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Als Rigou gegen fünfeinhalb Uhr dort eintraf, wußte er, daß er die üblichen Besucher der Soudryschen Salons alle auf ihrem Posten finden würde. Wie in der ganzen Stadt, speiste man auch beim Bürgermeister nach der Sitte des letzten Jahrhunderts um drei zu Mittag. Von fünf bis neun Uhr tauschten die Notabeln von Soulanges die Neuigkeiten aus, hielten ihre politischen Speeches, machten ihre Glossen über die Ereignisse des Privatlebens des ganzen Tales und redeten über Les Aigues, das alle Tage eine Stunde lang das Hauptgespräch bildete. Jeder ließ es sich angelegen sein, etwas über die dortigen Vorgänge zu erfahren, und man wußte überdies, daß man damit den Herrschaften des Hauses den Hof machte.
Nach dieser üblichen Revue setzte man sich zum Boston, das einzige Spiel, welches die Königin kannte. Wenn der dicke Vater Guerbet Madame Isaure, Gaubertins Frau, nachgeäfft, indem er sich über ihr geziertes Wesen lustig machte und ihre kleine Stimme, ihren kleinen Mund und ihre jugendlichen Manieren nachahmte; wenn der Pfarrer Taupin ein Geschichtchen seines Repertoires von Stapel gelassen, wenn Lupin irgendein Ereignis aus Ville-aux-Fayes berichtet hatte und Madame Soudry mit ekelhaften Komplimenten überschüttet worden war, sagte man: »Wir haben ein reizendes Spiel gemacht.«
Zu egoistisch, um sich der Mühe zu unterziehen, zwölf Kilometer zurückzulegen, um die von den ständigen Besuchern dieses Hauses vorgebrachten Albernheiten anzuhören und einen als altes Weib verkleideten Affen zu sehen, zeigte Rigou, der diesem Kleinbürgertum sowohl an Geist wie an Bildung überlegen war, sich nur, wenn ihn seine Geschäfte zum Notar führten. Er hatte sich davon frei gemacht, freund-nachbarliche Beziehungen zu pflegen, und schützte seine Beschäftigungen, seine Gewohnheiten und seine Gesundheit vor, die es ihm, wie er sagte, nicht erlaubten, des Nachts auf einer Straße zurückzufahren, längs welcher die Thune ihren »Wasserstaub aufwirbelte«.
Der große, magere Wucherer imponierte übrigens Madame Soudrys Gesellschaft sehr, die in ihm den Tiger mit Stahlkrallen, die Bosheit des Wilden, die im Kloster herangezüchtete, an der Sonne des Goldes gereifte Klugheit witterte, mit denen Gaubertin sich nie hatte einlassen wollen.
Sobald Korbwagen und Pferd am »Café de la Paix« vorbeikamen, legte Urbain, Soudrys Diener, der mit dem Kaffehausbesitzer plauderte – beide saßen sie auf einer Bank unter den Fenstern des Speisesaals – die Hand schirmend über die Augen, um genau zu sehen, wem das Gespann gehöre.
»Da ist Vater Rigou . . . Man muß ihm das Tor aufmachen; haltet sein Pferd,« sagte er familiär zu Socquard.
Und Urbain, ein alter Reitersmann, der, als er nicht Gendarm hatte werden können, um unterzukommen, Dienst bei Soudry genommen hatte, ging ins Haus zurück, um das Hoftor aufzustoßen.
Socquard, jene im Tale so berühmte Persönlichkeit, machte, wie ihr seht, keine Umstände; aber so ist es nun einmal mit berühmten Leuten, welche die Gefälligkeit haben, ganz wie einfache Sterbliche zu gehen, zu niesen, zu schlafen und zu essen.
Socquard, schon von Geburt ein kräftiger Kerl, konnte elfhundert Pfund tragen. Wenn er einem Manne mit der Faust in den Rücken schlug, zerbrach er ihm schlankweg die Wirbelsäule. Er zerknickte einen Eisenbarren und hielt ein mit einem Pferde bespanntes Geschirr an. Der Milon von Kroton des Tales, erstreckte sein Ruhm sich über den ganzen Bezirk, wo über ihn, wie über alle berühmten Leute, lächerliche Geschichten umgingen.
So erzählte man sich im Morvan, daß er eines Tages ein armes Weib, ihren Esel und ihren Sack auf seinem Rücken auf den Markt getragen, daß er einen ganzen Ochsen gegessen und an einem Morgen eine Vierteltonne Weins ausgetrunken habe usw. Sanft wie ein heiratsfähiges Mädchen, besaß Socquard, ein dicker kleiner Mann mit sanften Gesichtszügen, breiten Schultern, breiter Brust, in welcher seine Lungen wie Schmiedeblasebälge spielten, ein Stimmchen, dessen Zartheit alle, die ihn zum erstenmal hörten, überraschte.
Wie Tonsard, den sein Ruf von jedem Wildheitsbeweise entband, wie alle, über die irgendeine öffentliche Meinung feststeht, zeigte Socquard seine triumphierende Muskelkraft immer nur dann, wenn seine Freunde ihn darum baten. Er ergriff also den Zügel des Pferdes, als des Staatsanwalts Schwiegervater umdrehte, um vor der Rampe vorzufahren.
»Geht's gut bei Ihnen, Monsieur Rigou?« fragte der berühmte Socquard.
