Honoré de Balzac
Die Bauern
Honoré de Balzac

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IV

Ein anderes Idyll

Ach, Himmelsapperment! Papa,« rief Tonsard, als er seinen Schwiegervater eintreten sah und annahm, daß er noch nüchtern sei, »heut' morgen haben Sie aber früh das Maul offen! Wir haben nichts, was wir Ihnen geben können . . . Und der Strick, der Strick, den wir machen sollten? 's ist wunderbar, wie Sie gestern dran schufteten, und wie wenig Sie heute fertig haben! Schon längst hätten Sie den drehen sollen, der Ihrem Leben ein Ende macht, denn Sie werden uns nun gar zu teuer! . . .«

Der Spaß des Bauern und des Arbeiters ist nicht attisch. Er besteht darin, alles, was man denkt, zu sagen, indem man's durch einen grotesken Ausdruck übertreibt. In den Salons geht man nicht anders vor. Die Geistreichigkeit ersetzt dort das Pittoreske der Plumpheit; das ist der ganze Unterschied.

»Nichts da, Papa!« sagte der Alte, »rede geschäftlich mit mir. Ich will eine Flasche vom besten haben!«

Also redend, schlug Fourchon mit einem Hundertsoustück, das wie eine Sonne in seiner Hand glänzte, auf den elenden Tisch, an welchen er sich gesetzt hatte und den sein fettiger Ueberzug ebenso merkwürdig zum Ansehen machte wie seine schwarzen Brandflecke, seine Weinspuren und seine Einkerbungen. Beim Klange des Geldes warf Marie Tonsard, die hergerichtet war wie eine segelfertige Fregatte, einen wilden Blick, der wie ein Funke aus ihren klaren Augen sprang, auf ihren Großvater. Angezogen durch die Musik des Metalls, kam die Tonsard aus ihrem Zimmer heraus.

»Ständig mißhandelst du meinen armen Vater,« sagte sie zu Tonsard; »und doch verdient er seit einem Jahre viel Geld; wolle Gott, daß es auf anständige Weise geschehe! – Was ist das? . . .« rief sie, stürzte sich auf das Stück los und entriß es Fourchons Händen.

»Geh, Marie,« sagte Tonsard mit ernstem Tone, »oberhalb der Planke steht noch Flaschenwein!«

Auf dem Lande gibt's nur Wein von einer einzigen Qualität; doch verkauft man ihn als zwei Sorten: Faß- und Flaschenwein.

»Wo habt Ihr denn das her?« fragte die Tonsard ihren Vater, indem sie das Stück in ihre Tasche gleiten ließ.

»Philippine, du wirst mal schlecht endigen,« sagte der Alte und schüttelte den Kopf, ohne zu versuchen, sein Geld wiederzuerlangen.

Zweifelsohne hatte Fourchon die Zwecklosigkeit eines Kampfes zwischen seinem schrecklichen Schwiegersohne, seiner Tochter und sich bereits eingesehen.

»Her mit einer Flasche Wein, die ihr noch obendrein für hundert Sous verkauft,« fügte er mit bitterem Tone hinzu, »aber es soll auch die letzte gewesen sein. Ich werd' meine Kundschaft dem Café de la Paix zuwenden.«

»Schweig still, Papa,« rief die weiße und fette Schenkwirtin, die einer römischen Matrone einigermaßen ähnelte; »du hast ein Hemd nötig, eine saubere Hose, einen anderen Hut und endlich will ich dich in einer Weste sehen.«

»Ich hab' dir immer schon gesagt, daß mich das ruinieren würde,« schrie der Greis. »Wenn man mich für reich hält, gibt mir kein Mensch mehr was.«

Die von der blonden Marie herbeigebrachte Flasche gebot des Alten Beredsamkeit Einhalt, der jener charakteristische Zug nicht fehlte, welcher Leuten eigentümlich ist, deren Zunge sich alles zu sagen erlaubt, und deren Ausdruck vor keinem Gedanken, und wäre er auch noch so grimmig, zurückschreckt.

»Sie wollen uns also nicht sagen, wo Sie das viele Geld im Pfropfenspiel gewonnen haben?« fragte Tonsard. »Wir wollen's auch so machen, wir!« Eine Schlinge dabei herrichtend, spionierte der gewalttätige Schenkenwirt die Hose seines Schwiegervaters aus und sah dort bald die sich abzeichnende Rundung des zweiten Fünffrankstückes.

»Auf eure Gesundheit! . . . Ich werde Kapitalist,« sagte der Vater Fourchon.

»Wenn Sie's wollten, würden Sie's schon sein,« sagte Tonsard, »Sie haben ja die Mittel dazu, Sie . . . Doch hat der Teufel Ihnen am Kopf unten ein Loch gebohrt, durch das alles flöten geht!«

»Ach, ich hab' den kleinen Bourgeois in Les Aigues, der aus Paris gekommen ist, mit der Otter reingelegt: das ist alles!«

»Wenn sich viele Leute die Avonnequellen ansähen,« sagte Marie, »würden Sie reich werden, Vater Fourchon.«

»Ja,« antwortete er, indem er das letzte Glas aus seiner Flasche trank; »aber durch das viele Spielen mit den Ottern sind die Ottern zornig geworden, und eine hat sich mir zwischen die Beine geworfen; die soll mir mehr als zwanzig Franken einbringen!«

»Wetten wir, Papa, daß du eine Otter aus Flachs gemacht hast?« sagte die Tonsard und schaute ihren Vater mit pfiffiger Miene an.

