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Verehrter Herr!
Legen Sie diese Zeilen nicht bei Seite, erkundigen Sie sich und melden Sie mir, wo Ludwig Achim von Arnim ist, dessen Freundschaft für mich Ihnen bekannt ist, er ist mir außer Sophien, die ich auf eine so traurige Art nebst dem Kinde in schwerer Geburt verlor, immer alles gewesen, was ich liebte, seit dem 19. Oktober weiß ich nichts von ihm, und vom 19. Oktober selbst nur, daß er diesen Tag in Halle war, mein mit Schmerz ganz vergiftetes Gemüth hat mit Ihm auch Alles aus dem Gesichte verlohren, waß ans Leben knüpfen könnte; Sie sind mir durch ihn selbst, als ein trefflicher Mann bekannt, und Sie sollen glauben, daß ich ganz unendlich unglücklich bin, ja so (im) Jammer, daß ich durch ihn durchwandlen kann, wie durch eine Hölle, die unendlich ist, und Sie sollen mir daher bald, gleich, oder nur sobald, als es ihre gute Gesinnung Sie zu thun zwingt, melden, wo Arnim wahrscheinlich ist, und ob man ihm schreiben kann, ob ihm jemand von Berlin schreibt, Sie können das gewiß erfahren, und es ist Ihnen dann so sehr leicht, mir durch eine Nachricht davon in wenigen Zeilen, wenigstens den Nahmen einer Stadt zu nennen, wohin ich denken kann, ach so wie mir jetzt ist, da ich schwebe mitten in tiefem Gram, ist es mir unendlich viel, in dieser Endlichkeit, nur zu wissen, ob jemand noch lebt, der mich liebte.
Wenn Sie mir schreiben, so melden Sie mir auch, wie viel Sie an Meine Frau für die Fiametta schon bezahlt haben, und waß Sie noch bekömmt, auch wenn Sie es gern bezahlen, so will ich Ihnen zu jener Zeit melden, an wen Sie es in dortiger Gegend bezahlen können, dieses Geld gehört meiner kleinen Stieftochter, die hier bei Mad.Rudolphi erzogen wird, und ich muß daher es besorgen, dieses bloß zu bescheidener Erinnerung.
Ihr ergebener
Clemens Brentano.
Heidelberg, 19. Dec. 1806.
»Ritter ist Ritter und wir sind nur Knappen. Selbst Baader ist nur sein Dichter«, schreibt Novalis am 20. Januar 1799 an Caroline Schlegel. Was Ritter und Novalis miteinander verband, ist von der Art, daß dies Wort mehr enthält als eine Rangbestimmung von Ritters Tätigkeit für die Romantisierung der Naturwissenschaften; es zielt zugleich auf die menschliche Haltung, die wohl bei keinem Romantiker vornehmer und gegenwartsfremder zugleich war. Im Grunde haben beide, menschlicher Rang und wissenschaftliche Haltung des Physikers, bei Ritter sich aufs innigste durchdrungen, wie es in dem Selbstzeugnis sich bekundet, in welchem er den greisen Herder zum Urahnen seiner Forschung gemacht hat: Herder, den man als Schriftsteller häufig habe treffen können, »besonders in der Woche; als Menschen aber, weit über alle seine Werke erhaben, habe man ihn Sonntags finden können, wo er, seinem Schöpfer folgend, ruhte und den Tag im Schoße seiner Familie verbrachte; nur ›Fremde‹ durften dann nicht bei ihm sein. Gleich herrlich und göttlich sei er erschienen, wenn er, was er sehr liebte, an einem schönen Sommertage eine ländliche Gegend, zum Beispiel das schöne Wäldchen an der Ilm zwischen Weimar und Belvedere, besuchte, wohin dann aber außer seiner Familie ihm nur folgen durfte, wen er ausdrücklich einlud. An solchen Tagen dann, den einen oder andern, sei er wirklich wie ein Gott erschienen, der von seinen Werken ruhe, nur doch als Mensch, die seinigen nicht, sondern die des Gottes selbst erhebend und preisend. Mit Recht dann habe über ihm der Himmel zum Dome sich gewölbt, und selbst des Zimmers starre Decke habe nachgegeben; aber der Priester darin sei nicht aus diesem Land noch dieser Zeit gewesen; Zoroasters Wort stand auf in ihm, und strömte Andacht, Leben, Friede und Freude in die ganze Umgebung; so ward in keiner Kirche Gott gedient, wie hier, – wo sich erwies, daß nicht das Volk, sondern der Priester, sie fülle. Hier – wiederholte N. unzählige Male – hier habe er gelernt, was die Natur, der Mensch in ihr, und eigentliche Physik, seien, und wie die letztere Religion unmittelbar.« Der N., von dem hier die Rede ist, ist Ritter selbst, wie er in seiner ebenso rückhaltlosen wie keuschen, schwerfälligen wie abgründigen Natur in der Vorrede der »Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers« (Heidelberg 1810) sich dargestellt hat. Der unverwechselbare Ton dieses Mannes, der diese verschollene Vorrede zur bedeutendsten Bekenntnisprosa der deutschen Romantik macht, findet sich auch in seinen Briefen, von denen nicht viele sich scheinen erhalten zu haben. Der folgende ist an den Philosophen Franz von Baader gerichtet, der während seiner zeitweilig einflußreichen Stellung in München etwas für den schwer kämpfenden Jüngeren zu tun unternahm. Und gewiß war es nicht leicht, für einen Mann zu wirken, der von seinen »Fragmenten« sagen durfte, daß es bei ihnen »schon von selbst ehrlicher gemeint sein mußte, als es so leicht gemeint ist, wenn man bloß für das Publikum, also öffentlich, arbeitet. Denn so sieht eigentlich niemand zu, als, wenn es erlaubt ist, ihn zu nennen, der liebe Gott, oder, ist's anständiger, die Natur. Andere ›Zuschauer‹ haben noch nirgends viel getaugt, und auch ich habe mit vielen andern empfunden, daß es Werke und Gegenstände gibt, die nicht gelungener ausgeführt werden, als wenn man tut, als schreibe man für gar niemand, auch nicht einmal für sich selber, sondern eben für den Gegenstand selbst.« Ein schriftstellerisches Credo dieser Art hat schon damals seinen Bekenner in Not gebracht. Aber er fühlte nicht sie allein, sondern, wie der folgende Brief erweist, auch das Recht, sich auszusprechen, das sie verleiht und die Kraft dazu: amor fati.