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David Friedrich Strauss an Christian Märklin

Berlin, den 15. November 1831.

An wen, geliebtester Freund! soll ich es schreiben, daß Hegel tot ist, als an Dich, dessen ich auch am meisten gedachte, so lange ich den Lebenden hören und sehen konnte? Zwar die Zeitungen melden es Dir wohl, ehe Dich mein Brief erreicht; aber auch von mir sollst und mußt Du es hören. Ich hoffte, Dir Erfreulicheres von Berlin aus schreiben zu können! Denke Dir, wie ich es erfuhr. Ich hatte Schleiermachern nicht treffen können, bis diesen Morgen. Da fragte er natürlich, ob mich die Cholera nicht abgeschreckt habe zu kommen, worauf ich erwiderte, daß ja die Nachrichten immer beruhigender geworden, und sie jetzt wirklich fast zu Ende sei. Ja, sagte er, aber sie hat noch ein großes Opfer gefordert – Professor Hegel ist gestern Abend an der Cholera gestorben. Denke Dir diesen Eindruck! Der große Schleiermacher, er war mir in diesem Augenblick unbedeutend, wenn ich ihn an diesem Verluste maß. Unsere Unterhaltung war zu Ende, und ich entfernte mich eilig. Mein erster Gedanke war: nun reisest du ab, was tust du ohne Hegel in Berlin? Bald aber besann ich mich und bleibe nun. Hergereist bin ich einmal, – auf eine weitere Reise komme ich nicht mehr, und hier ist Hegel zwar gestorben, aber nicht ausgestorben. Ich freue mich, daß ich den großen Meister noch gehört und gesehen habe vor seinem Ende. Ich hörte beide Vorlesungen bei ihm: über Geschichte der Philosophie und Rechtsphilosophie. Sein Vortrag gab, wenn man von allen Äußerlichkeiten absieht, den Eindruck des reinen Fürsichseins, das sich des Seins für Andere nicht bewußt war, d.h. er war weit mehr ein lautes Sinnen, als eine an Zuhörer gerichtete Rede. Daher die nur halblaute Stimme, die unvollendeten Sätze, wie sie so augenblicklich in Gedanken aufsteigen mögen. Zugleich aber war es ein Nachdenken, wie man wohl an einem nicht ganz ungestörten Orte dazu kommen mag, es bewegte sich in den bequemsten, konkretesten Formen und Beispielen, die nur durch die Verbindung und den Zusammenhang, in welchem sie standen, höhere Bedeutung erhielten. Am Freitag hatte er beide Vorlesungen noch gehalten; Samstag und Sonntag fielen sie ohnehin weg; am Montag war angeschlagen, daß Hegel wegen plötzlicher Krankheit seine Vorlesungen aussetzen müsse, aber am Donnerstag ihre Fortsetzung anzeigen zu können hoffe, aber noch an eben dem Montag war ihm das Ziel gesetzt. Vorigen Donnerstag besuchte ich ihn. Wie ich ihm Namen und Geburtsort nannte, sagte er gleich: ah, ein Württemberger! und bezeugte eine herzliche Freude. Er fragte mich nach allerlei Württembergischen Verhältnissen, in welchen er noch mit ehrlicher Anhänglichkeit lebte, z.B. nach Klöstern, nach dem Verhältnis von Alt- und Neu- Württembergern und dergl. Über Tübingen sagte er, er höre, daß daselbst üble und zum Teil gehässige Vorstellungen über seine Philosophie herrschen; es treffe auch hier zu, sagte er lächelnd, daß ein Prophet nichts gilt in seinem Vaterlande. Von dem wissenschaftlichen Geiste in Tübingen hatte er die eigene Vorstellung, es werde da zusammengetragen, was dieser und was jener von einer Sache halte, da habe der das darüber gesagt, ein anderer jenes, auch lasse sich das noch sagen u.s.f. Es ist dies wohl für unsere Zeit nicht mehr ganz richtig über Tübingen – der gesunde Menschenverstand und das orthodoxe System sind positivere Mittelpunkte seiner Theologie und Philosophie. Nach Deinem Vater erkundigte sich Hegel mit vieler Teilnahme, die Erwähnung Maulbronns brachte ihn darauf, er sagte, daß er mit ihm durch's Gymnasium und die Universität gegangen. Er wußte ihn noch in Neuenstadt; als ich sagte, daß er nun Prälat in Heilbronn sei, sagte der alte Württemberger: so, jetzt ist auch in Heilbronn ein Prälat? – Wenn man Hegeln auf dem Katheder sah und hörte, so gab er sich so unendlich alt, gebückt, hustend usw., daß ich ihn 10 Jahre jünger fand, als ich auf's Zimmer zu ihm kam. Graue Haare allerdings, bedeckt von jener Mütze, wie sie das Bild bei Binder zeigte, bleiches, aber nicht verfallenes Gesicht, helle blaue Augen und besonders zeigten sich beim Lächeln noch die schönsten weißen Zähne, was einen sehr angenehmen Eindruck machte. Er gab sich ganz als einen guten alten Herrn, wie ich bei ihm war, und sagte am Ende, ich solle öfters bei ihm einsprechen, er wolle mich dann auch mit seiner Frau bekannt machen. – Nun Morgen Mittag um 3 Uhr wird er begraben. Die Bestürzung ist ungemein auf der Universität; Henning, Marheineke, selbst Ritter lesen gar nicht, Michelet kam fast weinend auf den Katheder. Mein Stundenplan ist nun ganz zerrissen; ich weiß nicht, ob nicht vielleicht jemand die Hefte der zwei angefangenen Kollegien abzulesen unternehmen wird. Sonst höre ich bei Schleiermacher die Enzyklopädie, bei Marheineke den Einfluß der neueren Philosophie auf die Theologie, und jetzt, da Hegels Vorlesung wegfällt, kann ich auch noch die Geschichte des kirchlichen Dogma bei ihm hören, welche er zu gleicher Stunde mit Hegel las. Bei Henning höre ich Logik, bei Michelet Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. Schleiermacher ist, weil er extemporiert, nicht leicht nachzuschreiben – er hat mich überhaupt bis jetzt – auch das Predigen miteingeschlossen, noch nicht besonders angezogen, – ich muß ihn zuvor mehr persönlich kennen lernen. Marheineke's Vortrag stellt man falsch dar, wenn man ihn stolz und affektiert nennt, er ist sehr würdig und mit unverkennbaren Spuren von Gefühl. Der freundlichste Mann hier ist aber Hitzig, der mir schon unzählige Gefälligkeiten erwiesen hat. Gestern führte er mich in eine Gesellschaft ein, in welcher namentlich Chamisso zu treffen war. Man liest Fichte's Leben vor. Chamisso, ein ältlicher, langer, hagerer Mann, mit einem grauen altdeutschen Haar, aber kohlschwarzen Augenbrauen. Im Gespräch ist er nicht viel, zerstreut, das Gesicht greulich verziehend, aber freundlich und zuvorkommend. So hätte ich also alles, – nur Dich, mein Bester, nicht und keinen der mir Dich irgend ersetzen könnte. Warum bist Du so eigensinnig fortgerannt, ohne auf uns zu warten? wirst Du sagen. Um Hegel noch zu sehen und ihm mit der Leiche zu gehen, antworte ich. Sende diesen Brief Bührern, damit er meinen Eltern sagt – worauf sie begierig sein werden – was ich jetzt nach Hegel's Tode zu tun gedenke. Den 17. Gestern haben wir ihn begraben. Um 3 Uhr hielt Marheineke als Rektor im Universitäts-Saale eine Rede, einfach und innig, mich ganz befriedigend. Er stellte ihn nicht nur als König im Reich des Gedankens, sondern auch als echten Jünger Christi im Leben dar. Er sagte auch, was er bei einer kirchlichen Feier nicht würde gesagt haben, daß er wie Jesus Christus durch den leiblichen Tod zur Auferstehung im Geiste, den er den Seinigen gelassen, hindurchgedrungen sei. Hierauf ging der ziemlich tumultarische Zug vor's Trauerhaus und von da zum Gottesacker. Dieser war mit Schnee bedeckt, rechts stand die Abendröte, links der aufgehende Mond. Neben Fichte, wie er gewünscht hatte, wurde Hegel beigesetzt. Ein Hofrat Fr.Förster, ein Poet und Anhänger Hegel's, hielt eine Rede voll leerer Phrasen, wie das Gewitter, das lange über unseren Häuptern gestanden, und sich schon verziehen zu wollen schien, noch mit einem zündenden Strahl und hartem Donnerschlag ein hohes Haupt getroffen; und dies mit einem Ton, wie wenn man dem Kerl einen Sechser gegeben hätte, um das Ding geschwind abzulesen. Nachdem dies beendigt war, trat man näher zum Grab und eine von Tränen gedämpfte, aber hochfeierliche Stimme sprach: Der Herr segne Dich. Es war Marheineke. Dieser Eindruck befriedigte mich wieder ganz. Beim Austritt aus dem Gottesacker sah ich einen jungen Mann weinen und hörte ihn von Hegel sprechen. Ich schloß mich ihm an; es war ein Jurist, vieljähriger Schüler Hegel's. Damit Gott befohlen.