»Wenn du mir eine Hose, eine Weste, ordentliche Hosenträger gibst, um Vermichel auf unserer Bühne im Tivoli nicht allzuviel Schande zu machen – denn Vater Socquard brummt schon immer nach mir hin – lasse ich dir das Geldstück, liebe Tochter; dein Gedanke ist's schon wert. Ich würd' den Bourgeois von Les Aigues weiterhin einseifen können, der sich vielleicht gleich auf den Otternfang werfen will!«

»Geh, hol uns eine andere Flasche,« sagte Tonsard zu seiner Tochter. – »Wenn er eine Otter erwischte, würde dein Vater sie uns zeigen,« fing er, sich an seine Frau wendend, wieder an, indem er versuchte, Fourchons Empfindlichkeit zu wecken.

»Ich bin zu bange, sie in Eurer Bratpfanne zu sehen,« erwiderte der Alte, der mit einem seiner grünlichen Augen blinzelte, indem er seine Tochter ansah. »Philippine hat mir mein Geschenk schon weggegrapscht; und wie viele von meinen Stücken habt Ihr mir schon unter dem Vorwande mich kleiden, mich nähren zu wollen abgeluchst . . . Und da sagt Ihr mir, daß mein Maul in aller Frühe offen stehe, und ich gehe immer ganz nackt . . .«

»Ihr habt Euren letzten Anzug verkauft, um eingekochten Mostwein im Café de la Paix zu trinken, Papa!« sagte die Tonsard; »als Beweis möge dienen, daß Vermichel Euch daran hat hindern wollen . . .«

»Vermichel! . . . er, den ich freigehalten habe. Vermichel ist nicht imstande, die Freundschaft zu verraten. Der Zentner alten Specks auf zwei Beinen, den er sich nicht schämt, sein Weib zu nennen, wird's gewesen sein!«

»Er oder sie,« antwortete Tonsard, »oder Bonnébault . . .«

»Wenn's Bonnébault wäre; er, der eine der Stützen des Cafés ist . . . ich . . . werd' . . . ihn . . . Genug!«

»Aber, was macht das, alter Zecher, daß Sie Ihre Sachen verkauft haben. Sie haben sie verkauft, weil Sie sie verkauft haben; Sie sind mündig,« fuhr Tonsard fort, den Alten aufs Knie schlagend. »Gehen Sie, machen Sie meinen Fässern Konkurrenz, streichen Sie sich die Kehle ordentlich rot an! Mama Tonsards Vater hat ein Recht dazu und das taugt besser, als Ihr weißes Silber zu Socquard zu tragen.«

»Und wenn man bedenkt, daß Ihr seit fünfzehn Jahren den Leuten im Tivoli zum Tanzen aufspielt, ohne das Rezept von Socquards gekochtem Mostwein herausgeschmeckt zu haben, Ihr, der Ihr so klug seid!« sagte die Tochter zum Vater. »Und trotzdem wißt Ihr, daß wir mit dem Rezepte ebenso reich werden würden wie Rigou!«

Im Morvan und in dem Teile Burgunds, welcher sich an seinem Fuße nach der Pariser Seite hin erstreckt, ist dieser gekochte Mostwein, den die Tonsard ihrem Vater unter die Nase rieb, ein ziemlich teures Getränk, das eine große Rolle im Leben der Bauern spielt, und das die Spezereiwarenhändler und Verkäufer von erfrischenden Getränken, da, wo's Cafés gibt, mehr oder minder gut herzustellen wissen. Dies gesegnete Getränk, das aus erlesenem Wein, Zucker, Zimt und anderen Gewürzen zusammengesetzt ist, ist all den geheimnisvollen Zubereitungen und Mischungen des Ratafia genannten Branntweins wie dem »Hundertsiebenjahr«, »Wasser für tapfere Männer«, »Johannisbeerlikör«, »Vespétro«, »Sonnengeist« usw. vorzuziehen. Man stößt bis an die Grenzen Frankreichs und der Schweiz auf gekochten Mostwein. Im Jura, in den entlegenen Ortschaften, die nur tüchtige Touristen betreten, nennen die Wirte, wenn man Handlungsreisenden Glauben schenken darf, dies Industrieprodukt, das übrigens ausgezeichnet ist und das man bei dem Heißhunger, den man sich beim Besteigen der Bergspitzen holt, ja auch recht gern mit drei oder vier Franken die Flasche bezahlt, Syrakusanerwein.

In den morvandischen und burgundischen Haushalten nun ist der leichteste Schmerz, die leiseste Nervenerregung ein Vorwand, um gekochten Mostwein zu trinken. Vor, während und nach der Entbindung fügen die Weiber gebrannten Zucker hinzu. Gekochter Mostwein hat Bauernvermögen verschlungen. Mehr als einmal hat die verführerische Flüssigkeit den Anlaß zu ehelichen Züchtigungen gegeben.

»Ach, das geht nicht,« erwiderte Fourchon, »Socquard schließt sich immer ein, wenn er einen gekochten Wein macht! Er hat sein Todesgeheimnis nicht mal seiner Frau anvertraut. Für die Herstellung bezieht er alles aus Paris!«

»Quäle doch deinen Vater nicht!« rief Tonsard. »Er weiß nichts . . . schön, er weiß nichts! Man kann doch nicht alles wissen!«

Fourchon wurde von Unruhe ergriffen, als er seines Schwiegersohns Miene zugleich mit seinen Worten freundlicher werden sah.

