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Der Nobelpreisträger Tagore umhüllt ethische Gemeinplätze mit duftig-blumiger Sprache und in Darmstädter »Schule der Weisheit« feiert ihn der nämliche Kayserling, der das große Wort gelassen sprach, in tieferem Verstande seien alle Denker Betrüger. Diese eklektische Inderweisheit macht nur Schule für jenes Liebesgesäusel, das schillernde Seifenblasen in die Luft wirft. Für Gemeinschaft einer menschlichen und göttlichen Seele bringt er nur religiöse Voraussetzung, Verbindung ist nicht Identität und Menschenpsyche nicht Totalität der Weltpsyche. Mit solcher Schwärmerei, die an Shelleys Pantheismus der Liebe erinnert, mag man Frauen entzücken, nicht ernste Wahrheitsringer, die nicht im Magiertalar stolzieren und ihre würdevolle schönäugige Anmut mit Güteblumen drapieren. Wer nie den bittern Daseinskampf der Abendländer durchmachte, schritt sein Lebtag friedlich auf Rosen dahin, wie sie ihm Darmstadts Mägdelein streuten. Solche Weise, die vom Leben nichts wissen und unter Palmen sinnig wandeln, möchten das grause Lebensübel mit »Liebe« vertuschen, als ob persönlicher schöner Impuls angelernt werden könne wie ein Katechismus. Am Ganges duftet's und leuchtet's, unterm Palmbaum träumen seligen Traum, doch wie jener Mathematiker fragte, als man ihm Verse vorlas »Was wird damit bewiesen?« Die lieblichste Poesie (Tagore ist ein reizvoller großer Lyriker) ersetzt nicht die Überzeugung strenger Gedanklichkeit. Mit seiner oder Euckens Oberflächlichkeit erwirbt man Nobelpreise, nicht den Preis ernster Denker.
Anders steht es um ein natürlich unbekannt gebliebenes Buch »Die auferstandene Methaphysik« von H. Kerle (Ulm 1921). Der Titel ist spöttisch gemeint, könnte aber als Selbstironie gelten, denn im tiefsten Grunde denkt Kerle so metaphysisch wie möglich. Weil er ein ganzer Kerl ist, möchte er nur auf eigenen Füßen stehen, selbstherrlich die Welt in sein Ich aufsaugen. Diese merkwürdige Philosophie leugnet Gott und Unsterblichkeit theoretisch als zwecklos, verfährt aber dabei streng idealistisch, betrachtet jede Wirklichkeit als Schein, nur geistigen Eigenwert hochhaltend und von ihm auch jede Ethik ableitend. Denn weder Gott noch Menschen zulieb tut der Eigenwert Gutes, sondern einzig aus Selbstachtung. Schön, doch das läßt sich eben nur von ganz Wenigen erwarten, die abnorm hohen Seelengrad erreichten. Wie entsteht solcher Eigenwert? Man höre und staune! Alles Geistige entspringt unter bestimmten kausalen Voraussetzungen »aus dem Nichts«! So wiederholt er ausdrücklich und unterstrichen, er nennt dies Okkasionalismus. Sein Atheismus setzt uns also ein Schaugericht vor, das man als Atrappe ablehnen muß: Das unendliche All soll nur im unendlichen Menschsein wahre Werte auslösen, wohlgemerkt nur in gewissen auserkorenen Menschen, die so Beherrscher des Alls werden und einen Gott höchstens als »Diener« ihrer Erhabenheit brauchen können! Der Anthroposophenwahn »wir sind selbst uns Gott genug, lassen keinen andern gelten« (Griesebach) ist hier auf die Spitze getrieben. Stets wird von Wahrscheinlichkeit geredet, welche spricht für so abstruse Annahme? Wer kann sich das Unding vorstellen, daß Materie oder Leben oder wie man es nennen will, höchste Seelenwerte aus dem Nichts schaffen bloß durch kausale Nervenreibung? Wir sagen Nerven, um doch etwas zu definieren, denn er selbst definiert überhaupt nicht, da er den Hirnapparat als nebensächliche