»So so, la la, mein Alter . . .« antwortete Rigou. »Sind Plissoud und Bonnébault, Viallet und Amaury immer noch die Stützen deines Geschäfts?«
Diese in einem wohlwollenden und teilnehmenden Tone gestellte Frage war keine jener banalen Redensarten, die Vorgesetzte zufällig ihren Untergebenen hinwerfen. In seinen Mußestunden dachte Rigou an die kleinsten Nebensächlichkeiten, und Bonnébaults, Plissouds und des Gendarmerieunteroffiziers Viallet vertraulicher Umgang war Rigou schon von Fourchon als verdächtig gemeldet worden.
Um einiger beim Spiele verlorener Taler willen konnte Bonnébault dem Unteroffizier die Geheimnisse der Bauern verraten oder, nachdem er einige Gläser Punsch zuviel hinuntergeschüttet, ausplaudern, ohne die Wichtigkeit seiner Schwätzerei zu ahnen. Aber die Angebereien des Otternjägers konnten vom Durst eingegeben worden sein, und Rigou schenkte dem nur in Anbetracht Plissouds Aufmerksamkeit, welchem seine Lage ein gewisses Verlangen einflößen mußte, den gegen Les Aigues angesponnenen Verschwörungen entgegenzuarbeiten, und wäre es auch nur, um sich von einer oder der anderen der beiden Parteien schmieren zu lassen.
Als Korrespondent der Versicherungen, die in Frankreich aufzutauchen begannen, als Agent einer Versicherung gegen die Rekrutierung, hatte der Gerichtsdiener gleichzeitig mehrere wenig lohnende Beschäftigungen, die es ihm um so schwieriger machten, Vermögen zu erwerben, als er das Laster besaß, den gekochten Wein und das Billard zu lieben. Gleich Fourchon kultivierte er sorgfältig die Kunst des Nichtstuns und erhoffte seinen Wohlstand von einem problematischen Zufall. Von ganzem Herzen haßte er die erste Gesellschaft, hatte aber ihre Macht abgewogen. Plissoud kannte die von Gaubertin organisierte bürgerliche Tyrannei gründlich; er verfolgte die reichen Käuze von Soulanges und Ville-aux-Fayes mit seinen Spöttereien. Er repräsentierte allein die Opposition. Kredit- und vermögenslos, wie er war, schien er nichts zu fürchten; auch Brunet, der entzückt war, einen verachteten Konkurrenten zu haben, protegierte ihn, um ihn nicht sein Amt an irgendeinen ehrgeizigen jungen Mann verkaufen zu sehen, wie Bonnac zum Beispiel, mit dem er die Bezirkspraxis hätte teilen müssen.
»Dank den Leutchen geht's soso,« antwortete Socquard, »aber man ahmt meinen gekochten Wein nach!«
»Muß man verfolgen,« sagte Rigou sentenziös.
»Das würd' mich zu weit führen,« antwortete der Caféwirt.
»Und sie kommen gut miteinander aus, deine Kunden?«
»Sie haben immer einige Händel, doch unter Spielern verzeiht man sich alles.«
Alle Köpfe waren an dem Salonfenster zu sehen, das auf den Platz hinausging. Als er den Vater seiner Schwiegertochter erblickte, ging Soudry hinaus, um ihn an der Freitreppe zu empfangen.
»Nun, lieber Gevatter,« sagte der Exgendarm, sich dieses Wortes in seiner ursprünglichen Bedeutung bedienend, »ist Annette krank, daß Sie uns einen Abend Ihrer Gegenwart gönnen?«
Mit einem Rest von Gendarmenverstand ging der Bürgermeister immer auf die Hauptsache los.
»Nein, es gibt Rauferei,« antwortete Rigou und berührte mit seinem Zeigefinger die Hand, die Soudry ihm hinstreckte; »wir werden darüber plaudern; denn das geht ein wenig unsere Kinder an.«
Soudry, ein schöner Mann, blaugekleidet, wie es sich immer für die Gendarmerie gehört, mit schwarzer Halsbinde und Sporen an den Stiefeln, führte Rigou am Arm zu seiner imposanten besseren Hälfte. Die Glastür war nach der Terrasse hin offen, wo die üblichen Besucher sich ergingen, indem sie sich des schönen Sommerabends erfreuten, welcher die köstliche Landschaft, die sich Leute mit Einbildungskraft nach der gelesenen kurzen Beschreibung ausmalen können, in vollem Glanze zeigte.
»Es ist lange her, daß wir uns gesehen haben, mein lieber Rigou,« sagte Madame Soudry, die den Arm des Exbenediktiners nahm und ihn auf die Terrasse führte.
»Meine Verdauung macht mir so zu schaffen,« erwiderte der alte Wucherer. »Sehen Sie! Meine Farben sind fast ebenso lebhaft wie Ihre . . .«
Rigous Erscheinen auf der Terrasse veranlaßte, wie man sich denken kann, unter all den Personen eine Explosion jovialer Begrüßungen.
»Guten Tag, edler Herr von Blangy,« rief der Steuereinnehmer Guerbet und bot Rigou die Hand, der den Zeigefinger seiner rechten Hand hineinlegte.
