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Also mußten wir uns von diesem einen Filz und gute Vermahnung geben lassen, welchen wir doch kurz zuvor wacker auszufilzen uns vorgenommen hatten. »Wisset Ihr, Ihr Herren,« sprach der Verwalter, »wie Ihr den Schreiber wegen seiner Verleumdung und ausgestoßener Schmachrede abstrafen könnet?« Herr Friderich sagte, daß er ihn etliche Tage in dem Loche wolle stecken lassen. »Nein,« sagte der Verwalter, »ich schreibe zwar Euer Gestreng nichts vor, aber besser wärs, wenn Ihr ihm zur gebührenden Züchtigung erstlich ein altes Buch neu abzuschreiben vorlegtet, denn der Schelm schreibt eine gute Hand; und weil wegen instehender Hitze das Mühlwasser klein geworden, wäre uns und ihm viel mehr gedienet, wenn er sich mit tiefer Grabung der Quell eine feine motionem corporis machen könnte. Denn, was hilft es Euer Gestreng, wenn der arme Teufel wie eine Kletzen zusammenbacket?« – »Es ist wahr,« sagte der Friderich, »Eurem Rat will ich folgen, lasset ihn aus und stellet ihn erstlich über den Mühlbach und alsdann, so er allda seine Arbeit getan, auch über das alte Buch.« Durch diesen Vorschlag kam der Schreiber aus dem Gefängnis und Friderich zu einer Arbeit, die er mit vielem Geld nicht hätte kaufen können. »Sehet, Herr,« sprach der Verwalter, »so habe ichs gemacht, wenig sind von mir ins Loche, aber alle zur Arbeit gewiesen worden, dadurch Euch ein merkliches zum Besten gekommen.«
Indem fängt den Friderich die Liebe aufs neue an zu quälen, und wenn ich nicht gewußt hätte, daß er in solchen Gedanken gerne alleine wäre, würde ich ihm samt dem Verwalter viel Verdrüßlichkeit verursachet haben. Wir ließen ihn demnach in dem Zimmer, allen diesen Grillen abzuwarten, die viel Seufzer aus seinem Herzen herauspreßten. Denn er war im höchsten Grad der Liebe zugetan und ließ in allen seinen Handlungen zwar keine närrische, aber wohl eine merkliche Flamme spüren, die er gegen der Amalien trug.
Die Knechte, so von dem Philipp mit uns geschicket worden, waren mit einem guten Trankgeld schon lange wieder zurück, und diesen hatte er einen Brief an ihren Herrn und in demselben zugleich einen Einschluß an die Amalia mitgegeben, von welcher er gleich dazumal, als er von einer so unverhofften Andacht überfallen worden, eine Antwort empfing. Solche brachte ihr eigener Laquay Justin, von welchem daroben ein mehrers gemeldet worden; und weil ich den Friderich in Durchlesung dieses angenehmen Liebesbriefs nicht verhindern wollte, mußte mir der Diener indessen eins und das andere in einem Garten erzählen, was seit unserer letzten Abreise aus dem Schlosse Oberstein guts Neues passieret. Ich konnte ihn aber nicht lange bei mir behalten, weil Friderich ebendasjenige zu erfahren verlangte, was ich von ihm zu wissen begehrte.
Er war länger als eine gute Stund bei ihm, und daselbst satzte es das allerangenehmste Gespräch, da immer einer fragte und der andere das Allerbeste antwortete, denn Justin wußte wohl, wie man den Verliebten lausen mußte, wenn man sie auf die rechte Sprünge bringen wollte. Darum ward er auch von dem Friderich trefflich beschenket und noch selbiges Abends mit einem langen Brief an die Amalia wieder abgefertiget. Justin bekam zum Überfluß den häufigen und herrlichen Gold- und Silberschatz zu sehen, dadurch ihm das Maul trefflich wässerig gemacht worden. Aber Friderich sagte, daß er nach diesem allen nichts fragte, wenn er nicht zugleich die Hoffnung hätte, die allerschönste Creatur, nämlich die Amalien, zu besitzen, und daß er ihr bloßes Angedenken allem Wert der alleredlesten Kleinodien weit vorzöge. Dadurch bekam Justin gute Gelegenheit, seine Beredsamkeit zu spicken und der Amalien tausend angenehme Worte zu überbringen, auf welche sie, nach seiner Aussage, mit unvergleichlichem Verlangen wartete.