Axidenz betrachtet. Wenn dies nicht der tollste Spiritualismus ist! Ein einzigartiger Vorfall, kausaler Zufall ohne kausale Gründe, dafür wäre Analogie im All das Wenigste, was man fordern darf. Das Wahrscheinlichste bliebe jedenfalls, daß das innerhalb der Materie unerklärliche Hochgeistige nur entstehen kann aus unbekannten Sphären als deren analoges Abbild. Entstehen aus Nichts wäre doppelt widersinnig in solch gottlosem All. Dagegen hat K. nur zu recht mit einschneidender Kritik modernster Metaphysik, man erstaunt betrübt, was man da auftischt; doch auch K. gibt sich so subtiler Spekulation hin, daß sicher nur wenige ihm folgen können, die hier und da Wahrheit aufblitzen sehen, was sich aber hinter Verkehrtheiten verbirgt. Dieser Logiker geht unlogisch von Wunschvoraussetzung aus, daß die Phänomene sich ohne vernünftigen Seelenbegriff erklären lassen. Denn indem er einerseits das Psychische als alleinbestehend anerkennt, behandelt er es andererseits als unpersönliches Neutrum. Das Psychische schlechtweg entsteht »aus dem Nichts« durch sonderbare Materieverrenkung, ohne daß es bestimmte Individualität gibt? Als Allseele? Auch das nicht, was bleibt nun übrig? Und doch soll Eigenart sich so großen Selbstbewußtseins unterfangen, Unsichtbares aus Sichtbarem, Transzendentes aus Materieanreizen entspringen! Selbst wenn dies möglich wäre, lägen die nötigen Bedingungen nur im Weltäther, nur so wäre Hervorbringung des Psycheelements aus feinstem unsichtbaren Stoffe denkbar und damit das Psychische doch wieder als Allbestandteil erklärt! Kerles Denkart ist unnatürlich verstiegene Spekulation »aus Nichts«, doch was lehrt Drieschs »Wirklichkeitslehre«? Alles eher als Wirklichkeit: Ich – Punkt als »zeitunbezogen« mit »geheimnisvollem« Wissen vom Ich im Ich! Solche Künsteleien machen Kritik leicht. Dies »Ordnungswissen« sei überempirisch, sind wir wieder bei apriorischen Ideen? Richtig verlangt D. plötzlich, daß »etwas geglaubt werde« ohne zu wissen, »Gesetzlichkeit überhaupt« sei ohne »überpersönliche Entelechie« eines Gottschöpfers unmöglich, woraus folgern soll »universale Teleologie«. Ist das erfahrungslogisches Postulat oder metaphysisches Faktum? D. tut, als handle es sich um letzteres, doch überpersönliches Gesetz, das wir ihm gern zugeben, bedingt nicht notwendig einen relativ persönlichen Schöpfer. Auf nur apriorischer Begründbarkeit eine Philosophie des Organischen aufbauen, ist ein Exzeß deduktiven Schwärmens. Daß mechanische Verhältnisse nicht eines Zentralwesens bedürfen, nur natürlicher Gravitierung unterworfen, so ähnlich könnte sich Kerle ausdrücken, wenn man nur sein eigenes unsichtbar Psychisches mit sichtbar Mechanischem zusammenkoppeln dürfte und Gravitationsgesetze im Psychischen »aus Nichts« denkbar wären. Ähnlich ist falsch unterschieden, daß psychisches Gefühl »keine Sprünge machen kann«, Bewegung nur der Materie angehört: Psychische Bewegung ist erkennbar als Sym- und Antipathie (Anziehung und Abstoßug). Obschon, wie wir anmerken, auch Denken nach bestimmter Richtung gravitiert, können idealistische oder materialistische Ideen gewiß nicht von körperlichen Reibungen bestimmt werden. Wenn umgekehrt Driesch dem Zufall eine Möglichkeit einräumt, so schlägt er dem für ihn so wichtigen Zweckbegriff den Kopf ab. Dagegen lauten auch starr-realistische Erklärungen wie des Raumes als beziehungsloses Nebeneinander von Dingen (Vaihinger) ebenso banal wie