»Was willst du mir stehlen?« fragte der Alte naiv.

»Ich,« erwiderte Tonsard, »habe nichts wie rechtmäßig Erworbenes in meinem Vermögen, und wenn ich Ihnen etwas nehme, so mache ich mich bezahlt für die Mitgift, die Sie mir versprochen hatten.«

Durch diese Brutalität beruhigt senkte Fourchon, als sei er besiegt und überzeugt, den Kopf.

»Hier ist eine hübsche Schlinge,« fuhr Tonsard fort und näherte sich seinem Schwiegervater und legte ihm die Schlinge auf die Knie; »sie werden Wildbret in Les Aigues benötigen, und wir wollen ihnen ihr eigenes Hab und Gut verkaufen, oder es gibt keinen lieben Gott mehr für uns arme Leute!«

»Eine solide Arbeit,« sagte der Greis, indem er diese schädliche Falle betrachtete.

»Laßt uns Sous auflesen, he, Papa,« sagte die Tonsard, »dann werden wir unseren Teil am Kuchen von Les Aigues haben . . .«

»Oh, die Schwätzerinnen!« sagte Tonsard. – »Wenn man mich aufhängt, geschieht's nicht einer Flintenkugel, sondern des Zungenschlags eurer Tochter wegen!«

»Ihr glaubt also, daß Les Aigues eurer erbärmlichen Nase wegen stückweise verkauft wird?« antwortete Fourchon. »Wie, seit dreißig Jahren, seit euch der Vater Rigou das Mark aus euren Knochen saugt, habt ihr noch nicht heraus, daß die Bourgeois schlimmer sein werden als die Edelleute? In der Angelegenheit, meine Kinderchen, werden euch die Soudry, Gaubertin, Rigou nach der Melodie tanzen lassen: ›Ich hab' 'nen guten Tabak und gebe dir den Dreck was ab‹, die Leibmelodie der reichen Leute; ja! . . . Der Bauer wird immer der Bauer sein! Seht ihr denn nicht, (aber ihr habt ja keine Ahnung von Politik) daß die Regierung nur deshalb dem Weine so viele Abgaben aufgebrannt hat, um unseren ›Quibus‹ abzuzwicken und uns im Elend zu erhalten? Der Bourgeois und die Regierung, das ist alles eins. Was würd' aus ihnen, wenn wir alle reich wären? Würden sie ihre Felder bestellen? Würden sie Heu machen? . . . Ihnen fehlt's an Unglücklichen. Ich bin zehn Jahre über reich gewesen und weiß genau, was ich vom Bettelpack hielt! . . .«

»Trotzdem muß man mit ihnen auf die Jagd gehn,« antwortete Tonsard, »da sie die großen Besitzungen parzellieren wollen, und hernach wollen wir uns gegen die Rigou wenden. Wäre ich an Courte-Cuisses Stelle, den er auffrißt, so würd' ich ihm seine Rechnung mit anderen Kugeln bezahlt haben wie die, welche der arme Schlucker ihm gibt . . .«

»Ihr habt recht,« antwortete Fourchon. »Wie sagt Vater Niseron, der trotz aller Welt Republikaner geblieben ist: ›Das Volk hat ein zähes Leben, es stirbt nicht, es hat die Zeit für sich!‹ . . .«

Fourchon verfiel in eine Art von Träumerei und Tonsard nutzte das aus, um seine Schlinge wieder an sich zu nehmen. Doch als er sie wieder nahm, schnitt er, während Vater Fourchon sein Glas zum Trinken aufhob, mit einem Scherenschnitt die Hose auf und setzte den Fuß auf das Hundertsousstück, welches auf den immer feuchten Teil des Fußbodens gefallen war, dorthin, wo die Trinker ihre Gläser abtropfen lassen. Obwohl das vorsichtig geschehen war, würde der Alte, wäre nicht Vermichel gekommen, doch den Diebstahl gemerkt haben.

»Tonsard, wißt ihr, wo der Papa ist?« fragte der Sachverständige unten am Treppenabsatz.

Vermichels Ruf, der Diebstahl des Geldstücks und die Leerung des Glases geschahen gleichzeitig.

»Zu Befehl, Herr Leutnant,« rief Vater Fourchon und streckte Vermichel die Hand entgegen, um ihm behilflich zu sein, die Stufen hinaufzukommen.