Ich hatte noch so viel Glück, den Brief an die Amalien, ehe er noch versiegelt war, in diesem Inhalt zu lesen:
›Allerschönste Seele! Man weiß keine Ziffer, durch welches die unzählbare Anzahl der Sterne kann bedeutet werden; viel weniger weiß ich ein Wort oder eine Zeile zu finden, die genugsam wären, meine große Begierde, Dieselbe bald wiederum zu sehen, auszusprechen. Ich zähle zwar die Stunden, aber vielmehr zu meinem widrigen Verdruß, weil mir jeder Glockenschlag zugleich mein Herz berühret, da ich noch so viel Stunden von meiner Verehlichung übrig sehe. Ich finde diese Passion allgemach mit einer großen Heftigkeit, die ich doch sonsten viel weniger als ein schwaches Federlein geurteilet. Zu dieser meiner Pein ist Sie, o allerschönstes Bild, alleine Ursach, weil ich Ihre angenehme Gestalt unablässig vor Augen habe. Wolffgang ist dermalen bei mir auf meinem Gut; der weiß nicht allein um meine Reise, sondern auch um alle heftige Seufzer, die ich um Ihretwillen in die bloße Luft geschicket. Diese Krankheit, ob sie mich gleich unmäßlich quälet, ist nichtsdestominder meine angenehmste Wollust, weil sie von niemand anders als von Ihr den süßen Ursprung führet. O meine Schöne! was Sie an mich begehret, ist ohnedem eine solche Pflicht, ohne der ich zu leben sterben müßte. Sie tue desgleichen, und mehr will ich diesem schwachen Papier nicht vertrauen, weil es solche Flammen, als ich hege, unmöglich ohne Versehrung ertragen kann. Lebet wohl!‹
Dieses war der Inhalt des Schreibens des verliebten Friderich, welcher noch ein junger Schüler in dieser Kunst war. Demnach gab er mir auch ihr Concept, welches sie mit eigener Hand folgendermaßen an ihn geschrieben hatte:
›Werter Schatz! Das Verlangen, Euch bald wiederzusehen, machet mich seufzen und hoffen! Ich bin nit mehr meine, weil meine Gedanken stets um Euere angenehme Person schweben. Der Schlaf, ob er wohl dem Tod ähnlich ist, gibt meinen Gedanken doch das allerangenehmste Leben, wenn er mir Eure Holdseligkeit ohne Unterlaß im Traum vorstellt. Dieses Blatt ist glückseliger als ich, weil es von Euren Lippen kann berühret und geküsset werden. Aber Geduld! diese bringt mit tausendfältigen Früchten, was sie mit großer Widerwärtigkeit gesäet. Der Entschluß wegen der Heirat ist von der ganzen Freundschaft beliebet worden, und steht der 16. dieses zur Ausrichtung dermalen noch gewiß. Sonst kann ich nichts Neues berichten, weil ich für großer Lieb keinen fremden Zuständen nachdenken kann. Lebet wohl, mein Leben! und liebet beständig! Wollet Ihr aber, daß ich sterbe, so hört auf, mich zu lieben. Dennoch werde ich vergnügt sterben, weil ich die Ehre gehabt, mich eines vollkommenen Menschen verliebte Dienerin zu nennen, die ich auch bis in das Grab verharren werde, etc.‹
Als ich solches gelesen und trefflich gegen dem Friderich gelobt hatte, fuhren wir in dem Discurs weiter miteinander fort, und weil er unter allen seinen Affecten keinen merklicher spüren ließ, als daß er sich überaus gern loben hörte, konnte ich ihm die Geige trefflich nach seinen Ohren stimmen und fing dannenhero an, alle seine Handlungen, die er sowohl ehedessen als anitzo mit Schreiben, Reden und Discurrieren unter uns vorgenommen, herauszustreichen. Aber daraus waren weder ich noch er nichts desto glückseliger noch vollkommener, sondern vielmehr ich ein Ohrenbläser und er ein heimlicher Prahler zu heißen, der in seiner heftigen Einsiedelei nicht gelernet hatte, daß die Hoffart und absonderlich diese, die man heimlich in dem Herzen verbirget, eine erschreckliche Sünde sei und den Menschen nicht allein geistlicher-, sondern auch leiblicherweis sehr zu verstellen pfleget. Wir hatten noch beiderseits in unserer Eremiterey nicht gelernet, daß man durch das gesuchte Eigenlob vielmehr in der Menschen Abgunst als Liebe zu geraten pflegte. Wir hatten nicht beobachtet, daß die Demut allein das Mittel sei, auf den wahren Ehrengipfel zu gelangen, und daß man durch den heimlichen Stolz allen Aestim, den man zuvor unter den Leuten gehabt, auslösche und umstoße. Diese Erkanntnis mangelte dem ehrlichen Friderich um ein merkliches, weil er nur nach den äußerlichen Gebärden heilig, innerlich aber noch voll Unrats und Totenbeiner war und ein Aussehen hatte wie das Jüdische Grab, so außen voller Zierde und innen mit Gestank angefüllt gewesen.