»Edler Herr!« antwortete Rigou bitter, »seit langem schon bin ich nicht mehr der Hahn meines Dorfes!«
»Das sagen die Hühner aber nicht, alter Verbrecher!« bemerkte die Soudry und versetzte Rigou einen leichten, scherzenden Fächerschlag.
»Uns geht's gut, mein lieber Meister?« fragte der Notar, seinen Hauptklienten begrüßend.
»So so, la la,« antwortete Rigou, der wiederum seinen Zeigefinger in des Notars Hand legte.
Diese Geste, durch die Rigou den Händedruck auf die kühlste Höflichkeitsäußerung beschränkte, würde dem, der ihn nicht gekannt hätte, den ganzen Mann gekennzeichnet haben.
»Gibt's eine Ecke, wo wir in Ruhe reden können?« fragte der alte Mönch und blickte Lupin und Madame Soudry an.
»Gehn wir in den Salon zurück,« entgegnete die Königin. »Die Herren«, fügte sie, auf Monsieur Gourdon, den Arzt, und Guerbet weisend, hinzu, »streiten sich über ein point de côté (Seitenstechen).«
Madame hatte sich nach einem zur Diskussion stehenden Punkte erkundigt; Guerbet, der stets so geistreiche, hatte ihr gesagt: »Es handelt sich um einen point de côté.« Die Königin glaubte, das sei ein wissenschaftlicher Ausdruck, und Rigou lächelte, als er sie dies Wort mit prätentiöser Miene wiederholen hörte.
»Was hat denn der Tapezier Neues ausgeheckt?« fragte Soudry, der sich neben seine Frau gesetzt hatte und sie um die Taille faßte. Wie alle alten Weiber verzieh die Soudry vieles um eines öffentlichen Zärtlichkeitsbeweises willen.
»Er ist«, antwortete Rigou mit leiser Stimme, um das Beispiel der Vorsicht zu geben, »nach der Präfektur gefahren, um dort die Urteilsvollziehung zu verlangen und bewaffneten Beistand zu erbitten.«
»Das ist sein Verderben,« sagte Lupin, sich die Hände reibend. »Man wird sich prügeln.«
»Man wird sich prügeln,« bemerkte Soudry, »je nachdem! Wenn der Präfekt und der General, die ja Freunde sind, eine Eskadron Kavallerie schicken, werden die Bauern nicht drauflosstechen. Man kann im Notfalle mit den Gendarmen von Soulanges fertig werden, aber versucht doch einem Kavallerieangriff Widerstand zu leisten!«
»Sibilet hat ihn etwas viel Gefährlicheres als das reden hören, und das führt mich her,« fuhr Rigou fort.
»Oh, meine arme Sophie!« rief Madame Soudry sentimental, »in welche Hände sind Les Aigues gefallen. Das hat uns die Revolution eingebracht: Eisenfresser mit Epauletten! Man hätte doch merken müssen, daß, wenn man eine Flasche umwirft, die Bodenhefe emporsteigt und den Wein verdirbt!«
»Er hat die Absicht, nach Paris zu reisen und beim Justizminister zu intrigieren, damit das ganze Gericht neu besetzt wird.«
»Ah,« sagte Lupin, »er hat seine Gefahr erkannt.«
»Wenn man meinen Schwiegersohn zum stellvertretenden Generalprokurator ernennt, gibt's nichts zu sagen, und er wird ihn durch irgendeinen ihm ergebenen Pariser ersetzen,« fuhr Rigou fort. »Wenn er für Monsieur Gendrin einen Sitz am Reichsgericht verlangt, wenn er Monsieur Guerbet, unsern Untersuchungsrichter, zum Präsidenten in Auxerre ernennen läßt, wird er unser Kegelspiel umwerfen! . . . Er hat bereits die Gendarmerie für sich; wenn er noch das Gericht kriegt, und wenn er Berater wie den Abbé Brossette und Michaud bei sich behält, werden wir übel dran sein; er könnte uns böse Geschichten anhängen.«
»Wie, in fünf Jahren habt Ihr Euch den Abbé Brossette nicht vom Halse schaffen können?« fragte Lupin.
»Sie kennen ihn nicht; er ist mißtrauisch wie eine Amsel,« erwiderte Rigou. »Der Priester da ist kein Mann, er schiert sich nicht um die Weiber; ich hab' keine Leidenschaft an ihm gesehen, er ist unangreifbar. Der General dagegen gibt sich dank seinem Zorn überall Blößen. Ein Mensch, der ein Laster hat, ist immer der Diener seiner Feinde, wenn sie sich dieses Marionettenfadens zu bedienen wissen. Nichts Stärkeres gibt's, als Leute, welche ihre Laster lenken, anstatt sich von ihnen lenken zu lassen. Die Bauern tun, was sie sollen, man hält unsere Leute gegen den Abbé in Atem, aber man kann noch nichts gegen ihn unternehmen. Das ist wie bei Michaud; Menschen wie die sind zu vollkommen, die muß der liebe Gott zu sich rufen . . .«
»Man muß ihnen Mägde verschaffen, die ihre Treppen tüchtig einseifen,« sagte Madame Soudry, die Rigou jenen leichten Sprung machen ließ, den sehr gerissene Leute tun, wenn sie etwas Gerissenes hören.
»Der Tapezier hat noch ein anderes Laster: er liebt seine Frau, und man kann ihn auch von der Seite fassen . . .«
»Halt, man muß erfahren, ob er seine Gedanken verfolgt!« warf Madame Soudry ein.