unwahrscheinlich, nur in Chateliers Entdeckung, daß Wärme chemische Umsätze weckt, die wiederum Wärme absorbieren, sehen wir zweckgewollte Verteilung der Materie. Ob man diesen Zweck- als Gottwillen auffaßt oder als immanentes Gesetz geheimnisvoller Automatismen, bleibt denkerisch unwichtig, solange nur das Geheimnisvolle zugestanden wird, das sich eben nie mit Mechanik verträgt. Wundts »Wachstum psychischer Energie« ist sogar empirisch plausibel, geistige Auffassungsgabe wächst vom Kind zum Mann, ebenso Schaffensfähigkeit künstlerischer Gestaltung. Daß Erhaltung der Energie auf psychischem Boden nicht gelte und sogar Erinnerungsbilder aus dem Nichts stammen, behauptet Kerle absurd. Letztere stammen aus einem sehr realen Etwas, nämlich dem Unbewußten, das sie jeweilig ans Licht fördert, und wenn das Hauptgesetz der Materie, nämlich Erhaltung der Energie, im Psychischen wegfiele, dann wäre es ja in keiner Weise dem Physischen verwandt als ein in der Luft schwebendes Nichts. Wo bleiben dann die psychischen Werte als einzige Realitäten? Auch diese, aus Nichts geschaffen, lösen sich in Nichts auf!
Laut Hasserl sei nur »Erlebnis«, »Empfinden« das Gegebene, das scheint uns tautologisches Spiel mit Worten. Empfinden vermittelt sich uns gleichmäßig physisch und psychisch, wird aber bewußtes Erleben nur durch Mitdenken, warum also nicht gleich deutlich sagen: Gegeben ist das Psychische schlechtweg, das sich nicht in Erlebnisfunktionen auflöst, sondern das Erlebnis selber ist. Ein Gesetz des Lebens ist unverkennbar, dazu bedarf es nicht de Vries' »überpersönliche, Ganzheit schaffende Varianten«, denn die Ganzheit wäre auch ohne Varianten, diese aber sind insofern nicht überpersönlich, als sie aus Verschiedenheit persönlicher Psychen entspringen. Logik: Auch unendliche Verschiedenheit ist das Gegebene, die Varianten der Materie sind psychische Akte. Kayserling erkennt im »Gefüge der Welt« ganz richtig, daß die Arten sich nicht evolutionieren, sondern als Korrelate physikalischer und chemischer Bedingungen nur modifizieren. Das will heißen: äußerliche Veränderung ist nur zweckdienliches Reagieren suf Materieeinflüsse ohne innere Umarbeitung. Daß die systematisch gegliederten Einzelwesen den Zellen und Organen eines Einzelwesens vergleichbar seien, lehnt Kerle ab, denn die Zellen seien direkt verbunden durch nervöse Leitung, die Einzelwesen untereinander nicht. Ist dies so sicher? Sind die von einem Wesen zum andern übergehenden Strahlenströme nicht auch Verbindung, lebt nicht vielleicht jede Zelle ein Einzelleben, das sich im Unbewußten abspielt? Naiv wettert Kerle gegen Teleologie: »Ließ Gott Bismarck zur rechten Zeit auftreten, warum ließ er ihn zu unrechter Zeit abtreten?« Als ob Deutschlands Wohl eine spezielle Aufgabe Gottes sein müßte! Immer wieder Anthropomorphismus, mit dem der Einzelmensch eine Gottabsicht nur in Befriedigung seines Egoismus erkennt. Bismarcks Abtreten war nur eine Episode in unaufhaltsamer Verschlimmerung der deutschen Lage durch eigene Charakterschuld, zu der Bismarcks eigenes amusisches »saturiertes« Treiben beitrug. Ob Deutschlands Leiden dazu dienen soll, es selbst zu bessern und zu kräftigen, ist zweifelhaft, die moralische Weltordnung könnte man nur anklagen, wenn es ein Ausbund von Vortrefflichkeit wäre, wie alldeutsche Professoren ihm einredeten. Selbst dann aber, würde die Weltgerechtigkeit nicht in die Brüche gehen, denn die Welt dreht sich nicht um das