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Es ist wahr, sprach endlich ein jeder, daß das Feldleben einer andern eingebildeten Herrlichkeit weit vorzuziehen ist. Die Ursachen, welchen einen oder den andern darzu bewegen können, sind unterschiedlich, also sind auch in uns die Wirkungen unterschiedlich. »Es ist ein Großes,« sprach Friderich, »wer sein eigener Herr sein kann, und diese Freiheit ziehet eine solche Vergnügung nach sich, welche tausend wünschen, aber kaum einer unter allen erhalten noch genießen kann. Man lässet jedem seine Gründe. Dieser ist lieber bei Hof, dieser lieber in einer Stadt und jener lieber auf dem Dorfe. Wenn der Pfaff am Kalenberg in unserer Gesellschaft wäre, so würde er sagen: ›Viel Köpf, viel Sinn!‹ Aber doch bleibt es wahr und gewiß, daß in der Einsamkeit viel Laster, die in großen Städten vorzulaufen pflegen, geflohen werden. Große Städte, große Sünden, und weit davon ist gut vor dem Schuß. O wieviel haben liederlicherweise ins Gras gebissen, die sich gar zu großen Gesellschaften vertrauet haben! Wie mancher mußte seine Brust den Nachtschwärmern aufopfern, der mit großem Nutz und Ruhm hätte können vor das Vaterland sterben! Wieviel sind im Trunk gestorben und ohn allen Zweifel mit Stiefel und Sporn in Nobis-Krug hineingefahren! Wie mancher Vater würde noch leben, wenn sein Kind nicht unversehens und wider Verhoffen in liederliche Gesellschaft geraten und in derselben zugleich verraten und verkauft wäre worden! Wer in der Einsamkeit sitzet, der hat nicht zu befürchten, daß ihm von seinem Nachbar die Fenster eingeworfen werden. Man hält zwar die Ehr und Lust, derer man in großen Städten oder wohl auch auf dem Hofe zu genießen hat, vor eine sonderbare Glückseligkeit. Aber ob sie gleich auf eine Zeitlang zu ergetzen pflegen, so findet man doch im endlichen Ausgang eine große Marter aller dieser Dinge, die man sich zuvor nit eingebildet hat. Dieses Übel entspringet von der Falschheit der bis in Abgrund der Höllen verderbten Welt. Man gibt anitzo, absonderlich zu Hofe, nicht mehr aneinander die Hände, daß man dadurch sein aufrichtiges und ergebenes Gemüt will zu verstehen geben, sondern nur in der Meinung, daß einer dem andern die Hand samt dem Arme gar vom Leibe herunterreißen möchte. Und warum kommen anitzo so närrische Reverenz und Passalemanges auf? Nicht, daß man dadurch eine wahre Ehrerbietung einander erweisen, sondern vielmehr einen heimlichen Pickling stechen kann. Man springet geschwinde vom Pferd, eilet in Stiefel und Sporn, was er laufen und eilen kann, gegen einem, so gegen ihm gegangen kommet, ziehet schon von ferne den Hut vom Kopf, nicht darum, daß er ihm durch dieses eine Ehre zu erweisen willens wäre, sondern nur, daß er ihm solchen zwischen die Ohren werfen dörfte. Alsdann machet er sich gar hinzu und neiget sich mit Haupt und Hand bis auf die Erde, nicht deswegen, daß er seine untertänige Schuldigkeit, wie er wohl spricht, möge zu verstehen geben, sondern nur darum, daß er viel lieber wollte und im Herzen wünschte (wohin er seine linke Hand leget), daß dieser, welchen er grüßet, eben in der Stelle möchte verscharret und begraben liegen, wohin er mit der rechten Hand deutet. Sehet,« sagte Friderich weiter, »so treibt es die heutige Schalkwelt. O bleibet in euren Nestern sitzen! Lasset Hof Hof und Städte Städte sein! Ich finde genugsam, was ich in meiner Einsiedlerei vor häufige Anfechtungen habe, was würde erst daraus werden, wenn ich in eine große Stadt kommen sollte? Nein, si qua sede sedes, das ist besser vor mich, unter Bauren geblieben, so schlagen mich die Bürger nicht tot. Ich habe genugsam erfahren, was Hofleben ist. Ein Stück Brot, das mir der Landmann backet, schmecket mir in der Einsamkeit besser als der köstlichste Hofbraten, an welchem man die Finger, ehe man sichs versiehet, verbrennt. Machen gleich die Bauren keine große Ceremonien gegen mir, so mache ich auch keine gegen ihnen. Und wo will unsereiner mehr Ehr und Respect als eben auf den Dörfern erwerben? In Städten kommt bald da, bald dort ein junger Monsieur in seinen Kleidern wie eine große Windmühl daher gespaziert, der hat das Herz, sich zu besinnen, ob er vor einen Alten vom Adel den Hut rucken will oder nicht. Hingegen weiß ich auf dem Dorfe keiner solchen Gelegenheit zu begegnen, die mich bei mir Selbsten in Widerwillen bringen kann.
