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Es war Sonnenuntergang in Skalunga.
Der Tod nahte in seiner Majestät. Alle beugten sich vor ihm, und der Sterbende begrüßte ihn gefaßt und bereit.
Nacht und Tag und wieder Nacht, und immer noch hielt die Krisis an. Man erwartete nichts anderes, als daß der starke, gequälte Körper Ruhe im Todesschlaf finden würde, und es verlangte sie alle zu sehen, wie sich der Friede des Todes über die schmerzerfüllten Züge breitete. Als der Sterbende endlich einschlief, wagte man darum nichts anderes zu hoffen, als daß der natürliche Schlaf in den des Todes übergehen möchte.
Man saß lautlos um das Bett und lauschte darauf, daß der Atem matter werden und aufhören würde.
Eine Stunde nach der anderen verging, und immer noch blieb der Atem und wurde immer ruhiger und regelmäßiger.
Als sich die Sonne am dritten Morgen über die Höhen von Skalunga erhob und das Kreuz auf der Kirchturmspitze vergoldete, fing eine stille Hoffnung an, sich in den Herzen zu regen, die sich schon auf alles gefaßt gemacht hatten. Noch wagte sich die Hoffnung nicht hervor, sondern brannte leise in der Brust wie eine eben angezündete Flamme.
Man sprach gedämpft und schlich auf den Zehen. Aus aller Herzen klang immer noch die Bitte: »Dein Wille geschehe,« obgleich die Ergebung in dieser Bitte von aufsteigendem Jubel erfüllt war.
Der Tod zog vorüber. Es schien, als wäre ein Engel Gottes vorübergegangen. – –
Ols schlug die Augen auf. Zuerst sah er niemand an, sondern blickte geradeaus, als erwarte er etwas.
Dann kam er wieder ganz zu sich und wandte den Blick.
Helwigs Augen grüßten die seinen, und er blickte tief hinein. Was er sah, war eine neue Welt, aber eine andere, als er erwartet hatte. –
Er hatte geglaubt, er würde sich in den Tod hineinschlafen, fand sich aber beim Erwachen immer noch auf Erden. Er hatte himmlische Herrlichkeit und Engelsgruß erwartet, aber das, was seinem Blick begegnete, war das Gesicht eines Weibes, und die Augen eines Weibes grüßten ihn. Wie bekannt ihm auch die Augen waren, so schien ihm doch, als habe er sie noch nie gesehen, denn ihr Ausdruck war verändert.
Als er ihrem Blick begegnet war, hatte Helwig die am tiefsten eindringende Erfahrung ihres Lebens gemacht.
Dem Tod hatte sie ins Angesicht gesehen, ihren eigenen Willen hatte sie aufgegeben. Dem Willen Gottes hatte sie ihr Liebstes geopfert. Und nun wurde es ihr zurückgegeben.
Sie war niedergekniet, um den Ritterschlag der Trauer zu erhalten. Nun empfing sie die ernste Gabe der Liebe, aber sie brachte ihr nicht die große Trauer, sondern die vielen Sorgen.
Auch jetzt sagte sie: »Dein Wille geschehe!« Doch ihre stille Ergebung wandelte sich in bebende Freude, und das heiße Verlangen beseelte sie, sie möchte ihren neuen Aufgaben gewachsen sein.