»Wie?« fragte Lupin, »aber das ist ja das hic!«
»Sie, Lupin,« fuhr Rigou in einem gebieterischen Tone fort, »werden sich in die Präfektur begeben und dort die schöne Madame Sarcus sehen, und das heut abend! Sie werden von ihr erreichen, daß sie ihren Gatten alles wiederholen läßt, was der Tapezier in der Präfektur gesagt und getan hat.«
»Ich werde genötigt sein, dort zu schlafen,« erwiderte Lupin.
»Um so besser für Sarcus le Riche, er wird dabei gewinnen,« bemerkte Rigou. »Sie ist noch nicht allzu ›schwartig‹, die Madame Sarcus.«
»O Monsieur Rigou,« flötete Madame Soudry geziert, »sind die Frauen jemals schwartig?«
»Bei der haben Sie recht! Sie streicht sich durchaus nicht vorm Spiegel an,« erwiderte Rigou, den die Zurschaustellung der alten Schätze bei der Cochet immer empörte.
Madame Soudry, die nur eine Spur Rot aufzulegen glaubte, verstand diesen epigrammatischen Hieb nicht und fragte:
»Können Frauen sich denn anstreichen?«
»Was Sie anlangt, Lupin,« fuhr Rigou fort, ohne auf diese Naivität zu antworten, »so werden Sie morgen früh zu Papa Gaubertin kommen, werden ihm ankündigen, daß der Gevatter und ich«, dabei schlug er Soudry auf den Schenkel, »ein Häppchen bei ihm essen möchten und ihn um ein Frühstück gegen Mittag bitten. Setzen Sie ihn in Kenntnis von den Dingen, damit jeder von uns sich die Sache überlegt hat; denn es handelt sich darum, mit dem verfluchten Tapezier zu Ende zu kommen. Als ich unterwegs zu Euch war, habe ich mir gesagt, daß man den Tapezier mit dem Gericht auseinander bringen muß, so daß der Justizminister ihm ins Gesicht lacht, wenn er ihn um Personalveränderungen am Gericht von Ville-aux-Fayes bitten kommt . . .«
»Die Kirchenleute sollen leben!« rief Lupin, Rigou auf die Schulter klopfend.
Alsbald kam Madame Soudry ein Gedanke, der nur der ehemaligen Kammerfrau eines Opernmädchens kommen konnte.
»Wenn wir den Tapezier«, sagte sie, »auf den Soulanger Jahrmarkt bringen und ihm dort ein schönes Mädchen auf den Hals hetzen könnten, damit er den Kopf verliert; er würde sich mit dem Mädchen vielleicht verständigen, und wir könnten ihn mit seiner Frau, der man beibrächte, daß eines Kunsttischlers Sohn immer wieder auf seine ersten Liebschaften zurückkommt, auseinanderbringen.«
»Ach, meine Schöne,« rief Soudry, »du allein hast mehr Grips als die ganze Polizeipräfektur in Paris!«
»Das ist ein Gedanke, der beweist, daß Madame ebensowohl ihrer Klugheit wie ihrer Schönheit wegen unsere Königin ist,« erklärte Lupin.
Lupin wurde mit einer Grimasse belohnt, die man in der ersten Gesellschaft von Soulanges protestlos für ein Lächeln hinnahm.
»Das würde noch besser sein,« bemerkte Rigou, der lange Zeit über nachdenklich blieb. »Wenn man einen Skandal draus machen könnte . . .«
»Protokoll und Klage, eine Zuchtpolizeiangelegenheit,« rief Lupin. »Oh, das wäre zu schön!«
»Welch ein Vergnügen,« sagte Soudry naiv, »den Grafen von Montcornet, Ritter des Großkreuzes der Ehrenlegion, Kommandeur des Ludwigsordens, Generalleutnant, angeklagt zu sehen, auf öffentlichem Platze, sich, sagen wir einmal, gegen das Schamgefühl vergangen zu haben.«
»Er liebt seine Frau zu sehr,« wandte Lupin ein, »nie wird man ihn so weit kriegen.«
»Das ist kein Hinderungsgrund; aber ich sehe im ganzen Bezirke kein Mädchen, das einen Heiligen zur Sünde zu verführen fähig wäre; ich suche ja eins für meinen Abbé!« rief Rigou.
»Was sagen Sie zu der schönen Gatienne Giboulard in Auxerre, in die der junge Sarcus vernarrt ist?« fragte Lupin.
»Die würde die einzige sein,« antwortete Rigou, »aber sie ist nicht imstande uns zu dienen; sie meint, daß sie sich nur zu zeigen braucht, um bewundert zu werden; sie ist nicht geschickt genug, und wir brauchen eine Verschmitzte, eine Durchtriebene . . . Es ist gleich, sie wird kommen . . .«
»Jawohl,« bestätigte Lupin, »je mehr hübsche Mädchen er zu Gesicht kriegt, desto besser sind die Aussichten.«
»Es wird schwer fallen, den Tapezier zum Besuch des Jahrmarkts zu bringen. Und wenn er zum Fest kommt, wird er dann in unsere Tivolikneipe gehen?« fragte der Exgendarm.
»Den Grund, der ihn am Kommen hindern möchte, gibt's dieses Jahr nicht mehr, mein Herz,« antwortete Madame Soudry.
