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An Monsieur Nathan.
Les Aigues, den 6. August 1823.
Dich, der du dem Publikum köstliche Träume mit deinen Phantasien verschaffst, mein lieber Nathan, will ich mit Wahrem träumen lassen. Du sollst mir sagen, ob das gegenwärtige Jahrhundert ähnliche Träume den Nathans und Blondets von 1923 hinterlassen wird! Den Abstand sollst du ausmessen, der zwischen uns und der Zeit besteht, wo die Florinen des XVIII. Jahrhunderts bei ihrem Erwachen ein Schloß wie Les Aigues in einem Vertrage fanden.
Wenn du, mein Allerteuerster, meinen Brief am Morgen erhältst, siehst du da von deinem Bett aus, etwa fünfzig Meilen von Paris, am Rande von Burgund, an einer großen Staatsstraße, zwei kleine Pavillons in roten Ziegeln, die durch ein grüngestrichenes Schutzgatter vereint oder getrennt sind? . . . Dort setzte die Schnellpost deinen Freund ab . . .
Auf jeder Seite der Pavillons schlängelt sich eine lebende Hecke, aus der Brombeerranken, ähnlich widerspenstigen Haaren, hervorstehen. Da und dort strebt ein Baumschößling hoch empor.
An der Grabenböschung netzen schöne Blumen ihre Wurzeln in einem stehenden, grünen Gewässer. Zur Rechten und zur Linken stößt die Hecke auf zwei hölzerne Pfeiler, und die prächtige Wiese, der sie als Einfriedigung dient, ist zweifelsohne irgendwann einmal durch Urbarmachen gewonnen worden. Bei diesen einsamen und staubigen Pavillons beginnt eine prächtige Allee von hundertjährigen Ulmen, deren Schirmkronen sich zueinander neigen und einen langen majestätischen Laubengang bilden. Gras wächst auf der Allee, kaum bemerkt man die von den doppelten Wagenrädern gezogenen Rillen. Das Alter der Ulmen, die Breite der beiden Seitenalleen, der ehrwürdige Anstrich der Pavillons, die braune Farbe der Steinverkettungen, alles kündet die Zugänge zu einem fast königlichen Schlosse an.
Vor der Ankunft bei diesem Eingangstor, oben von einer Anhöhe herab, die wir Franzosen reichlich selbstgefällig einen Berg nennen, und zu deren Füßen das Dorf Conches, die letzte Poststation, liegt, habe ich das lange Tal von Les Aigues erblickt, an dessen Ende die Hauptstraße sich nach rechts, nach der kleinen Unterpräfektur Ville-aux-Fayes wendet, wo der Neffe unseres Freundes des Lupeaulx thront. Unendliche Wälder, vor den Horizont gelagert, beherrschen auf einem weit sich hinstreckenden Hügel, an dem sich ein Fluß entlangschlängelt, das Tal, welches in der Ferne von den Bergen einer kleinen, der Morvan genannten, Schweiz eingerahmt wird. Diese dichten Wälder gehören zu Les Aigues, dem Marquis de Ronquerolles und dem Grafen de Soulanges, deren Schlösser und Parks, deren Dörfer, von weit weg und von oben gesehen, den phantastischen Landschaften des Sammet-Breughel Wahrscheinlichkeit verleihen.
Wenn diese Einzelheiten dir nicht alle Luftschlösser ins Gedächtnis zurückriefen, die du in Frankreich zu besitzen gewünscht, würdest du dieser Erzählung eines höchst erstaunten Parisers nicht wert sein. Endlich erfreue ich mich an einer Landschaft, wo die Kunst sich mit der Natur vermischt sieht, ohne daß eine durch die andere verdorben wird, wo die Kunst natürlich erscheint und wo die Natur künstlerisch ist. Ich habe die Oase angetroffen, von der wir so oft nach manchen Romanen geträumt haben: eine üppige und geschmückte Natur, Zufälle ohne Wirrwarr, etwas Unbekanntes, höchst Erstaunliches, Geheimnisvolles und Ungewöhnliches. Klettere über die Schranke und laß uns gehen.
Wenn mein neugieriges Auge die Allee, welche die Sonne nur bei ihrem Aufgange oder Untergehn durchdringt, indem sie sie mit ihren schrägen Strahlen zebraartig streift, hat übersehen wollen, ist mein Blick durch den Umriß, den eine Terrainerhöhung hervorruft, versperrt worden; hinter diesem Buckel jedoch wird die Allee durch ein kleines Gehölz durchschnitten und wir befinden uns an einem Kreuzweg, in dessen Zentrum ein Steinobelisk, einem ewigen Ausrufungszeichen völlig ähnlich, sich erhebt. Zwischen den Steinlagen dieses Monuments, das in einer Stachelkugel (welch eine Idee!) endigt hängen je nach der Jahreszeit einige purpurfarbige oder gelbe Blumen. Wahrlich, les Aigues ist von einer Frau oder für eine Frau erbaut worden; ein Mann hätte keine so koketten Ideen gehabt; der Baumeister hat sich nach Angaben gerichtet.