kleine Deutschland, dessen politischer Niedergang vielleicht von Nutzen für allgemeine Weltökonomie wäre, wie auch Hellas' selbstverschuldetes Unglück den kosmopolitischen Hellenismus förderte. Obendrein ist Deutschlands dauernder Sturz kaum denkbar. Teleologie wird nur dann anfechtbar, wenn sie im Sinn der Kirche sichtbare Belohnung und Bestrafung in Aussicht stellt. Wer sagt denn, ob es für Bismarcks väterlichen Nationalruhm nicht ein Glück war, daß er abtreten mußte und die Deutschen pietätvoll wähnen: Ja, wenn Bismarck länger regiert hätte! Am Unabwendbaren hätte auch er nichts geändert, sein Werk unterliegt vorbestimmter Kausalität, deren tiefsten Endzweck »göttlicher Notwendigkeit« wir nur ahnen, nicht kritisieren dürfen.
Driesch verwässert die ethische Anlage, indem er Sittlichkeit nur in Beziehung zum überpersönlichen Ganzen möglich hält. Einreihung der Ethik, die so selbständige Würde verliert, nur in übersinnlichem Zweckzusammenhang ist unnötig. Denn so fest wir darauf bestehen, daß Entstehen der Ethik erst auf Gotterkenntnis und Unsterblichkeitsglauben folgte und sie ohne solche Voraussetzung keinen sichern Boden hat, muß gleichwohl bedacht werden, daß seither die Vorstellung des Sittlichen, d. h. Gerechtigkeit und Selbstentäußerung tiefer Wurzel faßte, jetzt also ein gewohnheitsmäßiger Hemmungstrieb gegen das Unsittliche wurde. Wenn trotzdem das Unsittliche äußerlich triumphiert, so würde die Schlechtigkeit der Durchschnittsmenschen ohne solche Schranken noch wachsen.Wie groß sie ohnehin, zeigt pietätlose Gemütlosigkeit der Bauern gegen ihre aufs Altenteil gesetzten Eltern. Rousseaus »Naturmenschen«! Nun behauptet Kerle umgekehrt: der geistige Mensch sei nicht Mittel, sondern Selbstzweck, Mittelpunkt des Universums. Pflicht des Subjekts nur gegen sich selbst? Etwa gegen den »im Wert erlebenden Subjekt selbst zu realisierenden Wert«? Wenn dieser hohe Geisteswert es als Pflicht empfindet, rücksichtslos alles im Wege Stehende zu zertreten? Hier sieht man wieder die Nichtigkeit des Verallgemeinerns, denn unstreitig empfanden so Cäsar und Napoleon aktiv, Goethe und R. Wagner passiv, dagegen beugten sich Friedrich und Cromwell der Staatspflicht, Leonardo und Byron fühlten impulsiv Pflichten der Güte und Großmut. Es gibt also keine gleichmäßige Pflichtauffassung, keine bestimmte Wertbeständikgeit seelischer Valuta, die Ethik notiert sehr verschieden im Kurszettel, gleiche Geistquantitäten haben sehr veränderliche Qualitäten. Vielmehr ist bemerkenswert, daß überhaupt Ethik unter Lebewesen waltet, daß Bienen und Ameisen sich anstandslos dem Staat opfern, bei höheren Tieren sich Altruismus ausprägt (Dankbarkeit, Treue bis zum Tod, selbstlose Mutterliebe), was alles mit bloß geistigen Werten nichts gemein hat; unmöglich kann man leugnen, daß somit Ethisches ein natürlicher Bestandteil des Lebens scheint, obschon durch des Menschen krasse Ichsucht verdunkelt. Kerle spottet, daß Monaden nicht schon deshalb, weil sie miteinander etwas zu tun haben, einen überpersönlichen Werde-Bestimmer haben müßten, doch ein gewisser Ganzheitzug (Lotzes Beziehungsphilosophie) kann im geschlossenen Erfahrungszusammenhang schwerlich verkannt werden. Die Beziehung der Lebewesen untereinander führt nicht nur zu äußern Regeln, sondern sittlichen oder unsittlichen Gefühlen, wobei angeborene Gutheit sowenig wie angeborene Bosheit von sonstigen Wertbeständen abhängt. Gerade Determinismus macht