»Welchen Grund denn, meine Liebe?« fragte Soudry.
»Der Tapezier hat Mademoiselle de Soulanges heiraten wollen,« sagte der Notar; »man hat ihm geantwortet, sie sei zu jung, und er ist beleidigt. Darum sind die Herren von Soulanges und von Montcornet, die beiden alten Freunde – denn sie haben alle beide bei der kaiserlichen Garde gedient – so kühl gegeneinander geworden, daß sie sich nicht mehr besuchen. Der Tapezier hat den Soulanges auf dem Jahrmarkte nicht begegnen wollen, doch dieses Jahr kommen sie nicht hin.«
Gewöhnlich verweilte die Familie Soulanges im Juli, August, September und Oktober im Schloß, aber der General befehligte damals die Artillerie in Spanien unter dem Herzog von Angoulême, und die Komtesse hatte ihn begleitet. Bei der Belagerung von Cadix gewann der Graf von Soulanges bekanntlich den Marschallstab, den er 1826 bekam. Montcornets Feinde konnten also annehmen, daß die Bewohner von Les Aigues nicht immer den Feierlichkeiten des Marienfestes im August aus dem Wege gehen würden, und daß es leicht sein möchte, sie ins Tivoli zu ziehen.
»Das ist richtig,« rief Lupin. »Nun ist's an Ihnen, Papa,« sagte er dann, sich an Rigou wendend, »so zu manövrieren, daß er auf den Jahrmarkt kommt; wir werden ihn schon einseifen.«
Der Soulanger Jahrmarkt, der am 15. August gefeiert wird, ist eine der Besonderheiten der Stadt und sticht alle Jahrmärkte auf dreißig Meilen im Umkreise, selbst die der Departementshauptstadt, aus. Ville-aux-Fayes hat keinen Jahrmarkt, denn sein Fest, der Silvestertag, fällt in den Winter.
Vom 12. bis 15. August strömen die Kaufleute in Scharen nach Soulanges und errichten dort in zwei parallelen Linien jene Holzbaracken, jene grauen Zeltbuden, die dem gewöhnlich verödeten Platze dann eine belebte Physiognomie geben. Die vierzehn Tage, die Fest und Jahrmarkt dauern, verschaffen der kleinen Stadt Soulanges eine Art Ernte. Dies Fest hat das Gewicht und den Nimbus einer Tradition. Wie Vater Fourchon erzählte, strömen die Bauern aus ihren Gemeinden, wo ihre Arbeiten sie sonst festhalten, herbei. In ganz Frankreich üben die phantastischen Auslagen der auf den Jahrmarktplätzen improvisierten Kaufläden, die Aufstapelung aller erdenklichen Waren, der Gegenstände des Bedarfs oder der Eitelkeit der Bauern, die überdies keine anderen Schauspiele haben, periodisch Verführungen auf die Einbildungskraft der Weiber und Kinder aus. Auch ließ die Bürgermeisterei von Soulanges vom 12. August ab in der ganzen Ausdehnung des Bezirks von Ville-aux-Fayes von Soudry unterzeichnete Anschläge anbringen, welche den Handelsleuten, Seiltänzern, den Wunderdingen jeder Art ihren Schutz versprachen und die Dauer des Jahrmarktes und die Hauptsehenswürdigkeiten ankündigten.
Auf diesen Plakaten, die man die Tonsard Vermichel abverlangen sah, las man stets folgenden Endsatz:
»Das Tivoli wird mit bunten Lampen illuminiert werden.«
Tatsächlich hatte die Stadt als Saal für den öffentlichen Ball das Tivoli gewählt. Dieses war von Socquard in einem Garten aufgeführt worden, welcher ebenso steinig ist wie der Hügel, auf dem Soulanges liegt, wo das Erdreich fast aller Gärten erst herangefahren werden mußte.
Diese Bodenbeschaffenheit erklärt den eigenartigen Geschmack des Soulanger Weines, eines weißen, trockenen, bukettreichen Weins, der dem Madeira, Johannisberger und dem Wein von Vouvrey, drei ziemlich gleichartigen Gewächsen, ähnlich ist und fast gänzlich im Bezirk verbraucht wird.
Die zauberhaften Wirkungen, die vom Ball bei Socquard im Gemüte der Einwohnerschaft hervorgerufen werden, machen sie ganz stolz auf ihr Tivoli. Die Bewohner der Gegend, die sich bis nach Paris gewagt hatten, erklärten, daß das Pariser Tivoli das von Soulanges nur an Ausdehnung übertreffe. Gaubertin zog kühn den Socquardball dem Tivoliball vor.
»Denken wir an all das,« sagte Rigou. »Der Pariser dort, der Zeitungsredakteur, wird von seinem Vergnügen schließlich genug haben, und durch die Dienstboten könnte man sie alle auf den Jahrmarkt locken. Ich werde dran denken! Obwohl sein Kredit verteufelt im Schwinden ist, könnte Sibilet seinem Bourgeois einreden, daß er sich auf diese Weise ›populär‹ machen würde.«
»Sucht also zu erfahren, ob die schöne Gräfin Monsieur gegenüber grausam ist; alles ist vorhanden, um ihm im Tivoli einen Schabernack zu spielen,« sagte Lupin zu Rigou.