Nachdem ich dies gleichsam Wache haltende Gehölz durchschritten, bin ich in einer köstlichen Bodenfalte angelangt, durch die ein Bach plätschert, den ich auf einer Brücke aus prächtig gefärbten moosigen Steinen, dem hübschesten von der Zeit geschaffenen Mosaik, überschritten habe. Die Allee zieht sich hinter dem Wasserlauf einen sanften Abhang hinauf. Von ferne zeigt sich das erste Bild: eine Mühle mit ihrem Wehr, ihrem Damm und seinen Bäumen, ihren Enten, ihrer ausgebreiteten Wäsche, ihrem mit Stroh bedeckten Dach, ihren Netzen und ihrem Fischkasten, ohne eines Müllerburschen zu gedenken, der mich bereits aufmerksam betrachtet. An welcher Stelle ihr auch auf dem Lande seid, und wenn ihr euch dort allein glaubt, ihr seid das Ziel zweier offener Augen unter einer Baumwollmütze; ein Arbeiter läßt seine Hacke, ein Winzer richtet seinen krummen Rücken auf, eine kleine Ziegen-, Kuh- oder Schafhirtin klettert in eine Weide, um euch zu belauern.
Bald verwandelt sich die Anfahrt in eine Akazienallee, die nach einem Gitter aus der Zeit führt, wo das Schlosserhandwerk jene luftigen Filigrane arbeitete, die den schnörkeligen Zügen in der Schreibvorschrift eines Schreiblehrers nicht übel gleichen. Auf jeder Seite des Gitters zieht sich eine Wolfsgrube hin, deren Doppelkappe mit den drohendsten Lanzen und Pfeilen und mit wahren eisernen Igeln verziert ist. Dies Gitter ist übrigens von zwei Pförtnerpavillons eingerahmt, ähnlich denen des Versailler Schlosses, und von Vasen von kolossalen Formen gekrönt. Das Gold der Arabesken ist rot geworden, der Rost hat seine Farben darein gemischt; dies Tor aber, welches das Alleetor heißt und die Hand des großen Dauphins offenbart, dem Les Aigues es zu verdanken hat, ist mir darum nur noch schöner erschienen. An der Ecke jeder Wolfsgrube beginnen Mauern ohne Bewurf, wo die Steine, die mit einem Mörtel von rötlicher Farbe eingefügt sind, ihre vielfachen Farben: das leuchtende Gelb des Kiesels, das Weiß der Kreide, das Braunrot des Mühlenkalksteins und die launischsten Formen zeigen. Anfangs ist der Park finster, seine Mauern sind unter Schlinggewächsen, hinter Bäumen verborgen, die seit fünfzig Jahren nicht die Axt gehört haben. Man möchte ihn einen Wald nennen, der durch ein ausschließlich den Wäldern vorbehaltenes Phänomen wieder jungfräulich geworden ist. Die Stämme sind von Lianen eingehüllt, die übereinander wegranken. Misteln von einem leuchtenden Grün hängen in allen Astgabelungen, wo Feuchtigkeit haften bleiben konnte. Ich habe den riesigen Efeu, die wilden Laubwerkverzierungen wiedergefunden, die es nur fünfzig Meilen fern von Paris geben kann, dort, wo der Grund und Boden nicht so teuer ist, daß man mit ihm haushalten muß. Eine so aufgefaßte Landschaft beansprucht viel Terrain. Dort also ist nichts gepflegt, ist der Rechen unbekannt, die Wagenspur voll Wasser, dort legt der Frosch ruhig seinen Laich, die schönsten Waldblumen sprießen dort, und die Heide ist dort ebenso schön wie die, welche ich im Januar auf deinem Kamine in dem schönen Cachepot, den dir Florine brachte, hab' stehen sehen. Diese Heimlichkeit berauscht einen und flößt vage Begierden ein. Die Waldgerüche, die angebeteten Düfte poesieliebender Seelen, welchen die harmlosesten Moosarten, die giftigsten Kryptogamen, der feuchte Erdboden, die Weiden, die Minze, der Quendel, die grünen Gewässer einer Lache und der runde Stern der gelben Seerosen gefallen: alle die kräftigen Befruchtungen boten sich dem Geruch meiner Nüstern, indem sie mir alle einen Gedanken, ihre Seele vielleicht, gaben. Ich dachte dann an ein rosa Kleid, das durch diese sich krümmende Allee wogte.