sporadisch ethische Impulse so bedeutungsvoll. Daß auch heute noch »Denker« sich auf Willensfreiheit festlegen, stimmt trübe. »Umkehr« soll wie freier Wille aussehen, doch dies Phänomen gehört zum subliminalen Selbst: Erwachen des Früheren, bisher im Oberbewußsein verhüllt. Laskers Machologie schiebt den Macheiden ein Apriori des Handelns zu und stellt sie willkürlich als ethisch dar, während doch in der Wirklichkeit unritterliche Gemeinheit herrscht. Wer mit solcher Fiktion eine Endseele mit gerechter Geschichtsleitung sucht, einen als ritterlichen Macheiden gedachten Gott, wird ihn mit ungeblendeten Augen nicht finden und die Laskersche Lebenstüchtigkeit bleibt unbedeutend oberflächlich (mit »tüchtiger Mensch« meint der Berliner einen Streber). Sein »Unvollendbar« verlegt die Unsterblichkeit auf Fortdauer der Seelentätigkeit in Andern, ganz unbefriedigend, denn sie kann nur mittelbar und ähnlich, nie gleich in Andern fortdauern.
Leib ohne Seele als bewegungslose Masse ist ebenso denkbar wie Seele ohne Stoff, daher albern einzuwerfen, Seele ohne Leib sei nie angetroffen, welches Unsichtbare wurde je angetroffen? Laut Schleich ist alles Körperliche Inkarnation von Gedanken, Münsterberg nennt Körperliches dasjenige, was von allen wahrgenommen wird, Seelisches das nur von einem Subjekt innerlich Wahrgenommene. Doch besonders begabte Augen und jedenfalls Mikro- und Teleskope können Kleines und Großes besser wahrnehmen als »alle«, Telepathie kann gleichzeitig fremde Seelenvorgänge wahrnehmen. So deckt keine Definition dieser verschleierten Differenzierung. Schleichs sonderbare Behauptung, die linke Hirnhälfte produziere nur auf Physisches gerichtete Schwingungen, die rechte alles Gedankliche, ist eigentlich materialistisch trotz angehängter Seelenmythologie altmodischer Art, jedenfalls dualistisch. Möglich, daß die Hirnmasse unter Reibungselektrizität steht, wie Kerle meint, doch diese könnte nur einheitlichen Akt in beiden Hälften erzeugen. Daß Hysterie bloß durch Einbildung Ausschlag und Geschwülste hervorrufe, ist uns zwar ein Beweis für Formfähigkeit psychischer Vorstellung, doch weit entfernt von der ausschweifenden Auslegung, Stoffliches lasse sich aus nichts formen, denn Hysterie entnimmt solche krankhaften Auswüchse doch nur dem eigenen Fleisch. So bequem macht sich dieser neue naturwissenschaftliche Idealismus seine Argumente. Geißlers »System der Seinsgebiete« ist gar kein System. Ist das Wahre und Schöne, weil es eine Forderung ist, darum schon Wirklichkeit einer »Seinsgruppe«? Allerdings vergißt Kerle das Phänomen der Gedankenübertragung, wenn er Durchdringen der Seelen untereinander auslacht, keinenfalls gibt es aber solches Durchdringen, daß dadurch Einheit der Psychen herauskäme, in diesem Sinne würden wir antimonistisch denken, da wir Einheit unendlicher Differenzen schon in der Materie ausschließen, wir denken sie aber transzendental jenseits menschlicher Denkbarkeit, so wie Myriaden elektrischer Funken im letzten Sinne eins sind, doch gewiß nicht identisch in ihrer verschiedenen Lokalisierung. Geißler leugnet töricht Einwirkung von Außendingen auf das Hirn, das ist ebenso möglich wie Eindringen räumlicher Art auf Sinnesorgane, zweifellos können Außenwirkungen die Hirnvorstellungen beeinflussen, nur darf man Beeinflussung des Hirnapparats nicht mit dem davon unberührten Unsichtbaren verwechseln. Kerle hält Monismus für unhaltbar und murrt, daß Geisler an Präexistenz glaubt, doch ohne ersichtlichen Gegenbeweis. Wir unsererseits finden Simmels Ausdruck glücklich, daß Transzendenz dem Leben immanent sei, Bergsons durèe als dauerndes Fließen realer Augenblicke hat mehr für sich, als Zeit nur als unendlich Ruhendes (Lotze) gewissermaßen aus irdischem Vorstellungskreis zu verbannen, Zeit ist für menschliche Vorstellung weder ruhend noch fließend, sondern beides zugleich.