»Die kleine Frau«, rief Madame Soudry, »ist zu sehr Pariserin, um sich nicht geschickt zwischen den beiden Parteien durchzuwinden.«
»Fourchon hat seine Enkelin Cathérine auf Charles, des Tapeziers zweiten Kammerdiener, losgelassen; bald werden wir einen Lauscher in den Gemächern von Les Aigues haben,« antwortete Rigou. »Sind Sie des Abbés Taupin sicher?« fragte er, als er den Pfarrer eintreten sah.
»Ihn und Abbé Moncheron halten wir am Bändel, wie ich Soudry am Bändel halte,« entgegnete Madame Soudry, ihren Gatten unters Kinn fassend, zu dem sie sagte: »Armer Kater, du bist doch nicht unglücklich!«
»Wenn ich nur einen Skandal gegen diesen Tartüffe von Brossette in Scene setzen könnte. Ich rechne auf Sie! . . .« sagte Rigou, indem er sich erhob, ganz, leise; »aber ich weiß nicht, ob der Geist des Landes über den Priestergeist obsiegen wird. Ihr wißt nicht, was es damit auf sich hat. Ich selber bin kein Einfaltspinsel, stehe aber nicht für mich ein, wenn ich mich einmal krank fühle. Ganz gewiß werde ich mich dann mit der Kirche aussöhnen!«
»Gestatten Sie uns, das zu hoffen,« sagte der Priester, für den Rigou eben absichtlich die Stimme erhoben hatte.
»Ach! der Fehler, den ich beging, indem ich mich verheiratete, hindert mich an der Aussöhnung,« erwiderte Rigou; »ich kann Madame Rigou doch nicht umbringen.«
»Denken wir inzwischen an Les Aigues,« sagte Madame Soudry.
»Jawohl,« erwiderte der Exbenediktiner. »Wissen Sie, daß ich unseren Gevatter in Ville-aux-Fayes viel geschickter als uns finde? . . . Ich habe so den Gedanken, daß Gaubertin Les Aigues für sich allein haben will und uns hinaussetzen wird,« fügte Rigou hinzu.
Unterwegs hatte der Landwucherer mit dem Stecken der Klugheit auf die dunklen Stellen geklopft, die bei Gaubertin hohl klangen.
»Aber Les Aigues wird nie jemand anderem als uns dreien gehören, man muß es von Grund aus zerstören!« rief Soudry.
»Um so mehr, als ich nicht erstaunt sein würde, wenn sich dort verborgenes Gold fände,« sagte Rigou schlau.
»Bah!«
»Ja, während der früheren Kriege haben die oftmals belagerten und überraschten Edelleute ihr Geld vergraben, um es wiederfinden zu können; und wie Sie wissen, ist der Marquis von Soulanges-Hautemer, mit dem der jüngere Zweig ausgestorben ist, eines der Opfer der Bironschen Verschwörung gewesen. Die Gräfin von Moret hat das Besitztum durch Konfiskation bekommen! . . .«
»Das nenn' ich die französische Geschichte kennen!« sagte der Gendarm. »Sie haben recht, es ist Zeit in unseren Sachen mit Gaubertin einig zu werden.«
»Und wenn er Winkelzüge macht,« fügte Rigou hinzu, »wollen wir ihn schon kriegen!«
»Er ist jetzt reich genug,« erklärte Lupin, »um ein anständiger Mann zu sein.«
»Ich würde für ihn wie für mich selbst bürgen,« fuhr Madame Soudry fort, »er ist der anständigste Mann des Königreichs.«
»Ich glaube an seine Anständigkeit,« entgegnete Rigou; »doch darf man unter Freunden nichts außer acht lassen. Uebrigens hab' ich auf einen in Soulanges Argwohn, daß er uns einen Strich durch die Rechnung machen möchte . . .«
»Wen denn?« fragte Soudry.
»Plissoud,« antwortete Rigou.
»Plissoud!« rief Soudry, »der arme Klepper! Brunet hält ihn an der Leine und sein Weib an der Kandare; fragen Sie Lupin!«
»Was kann er tun?« sagte Lupin.
»Er will dem Montcornet klaren Wein einschenken,« fuhr Rigou fort, »seine Protektion haben und sich eine Stellung schaffen.«
»Niemals wird er etwas ausplaudern, solange seine Frau in Soulanges ist,« sagte Madame Soudry.
»Alles erzählt er seiner Frau, wenn er betrunken ist,« bemerkte Lupin, »wir würden's zur rechten Zeit erfahren.«
»Die schöne Madame Plissoud hat keine Geheimnisse vor Ihnen,« erwiderte ihm Rigou; »nun wohl, dann können wir ruhig sein.«
»Sie ist übrigens ebenso dumm wie schön; ich möchte nicht mit ihr tauschen; denn wenn ich ein Mann wäre, wäre mir eine häßliche und geistvolle Frau lieber, als eine Schöne, die nicht bis zwei zählen kann.«
»Ach!« antwortete, sich auf die Lippen beißend, der Notar, »sie kann einen bis drei zählen lassen.«
»Geck,« rief Rigou und wandte sich der Tür zu.
»Also auf morgen früh,« sagte Soudry, seinen Gevatter hinausgeleitend.