Die Allee endigte jäh mit einem letzten Strauß, worin die Birken, die Pappeln und alle die bebenden Bäume zitterten, eine intelligente Familie mit graziösen Stämmen, eleganter Haltung, die Bäume der freien Liebe! Von da aus, mein Lieber, hab' ich einen Teich gesehen, bedeckt mit Nymphäen, mit Pflanzen mit breiten, ausgespannten Blättern oder kleinen schmalen Blättern, auf welchem ein weiß und schwarz bemaltes Boot moderte, kokett wie die Schaluppe eines Seinebootführers und leicht wie eine Nußschale. Jenseits erhebt sich ein 1560 signiertes Schloß in Ziegeln von einem schönen Rot mit Lisenen aus Haustein und Einfassungen an den Mauerecken und den Fenstern, die noch aus kleinen Scheiben bestehen. (Versailles!) Der Stein ist in vertiefter Diamantrustika behauen wie am Herzogspalast in Venedig an der Fassade der Seufzerbrücke. Das Schloß ist nur im Mittelbau regelmäßig, von dem eine stolze Rampe mit zwei gebogenen Treppen mit runden, an ihrem Fuße schlanken und nach oben zu anschwellenden Balustern herabsteigt. Dieses Hauptgebäude ist flankiert von Glockentürmchen, wo die Bleiarbeit ihre Blumen aufweist, von modernen Pavillons mit Galerien und mehr oder weniger griechischen Vasen. Da, mein Teurer, herrscht keine Symmetrie. Diese zufällig zusammengefügten Nester sind wie umhüllt von einigen immergrünen Bäumen, deren Laubwerk seine tausend braunen Geschosse auf die Dächer schüttelt, welche mit Moosen bewachsen und von schönen Lazerten belebt sind, an denen sich das Auge erfreut. Da gibt's die rotrindige Pinie Italiens mit ihrem majestätischen Schirmdach, da gibt's eine zweihundertjährige Zeder, Trauerweiden, eine nordische Tanne, eine Buche, die sie überragt, dann vor dem Hauptturm die eigenartigsten Sträucher: einen gestutzten Eibenbaum, der an irgendeinen alten zerstörten französischen Garten erinnert, Magnolien, und Hortensien zu ihren Füßen, kurz die Invaliden unter den Heroen der Gartenkunst, die abwechselnd Mode waren und vergessen sind wie alle Heroen.
Ein Schornstein mit originellen Skulpturen, aus dem in einer Ecke große Rauchschwaden emporwirbeln, vergewisserte mich, daß dies köstliche Bild keine Operndekoration war. Die Küche deutete auf Lebewesen hin. Siehst du mich, mich, Blondet, der ich in Polarregionen zu sein glaube, wenn ich in Saint-Cloud weile, inmitten dieser heißen Burgunderlandschaft?
Die Sonne strahlt ihre stechendste Hitze aus, der Eisvogel sitzt am Rande des Teichs, die Zikaden schrillen, die Grille zirpt, die Kapseln irgendwelcher Körnerfrucht springen auf, der Mohn läßt sein Morphium in flüssigen Tränen ausschwitzen und alles hebt sich klar von dem dunklen Blau des Aethers ab. Ueber den rötlichen Erdflächen der Terrasse verzittern die heiteren Dämpfe dieses natürlichen Punsches, der die Insekten und Blumen berauscht, der uns in den Augen brennt und die Gesichter bräunt. Längs dem Hause endlich strahlen blauer Rittersporn, aurorafarbener Kapuziner und wohlriechende Wicken. Einige ferne Tuberosen und Orangenbäume durchduften die Luft. Nach der poetischen Ausdünstung der Bäume, die mich darauf vorbereitet, kommen die aufreizenden Räucherkerzen dieses botanischen Serails. Oben auf der Plattform siehst du endlich als Königin der Blumen eine Frau in Weiß und mit bloßem Kopfe, unter einem doppelten Sonnenschirme von weißer Seide, doch weißer als die Seide, weißer als die Lilien zu ihren Füßen, weißer als die gestirnten Jasminblüten, die sich keck in die Balustraden flechten, eine in Rußland geborene Französin, die zu mir sagte: »Ich hoffte nicht mehr auf Sie.« Seit der Wegbiegung hatte sie mich gesehen. Mit welcher Vollendung verstehen sich doch alle Frauen, selbst die naivsten auf das Sich-in-Szene-setzen! Das Geräusch der mit Servieren beschäftigten Leute kündigte mir an, daß man mit dem Frühstück bis zur Ankunft der Eilpost gewartet habe. Sie hatte nicht gewagt, mir entgegenzugehn.