Graf Kayserlings »Reisetagebuch eines Philosophen« meint: »Ich denke, um zu leben«, »alles dient dem Leben«, ebensogut könnte man sagen »Ich lebe, um zu denken«, »alles dient dem Denken«, denn Leben wird nur durch Denken bewußt, psychisches reales Erlebnis, wobei es keine Täuschung gibt, den Satz »Ich denke, daß ich lebe« kann nichts erschüttern. Bergson (»schöpferische Entwicklung«, »Natur und Gedächtnis«) wirft dem Intellekt natürliche Verständnislosigkeit für das Leben vor, das nur eine einzige gegen das Leben anstürmende Woge sei. Ein Impuls zu immer höherer Bestimmung, Nichts sei ein undenkbarer Begriff. (Gewiß, doch nicht deshalb unmöglich, weil wir uns absolutes Vakuum nicht vorstellen können.) Wir unterschreiben ja gern Bergsons Anschauung und auch Huxleys Wort »das Jetzt lag schon im Urnebel als möglich«, da eben ewige Rotation ewige Transformation bedingt und einmal Gestaltetes sich unendlich vervielfacht. Doch läßt sich nicht verkennen, daß apodiktische Sätze wie obige oder in Windelbands »Welttheorie des Urteils« sich nie genügend begründen lassen. Leben contra Materie ist eigentlich ein Unding, nur denkbar für altmodisch überlebten Begriff starrer Körperlichkeit, denn beseelte Materie, wie man sie heute wohl oder übel auffaßt, steht ja selbst im Lebensfluß. Den Impuls in Ehren, doch »immer höhere« Bestimmungen vermutet man zunächst nur, im Leben selbst spüren wir höchstens schwache Anzeichen. Hier stellt sich die Unveränderlichkeit schon im seltsamen Problem dar, daß der Körper unaufhörlich seine Zellen ersetzt und umbildet, geistige Vorstellungen sich ändern und vermehren, gleichwohl die Persönlichkeit sich nie ändert. Mit bloßem Lebensbegriff reicht man da nicht aus, denn das Ichbündel von Geistigem und Körperlichem berührt nicht den Kern des subliminalen Selbst. Somit ist nicht das Leben Urheber der Psyche, sondern sie der Herr des manifestierten Lebens. Für W. Stern »Person und Sache« besteht die Welt aus Substanzen, die zugleich Kausalitäten und Individualitäten sind. Nun ja, jeder Organismus, ob Planet oder Mensch, ist notwendig ein Kausalprodukt präexistenter Faktoren, aber wie es sich dabei als besondere Individualität manifestiert, dafür ist der Begriff Substanz bemühend, denn Individualität ist nichts Substantielles, sondern stofflos unfaßbares Unsichtbares. Wir haben gegen diesen Tiefsinn, den wir sonst billigen, eben einzuwenden, daß er der einzigen geziemenden Begründung aus dem Wege geht, der Karmalehre. Heymanns »psychischen Monismus« müßten wir als verwandte Denkart begrüßen, doch er bleibt unbefriedigend, weil transzendente Ergänzung fehlt und Bedeutung des Unbewußten nirgends recht gewürdigt wird. Hirnprozesse seien Abspiegelung psychischer Kausalität, was soll man sich dabei denken, Parallelismus wahrnehmbarer Hirnvorgänge zu unsichtbarer Bewegung einer außerhalb waltenden Psyche? Doch wohl nicht, denn sie hat ihre zeitliche Wohnung im Nervenfluidum selber, das Hirn »spiegelt« nicht passiv, sondern ist ein aktiv mitklappernder