Voranzuschicken ist diesem Goethebrief weniges; ein kurzer Kommentar soll ihm folgen. In der Tat scheint die philologische Auslegung einem so großen Dokument gegenüber die bescheidenste Verhaltungsweise, zumal dem, was Gervinus über den allgemeinen Charakter der Goetheschen Spätbriefe in seiner Schrift »Über den Goetheschen Briefwechsel« sagt, in Kürze nichts hinzuzufügen ist. Auf der anderen Seite liegen fürs äußere Verständnis dieser Zeilen alle Daten bei der Hand. Am 10. Dezember 1831 war Thomas Seebeck, der Entdecker der entoptischen Farben, gestorben. Entoptische Farben sind durch eine gewisse mäßige Lichtanregung in durchsichtigen Körpern zum Vorschein kommende Farbenbilder. In ihnen erblickte Goethe einen experimentellen Hauptbeweis seiner Farbenlehre der Newtonschen gegenüber; er nahm also stärksten Anteil an ihrer Entdeckung und stand von 1802 bis 1810 zu ihrem in Jena ansässigen Urheber in näherer Beziehung. Als Seebeck späterhin in Berlin wirkte und dort Mitglied der Akademie der Wissenschaften wurde, lockerte sich das Verhältnis zu Goethe. Dieser verdachte es ihm, daß er an so sichtbarer Stelle nicht nachhaltig für die »Farbenlehre« sich einsetzte. Soweit die Voraussetzungen des folgenden Schreibens. Es stellt die Antwort auf einen Brief dar, in dem Moritz Seebeck, der Sohn des Forschers, gleichzeitig mit der Nachricht vom Ableben seines Vaters Goethe der Bewunderung versichert, die der Verstorbene bis zuletzt für ihn hegte und die »einen festeren Grund als den einer persönlichen Neigung hatte«.


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