Was heutzutage nur eine brotlose Kunst zu treiben anfanget, das will in Städten flugs ein Edelmann, ein Freiherr, ein Graf sein. Diese wollen alles, und wir Geborne von Adel sollen nichts gelten, und wenn man ihre Eltern hervorfischet, so ist ihr Vater ein Federfechter und der Großvater ein Leinweber gewesen. Damit ist des jungen Gelbschnabels sein Stammregister verfertiget. Wird ihnen ein Brief zugeschrieben, auf dessen Obschrift das Wort ›Wohledel‹ vergessen worden, da runzeln sie die Haut auf die Stirn dermaßen zusammen, daß man ihnen kaum die Nase sehen kann. Mancher hat einen zwei Klafter langen Bratspieß anhängen, und damit gehet er eine Gasse hinauf, die ander wieder hinunter; siehet etwan ein Frauenzimmer, an welcher auch nicht gar viel Übriges noch Besonders ist, zum Erker oder Fenster aus, da macht der junge Domine ein so künstliches Reverenz, daß er darüber in eine Pfütze tritt und seinen papagoischen Habit mit tausend Flecken bespritzet. Anderer Narrheiten will ich geschweigen, mit welchen die Gemüter derjenigen angeflammet werden, welche, nachdem sie ein und andere Weibsperson gegen sich kommen sehen, alsobald anfangen, eine fremde Sprache oder sonsten solche Sachen zu reden, die weder diejenige, so in ihrer Gesellschaft, noch auch der, so sie vorbringet, verstehet. Manchem geht es gar, wie ich einmals zu Cöln gehört. Daselbst kam ein französischer Offizier zu einer solchen jungen Bursche, und weil diese recht auf die französische Art gekleidet war, redete ihn der Franzos französisch an. Der junge Bachant nickte den Kopf, damit zu verstehen gebend, daß ers nicht verstünde. Auf solches gedachte der Obriste, er wäre vielleicht ein teutscher Studiosus, und redete Latein. Aber er verstund dieses so wenig als das vorige. ›Ha,‹ sprach der Obriste darauf, ›Hut Franzos, Wammes Franzos, Hosen Franzos, Strumpf Franzos, Schuh Franzos, Degen Franzos, Handschuh Franzos, Parüque Franzos, Maul-Hunds-‹ etc. Damit hatte der neue Monsieur seinen richtigen Taufnamen, nämlich: er war ein Hunds-etc., der nur die französische Kleider, nicht aber solche Qualitäten an sich hatte, die ihn hätten des Kleides würdig machen können. Eine solche Löwenhaut ziehen heutzutage noch viel über ihre Eselsohren. Vestimentum habent, re carent. Wo man in derer hochgelehrten Narren ihre Declination hineinsiehet, so heißet es überall: Vocativo caret, es ist nämlich nichts hinter ihnen als Prahlerei, als Maulmachen, als Großtun, und wenn sie von einem oder anderem admiriert werden, so wollen sie flugs adelig getractieret sein. Wenn sie fünfmal auf dem Fechtboden gewesen, so sind sie schon willens, sich mit ihrer Sechsen herumzuschmeißen. Wenn sie mit dem Fechtmeister so tief in die Schrift gekommen, daß sie ihn Bruder heißen dörfen, da sind sie alsdann unüberwindlich, da kann ihnen kein Mensch keinen Stoß mehr anbringen, ha, man hat sich vorzusehen, daß sie einem die Zähne nicht aus dem Maul und die Augen nicht aus dem Kopfe herausstoßen.