Handwerksapparat. Man wird nicht daraus klug, ob solcher Panpsychismus idealistisch mit allen Konsequenzen gedacht sei. Da orientalische Mystik Edelsteinen und Metallen besondere psychische Werte zuschreibt, so ist eine Steinseele denkbar, doch, womit denkt sie ohne Hirn, womit vollends das Protoplasma? Abtrennung der Planeten vom Urnebel ist motorisch unverständlich. Ist Naturgeschehen keine bewußte Willenshandlung, diese daher kein Geschehen, sondern etwas Gesondertes des organischen Lebens? Wir wissen es nicht, strenger Monismus wird Vermengung beider Elemente voraussetzen. Staudenmayers »Magie als experimentelle Naturwissenschaft« kann beim besten Willen so getrennte Gebiete nicht vereinen, an und für sich arbeitet Magie, wie sie Goethe als Dämonisches erkannte, nie experimentell.
Seelisches Empfinden stammt unmittelbar weder aus Sinnesnerven noch Außenwelt, denn wir empfinden Schmerz und Freude über ein räumlich ganz entferntes Geschehnis, rein intellektuelle Eindrücke werden zu Erlebnis. Doch wenn Wundt das Denken »die letzte Ursache und letzten Zweck der Dinge« nennt, so klingt dies ziemlich verschroben. Ursache kann nicht zugleich Zweck sein, Psyche ist nicht identisch mit Denken, die Welt ist keine peripatetische Denkerschule, letzter Zweck des Weltdaseins ist nicht Denken, sondern ewiges Leben. Für Boutroux »Kontingenz der Naturgesetze« ist alles Sein, also auch das unorganische, Leben. Bewußtsein sei eine freie Schöpfung nicht aus Vergangenheit, sondern immer Neuerstehen. Er und Bergson glauben an schöpferische Entwicklung, die keinen Vollkommenheitsgott bedarf, es sei denn als Zielideal. Diesen neuen Kurs, um Gott gleichsam herumzusegeln, machen wir nicht mit. Solche Entwicklungsfahrt will am Ende aller Zeiten in einen Gotthafen einlaufen, den sie selbst fabrizierte! Drauflosschaffen ohne Protektion regulierender Zentralmacht würde chaotisch enden. Um derlei überhaupt sich vorzustellen, müßte man erst schöpferische Aufwärtsschwingung irgendwo bewiesen haben. Das ist aber nicht so, wir können nur transzendente Evolution jenseits der Bewußtseinsschwelle annehmen, ohne uns ans sichtbare Weltbild zu halten. Daß Entstehen des Bewußtseins ein immer neuer Schöpfungsakt sei, würden wir gern bejahen, aber Loslösen von der Vergangenheit ist unsinnige Willkür, da unser gesamtes Seelenleben sich aus Erinnerung speist und das stete Neuerstehen von Ichen unbedingt Wiedergeburt aus früherem voraussetzt. Sobald sich der moderne Mensch wie ein mittelalterlicher Scholastiker ans Religiöse wendet, wird er voll von Widersprüchen wie bei R. Otto »Das Heilige«, zugleich irrational und rational wie in Kierkegaards »Absurdum«. James »religiöse Erfahrung« verweist auf gewisse Akte des Unterbewußtseins, die scheinbar im Gegensatz zu Früherem plötzliche Bekehrungen vollbringen. Doch auch dies ist determiniert, denn das betreffende Unter- paßt zum entsprechenden Oberbewußtsein gleich individuell, Obiges hätte also nur »freie« Bedeutung, wenn das subliminale Selbst etwas fundamental Ungleiches wäre. Die süßliche Annahme, dies sei das Göttliche in jedem Wesen, muß der Erkenntnis Platz machen, daß es nichts anderes ist als die wahre Individualität der betreffenden Psyche, die im Ober-Ich durch Milieuzwang nur unklar auftritt. Romain Rollands Schlußweisheit, daß Christof »in Gott eingeht«, kommt unvermittelt und macht sich als gebrochenes Zukreuzekriechen durch Nervenerschütterung, nicht als