Von all den burgundischen Gesichtern würde euch Vermichels am burgundischsten erschienen sein. Der Sachverständige war nicht rot sondern scharlachfarben. Wie an bestimmten tropischen Teilen des Globus, zerbarsten auf seinem Gesichte an mehreren Stellen kleine ausgelöschte Vulkane, die jene flachen und grünen Flechten hervortreten ließen, welche Vater Fourchon recht poetisch »Weinblüten« nannte. Dieser glühende Kopf, dessen Züge durch ständige Trunkenheiten maßlos vergröbert worden waren, erschien zyklopisch. Auf der rechten Seite wurde er von einem lebhaften Augapfel entfacht, ausgelöscht auf der anderen von einem mit einem gelblichen Ueberzuge bedeckten Auge. Seine stets zerzausten roten Haare und ein Bart, der dem des Judas ähnlich war, machten Vermichel dem Aussehen nach so fürchterlich, wie er in Wirklichkeit sanftmütig war. Die aufgeworfene Nase glich einem Fragezeichen, auf das der außergewöhnlich gespaltene Mund, selbst wenn er nicht offen stand, immer zu antworten schien. Vermichel, ein Mann von kleiner Figur, trug eisenbeschlagene Schuhe, eine flaschengrüne Samthose, eine aus verschiedenen Stoffen zusammengeflickte alte Weste, die anscheinend aus einer Steppdecke hergestellt worden war, eine Jacke aus einem derben blauen Stoff und einen grauen Hut mit breiter Krempe. Dieser Luxus, den Vermichel die Stadt Soulanges auferlegte, wo er die Funktionen des Rathauspförtners, Trommlers, Kerkermeisters, Geigenspielers und Sachverständigen versah, wurde von Madame Vermichel, einer schrecklichen Antagonistin der Rabelaisischen Philosophie in Stand erhalten. Dieses Mannweib mit einem einen Meter langen Schnurrbart, die hundertzwanzig Kilo wog und nichtsdestoweniger flink war, hatte die Oberhand über Vermichel gewonnen, der, in seiner Trunkenheit von ihr geprügelt, sie auch noch schalten und walten ließ, wenn er nüchtern war. So sagte denn auch Vater Fourchon, Vermichels Anzug verächtlich prüfend: »Das ist die Livree eines Sklaven!«

»Wenn man von der Sonne spricht, geht sie vor dir auf ganz dicht,« fuhr Fourchon fort, indem er einen Scherz wiederholte, den Vermichels gelbrötliches Gesicht veranlaßt hatte, das tatsächlich jenen goldnen Sonnen glich, die man in der Provinz auf Wirtschaftsschildern gemalt sieht. »Hat Mama Vermichel zuviel Staub auf deinem Buckel entdeckt, daß du dein besseres Vierfünftel fliehst, da man das Weib doch unmöglich deine bessere Hälfte nennen kann. Was führt dich so frühzeitig hierher, geschlagener Trommler?«

»Immer die Politik,« erwiderte Vermichel, der augenscheinlich an solche Spaße gewöhnt war.

»Ach, der Handel in Blangy hat also schlechte Zeiten? Sollen wir Wechsel prolongieren?« sagte Vater Fourchon und schenkte seinem Freunde ein Glas Wein ein.

»Doch unser ›Affe‹ ist mir auf den Hacken,« entgegnete Vermichel, indem er sein Glas hinunterkippte.

Im Arbeiterargot ist der »Affe« der Herr. Diese Benennung stand auch in Fourchons und Vermichels Wörterbuche.

»Was für Unruhe will Monsieur Brunet denn hier stiften?« fragte die Tonsard.

»Ei der tausend,« entgegnete Vermichel, »ihr bringt ihm seit drei Jahren mehr ein, als ihr wert seid . . . Ach, er pufft euch tüchtig in die Rippen, der Bourgeois von Les Aigues! Ihm geht's gut, dem Tapezierer . . . Wie sagt Vater Brunet: ›Wenn's drei Besitzer wie ihn im Tale gäbe, wäre mein Glück gemacht!‹ . . .«

»Was haben Sie denn neues gegen die armen Leute ausgeheckt?« fragte Marie.

»Meiner Treu,« erwiderte Vermichel, »die sind nicht dumm; geht, ihr werdet schließlich klein beigeben . . . Was wollt ihr? Sie sind seit bald zwei Jahren mit drei Wächtern, einem berittenen Aufpasser, die alle geschäftig wie die Ameisen sind, und einem Flurschützen, der ein Werwolf ist, recht mächtig. Kurz und gut, die Gendarmerie wird sich jetzt für sie in Wichs werfen. Sie werden euch zermalmen!«

»Ach was,« sagte Tonsard, »wir sind schon plattgedrückt genug. Was hier mehr Widerstand leistet, ist nicht der Baum, es ist das Gras.«

»Scher dich den Teufel drum,« erwiderte Vater Fourchon seinem Schwiegersohne, »du hast Besitzungen.«

»Kurz und gut,« hub Vermichel wieder an, »sie haben euch ins Herz geschlossen, die Leute da; denn von Morgen bis Abend denken sie nur an euch! Sie haben sich etwa so gesagt: ›Die Tiere dieser Leute fressen unsere Wiesen ab, wir wollen sie ihnen wegnehmen, ihre Tiere; selber können sie das Gras unserer Wiesen nicht fressen.‹ Da ihr alle Strafen auf dem Buckel habt, haben sie unserm Affen gesagt, er solle sich eurer Kühe bemächtigen. Heute werden wir damit in Gonches anfangen, wollen dort die Kuh der Mutter Bonnébault, die Kuh der Godin, die Kuh der Mitant packen . . .«

Sowie Marie den Namen Bonnébault gehört hatte, lief sie, die die Liebste Bonnébaults, des Enkels der Kuhbesitzerin war, in den eingezäunten Weinberg, nachdem sie ihrem Vater und ihrer Mutter zugeblinzelt hatte. Wie ein Aal glitt sie durch ein Loch in der Hecke und stürzte wie ein gehetzter Hase nach Conches zu.

»Das werden sie so lange treiben,« sagte Tonsard ruhig, »bis sie sich die Knochen brechen; und das wird schade sein, denn ihre Mütter werden ihnen keine neuen machen.«

»Ganz so möcht' es wohl gehen,« betonte Vater Fourchon.

