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Helwig tat, wie sie gesagt hatte. Sie suchte Gottes Verheißungen der Gebetserhörung auf, legte sie ihm vor und betete bezwingend.
Bei jeder Verheißung, die sie fand, gewannen ihres Geliebten Worte an Bestätigung. Sie fing an zu ahnen, aus welcher Tiefe sie geschöpft waren. Sie versuchte, im Beten auszuharren, in der Meinung, es läge Kraft darin. Aber der Trotz, mit dem sie angefangen hatte, ließ mehr und mehr nach. Die Verheißungen der Gebetserhörung selbst zeigten ihr, daß das Gebet ein Heiligtum ist, und das erschütterte ihren Eigenwillen. Mit Trotz hineinzustürmen, hieße das Heilige schänden.
Sie konnte Gott nicht trotzen und sein Heiligtum stürmen wollen. Aber sie konnte es doch auch nicht lassen, für ihres Geliebten Leben zu beten.
So fuhr sie denn fort zu beten, aber der Eigensinn ließ nach. Sie betete flehend, angsterfüllt, denn sie schien keine Erhörung zu finden.
Es ging Ols schlechter.
Da mischte sich etwas Neues in Helwigs Gebet: der Zweifel. Sie zweifelte nicht nur an der Wirkungskraft ihres eigenen Gebets, sondern überhaupt an der Kraft des Gebets; denn es gab viele, die für ihren Pastor in Skalunga beteten, und doch ging es ihm schlechter, beständig schlechter.
Zweifelten die anderen Beter vielleicht auch, als sie diese Antwort auf ihre Gebete erfuhren? Helwig fragte Mutter Ols.
»Des Herrn Wille ist der beste,« antwortete diese, und Ergebung lag in ihrem tränenvollen Blick.
Treu ging sie ihren Geschäften nach, treu in ihrer unermüdlichen Fürsorge, ruhig und ergeben, und bereit, des Herrn Willen hinzunehmen, wie er sich auch zeigen mochte. Ob sie betete? Gewiß betete sie, ohne Aufhören. Aber um was? Nicht um etwas Bestimmtes, das Gebet ist mehr als ein Bitten. Sie betete um den Herrn selbst, daß er kommen möchte und ihnen allen nahe sein bei dem, was bevorstand.
Helwig starrte auf die unfaßbare, großartige Ergebenheit. Sie durfte es miterleben, wie eines Menschen Wille in dem Gottes aufging. Davon hatte Erik gesprochen. Jemand, dessen Wille so gänzlich in dem des Vaters aufging, wie es bei Mutter Ols der Fall war, mußte doch das empfangen, um was er betete. Sie bat, daß der Herr selbst kommen und ihnen allen nahe sein möchte. Also mußte er selbst kommen, er war vielleicht schon da.
Ein Beben durchfuhr Helwig.
Sie sah Mutter Ols und ihren Sohn bereit, dem Herrn zu begegnen.
Aber sie selbst? Ohne Überlegung war sie hierhergestürzt, um das Glück an sich zu reißen, das sie von sich gestoßen hatte. Nun kam der Herr, um es ihr zu nehmen und sie mit leeren Händen zurückzulassen.
Alles, was bisher ihr Leben erfüllt hatte, hatte seinen Wert vor dem Mann, den sie liebte, verloren. Und jetzt sollte er ihr genommen werden!