»Ich werd' Sie abholen . . . Ach ja, Lupin,« sagte er zum Notar, der mit ihm hinausging, um sein Pferd satteln zu lassen, »sorgen Sie dafür, daß Madame Sarcus alles erfährt, was der Tapezier auf der Präfektur gegen uns aushecken wird . . .«
»Wer wird es erfahren, wenn sie's nicht herausbringen kann? . . .« antwortete Lupin.
»Verzeihung,« erwiderte Rigou, schlau lächelnd, indem er Lupin anblickte, »ich sehe da so viele Strohköpfe, daß ich vergaß, daß sich ein kluger Mensch darunter befindet.«
»Tatsache ist, daß ich nicht weiß, wie es kommt, daß ich dabei noch nicht eingerostet bin,« entgegnete Lupin naiv. »Ist's wahr, daß Soudry eine Kammerkatze genommen hat? . . .«
»Gewiß,« erwiderte Lupin; »seit acht Tagen; der Herr Bürgermeister hat die Schönheit seines Weibes heben wollen, indem er ihr eine Folie gab in Gestalt einer kleinen Burgunderin mit Rosenspeck, und wir erraten noch nicht, wie er sich mit Madame Soudry auseinandersetzen wird; denn er hat die Kühnheit, recht zeitig zu Bett zu gehen . . .«
»Das werd' ich morgen sehn,« sagte der Dorfsardanapal, indem er zu lächeln versuchte.
Die beiden erfahrenen Politiker gaben sich beim Auseinandergehen die Hand.
Rigou, der sich nachts nicht unterwegs befinden wollte – denn trotz seiner frischen Volkstümlichkeit war er immer klug – sagte zu seinem Pferde: »Vorwärts, Bürger!« Ein Scherz, den dies Kind von 1793 stets gegen die Revolution loßließ. Die Volksrevolutionen haben keine grausameren Feinde als die Leute, die sie in die Höhe gebracht haben.
»Er macht keine langen Besuche, der Vater Rigou,« bemerkte Gourdon, der Kanzlist, zu Madame Soudry.
»Er macht gute, wenn er kurze macht,« antwortete sie.
»Wie sein Leben,« bemerkte der Arzt; »dieser Mensch mißbraucht alles.«
»Um so besser,« erwiderte Soudry, »da wird mein Sohn eher zu Geld kommen.«
»Hat er Ihnen Neuigkeiten über Les Aigues gebracht?« fragte der Pfarrer.
»Ja, mein lieber Abbé,« entgegnete Madame Soudry, »die Leute dort sind die Geißel unseres Landes. Ich begreife nicht, daß Madame de Montcornet, die doch eine Frau comme il faut ist, ihre Interessen nicht besser wahrnimmt.«
»Sie haben gleichwohl ein Beispiel vor Augen,« erwiderte der Pfarrer.
»Welches denn?« fragte Madame Soudry geziert.
»Ach ja,« flötete die Königin nach einer Pause.
»Um so schlimmer, da bin ich!« rief Madame Vermut beim Eintreten, »und ohne mein Reagens; denn Vermut ist in bezug auf mich zu inaktiv, als daß ich ihn irgendwie ein Agens nennen könnte!«
»Was zum Teufel macht denn der verwünschte Vater Rigou da?« sagte Soudry zu Guerbet, als er das Gefährt vor dem Tivoli halten sah. »Er ist eine jener Tigerkatzen, bei denen jeder Sprung ein Ziel hat!«
»Verflucht, er steigt ab!« antwortete der dicke kleine Steuereinnehmer.
»Er geht ins ›Café de la Paix‹ hinein, . . .« sagte Gourdon, der Arzt . . .
»Gebt Euch zufrieden,« fuhr Gourdon, der Kanzlist fort, »dort gibt's Segen mit geschlossenen Fäusten, dann hört man sie bis hierher schreien.«
»Das Café da,« fügte der Pfarrer hinzu, »ist wie der Janustempel: es nannte sich in der Kaiserzeit ›Café de la guerre‹, und man lebte dort völlig ruhig; die ehrenwertesten Bürger kamen dort zusammen, um freundschaftlich miteinander zu plaudern . . .«
»Das nennt er ›plaudern‹!« sagte der Friedensrichter.
»Seitdem man's den Bourbonen zu Ehren ›Café de la Paix‹ genannt hat, schlägt man sich dort aber alle Tage . . .« sagte Abbé Taupin, indem er seinen Satz beendete, den zu unterbrechen der Friedensrichter sich die Freiheit genommen hatte.
Es verhielt sich mit diesem Gedanken des Pfarrers wie mit den Zitierungen aus dem »Ballspiel«, er kehrte häufig wieder.
»Das will heißen,« sagte Vater Guerbet, »daß Burgund immer das Land der Faustschläge sein wird.«
»So übel ist das nicht, was Sie da sagen,« bemerkte der Pfarrer, »es ist beinahe die Geschichte unseres Landes.«
»Ich kenne die französische Geschichte nicht,« rief Soudry, »bevor ich sie aber kennen lerne, möcht' ich gern wissen, warum mein Gevatter mit Socquard ins Café hineingegangen ist.«
»O,« erwiderte der Pfarrer, »wenn er hinein geht und sich dort aufhält, so können Sie gewiß sein, daß es sich nicht um Werke der Barmherzigkeit handelt.«
»Wenn ich den Mann sehe, überläuft mich eine Gänsehaut,« erklärte Madame Vermut.
