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Aristoteles ließ bei seinen 10 Kategorien den Grundzügen »Stoff, Bewegung, Form« ein Endziel folgen, das er nicht klarzumachen weiß. Das Fundament des Stoffes scheint heut mehr denn je auf Sand gebaut. Das vom Araber Maimonides übernommene »unzerschneidbare« Atom als Urkörperahne der Allfüllung enthüllte sich jüngst experimentell von sehr zerschneidbarer Seite. Da auch mit starren Atomen nichts für psychische Bedingungen anzufangen ist, setzte Leibniz den Atombegriff in seelische Monaden um. Er ließ sich dabei auf sozusagen Gleichstellung aller Monadeuhren ein, die ohne Einwirkung aufeinander die Stunde schlagen, nur bewegt vom Normalzeitzeiger der Urmonade Gott. Solcher Gleichklang ohne Wechselbeziehung bleibt ein Unding, denn Monaden wechseln natürlich ihre Lage wie Elementatome durch veränderliche Wärmestadien. Doch die organische Chemie schöpft auch kein Fundamentalwissen aus der Retorte. Man kann die 64 Elemente, die man nun glücklich herausklaubte, nicht in ihre Grundstoffe auflösen, Atomwägung bleibt für sinnlich Unwahrnehmbares illusorisch. Erdichtung des Moleküls, d. h. der Atomverbindung gestand, daß Einzelatome nicht für sich selbst bestehen und sich fortwährend durch Reibung mit Nachbaratomen verwandeln. Chemische Wahlverwandtschaft aber setzt einen psychischen Prozeß des Wollens und Begehrens voraus. Da werden Ehefesseln abgestreift, alte Liebe rostet nicht, das Entfernte und scheinbar Entgegengesetzte findet sich wieder in elektrischer Spannung von Positiv und Negativ. Der Kohlenstoff erhebt sich im Verbrennungsprozeß zum Sinnbild organischen Lebens, Harnstoff wird Gleichnis der Gleichheit alles Animalischen mit den Elementen selber. Doch die Schleimzelle als Keimzitadelle des Materielebens entweicht vorwitziger Neugier, man kann sie nicht nachfabrizieren. Ihre dämonische Gewalt wird Medizinern in Bazillen, Agrariern im Samenkorn verdeutlicht. Pflanzenstäubchen begehen Minneheldentaten, zwischen dunkelm Erdschoß und lichter Himmelsluft werden beim Reifen der Neugeburt die sieben Arbeiten des Herkules vollbracht. Alle Elemente sind im Samenkorn enthalten, gewiß ebenso in einstiger Urkeimzelle des Menschen und ihrem heutigen Aufbau (Paracelsus). Materialisierung arbeitet mit möglichster Kraftersparnis nach einem einzigen Grundgesetz, doch unbegreiflich weit spannt sich dabei die individuelle Ungleichheit. Die einen Bakterien sind gut, die andern bösartig, dienen Leben oder Tod nach eigenem Gefallen, individuelle psychische Anreize durchziehen jede Naturstufe. Vagabundieren mancher Pflanzensporen gleicht dem Beute- und Minnesuchen der Tiere, neben andern harmlosen Schwestern stehen holde Blumen als spitzbübisch gierige Insektenfänger. Pflanze und Tier als Kohlenstoffverbindungen sind zugleich tier- und pflanzenähnlich, waschen sich die Hände als gegenseitige Lebensassekuranz, jeder nährt sich von Abfällen des andern wie der Mensch von beiden. Doch wie verschieden entfaltet sich die Psyche, je heftiger sich das Selbstbewußtsein meldet! Pflanzliches und Tierisches haben gleichen Verbrennungsapparat, doch wie verschieden atmen Pflanzen und Tiere Kohlen- und Sauerstoff ein und aus! Beide wichtigsten Lebensstoffe vermählen sich als Kohlensäure unter gewissen Bedingungen zu bestimmtem Zweckerfolg, scheinbarer Dualismus sucht auch hier Einheit, im Unsichtbaren gibt es sicher zahllose Verbindungen, die doch alle zu gleicher Familie gehören. Ihr Familiencharakter aber ist Beständigkeit. Naturapparate sind stets die gleichen, sogar Größeformate (Planeten) scheinen einmal für immer fixiert, in der ungeheuren Vielheit herrscht nur geringe physische Transformation, keine andere Verwandlungsfähigkeit wird zugelassen als die des Schauspielers, der Maske und Kostüm wechselt, doch stets der nämliche bleibt.