klares Erwachen. »Vom öffentlichen Geheimnis des Lebens« weiß Schrempf auch nichts mehr als subjektive Erlebnisse religiöser Dämonologie, Jodls »Geschichte der Ethik« ist im Grunde wenig ethisch, Simmels »Schopenhauer und Nietzsche« vermag die Problemstellung des Pessimismus und Machtoptimismus nicht zu lösen, Hoffdings »Erhaltung des Werts« und Rickerts Verbinden von Wert und Wertschätzung gehen wie die Katze um den heißen Brei herum, daß Wert und Welt einander nicht gleichzusetzen sind. Wert ist in der Welt, Welt als solche wertlos, alles in ihr Geschaute nur Bild, liebenswert durchaus variabel. Eür Stinnes ist Anhäufen von Milliarden durch allgemeine Verelendung ein herrlicher Lobenswert, der in seinen Lebenswert versunkene Mystiker braucht Gott nicht, findet ihn irreligiös in sich selber. Wenn Spengler sagt »die Menschheit hat kein Ziel«, so gibt die Geschichte ihm recht, für Buddha war Überwindung der Vielheit durch gegenstandslose Ruhe ein Endziel, das auch Tolstoi als asketisches Sterben der Menschheit vorschwebte. Wo bleiben hier die Werte, sind sie Wesenheit oder Illusion wertbeständiger Individualitäten? Boehns Untersuchung »fremddienliche Zweckmäßigkeit der Pflanzenzellen« 1917 widerlegt Anpassungs- und Ausleselehre, denn die Pflanze sorgt emsig aufs sinnreichste für ihren Schädling, das Gallentier. Wurzeln beide deshalb in überindividuellem Wesen, das sie gemeinsam leitet? Leider läßt sich so vorschneller Schluß bestreiten, wir glauben entweder Unterwerfung oder Täuschung der Pflanze zu erkennen, indessen erhellt daraus klar bewußtes Seelenleben der Pflanze. Das ist wichtiger als »Ideen zu einer Phänomenologie« (Hasserl), da solche Ideen sich je nach dem subjektiven Beschauer widersprechen. So sieht Rickerts »Philos. d. Lebens« 1920 nur Ordnung, während Driesch nur Unordnung sieht, jedenfalls hüte man sich vor flachen Optimismus wie in Lask »Logik« 1911 und Nelson »Grundlagen der Ethik«, lauter unbewiesene Postulate wie in Euckens »Grundlinien neuer (!) Uebensauschauung«, für den Ethik schon als Beweis für überpersönlich göttliches Erleben gilt. Das nennt man »Wahrheitsgehalt der Religion«, mit solchen hohlen Phrasen schädigt man nur das Ansehen des Idealismus bei kritischen Köpfen. Pflichtethik ist nur Folge des Gemeinsamkeitstriebs, ethische Gesinnung durchaus nur individuell, vielmehr Hartherzigkeit und verlogene Ungerechtigkeit viel verbreiteter. Wenn Dessoir »vom Jenseits der Seele« göttlichen Ursprung des Daseins für außer aller Frage hält, Rehmke »Philos als Grundwissen« feiert, Scheler »Formalismus in der Ethik« alle Werte in Gott lokalisiert findet, Jeitler »das Wesen des Katholizismus« treffend eine Religion hinter allen Religionen und darin den Gottesbeweis sucht, so sind das ja löbliche Ansichten, doch werden oft mit dunklem Geschwätz verfochten wie in Yin Ra »Buch vom lebendigen Gott«: »Gestaltung bedingt zuletzt Erstarrung in Sichtbarkeit sinnfälliger Welt« – wie »zuletzt«? Sichtbarwerdung ist sofortige Sinnfälligkeit psychischer Gestaltung. Wie könnte die unsichtbare Mitarbeit als gleichzeitiger Akt je Erstarren im ewig fließenden Werden zulassen? Für Schneiders »Metaphysik als exakte Wissenschaft« ist Dasein nur Wahrgenommensein. Man kann jederzeit gegen jeden Teil seiner Anlage ohne Rücksicht auf die Lage Stellung nehmen? Solche Apotheose des freien Willens macht lachen. Oestereich »Okkultismus und Weltbild« führt allein in neue Regionen über.