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Friedrich Hölderlin an Casimir Böhlendorf

Nürtingen, den 2. Dezember 1802.

Mein Teurer!

Ich habe Dir lange nicht geschrieben, bin indes in Frankreich gewesen und habe die traurige einsame Erde gesehen; die Hütten des südlichen Frankreichs und einzelne Schönheiten, Männer und Frauen, die in der Angst des patriotischen Zweifels und des Hungers erwachsen sind. Das gewaltige Element, das Feuer des Himmels und die Stille der Menschen, ihr Leben in der Natur, und ihre Eingeschränktheit und Zufriedenheit, hat mich beständig ergriffen, und wie man Helden nachspricht, kann ich wohl sagen, daß mich Apollo geschlagen.

In den Gegenden, die an die Vendée grenzen, hat mich das Wilde, Kriegerische interessiert, das rein Männliche, dem das Lebenslicht unmittelbar wird in den Augen und Gliedern und das im Todesgefühle sich wie in einer Virtuosität fühlt, und seinen Durst zu wissen, erfüllt. Das Athletische der südlichen Menschen, in den Ruinen des antiken Geistes, machte mich mit dem eigentlichen Wesen der Griechen bekannter; ich lernte ihre Natur und ihre Weisheit kennen, ihren Körper, die Art, wie sie in ihrem Klima wuchsen, und die Regel, womit sie den übermütigen Genius vor des Elements Gewalt behüteten. Dies bestimmte ihre Popularität, ihre Art, fremde Naturen anzunehmen und sich ihnen mitzuteilen. Darum haben sie ihr eigentümlich Individuelles, das lebendig erscheint, sofern der höchste Verstand im griechischen Sinne Reflexionskraft ist, und dies wird uns begreiflich, wenn wir den heroischen Körper der Griechen begreifen; sie ist Zärtlichkeit, wie unsere Popularität.

Der Anblick der Antiken hat mir einen Eindruck gegeben, der mir nicht allein die Griechen verständlicher macht, sondern überhaupt das Höchste der Kunst, die auch in der höchsten Bewegung und Phänomenalisierung der Begriffe und alles ernstlich Gemeinten dennoch alles stehend und für sich selbst erhält, so daß die Sicherheit in diesem Sinne die höchste Art des Zeichens ist. Es war mir nötig, nach manchen Erschütterungen und Rührungen der Seele mich festzusetzen auf einige Zeit, und ich lebe indessen in meiner Vaterstadt.

Die heimatliche Natur ergreift mich umso mächtiger, je mehr ich sie studiere. Das Gewitter, nicht bloß in seiner höchsten Erscheinung, sondern in eben dieser Ansicht, als Macht und als Gestalt, in den übrigen Formen des Himmels, das Licht in seinem Wirken, nationell und als Prinzip und Schicksalsweise bildend, daß uns etwas heilig ist, sein Gang im Kommen und Gehen, das Charakteristische der Wälder und das Zusammentreffen in einer Gegend von verschiedenen Charakteren der Natur, daß alle heiligen Orte der Erde zusammen sind um einen Ort und das philosophische Licht um mein Fenster sind jetzt meine Freude; daß ich behalten möge, wie ich gekommen bin, bis hieherl Mein Lieber! ich denke, daß wir die Dichter bis auf unsere Zeit nicht kommentieren werden, sondern daß die Sangart überhaupt wird einen anderen Charakter nehmen, und daß wir darum nicht aufkommen, weil wir, seit den Griechen, wieder anfangen, vaterländisch und natürlich, eigentlich originell zu singen.

Schreibe doch nur mir bald. Ich brauche Deine reinen Töne. Die Psyche unter Freunden, das Entstehen des Gedankens im Gespräch und Brief ist Künstlern nötig. Sonst haben wir keinen für uns selbst, sondern er gehöret dem heiligen Bilde, das wir bilden. Lebe recht wohl!

Dein H.


Im Februar 1803 schrieb Brentano an Arnim von einem kleinen, etwas faden Brief der Mereau und seiner Antwort darauf aus vollem, wahrem Herzen: »Ohne Schonung für mich und sie, wie ein geistreicher Dritter, alles mit den scharfsinnigsten Nuancen ausgeführt, ihre Geschichte in dreierlei Gestalt, voll Mutwill, wahr bis zur Zote, Erklärung meines großen Lustens, sie zu beschlafen, Trauer über ihr Alter und ihre unendlich schlechten Verse, überhaupt der freiste, kühnste und glücklichste Brief, den ich je geschrieben, und der längste, er schloß mit einigen brünstigen Handwerksburschen- Liedern.« Und dann, vier Jahre später: »Sophie, die mehr zu leben verdiente als ich, die die Sonne liebte und Gott, ist schon lange tot. Blumen und Gras wachsen über ihr und dem Kinde, welches getötet durch sie sie tötete. Blumen und Gras sind sehr traurig für mich!« Dies Eintritts- und Ausgangspforte des kleinen Irrgartens von Clemens Brentanos Ehe mit dem Standbild des ersten Sohnes in seiner Mitte. Achim Ariel Tyll Brentano nannten die Eltern ihn – Namen, die keine Anweisung auf die irdische Existenz, sondern Flügel sind, auf denen das Neugeborene bald wieder heimkehrte. Als mit dem unglücklichen Erscheinen des zweiten Kindes nun das Ende gekommen war, schien mit dem Tode der Frau, an deren Seite Brentano das Leben gar nicht leicht ertragen hatte, alles über ihm zusammenzubrechen. Er sah sich grenzenlos vereinsamt, und die Wirren, in die das Land nach der Niederlage von Jena und Auerstedt verfiel, raubten ihm selbst den Vertrautesten: Arnim, der dem König nach Ostpreußen gefolgt war. Von da schrieb er, im Mai 1807, ein halbes Jahr nach Sophiens Tod, an Brentano: »Ich setze oft an, Dir so vieles zu schreiben, was ich auf dem Herzen habe. Aber die Idee, daß ich umsonst schreibe, daß meine Worte von Andern gelesen werden, verleidet es mir gleich. Es ist noch ein Umstand, der, mir zweifelhaft, wie ein schnellgeschwungenes scharfes Schwert alles zwischen uns bewegt. Es sollte mir wehe tun, wenn es wahr wäre, und ich Dir etwas trauriges zurückriefe. Der verstorbene brave Doktor Schlosser, der Jenenser, sagte mir etwas von dem Tode Deiner Frau, den er behauptete in einer Zeitung gelesen zu haben. Wir sind hier von allem abgeschnitten, ich möchte sagen, von der Zeit; doch hatte ich eine Zuversicht und behalte sie, Deine Frau müsse leben.« Aus diesen Worten ist zu entnehmen, daß die Bitte des ergreifenden Briefs, der hier folgt, umsonst war. Er ist, soviel sich nach genauen Ermittlungen feststellen ließ, ungedruckt und daher diplomatisch getreu wiedergegeben.


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