Ist das nicht unser Traum, ist es nicht der aller Liebhaber des Schönen unter jeder Form, der seraphischen Schönheit, die Luini in der »Hochzeit der Jungfrau« seiner schönen Freske in Sarono gegeben, der Schönheit, die Rubens für sein Handgemenge in der »Schlacht am Thermodon« gefunden hat, der Schönheit, die fünf Jahrhunderte in den Kathedralen von Sevilla und Mailand verarbeiteten, der Schönheit der Sarazenen in Granada, der Schönheit Ludwigs XIV. zu Versailles, der Schönheit der Alpen und der Schönheit der Limagne?
Zu dieser Besitzung, die nichts allzu Fürstliches, nichts allzu Finanzmännliches aufweist, wo aber Fürst und Generalpächter gehaust haben, was zu ihrer Erklärung dient, gehören zweitausend Hektar Wald, ein Park von neunhundert Arpents, die Mühle, drei Meiereien, ein umfangreiches Pachtgut in Conches und Weinberge, die zusammen ein Einkommen von zweiundsiebzigtausend Franken einbringen müßten. Das ist Les Aigues, mein Lieber, wo man mich seit zwei Jahren erwartet, und wo ich mich in diesem Augenblick in dem persischen Zimmer befinde, das für intime Freunde bestimmt ist.
Oben im Park, nach Conches hin, fließen ein Dutzend klarer, durchsichtiger Quellen, die vom Morvan kommen und sich alle in den Teich ergießen, nachdem sie mit ihren flüssigen Bändern sowohl den Park als auch seine herrlichen Gärten geschmückt haben. Der Name Les Aigues (die Gewässer) stammt von diesen reizenden Wasserläufen. Man hat das Wort Vives (lebendige) fortgelassen, denn in alten Urkunden heißt der Besitz Les Aigues-Vives im Gegensatz zu Les Aigues-Mortes. Der Teich gibt seine Fluten dem Wasserlauf der Allee durch einen breiten, geraden Kanal ab, der in seiner ganzen Länge mit Hängeweiden bestanden ist. Dieser so geschmückte Kanal bringt eine köstliche Wirkung hervor. Wenn man dort auf einer Bank der Schaluppe sitzend rudert, meint man in dem Schiff einer weiten Kathedrale zu sein, deren Chor durch die Hauptgebäude gebildet wird, die sich an seinem Ende befinden. Wenn die scheidende Sonne ihre von Schatten unterbrochenen Orangetinten auf das Schloß wirft und das Glas der Fenster anzündet, kommt es einem vor, wie wenn man schimmernde Kirchenfenster sähe. Am Ende des Kanals erblickt man Blangy, den Hauptort der Gemeinde, der etwa sechzig Häuser umfaßt, mit einer Dorfkirche, das heißt einem schlecht in Stand gehaltenen Hause, das ein hölzerner Glockentum ziert, welcher ein Dach mit zerbrochenen Ziegeln trägt. Man unterscheidet dort ein Bürger- und ein Pfarrhaus. Die Gemeinde ist übrigens ziemlich groß und setzt sich aus zweihundert anderen zerstreut liegenden Feuerstätten zusammen, denen dieser kleine Marktflecken als Hauptort dient. Diese Gemeinde ist da und dort in kleine Gärten geteilt; die Wege sind durch Obstbäume bezeichnet. Die Gärten, richtige Bauerngärten, besitzen alles: Blumen, Zwiebeln, Kohlsorten und Rebengeländer, Johannisbeersträucher und viele Misthaufen. Das Dorf erscheint unberührt; es ist bäuerlich; es besitzt die geschmückte Einfachheit, die von Malern so gesucht wird. In der Ferne endlich sieht man die kleine Stadt Soulanges, die wie ein Bauwerk des Thunersees am Ufer eines großen Teiches liegt.
