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Es vermahnete nichtsdestominder einer den andern zur Frommheit, dazu wir uns den Friderich zum guten Exempel dienen ließen. Dieser ging alle Monat in dem Land herum und besah jeden in dem Stand, darinnen wir dazumal lebten. Er verwunderte sich über unsere gute gefaßte Resolution und sagte viel von seinen Anfechtungen, die er in dem ruinierten Kloster – allwo er seine Wohnung hatte – von Gespensten erdulden müßte. Seine Haut war ihm am ganzen Leib zusammengeschrumpelt, weil er, seinem Vorgeben nach, die ganze Zeit seiner Einsiedlerei kein Fleisch noch warmen Bissen gegessen hatte. Darum freuete er sich allezeit, auf unsere Schlösser zu kommen, weil uns, ob wir schon ein einsames Leben führten, an dem Maulfutter dennoch nichts abging. Ich bin niemalen des Willens gewesen, mich so knochenhaftig mit Fasten auszudörren, denn ich weiß wohl, daß eine stete Mäßigkeit dem Leib und Geist viel besser tut als eine solche Fasten, auf welche man sich unmenschlicher Weise überschwemmet, oder aber ein solches Hungerleiden, dadurch man sich selbst verderbt und die Natur zunichte macht.
»Nein,« sprach ich, »Bruder Friderich, ein solcher Heiliger bin ich nicht, wills auch nicht werden, ich halte vielmehr auf das Fasten, wenn nämlich das Gemüt von allen übeln Affecten fastet und ruhet, als ob ich meinen Leib wie einen Zaunstecken austrocknen solle. Abstinentia a cupidine, ab ira et odio proximi, a persecutione inimicorum nostrorum, die gefällt mir wohl, und auf diese halte ich sehr viel, ob ich schon nicht leugne, daß ein äußerliches Fasten all diese Andacht und löbliches Vornehmen merklich befördert.« – »Es ist wahr,« sprach Friderich, »und ich bin hierinnen einer gleichen Meinung, aber ich muß wohl, wenn ich gleich nicht will, weil meines Orts weder Küche noch Keller, weder Koch noch Beck, noch sonst irgendein Mensch wohnhaft ist, der mir Essen bringen oder sonsten an die Hand gehen könnte. Darum gehe ich selbst bettlen aus, und das Brot, so ich in meinem Sacke sammle, ist das beste Essen, so ich mit Wasser und unterweilen mit Milch abkoche, davon ich mich sättigen muß. Ich bin willens, meine übrige Geldmittel in ein Kloster zu vermachen, damit ich aufs wenigste von daraus wöchentlich mit Essen und Trinken versehen werde, weil es mein Magen länger nicht ertragen kann.« Zu diesem Vorhaben gab ich ihm guten Anschlag, und damit wurde mir das Mittagmahl durch einen dazu bestellten Knecht auf den Turm gebracht, wobei er seinen Mantel ablegte und sich zu mir an mein Tischlein satzte.
Er lobte meine Gelegenheit und Wohnung samt meiner guten Lebensart, weil ich in dem Turm in einem hübschen Stüblein saß, da er hingegen in einer grausamen und unsicheren Wüstenei sein Leben zubringen müßte. »Du hast«, sprach er zu mir, »eine treffliche hübsche Gelegenheit, sowohl auf dein Hauswirtschaft als auf dich selbsten Achtung zu geben, dein Turm, darinnen du hie ganz sicher sitzest, beschützet dich nicht allein vom Regen und Wind, sondern gibt dir auch Gelegenheit, allenthalben auf die Straßen hinauszusehen. Deine Speiskammer ist wohl gespicket, und dein Keller ist voll Wein und Bier. Du bist nicht weit von Gesellschaft der geistlichen Leute und hast Schriften genug, deine Zeit zu passieren. Aber ich muß hingegen Miserere schmelzen, auf mich regnen und schneien lassen. Der Wind wirft mir fast alle Abend mein Dach ein, und muß noch darzu auf bloßer Erde schlafen. Wenn ich essen will, so ist der Brotsack, welchen ich hier hangen habe, mein Vorratsgewölbe, daraus muß ich essen, was mir unter die Hand kommt. Will ich trinken, so