Der Mensch schwärmt gern von Generatio aequivoca bei Athene, Madonna und sogar der Bienenkönigin. Wären diese Damen Jungfern und ohne Mutter geboren – la recherche de la maternité est interdite –, so unterbrächen sie den Ring exakter Mechanik nicht eigentümlicher als Fehl- und Schwergeburten – Friedrich der Große, Voltaire usw. sträubten sich lebhaft gegen das Licht der Welt – oder die Buntscheckigkeit aller Erotik. Aristoteles lehrte »Form« als Folge von Stoffbewegung, Plato »Idee« als primär. Nun kristallisieren sich, mag man sie auflösen und andere Neubildung zur Verfügung stellen, Steinsalze immer wieder in Würfel, Alaun in Achteck, Korallen in Siebenornamente, die Pflanze schießt aus ihrer Wurzel stets zum gleichen architektonischen Gebäude auf. Ketzer mochten den heiligen Feigenbaum von Buddha-Gaya verstümmeln und umhauen, sie verminderten nur seine Größe, er wuchs immer wieder als Idee dieses Feigenbaums und lebt noch heut. Form ist also nur das Modell, nach dem sich der Stoff um seine Idee gruppiert. Im Atelier der Natur aufgestellt, gleicht sie der künstlerischen Idee eines Bauplans. Wir sehen uns allgemeiner Vorbestimmung der Formen und somit einer Ideenwelt gegenüber, in welcher der Stoff geknetet wird. Deshalb verwerfen wir das Wort Materie, setzen dafür Materialisation, die nicht von Ursubstanz, sondern Urkraft unbekannter Wesenheiten ausgeht. Könnte man das 300fach verstärkte Sehvermögen der Mikroskopforschung aufs gewöhnliche Sichtbare anwenden, würde man Überraschungen erleben. Ehrenberg spricht von »seelenvollem Aufbau zierlich lebendiger Formen«, wo das Gewebe kleinster Infusorien sich stets verfeinert. Plan, Gesetz, Einheit, wo man Zufallspiel des Formlosen vermutete! Je mehr sich Beobachtung verschärft und Schauen vertieft, desto deutlicher tritt jedes Naturteilchen als Spiegelbild einheitlichen Schöpfungswillens einer alldurchdringenden Psyche hervor.
Diesem logischen idealistischen Weltbild begegnet der Materialismus mit lauter Geschäftsphrasen über angeblich selbständige Naturwirtschaft. Das ist gut genug für Krämer, die ihr Hauptbuch mit Soll und Haben als Fetisch verehren, während dort verzeichnete Zahlenmessungen nur papierner Niederschlag von Addition und Subtraktion zahlloser lebendiger Tatsachen sind, aus denen man erst die Zahlen gewann. Der Wilde hält doch wenigstens seinen Stein oder Holzklotz nur für ein Merkzeichen des angerufenen Zauberfetisch, nicht das Holz selber für wundertätig. Freilich sind auch Stein und Holz nicht leb- und seelenlos. Denn Prof. Chander Bose, ein Hindu, bewies experimentell, daß Metalle genau so auf Stimulanzen reagieren wie ein Menschenkörper. Eine Eisenstange spürt Müdigkeit, schläft ein, erwacht, kann vergiftet und getötet werden. Man kann unter galvanischer Stromwirkung metallische Vegetation erzeugen, ein deutscher Gelehrter verwandelte Salz in farbige Pilzform. Nun kann aber Leben nur durch Leben entstehen, alles ist eben Leben, beständig kommen Lebensformen aus Unorganischem, siehe Bastians Experiment über Entstehung von Bakterien. Was heißt überhaupt unorganisch! Derlei kann es in der ungeheuren Weltorganisierung überhaupt gar nicht geben. Wieder nur anthropomorphische Täuschung, die alles für toten Stoff hält, was sich menschlicher Prüfung entzieht und sich nicht animalisch bewegt. Unstreitig entstand alle Materie durch Attraktion von »Molekülen«, An- und Abstoßung als Ehe und Scheidung chemischer Prozesse sind aber psychische Akte und solches muß bei allen sog. Atomen vorausgesetzt werden. Haeckel erklärte offen, er sehe Zu- und Abneigung in jedem Materieakt. Welche Begriffsstutzigkeit, daraus nicht sofort antimaterialistische Schlüsse zu