»Aber siehst du, Vermichel, erst in einer Stunde kann ich mit euch gehn, hab' wichtige Geschäfte im Schloß . . .«

»Wichtigere als drei Gerichtsgebühren zu fünf Sous? Man soll nicht in die Weinlese spucken, hat Vater Noah gesagt.«

»Ich sage dir, Vermichel, daß mich mein Geschäft ins Schloß von Les Aigues ruft,« wiederholte der alte Fourchon und zog eine Miene von lächerlicher Gewichtigkeit auf.

»Würd' es übrigens nicht besser sein, wenn mein Vater sich dünn machte?« fiel die Tonsard ein, »wollt ihr etwa die Kühe finden?«

»Monsieur Brunet ist ein Biedermann und wünscht nichts lieber, als dort nur Kuhfladen zu finden,« antwortete Vermichel. »Ein Mann, der wie er verpflichtet ist, nachts auf den Wegen einherzutraben, muß vorsichtig sein!«

»Wenn er's ist, tut er recht,« sagte Tonsard trocken.

»Darum hat er«, fuhr Vermichel fort, »etwa so zu Monsieur Michaud gesprochen: ›Ich werde mich aufmachen, wenn die Sitzung zu Ende ist.‹ Wenn er die Kühe finden wollte, hätte er morgens um sieben Uhr aufbrechen müssen. Aber, seht, Monsieur Brunet muß doch gehen. Zweimal foppt man den Michaud nicht, der ist ein gerissener Hund. Ach, der Schuft!«

»Das hätte bei der Armee bleiben sollen, so ein Eisenfresser wie der,« sagte Tonsard, »so was ist nur gut, um auf die Feinde losgelassen zu werden.«

»Ich möchte schon, daß er mich mal nach meinem Namen fragt; er mag sich noch so schön einen Alten von der jungen Garde nennen, wenn wir einmal unsere Hinterklauen gemessen haben, wird er sicherlich seine Krallen einziehen.«

»Nun hört,« sagte die Tonsard zu Vermichel, »wann kriegt man denn die Ankündigungen vom Fest in Soulanges zu sehen? Wir haben heute den achten August.«

»Gestern hab' ich sie zu Monsieur Bournier nach Ville-aux-Fayes zum Drucken gebracht,« antwortete Vermichel. »Bei Mama Soudry hat man von einem Feuerwerk auf dem See gesprochen.«

»Wieviel Leute werden da kommen!« schrie Fourchon.

»Und was für Tage gibt's da für Socquard!« sagte der Wirt mit neidischer Miene.

»Oh, wenn's nicht regnet,« fügte sein Weib hinzu, wie um sich selber wieder zu beruhigen.

Man hörte den Trott eines von Soulanges kommenden Pferdes, und fünf Minuten später band der Gerichtsdiener sein Pferd an einen Pfahl, der zu dem Zwecke bei dem leichten Gitter, durch das die Kühe gingen, eingerammt worden war; dann zeigte er seinen Kopf in der Tür des »Grand-I-Vert«.

»Auf, auf, liebe Kinder, verlieren wir keine Zeit,« sagte er, indem er sich sehr eilig stellte.

»Ach,« fing Vermichel an, »hier gibt's einen Widerspenstigen, Monsieur Brunet, Vater Fourchon hat's Zipperlein!«

»Er hat mehrere Zipperleins,«Wortspiel mit goutte = Zipperlein und goutte = Tropfen. antwortete der Gerichtsdiener, »doch das Gesetz verlangt nicht von ihm, daß er nüchtern ist.«

»Verzeihung, Monsieur Brunet, ich werde Geschäfte halber in Les Aigues erwartet,« sagte Fourchon, »wir stehen einer Otter wegen in Unterhandlung . . .«

Brunet, ein kleiner hagerer Mann mit galligem Teint, ganz in schwarzes Tuch gekleidet, mit rotgelben Augen, krausem Haar, zusammengepreßtem Munde, einer winzigen Nase, unruhiger Miene, heiserer Stimme zeigte das Phänomen einer Physiognomie, einer Haltung und eines Charakters, die mit seinem Berufe in Einklang standen. Er hatte das Recht oder, besser gesagt, die Rechtsverdrehung so gut im Kopfe, daß er zu gleicher Zeit Schrecken und Ratgeber des Kreises war: auch entbehrte er einer gewissen Popularität bei den Bauern nicht, von denen er sich die meiste Zeit mit Lebensmitteln bezahlen ließ. Alle seine aktiven und negativen Eigenschaften und diese Lebensart brachten ihm, mit Ausschluß seines Gevatters, Meister Plissoud, von dem später die Rede sein soll, die Klientschaft des Kreises ein. Der Zufall, daß einer der Gerichtsdiener alles tut, und der andere nichts tut, kommt auf dem platten Lande bei Friedensgerichten häufig vor.

»Es eilt also?« fragte Tonsard den Vater Brunet.

»Was wollt Ihr? Ihr plündert den Mann ja auch zu sehr aus, er verteidigt sich,« antwortete der Gerichtsdiener. »Alle Eure Sachen werden übel auslaufen, die Regierung wird sich dreinmischen!«

»Wir Unglücklichen sollen also krepieren?« fragte die Tonsard und bot dem Gerichtsdiener ein kleines Glas auf einem Teller an.