heißt es: gehe, Bruder Friderich, und trage dein Maul zum Wasserkrug, und damit ist alle meine Hofhaltung beschrieben. Du hast allhier lieblich singende Vögelein hangen, so dir die Zeit verkürzen können, aber in meiner Spelunken hecken die Nachteulen und Fledermäuse, daß ich oft nicht weiß, vor welchem Ungeziefer ich mich am meisten vorsehen soll. Sommerszeit plagt mich die Hitze, Winterszeit die Kälte, und habe mich genug in acht zu nehmen, daß nicht eine alte und von dem Wetter durchlöcherte Mauer auf meinen Kopf fället. Und gleichwohl schaffet diese Lebensart in mir keine gänzliche Abschaffung meiner Begierden, und man dörfte mir ein weniges geben, so änderte ich mein Leben in einen dergleichen Zustand, wie du anitzo lebest, weil ich genugsam verspüre, daß das Fasten nicht allein genug sei, zur vollkommenen Glückseligkeit zu gelangen, sondern daß unsere Frommkeit vielmehr von dem Herzen als von den Leibesgliedern erfodert wird.«
Dieses redete er mit einem freundlichen Gespräche nebenst einem guten Gläslein Vigerner Wein, welcher, weil er ihm etwas Ungewöhnliches war, ihn dergestalten einnahm, daß er folgends herausbeichtete, wie ihm eigentlich in der ganzen Sache ums Herz war. Ich hatte ein Paar gebratener Hühner und einen guten Karpfen nebenst einem Hasen auftragen lassen, dabei er sich ziemlich ausfütterte, weil er, seinem eigenen Bekenntnis nach, wohl in einem halben Jahr nicht so stattlich tractieret worden. »Es war mein Absehen durchaus nicht,« sprach er, »daß ihr euch alle, wie ich aus gewissen Ursachen getan habe, in Einsiedlers und Klausners Röcke verstecken sollet, noch viel weniger, daß ihr euch wie die Mönche so sehr versperren und von der Welt absondern sollet, dieses habe ich durchaus nicht gesuchet. Und es bestehet auch in diesem Leben nicht das Wesen eines Christen allein, sondern, wie du vorhin löblich gedacht hast, vielmehr in Ausreutung der Laster, welche man aus dem innern Herzensgrund ausreißen und hinwegwerfen muß. Dieses Leben ist nur darzu tauglich, damit man, von der Welt desto weniger angefochten, seinen eigenen Gedanken desto besser abwarten kann, und was wollte endlich daraus werden, wenn wir alle wollten Einsiedler und Eremiten abgeben?
Darum ist es meine endliche Resolution und Entschluß, mein bisher geführtes Leben mit einer Verehlichung zu verwechslen und gleich wie du mich auf einen Edelhof zu setzen, daselbsten nichts als die Wohlfahrt meiner Seelen zu betrachten. Wir sind darum nicht heiliger, ob wir gleich einsamer als andere Menschen sind, und wer nicht absonderlich zu einer solchen Lebensart geboren, kann sie schwerlich, ja fast ohne große Widerwärtigkeit nicht ertragen. Ihr habt zwar alle an diesem Vornehmen nicht übelgetan, aber mein Rat wäre, daß ihr eure Eremiterey nicht allzu lange fortführet, weil man euch nicht allein dadurch allenthalben im Lande auslachen, sondern noch darzu Lückenhocker nennen würde, die erst nach dem zehenten Jahr ihrer Verehlichung hätten wollen ins Kloster gehen.«
Diese und noch mehr andere Einwürfe des Friderichs waren nicht zu verwerfen und dannenhero gar wohl anzuhören, denn in Betrachtung, daß ein fleißiger Weltmann sowohl als der einsamste Mönch die Seligkeit erlangen kann, so er seines Berufes fleißig abwartet, wäre es freilich besser gewesen, daß wir statt der grauen Einsiedlersröcke einen guten Harnisch angezogen hätten und dem Feind, so dazumal unsere Provinz anfiel, mit gewaffneter Hand entgegengegangen wären. Darumben machten wir einen andern Entwurf unsers Lebens und entschlossen uns zugleich, denselben allen zu offenbaren, denen daran gelegen war.