ziehen! Komischerweise läuft nämlich der ganze Spektakel darauf hinaus, den ausgetriebenen Geist wieder in die Materie hineinzuschmuggeln. Leben ist eben allgegenwärtig, Geist immer dort, wo Leben ist, Leben aber in jedem Atom. Saaleby schließt daher ganz richtig, daß Geist in jedem chemischen Element der Zelle sei, Geist sozusagen das Elektron der Materie. Geist aber will stets etwas. Schon im 18. Jahrhundert sprach Crusius das große Wort: »Wille ist die herrschende Kraft im Universum«, moderne gelehrte Redensarten umschreiben dies nur wie Wundts Auslegung der Energie als »etwas dem Willen Ähnliches« oder Gudsworths »plastische Natur«, die dem »schöpferischen Willen« der Yogalehre entspricht als Instrument des absoluten Einen. Dieser Wille ist in der Natur unverkennbar, aber nicht Schopenhauers blinder Wille, der ohne Zweck und Ziel nach Leben hascht. Es ist auch etwas anderes, wenn Lamark »Begierde« als Ursache aller Formen erkennt. Formen sind ewiger Wechsel, Wille auch, identisch mit Bewegung, Geist aber als notwendige Ursache jedes Willens seinem Wesen nach wechsellos. Der Tautropfen der Wolke wandert auf mancherlei Wegen zum Meer zurück, aus dem die Wolke kam; so des Menschen wechselnde Psyche zurück zur ewigen Ruhe. Die Wissenschaft drückt sich mit unnötiger Vorsicht um die Erkenntnis herum: In jeder Energie ist »etwas wie Geist«, in jedem Elektron »etwas wie Materie«, nur unendlich feiner. »Etwas wie« ist Ausdruck der Hilflosigkeit, die nicht ehrlich sein will: ist das Elektron irgendwie mit sog. Materie (Äther) verkettet, dann ist eben die Materie geistig beseelt, und zeigt die Energie geistige Anlage, dann hat sie geistige Zwecke. Geist ist also das Uranfängliche, Energie seine Folge und deren Endfolge die Materie. Die umgekehrte Reihenfolge anzunehmen ist so verdreht, daß es sich nur noch pathologisch als epidemische Ansteckung erklären läßt wie im Mittelalter der Veitstanz. Schopenhauer nennt den Optimismus mehr verbrecherisch als leichtfertig, wir nennen Materialismus eher kreuzdumm als verbrecherisch.
Der primitivste Wilde fühlt das Übergewicht des Psychischen, die Antike verband mit Hades ganz logische Vorstellung, daß die Unterweltler nach Erdsinnlichem schmachten (»lieber ein Bettler hier als König im Reich der Schatten«), in dem allein sie aufgingen, während sie die Kämpfer für höhere Zwecke als Halbgötter in die Sterne versetzte. Materialisten bestehen gemeinhin aus Verstandesgelehrten, die überhaupt nichts vom Leben wissen, aus sog. Weltleuten, die nur winzigen Ausschnitt der Menschenwelt und ein paar wissenschaftliche Näschereien als Nachtisch der Sinnlichkeit kennen, und aus der riesigen Herde, die vor sich hingrast und ihren Grasfleck für die Welt hält. Die kleinste tägliche Beobachtung müßte den Materialisten verwirren und tut es auch, wenn er genug nachdenkt. Er sieht einen roten Kaschmirschal, schon dieser Vorgang ist psychisch, da die Augen nur als Fenster dienen, durch die der Sehnerv im Hirn hinausschaut. Daß nun das Bild des Schals samt seiner roten Farbe in einem Hirnkasten aufbewahrt wird, den wir Gedächtnis nennen, und dort reproduziert bleibt, daß ferner willkürlich Bilder im Hirn auftauchen, plastisch und oft farbig, und sich dies beim Künstler zum Schaffen selbstherrlicher Gebilde steigert, solche unverkennbaren Akte einer regierenden Psyche können durch keinerlei Floskeln von Apperzeptionen weggedeutet werden. Wir zünden hier absichtlich nur die Laterne des gesunden Menschenverstandes an, bevor wir das Erkenntnislabyrinth betreten. Wir rammen die Pflöcke ein für Pfahlbauten am See des Unsichtbaren. Vor Beweisaufbau muß man das Gelände abstecken, von wo er beginnen soll.
Schon die Annahme eines letzten Ursachgrundes, ohne den keine Wissenschaft denken kann, bedeutet einen Energiewillen, der sich in Marsch setzt. Bewegung ohne Willen kann es nicht geben, so wenig wie der Arm sich ohne Gehirnvorgang hebt. Alles hat ein Woher, warum soll nur das All kein Warum und kein Wozu kennen, ziellos seine Massen angehäuft haben? Umgekehrt schiebt menschlicher Unverstand dem Unendlichen endliche Funktionen unter: Gott will »sich ausdrücken« oder »träumen, spielen« oder »Erfahrung gewinnen«, wenn er die Welt darstellt? Ihm solche Bedürfnisse zuzuschieben ist naiv. Er fühlt sich zu »einsam«, so daß er notgedrungen unzählige Seelen aus seiner Allseele produziert? Wer so denkt, besudelt leidig das Eine, das immer zugleich Eins und All bleibt. Plotin griff hier ungeschickt daneben. Oder führt der Eine in den Vielen vor sich selbst eine Maskerade auf? Solche kindischen Ratereien sind notwendig anthropomorphische Täuschungen. Doch ein notwendiges Warum zu leugnen, weil der kleine Mensch es nicht erfassen kann, ist eine Frechheit, die nur von ihrer Dummheit übertroffen wird. Wahrlich, es gibt ein Warum für jedes Was und Wie, nur hier so unaussprechlich erhaben, daß selbst der erleuchtetste Seher es nur in dämmernden Umrissen ahnt. Allerdings muß Gott schaffen wie das Genie, das ohne Schaffen kein Genie wäre, diese Analogie ist um so sinnbildlicher, als das Genie nur zur Selbstveranschaulichung schafft. Leonardo erkannte schon bald, sein Abendmahl werde eindunkeln, doch selbst wenn es sofort nach Vollendung hätte vergehen müssen, hätte er's doch geschaffen und Shakespeare seine Dramen geschrieben, wenn er gewußt hätte, die Manuskripte würden verbrannt werden. So darf man nicht abweisen, daß innerer Zwang das Absolute zum Schaffen nötigt als einer seiner Funktionen. Doch da dies Weltschaffen auf viel subtilerem Wege geschieht, als Götzentheologie sich träumen läßt, dürfen wir weder hierin das volle Warum vermuten noch auch im Christussymbol der Selbstkreuzigung Gottes, wieder nur einem Teil der möglichen Wahrheit. Jesu Geheimnis »Ich und der Vater sind eins« konnte die plumpe Menschheit nur götzendienerisch mißverstehen, wir aber erkennen, daß Kreuzigung und Himmelfahrt eine Notwendigkeit der Allökonomie sein müssen, genau so wie Schlaf und Wachen, Tod und Leben. Nur Pietätlosigkeit unterfängt sich, naseweise Fragen an den Einen zu stellen, Er wird schon wissen warum, wie soll das Endliche im Staubkleid das strahlende Unendliche verstehen! Wer ununterbrochen in grelles Licht blinzelt, erblindet. Sehe er lieber so weit, als sein Sehvermögen reicht, da lernt er schon genug. Gott sei uns Narren gnädig! wäre das passende Gebet gelehrter Zöllner, die mit plausibler Materialität den Welträtseln beikommen und dem Unerforschlichen ins Handwerk pfuschen.