»Die Unglücklichen können krepieren, man wird an ihnen niemals Mangel haben,« sagte Fourchon sententiös.

»Ihr verwüstet die Wälder aber auch zu sehr!« erwiderte der Gerichtsdiener.

»Glauben Sie doch das nicht, Monsieur Brunet; gehen Sie, man schlägt einiger elender Reisigbündel wegen allzu großen Lärm!« sagte die Tonsard.

»Man hat die Reichen in der Revolutionszeit nicht genug rasiert; das ist alles!« bemerkte Tonsard.

In diesem Augenblick hörte man einen Lärm, der schrecklich war, weil man ihn sich nicht erklären konnte. Der Galopp zweier rasender Füße, vermischt mit einem Waffengeklirr, übertönte ein Krachen von Blättern und Zweigen, die von noch schnelleren Füßen gezogen wurden. Zwei Stimmen, die ebenso verschieden waren wie die beiden Galoppe, stießen kreischende Ausrufe aus. Alle Leute in der Wirtschaft errieten die Verfolgung eines Mannes und die Flucht eines Weibes, doch aus welchem Anlasse? . . . Die Ungewißheit sollte nicht lange währen.

»Das ist die Mutter,« sagte Tonsard, sich aufreckend, »ich erkenne sie an ihrem Mundwerk!«

Und plötzlich, nachdem sie die elenden Stufen des »Grand-I-vert« mit einer letzten Anstrengung erklommen hatte, deren Energie man nur bei Schmugglerkniekehlen antrifft, fiel die alte Tonsard, alle viere von sich streckend, mitten in die Schenke. Die ungeheure Holzschicht ihres Bündels machte einen furchtbaren Lärm, da sie krachend oben gegen Tür und Decke stieß. Alles war beiseite gesprungen. Die Tische, Flaschen und Stühle, die im Bereiche der Zweige standen, flogen auseinander. Das Gepolter würde nicht so groß gewesen sein, wenn die Hütte eingestürzt wäre.

»Gleich bin ich tot! Der Schuft hat mich getötet!«

Der Schrei, die Handlung und das Laufen des alten Weibes klärten sich auf durch das Erscheinen eines Wächters auf der Schwelle. Dieser war ganz in grünes Tuch gekleidet, trug einen mit Silberschnüren bordierten Hut, den Säbel an der Seite, das lederne Wehrgehenk mit dem Wappen Montcornets und dem der Troisvilles vereint, eine rote Ordonnanzweste und bis zum Knie reichende Ledergamaschen.

Nach einem Moment des Zauderns sagte der Wächter, als er Brunet und Vermichel sah:

»Ich habe Zeugen!«

»Wofür?« fragte Tonsard.

»Das Weib hat in ihrer Traglast eine zehnjährige in Knüppel geschnittene Eiche . . . ein wahres Verbrechen!«

Sobald das Wort Zeugen gefallen war, hielt es Vermichel für besser, im Hofraume frische Luft zu schöpfen.

»Wofür! . . . Wofür! . . .« fragte Tonsard, indem er sich vor dem Wächter aufpflanzte, während die Tonsard ihre Schwiegermutter aufrichtete; »willst du machen, daß du fortkommst, Vatel? . . . Nimm zu Protokoll und packe Leute auf der Straße, da bist du zu Hause, Schurke; aber mach' hier, daß du raus kommst! Mein Haus gehört mir ja wohl; jeder ist Herr in seinem Hause! . . .«

»Sie ist auf frischer Tat ertappt worden; deine Mutter hat mir zu folgen!«

»Meine Mutter bei mir verhaften? Dazu hast du nicht das Recht. Meine Wohnung ist unverletzlich, so viel weiß man wenigstens . . . Hast du einen Befehl von Monsieur Guerbet, unserem Untersuchungsrichter? Hah! man muß ein Recht haben, um hier einzudringen. Du gehörst nicht zum Gericht, obwohl du vorm Tribunal geschworen hast, uns vor Hunger krepieren zu lassen, elender Waldspürhund du!«

Die Wut des Wächters war bei einem solchen Paroxysmus angelangt, daß er sich des Bündels bemächtigen wollte; die Alte aber, ein furchtbares, mit Bewegung begabtes schwarzes Pergament, wie man seinesgleichen nur auf Davids Sabinerinnenbilde sieht, schrie ihm zu:

»Rühr's nicht an, oder ich springe dir in die Augen!«

»Schön, wagt es, das Bündel in Monsieur Brunets Anwesenheit aufzumachen,« sagte der Wächter.

Obwohl der Gerichtsdiener jene gleichgültige Miene affektierte, welche die Gewohnheit der Geschäfte öffentlichen Beamten verleiht, machte er doch nach der Wirtin und ihrem Ehemanne hin jenes Augenblinzeln, das soviel wie »Böse Sache« bedeutet. Der alte Fourchon wies seine Tochter mit dem Finger auf den Aschenhaufen im Kamin hin. Die Tonsard, welche an dieser bezeichnenden Geste die Gefahr ihrer Schwiegermutter und zugleich ihres Vaters Rat begriff, nahm eine Handvoll Asche und warf sie dem Wächter in die Augen. Vatel hub zu brüllen an, Tonsard, erleuchtet von all dem Lichte, das der Wächter verlor, stieß ihn rauh auf die elenden, äußeren Stufen hinaus, wo die Füße eines Blinden so leicht stolpern mußten, daß Vatel bis auf die Straße rollte, und dabei seine Büchse fallen ließ. In einem Moment wurde das Bündel aufgemacht, die grünen Scheite herausgezogen und mit einer Schnelligkeit versteckt, die kein Wort wiederzugeben vermag. Da Brunet nicht Zeuge dieser von ihm vorausgesehenen Handlung sein wollte, stürzte er sich auf den Wächter, um ihn aufzuheben. Er setzte ihn auf die Böschung und ging und tauchte sein Schnupftuch ins Wasser, um die Augen des Patienten zu waschen, der trotz seiner Schmerzen sich nach dem Bache hinzuschleppen suchte.

