In alter Bücher Staub vertieft –
Die allerbeste Offenbarung
Ist: die aus erster Quelle trieft!

 

25.

    Vergebens wird die rohe Hand
Am Schönen sich vergreifen,
Man kann den einen Diamant
Nur mit dem andern schleifen.

 

26.

        Worin besteht, Mirza-Schaffy,
Der Zauber deiner Poesie?

Daß du in allem wahr bist
    Und die Natur zu wahren weißt;
Daß du in allem klar bist
    Und Wort und Sinn zu paaren weißt.

Daß du nur nach dem Rechten greifst,
    Und alles recht betrachtest –
Daß du nur Diamanten schleifst
    Und Kiesel nicht beachtest!

 

27.

        Es ist leicht, eine kluge Grimasse zu schneiden
            Und ein kluges Gesicht,
Und gewichtig zu sagen: Dies mag ich leiden,
            Und jenes nicht!

Und weil ich dies leiden mag, so muß es gut sein,
            Und jenes nicht –
Vor solchen Leuten mußt du auf der Hut sein
            Mit deinem Gedicht!

 

28.

        Wer seine Augen stets am rechten Orte hat,
Zum rechten Sinne stets die rechten Worte hat,
Der ist der wahre Dichter, der den Schlüssel,
Den rechten Schlüssel zu der rechten Pforte hat!

 

29.

        Der Rose süßer Duft genügt,
Man braucht sie nicht zu brechen –
Und wer sich mit dem Duft begnügt,
Den wird ihr Dorn nicht stechen!

 

30.

    Als ich der Weisheit nachgestrebt,
Kam ich den Toren töricht vor –
Und klug, da ich wie sie gelebt –
Für weise hält sich nur der Tor!

 

31.

      Zu des Verstandes und Witzes Umgehung
Ist nichts geschickter als Augenverdrehung.

 

32.

    Wer alles aufs Spiel gesetzt,
Hat sicher zu viel gesetzt.

 

33.

    Des Zornes Ende
Ist der Reue Anfang.

 


 


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