»Man muß ihn so sehr fürchten,« fuhr der Arzt fort, »daß mich, wenn er mir übel wollte, auch sein Tod nicht beruhigen würde; er ist imstande, aus dem Sarge aufzustehen, um euch noch irgendeinen schlechten Streich zu spielen.«
»Wenn uns jemand den Tapezier am 15. August hierherschicken und ihn in eine Falle locken kann, ist's Rigou,« flüsterte der Bürgermeister seiner Frau ins Ohr.
»Besonders wenn Gaubertin und du, mein Herzblatt, mit dazu helft . . .« antwortete sie mit lauter Stimme.
»Halt, hatte ich nicht recht!« rief Monsieur Guerbet, Monsieur Sarcus mit dem Ellenbogen anstoßend, »er hat irgendein schönes Mädchen bei Socquard gefunden und läßt es in seinen Wagen steigen! . . .«
»Unterdessen . . .« fügte der Kanzlist hinzu.
»Das ist ohne Hintergedanken gesprochen,« rief Monsieur Guerbet, den Sänger des »Ballspiels« unterbrechend.
»Sie befinden sich im Irrtum, meine Herren,« sagte Madame Soudry; »Monsieur Rigou denkt nur an unsere Interessen; denn, wenn ich mich nicht täusche, ist das Mädchen eine Tochter Tonsards!«
»Er ist wie der Pharmazeut, der sich mit Vipern versorgt,« rief Vater Guerbet.
»Nach der Art Ihrer Rede,« warf Monsieur Gourdon, der Arzt, ein, sollte man meinen, daß Sie Monsieur Guerbet, unseren Pharmazeuten, gesehen hätten.«
Und er wies auf den kleinen Apotheker von Soulanges hin, der über den Platz kam.
»Der gute arme Kerl,« sagte der Kanzlist, der im Verdacht stand, oft mit Madame Vermut zu witzeln, »seht doch nur, wie er aussieht! und den hält man für gelehrt!«
»Ohne ihn,« wandte der Friedensrichter ein, »würde man bei Leichenschauen sehr in Verlegenheit sein; er hat das Gift in des armen Pigeron Leichnam so gut nachgewiesen, daß die Pariser Chemiker beim Gerichte in Auxerre erklärt haben, sie hätten's nicht besser machen können! . . .«
»Er hat gar nichts gefunden,« erwiderte Soudry, »doch ist es, wie der Präsident Gendrin sagt, gut, wenn man glaubt, daß Gift sich stets nachweisen läßt . . .«
»Madame Pigeron hat gut getan, Auxerre den Rücken zu kehren!« sagte Madame Vermut. »Ein enger Geist und eine große Verbrecherin war diese Frau,« fügte sie hinzu. »Muß man denn zu Drogen seine Zuflucht nehmen, um einen Ehemann zu vernichten? Haben wir denn keine sicheren aber harmlosen Mittel, um uns von solchem Gezücht zu befreien? Ich möchte schon, daß ein Mann an meiner Aufführung etwas auszusetzen fände! Der gute Monsieur Vermut geniert mich kaum und er ist darum nicht kränker; und seht doch, wie Madame de Montcornet in ihren Schweizerhäusern, ihren Karthausen mit dem Journalisten herumzieht, den sie auf ihre Kosten aus Paris hat kommen lassen und vor des Generals Augen verhätschelt.«
»Auf ihre Kosten? . . .« rief Madame Soudry, »ist das gewiß? Welch hübscher Gegenstand für einen anonymen Brief an den General wär' das, wenn wir's beweisen könnten.«
»Der General . . .« fuhr Madame Vermut fort; »aber Sie werden ihn doch in keiner Weise hindern, der Tapezier übt seinen Beruf aus.«
»Welchen Beruf, meine Liebe?« fragte Madame Soudry.
»Nun, er besorgt das Bett.«
»Wenn der arme kleine Pigeron, anstatt seine Frau zu quälen, so gut gewesen wäre, da lebte er heute noch,« sagte der Kanzlist.
Madame Soudry beugte sich zu ihrem Nachbar, Monsieur Guerbet aus Conches; sie schnitt ihm eins jener Affengesichter, die sie wie deren Silberzeug von ihrer ehemaligen Gebieterin, kraft des Beuterechts, geerbt zu haben glaubte; und indem sie deren Grimassen maßlos übertrieb, sagte sie, den Postmeister auf Madame Vermut hinweisend, die mit dem Verfasser des »Ballspiels« kokettierte, zu ihm:
»Was die Frau doch für einen schlechten Ton hat! Welche Redensarten, welche Manieren! Ich weiß nicht, ob ich sie noch länger in unserer Gesellschaft dulden soll, zumal wenn Monsieur Gourdon, der Dichter, zugegen sein wird.«
»Da haben Sie's, soziale Moral!« sagte der Pfarrer, der alles beobachtet und alles gehört hatte, ohne ein Wort zu sagen.
Auf dieses Epigramm oder vielmehr diese Satire auf die Gesellschaft hin, die so konzis und so wahr war, daß sie jeden traf, schlug man vor, eine Partie Boston zu spielen.
Ist das nicht das Leben, wie es sich in allen Schichten abspielt, die man übereingekommen ist, Welt zu nennen? Wechselt die Ausdrücke, und es wird in den vergoldetsten Salons von Paris nichts mehr und nichts weniger gesprochen.