»Sie sind im Unrecht, Vatel,« sagte der Gerichtsdiener; »Sie haben nicht das Recht, in die Häuser zu gehn; sehen Sie . . .«

Die Alte, ein kleines, fast buckliges Weib, ließ so viele Blitze aus ihren Augen wie Beleidigungen aus ihrem zahnlosen und schaumbedeckten Munde schießen. Sie stand auf der Türschwelle, die Fäuste in die Hüften gestemmt und schrie, daß man sie in Blangy hätte hören können:

»Ha! Du Schuft! Das ist dir recht geschehen. Fort! Daß die Hölle dich verschlucke! Mich verdächtigen, Bäume abzuschneiden! Mich, die ehrenwerteste Frau im Dorfe, und mich wie ein bösartiges Tier jagen! Ich möchte dich deine verfluchten Augen verlieren sehn; da würde das Land seine Ruhe wiederkriegen. Ihr seid alle Unglücksbringer, du und deine Gefährten, die ihr uns Ruchlosigkeiten unterschiebt, um zum Krieg zwischen Euren Herrn und uns zu hetzen! . . .«

Der Wächter ließ sich die Augen von dem Gerichtsdiener reinigen, der ihm, indem er sie ihm kühlte, immer wieder auseinandersetzte, daß er mit Recht zu tadeln sei!

»Die Vettel! Sie hat uns auf den Hund gebracht,« sagte Vatel endlich, »seit heute nacht ist sie im Walde.«

Da jedermann eifrig Hand mit angelegt hatte bei dem Verstecken des abgeschnittenen Baumes, waren die Dinge in der Schenke bald wieder in Ordnung gebracht; Tonsard trat dann mit einer schroffen Miene in die Tür:

»Vatel, mein Söhnchen, wenn du dir noch einmal herausnimmst in mein Haus einzubrechen, wird dir meine Büchse die Antwort drauf geben,« sagte er, »heute hast du Asche gekriegt; anderen Tages könntest du gut das Feuer zu sehen bekommen. Du verstehst dich nicht auf dein Handwerk . . . Nach allem wird's dir jetzt heiß sein; wenn du ein Glas Wein willst, so ist's dir hiermit angeboten; du könntest dann sehen, daß das Bündel meiner Mutter nicht einen Splitter verdächtigen Holzes enthält, es ist alles Gestrüpp!«

»Kanaille! . . .« sagte zum Gerichtsdiener ganz leise der Wächter, dessen Herz von dieser Ironie lebhafter getroffen wurde als seine Augen von der Asche.

In diesem Moment erschien Charles, der Lakai, der vorhin erst nach Blondet ausgeschickt worden war, an der Pforte des »Grand-I-Vert«.

»Was haben Sie denn, Vatel?« fragte der Diener den Wächter.

»Ach,« antwortete der Jagdaufseher, sich die Augen abtrocknend, die er ganz offen in den Bach getaucht hatte, um sie vollends zu säubern, »ich hab' hier Schuldner, und sie sollen den Tag verfluchen, an dem sie das Licht der Welt erblickt haben.«

»Wenn Sie es so verstehen, Monsieur Vatel,« sagte Tonsard kalt, »werden Sie merken, daß wir in Burgund keine Angst in den Knochen verspüren!«

Vatel verschwand. Wenig begierig auf des Rätsels Auflösung, blickte Charles in die Schenke:

»Kommt ins Schloß, Ihr und Eure Otter, wenn Ihr eine habt,« sagte er zum Vater Fourchon.

Der Alte erhob sich schnell und folgte Charles.

»Nun, wo steckt sie denn, die Otter?« fragte Charles, ungläubig lächelnd.

»Hier,« sagte der alte Seiler und ging an die Thune.

Das ist der Name des Baches, der die Mühle und den Park von Les Aigues mit einer Ueberfülle von Wasser versorgte. Die Thune fließt die ganze Bezirksstraße entlang bis nach dem kleinen Soulanger See, den sie durchströmt, und von wo aus sie wieder der Avonne zueilt, nachdem sie die Mühlen und die Gewässer des Schlosses von Soulanges gespeist hat.

»Da, ich hab' sie an der Straße nach Les Aigues mit einem Stein um ihren Hals versteckt!«

Als der Alte sich bückte und wieder aufrichtete, fühlte er das Hundertsousstück in seiner Tasche nicht mehr, wo das Metall so wenig zu finden war, daß er ebensogut fühlen mußte, ob sie leer oder gefüllt war.