Und wenn ich dieses Übel nur allein betrachte, so ist es wichtig genug, daß man solche affenteuerliche Gesellschaften und Gelegenheiten meide, durch die man vielmehr geärgert als gebessert wird. Unsere Kinder lernens darnach ingleichen, da will keiner dem andern einen Schritt weichen, keiner vor dem andern den Hut um einen Augenblick ehe vom Kopfe rücken, keiner dem andern den ersten bonus dies oder bonus vesper bieten, sondern will jeder das præ vor sich alleine haben, und wenns darzu kommet, so heißen uns die Flegel noch wohl darzu kahle Schufte, lausige Hutzelfresser und dergleichen. Darum meide man solche Gelegenheiten, so hat man nicht Ursach, sich über solche große Unbescheidenheiten zu ereifern und das Herz im Leibe abzufressen. Die Welt ist ein saurer Apfel, wer darein beißen muß, dem werden die Zähne bald stumpf werden.
Die Einsamkeit ist noch das höchste Kleinod und vor dem Stadtleben um ein merkliches zu loben. Da sitzet man in seinem Zimmer, siehet anstatt der Gassenstutzer seine Ochsen in dem Schloßhofe herumgehen, anstatt der häufigen Gassenlümmel siehet man die Esel Säcke in die Mühle tragen. Anstatt der Nachtmusiken, welche häufig in den Städten vorzugehen pflegen, höret man den Hirten auf dem Felde mit seiner Sackpfeife spielen, welches, ob es schon keinen so angenehmen Ton gibt, gibt es doch bessere Bratwürste und Schweinskeulen. Anstatt der Zeitungen, daß man uns in Städten viel von großen Potentaten und Königen dahersaget, höret man in dem Feldleben bald diese, bald eine andere Magd, die erzählet, wieviel die Schweinsmutter Junge geworfen, wieviel sie der Woche junge Kälber bekommen und welche Hühner auf einer guten Brut sitzen. Der Torwärter saget uns von den Tauben, um wieviel Paar sie sich in einer Woche vermehret haben, wieviel Krammetsvögel er in seinem Torhäuslein gefangen und was sonsten dort und dar vor Leute auf der Straße vorübergereiset sind. Bald meldet er einen Bauren an, der seine Gefäll, sein Steuer, seine Rent und Zinsen auszuzahlen willens ist. Diese Zeitungen, ihr Herren, spicken den Säckel, die andern leeren ihn nur aus. Diese machen mich reich, jene arm; von diesen habe ich zu fressen, von jenen muß ich hungern, es wäre denn, daß man Papier fressen könnte, wie Herren Philippens seine Windhunde, als ihnen sein Page in dem Fleischbraten etliche Stücke eingewickelt in Rachen steckte, davon sie hernachmals das ganze Zimmer perfumiert haben. Darum lasset uns aus solchem Schwärm auf das Feld fliehen und uns hinter einem hübschen grünen Busch und angenehmen Gesträuße hervorgucken, das tut sanfter und besser, als wenn man in den Städten stets vor dem Spiegel stehen und bald an den Haaren, bald an den Bändern aufputzen und zurechtstellen muß. Man siehet zwar in großen Städten hübsche und herrliche Einzüge auf Pferden und Wägen, aber wenn man im Gegenteil betrachtet, was vor eine angenehme Lust es ist, seine Leut und Knechte bald mit einem Wagen voll Kraut, bald mit einem Wagen voll Rüben, bald wieder mit einem Fuder Heu in das Schloß fahren sehen, das übertrifft alle Ergetzung, die man aus Betrachtung solcher Solennitäten schöpfet. So bleibt es demnach darbei, daß das Feldleben vor jenem zu erwählen sei, weil darinnen eine größere Ruh, ein steterer Fried, eine bessere Andacht, eine emsigere Betrachtung seiner selbst und endlich auch den Seinen ein größerer Nutze kann geschaffet und zuwege gebracht werden.«