Mit einer solchen Abrede nahm Friderich nach verrichteter Mahlzeit seinen Abschied, willens, die andern aus der Gesellschaft zu besuchen und ein Gleichmäßiges mit ihnen abzureden, zwischen welcher Zeit ich mit Verlangen auf ihre Resolution gewartet, wie ich denn mit keinem Fuß von dem Turm, noch viel weniger zu meiner Frauen gekommen bin, bis ich mich endlich entschloß, ihr den getanen Vortrag wegen des Friderichs zu eröffnen. Wir redeten eins und anders, und da wir am besten von der Sache handelten, sahen wir den Friderich, welcher indessen vierzehen Tage in dem Land herumgeterminiert war, mit seinem schweren Sacke beladen, über das Feld wieder hereingehen. »Ist nicht dieses«, sprach meine Frau, »der Friderich?« Ich sagte ja, und daß wir ihn desto genauer erkennen möchten, gebrauchten wir uns eines großen Tubi, dadurch man fast auf vier Meil Weges die Uhr hat erkennen können.
Dieses Instrument war in meinem Turm meine einzige irdische Ergetzung, weil ich dadurch bald zu diesem, bald zu jenem Fenster ausgesehen und die hin und wider reisende Menschen betrachtet habe.
Hiermit kam Friderich zum Tor eingegangen, und weil ich mich noch vor seiner Ankunft wieder in den Turm begeben, hörte ich ihn allgemach die Treppe heraufsteigen und an meinem Glöcklein läuten. Ich eröffnete meine Klausen, und nachdem er mich gegrüßet, bat er um Erlaubnis, seinen Sack, welcher ziemlich angefüllt und dannenhero trefflich schwer war, an die Wand zu hängen, welches ihm ohnedem gern vergönnet war. Allein seine Höflichkeit, die ihm von Kindesbeinen an gemein gewesen, verursachte alle solche unnötige Complimenten, die er gegen mir, als seinem aufrichtigen und wohlbekannten Freund, wohl hätte unterlassen mögen. Er erzählete mir hierauf, wo er gewesen und was der Ausschlag seiner Reise mit sich brächte. Zwischen diesen Reden, aus welchen ich noch nichts Gewisses schließen können, zog er von allen guten Freunden, absonderlich aber von meinem Vater und Bruder Philippen etliche Briefe hervor, die ich, in Beisein seiner, aufbrach und mit Verlangen durchlas. Gottfrid, Christoph und Dietrich waren willig genug, den getanen Vertrag des Friderichs einzugehen, aber Philipp war mit allen Umständen nicht darzu zu bewegen. ›Ich sage dieses im Ernst,‹ schrieb er, ›wer mich außer der Einsiedlerskappe siehet, der heiße mich einen Schelmen.‹
Dieses waren seine mit eigener Hand geschriebene Wort, die ich als ein Zeichen und Gewißheit seiner absonderlichen Standhaftigkeit auslegen mußte. »Mich wundert,« sprach ich zu Friderichen, »daß Philipp in diesem Vorsatz so unbeweglich ist, alle seine Briefe, so er bis anhero geschrieben, haben viel anders als dieser ausgesehen, und ich habe billig Ursach, mich heftig zu schämen, daß er mich in diesem Stücke übertrifft.« – »Nein, nein,« sprach eine Stimme in dem Zimmer, »du darfst dich nicht schämen.« Mit diesen Worten schwieg es still, und weil mich Friderich vor vierzehen Tagen wegen allerlei Gespensten, so ihn zu plagen pflegten, recht furchtsam gemachet, glaubte ich, es wäre vielleicht eines mit ihm auf mein Schloß gekommen. Als er aber mich ganz erblassen sah, fing er ein wenig an zu schmunzeln, welches er sonst keinesweges zu tun gewohnet war. Ich fragte ihn, ob er die Stimme auch gehört hätte oder nicht? »Nein,« sprach die Stimme wieder, »er hat mich nicht gehört.« Damit wurde ich ganz bestürzet, stund auf und wollte die Tür aufmachen. Als ich aber an den Bettelsack kam, fing sich etwas an in demselben zu regen und sprach: »Bruder, bleibe da, oder ich beiße dich in die Finger!« Ich sprang vor Schrecken jähling zurücke, aber bald darauf guckte der ehrliche Bruder Philipp mit dem Kopfe hervor, und ich dachte, mich über dieses Stücklein krank zu lachen. Denn Friderich hat ihn in seinem Sacke, daran er so überaus schwer getragen, an den Nagel gehangen, und also bin ich nicht allein zum glücklichen Salve abscheulich betrogen, sondern noch wacker darzu von meiner Frauen, dem Friderich und Bruder Philippen ausgelachet worden.