»Ach, die gemeinen Biester,« schrie er, »wenn ich auf Ottern Jagd mache, jagen sie den Schwiegervater. . . . Sie nehmen mir alles, was ich noch verdiene, und sagen, es geschähe zu meinem Besten. Oh, ich glaube, daß es sich um mein Bestesunübersetzbares Wortspiel mit bien (Bestes) und bien (Gut). handelt! Wenn nicht mein armer Mouche da wäre, der der Trost meiner alten Tage ist, würde ich ins Wasser gehen. Kinder sind der Ruin der Väter! – Sie sind nicht verheiratet, Monsieur Charles? Heiraten Sie niemals, dann brauchen Sie sich auch nicht vorwerfen, schlechten Samen gesät zu haben! . . . Ich, ich glaubte mir Flachs kaufen zu können und schon ist er versponnen, mein Flachs! . . . Der Herr da, der so höflich ist, hatte mir zehn Franken geschenkt; nun gut, meine Otter ist jetzt schön teuer geworden.«

Charles mißtraute Vater Fourchon dermaßen, daß er die dieses Mal recht aufrichtigen Klagen für die Vorbereitung zu dem hielt, was man im Geschäftsstil eine »Couleur« nennt, und beging den Fehler, seine Meinung in einem Lächeln durchblicken zu lassen, das der boshafte Alte auffing.

»Nun hört, Vater Fourchon, Haltung, he, Ihr sollt mit Madame sprechen,« sagte Charles, als er eine ziemliche Menge funkelnder Rubine auf der Nase und den Backen des Alten erblickte.

»Ich weiß Bescheid, Charles: als Beweis möge dienen, daß ich, wenn du mich im Dienerzimmer mit den Frühstücksresten und einer oder zwei Flaschen spanischen Weins bewirten willst, dir drei Worte sagen will, die dir eine Tracht Prügel ersparen werden! . . .«

»Sprecht, und François soll Befehl von Monsieur erhalten, Euch ein Glas Wein zu geben,« antwortete der Lakai.

»Bestimmt?«

»Bestimmt!«

»Also schön; du schwatzst immer mit meiner Enkelin Cathérine unter dem Bogen der Avonnebrücke; Godain ist in sie verliebt; er hat euch gesehen und besitzt die Dummheit, eifersüchtig zu sein . . . Ich sage: die Dummheit, denn ein Bauer darf keine Gefühle hegen, die nur reichen Leuten erlaubt sind. Wenn du also am Festtage von Soulanges ins Tivoli gehst, um mit ihr zu tanzen, wirst du mehr tanzen, als du möchtest! . . . Godain ist geizig und bösartig, er ist im Stande, dir den Arm zu zerbrechen, ohne daß du ihm was anhaben kannst . . .«

»Das wäre zu teuer bezahlt! Cathérine ist ein schönes Mädchen, das aber ist sie denn doch nicht wert. Und warum ärgert Godain sich nur so? Die anderen ärgern sich nicht!«

»Ach, er liebt sie so, daß er sie heiraten will . . .«

»Und sie wird dann verprügelt werden! . . .« sagte Charles.

»Das kommt noch drauf an,« entgegnete der Alte, . . . »sie schlägt nach ihrer Mutter, gegen die Tonsard nicht die Hand aufgehoben hat, so sehr hatte er Bange, sie den Fuß aufheben zu sehen! Ein Weib, das sich zu rühren weiß, das ist was wert . . . Und überdies würde Godain, obwohl er stark ist, wenn er mit Cathérine ins Handgemenge käme, nicht das letzte Wort behalten . . .«

»Halt, Vater Fourchon, hier sind vierzig Sous, vertrinkt sie auf meine Gesundheit, falls wir keinen Wein von Alicante nippen können!«

Als Vater Fourchon das Stück einsteckte, wandte er seinen Kopf ab, damit Charles nicht einen Ausdruck von Freude und Ironie, den er sich unmöglich verkneifen konnte, zu sehen bekäme.

»Cathérine,« fing der Alte wieder an, »ist eine tüchtige Hure; sie liebt den Malaga, man muß ihr sagen, sie solle sich welchen von Les Aigues holen, du Dummkopf!«

Charles sah Vater Fourchon mit einer naiven Bewunderung an, ohne das ungeheure Interesse ergründen zu können, das des Generals Feinde daran hatten, einen Spion mehr ins Schloß sich einschleichen zu lassen.

»Der General muß doch glücklich sein?« fragte der Alte, »die Bauern sind jetzt sehr ruhig. Was sagt er darüber? Ist er immer mit Sibilet zufrieden?«

»Nur Monsieur Michaud peinigt den Monsieur Sibilet; wie es heißt, soll er fortgeschickt werden!«

»Brotneid!« erwiderte Fourchon. »Ich wette, du möchtest auch François gern verabschiedet sehen und an seiner Stelle erster Kammerdiener werden?«

»Verflucht, er kriegt zwölfhundert Franken,« sagte Charles, »doch kann man ihn nicht wegjagen, er kennt des Generals Geheimnisse . . .«

»Wie Madame Michaud die der Frau Gräfin kannte!« antwortete Fourchon, indem er Charles bis in die Augen hinein belauerte. »Laß hören, lieber Junge, weißt du, ob Monsieur und Madame jeder sein Zimmer für sich haben?«

»Donnerwetter, ohne das würde Monsieur Madame wohl nicht so hitzig lieben,« sagte Charles.

»Mehr weißt du nicht davon?« fragte Fourchon.

Man mußte den Mund halten, Charles und Fourchon befanden sich vor den Küchenfenstern.


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