Wenn ihr in diesem Parke spazierengeht, der vier Tore hat, jedes in einem köstlichen Stil, wird auch das mythologische Arkadien für euch fade wie die Beauce. Arkadien liegt in Burgund und nicht in Griechenland. Arkadien ist in Les Aigues und nicht anderswo. Ein Fluß, durch die Vereinigung von Bächen gebildet, durchschneidet den Park in seinem niedrigen Teile in Schlangenlinie und verleiht hier eine erfrischende Stille und eine Einsamkeit, die einen um so viel mehr an Kartausen denken läßt, als sich dort auf einer künstlichen Insel eine richtig zerstörte Kartause befindet, mit einem eleganten Inneren, das würdig des wollüstigen Finanzmanns ist, der sie hat bauen lassen. Les Aigues, mein Lieber, haben jenem Bouret gehört, der zwei Millionen verschwendete, um Ludwig XV. einmal bei sich zu empfangen. Wie viele stürmische Leidenschaften, vornehme Geister und glückliche Umstände haben wohl dazu gehört, um diesen schönen Ort zu schaffen? Eine Maitresse Heinrichs IV. hat das Schloß wiederaufgebaut, wo es jetzt steht, und den Wald damit verbunden. Die Favoritin des großen Dauphins, Mademoiselle Choin, der Les Aigues geschenkt wurde, hat es um einige Meierhöfe vermehrt. Bouret hat um einer Opernberühmtheit willen im Schlosse all die Gesuchtheiten der Pariser Petites Maisons angebracht. Les Aigues verdankt Bouret die Restauration des Erdgeschosses im Stile Ludwigs XV.
Starr stand ich da, als ich den Speisesaal bewunderte. Zuerst werden die Augen von dem im italienischen Freskenstil bemalten Plafond angezogen, auf dem die närrischsten Arabesken schweben. Stuckweiber, die in Blattwerk endigen, stützen von Zwischenraum zu Zwischenraum Fruchtkörbe, welche bis ins Laubwerk der Decke reichen. In den Feldern zwischen jedem Weibe stellen wundervolle, von irgendwelchen unbekannten Künstlern geschaffene Gemälde die Herrlichkeiten der Tafel dar: Lachse, Eberköpfe, Muscheltiere, kurz, all die eßbare Welt, die durch phantastische Aehnlichkeiten an Männer, Frauen und Kinder erinnern, und die mit den bizarrsten Phantasien Chinas wetteifert, dem Lande, wo man sich meiner Meinung nach am besten auf das Dekor versteht. Unter ihrem Fuße findet die Hausherrin ein Läutwerk, um die Dienerschaft zu rufen, damit sie nur im gewünschten Augenblicke erscheint, ohne jemals eine Unterhaltung zu unterbrechen oder eine Körperhaltung zu stören. Die Supraporten stellen wollüstige Szenen dar. Der Saal wird von unten geheizt. Von jedem Fenster aus hat man einen köstlichen Blick.
Auf der einen Seite steht dieser Saal mit einem Badesaal, auf der anderen mit einem Boudoir in Verbindung, durch das man in den Salon gelangt. Der Badesaal ist mit grau in grauen Sèvreskacheln bekleidet. Der Boden ist Mosaikarbeit und die Badewanne besteht aus Marmor. Ein Alkoven, der durch ein auf Kupfer gemaltes Bild kaschiert ist, welches durch ein Gegengewicht hochgeschoben wird, enthält ein Ruhebett aus vergoldetem Holz im schönsten Pompadourstil. Die Decke besteht aus goldgestirntem Lazurstein. Die einfarbigen Gemälde sind nach Bildern von Boucher gefertigt. So sind Bad, Tafel und Liebe vereinigt.
Aus dem Salon, der, mein Lieber, allen Prunk des Louis XIV. Stiles aufweist, gelangt man in einen Billardsaal, der in Paris nicht seinesgleichen hat. Den Eingang zu diesem Erdgeschoßraum bildet ein halbrundes Vorzimmer, in dessen Tiefe man die koketteste der Treppen eingebaut hat, die von oben beleuchtet wird und nach den in verschiedenen Epochen erbauten Räumlichkeiten führt. Man hat Generalpächtern im Jahre 1793 den Hals abgeschnitten, mein Lieber! Mein Gott, warum begreift man denn nicht, daß die Wunder der Kunst in einem Lande ohne große Vermögen, ohne gesicherte große Existenzen unmöglich sind? Wenn die Linke die Könige durchaus töten will, soll sie uns doch einige kleine Fürsten lassen, die groß sind wie nichts!
Heute gehören diese aufgehäuften Reichtümer einer kleinen, künstlerisch veranlagten Frau, die, nicht zufrieden damit, sie prachtvoll restauriert zu haben, sie auch liebevoll pflegt. Angebliche Philosophen, die sich damit beschäftigen, indem sie sich die Miene geben, sich mit der Menschheit zu beschäftigen, nennen diese schönen Dinge Extravaganzen. