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Ch. A. H. Clodius an Elisa von der Recke

d. 2. Dezbr. 1811.

Wie sehr große Seelen oft durch einen einzigen Gedanken des Wohlwollens auf entfernte Kreise ihrer Freunde und Verehrer wirken, davon, himmlische Elisa, haben wir den schönsten, wahrhaft entzückenden Beweis gestern gehabt. Die Aufstellung Ihrer wohl angekommenen kolossalen Büsten, mit denen Sie Lotten gütig beschenkten, unter einer kleinen Musik an Lottens Geburtstage war ein wahrer Gottesdienst für uns, und noch heute sitzen wir unter den mit Epheu umhangenen, mit seltensten Blumen umringten Büsten, wie die alten Griechen und Römer unter ihren Hausgöttern in den kleinen Hauscapellen gesessen haben mögen! – Alles vereinigte sich, sowohl Dekorazion als Cantate sehr zauberisch zu machen. Unsre kleine Hütte war um so mehr ein Elysium, je anspruchsloser alles sich darstellte.

Durch einen glücklichen Zufall hatte ich schon vorher, ehe Ihre Büsten ankamen, die schöne Büste Schillers für Lotte bestellt, welche sie so sehr gewünscht hatte. Durch eben diesen glücklichen Zufall hatte die Freigebigkeit unserer Freunde Lottchens kleines romantisches Zimmerchen nach der Allee heraus durch Orangebäume, blühende Aloe, Narzissen, Rosen, alabasterne Vasen zu einem Tempel Florens und der Kunst so decoriert, daß es würdig war, die fremden Gäste aus dem Olymp zu empfangen. Unter der (schon vorhandenen) Console Shakespeares war auf einer Art Blumenträger in der Mitte zwischen Ihrer und Schillers Büste unsres Tiedge Bild aufgestellt, welches als das leichteste in dieser Büstenform am besten von der hohen Herme getragen werden konnte. Sonst hätten freilich die männlichen Genien den weiblichen Genius in die Mitte nehmen oder die minder colossale Büste von Schiller in der Mitte zwischen den beiden colossalen stehen müssen. Von Tiedges Herme gingen Ranken von Epheu zu zwei runden Pfeilertischchen, auf welchen Elisa und Schiller hervorragten. In diesem Kleeblatt von weißen Gestalten trug ein kleiner Tisch die herrlichsten Blumen empor, denen man die Jahreszeit nicht anmerkte, und zu dessen Füßen waren die verkleideten Lichter angebracht, welche von unten einen concentrierten Zauberschein auf die weißen colossalen Köpfe warfen, welche aus den grünen Büschen hervorragten. Ein Stehspiegel in der Ecke des Zimmers, eine Spiegeltür aus einem antikgearbeiteten Secretair von Lottchen gaben die drei weißen Gestalten von neuem zurück, sodaß die Bilder beinahe dreifach erschienen. Wie wir das Zimmerchen öffneten und dies kleine Heiligthum erschien, lief die ganz unvorbereitete auf das ihr so innig theure Bild der Mutter und des Freundes zu, mit lautem Ausruf der Freude. Es ward ihr ein Stuhl vor den kleinen decorierten zauberischen Schauplatz hingesetzt, und alsdann begann von vier herrlichen Stimmen das Geisterchor aus dem angränzenden Zimmer hinter Lottchens Stuhl: Willkommen in dem neuen Leben!

Lottens Empfindung wird sie Ihnen, herrliche Elisa, selbst beschreiben und ihren Dank, so viel sie kann, ausdrücken. Mit ihr vereinigt sich der meinige, und herzliche Grüße an unsern verehrungswürdigen Tiedge. Möge der Himmel, edle Elisa, durch ruhige krankheitslose Stunden die vielen Freuden lohnen, die Sie auch in der Ferne unserer Lotte, uns zaubern! Wenn wir die wirklich herrliche Musik Ihnen schicken dürfen, die so viel reizendes, romantisches, inniges und doch zugleich erhabenes hat, werde ich sie abschreiben lassen. Mit inniger unausgesetzter Dankbarkeit und kindlicher Liebe bin ich

Ihr Sie treu verehrender Sohn C.A.H.Clodius.


Was Johann Heinrich Voß im nachfolgenden Brief seinem Freunde Jean Paul mitteilt, führt den Leser an die Quelle der deutschen Wiedergeburt von Shakespeare. Der Schreiber, der zweite Sohn des Homer-Übersetzers Johann Heinrich Voß, war kein überragender Geist. »Ihm fehlte eine selbständige, energisch auf das Ziel losdringende Natur. Die kindliche Liebe und Verehrung, die er für seinen Vater hegte, raubte ihm schließlich jede geistige Unabhängigkeit. Wie sein Vater ihm als höchstes Vorbild galt, so fügte er sich widerspruchslos seinen Anschauungen und war zufrieden, wenn er mit matterer Stimme die Meinungen des Alten nachsprechen, ihm die Beantwortung eines Briefes abnehmen oder bei seinen Studien dienend helfen konnte.« Die größte Freude seines Lebens mag er gehabt haben, als es ihm gelungen war, den Vater, erst duldend, dann auch tätig, seiner Shakespeareübersetzung zu gewinnen. – Wie es nun aber die Art der natürlichen Quellen ist, daß sie aus den verlorensten Rinnsalen, aus namenloser Feuchte, aus kaum netzenden Wasseradern sich speisen, so auch die der geistigen. Die leben nicht nur von den großen Leidenschaften, denen Same und Blut entquellen, noch weniger von den vielberufenen »Einflüssen«, sondern auch vom Schweiß des mühsamen Alltags und den Tränen, die aus der Begeisterung fließen: Tropfen, die sich dann bald im Strom verlieren. Der folgende Brief – ein einzigartiges Zeugnis für die Geschichte des deutschen Shakespeare – hat ihrer einige aufbehalten.


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