Deswegen hörte er sich trefflich gerne loben, und wenn man seine Sachen herausstrich, so schmunzelte er bei sich selbst, ob er gleich anfangs den Verwalter sowohl als ich vor einen liederlichen Mauskopf und wohlexercierten Tobaksbruder gehalten. Wenn man sagte, daß in der Redekunst keiner seinesgleichens im ganzen Lande wäre, so tat er zwar, als hörte ers nicht gern, aber in dem Herzen war ihm dieses Gespräche über Zucker und Honig; und wenn man von solchem Gespräche abweichen wollte, so gab er noch immer Gelegenheit, des vorigen zu erwähnen, weil er einen solchen Magen hatte, der mit nichts als mit seinem eigenen Lob konnte gesättiget werden. Sonsten war er ein Ausbund eines stillen Gemütes und ein rechter Spiegel eines adeligen Wandels, indem er lauter löblichen Sachen nachgestrebet. Und dahero kam es, daß er alle diejenige heimlich haßte, die sich nur mit einem Wort wider ihn, nach seinem Gedünken, verstoßen hatten. Nichtsdestoweniger brachte ich ihn oft auf eine bessere Bahn, und er ergab sich auch letztens so weit gefangen, daß er seinen Fehler wegen des Eigenlobes nicht allein gutwillig bekannte, sondern sich auch von demselben merklich entäußerte.
Es waren noch vierzehen Tage zur bevorstehenden Heirat, welche Zeit, weil es die letzte war, ihm höchst verdrießlich und beschwerlich fiel. »Die Langweil,« sagte er, »die ich ehedessen in dem einsamen Kloster als ein Eremit ausstehen müssen, ist mir nicht so unerträglich als diese wenige Zeit gewesen.« – »Du mußt«, sagte ich, »dich mit Bücherlesen oder Spielleuten ergetzen.« – »Nein,« sagte er, »laß uns diese vierzehen Tage auf eine Comœdia dichten, daß wir solche auf meiner Hochzeit spielen können.« Hiermit gab uns der Verwalter Feder, Dinte und Papier, und weil Herr Friderich der Hochzeitbriefe gedachte, wußte der Verwalter niemand besser als den Schreiber vorzuschlagen, welcher allgemach auf dem Mühlbächlein empfand, daß die Haue schwerer war als die Schreibfeder. Er hieb drein, wie er tausend Centner auf einmal herausheben wollte. »Arbeitest du geschwinde,« sagte der Torwärter zu ihm, »so kommst du bald davon!« Damit machte er den Schreiber mächtig munter. Als er aber seine vorgesetzte Arbeit vollendet, mußte er erstlich über die Hochzeitbriefe, hernach über ein alt geschriebenes Buch her, daran er den ganzen Sommer genug zu tun hatte. Indessen hatten wir unsere Comœdia innerhalb acht Tagen zu Ende gebracht, in welcher Zeit wir zwar nit immer über der Invention gesessen, sondern unterweilen bei einem guten Gläslein Wein ein Stück geräucherten Lachs verzehreten. So sehr aber der Friderich nach seiner Hochzeit seufzete, so sehr verlangte mich wieder nach Haus zu meiner Sophia, weil mich allerlei Gedanken ankamen, derer ich zuvor nicht gewohnet war. Bald gedachte ich so, bald so und meinte immer, es dörfte mir was geschehen, welches ich doch wegen ihrer bekannten Treue nicht zu fürchten hatte. Demnach ließ ich nach, mich selbst mit leeren Mutmaßungen zu martern. Jedennoch weiß man nicht, wie das Glück zu spielen pfleget, und ist wohl öfter einem ein Geschwär auf dem Kopfe aufgefahren, da er sichs am allerwenigsten versehen hat.
Die übrigen vier Tage brachten wir in allerlei Anstalt zu, wie denn etliche Tischer und Zimmerleute, eins und das andere in gute Ordnung zu bringen, schon lange gearbeitet hatten. Sonst putzte man alle Zimmer aufs fleißigste aus, und versah sich der Verwalter mit vielem Mastvieh und anderem Geflügel, auf daß die Braut nicht allein brav Geld im Kasten, sondern auch alle Ställe voll fetter Brocken fände. Nach diesem nagelte man große und rare Vögelhäute, item Bärn- und andere Köpfe an das Tor, und mußte ein Bildschnitzer das adelige Wappen hübsch groß über das Torweg schnitzen. Alle Leute wurden in grünes Tuch gekleidet, und wurde befohlen, daß sich alles auf den Einzugstag, welcher sein würde der Dreißigste dieses Monats, fix und fertig zur Aufwartung hielten. Der Köchin befahl Herr Friderich, daß sie sich mit dem trefflichsten Essen wohl gefaßt machte, und nach aller dieser und anderer Ordnung verschloß er seinen Schatz in einen wohlverwahrten eisernen Schrank und ritt mit mir nacher Oberstein, von daraus den ehrlichen Philipp samt seiner Frauen mit sich zu nehmen, welcher uns diese Zeit über allerlei Brief nacher Ichtelhausen geschrieben hatte.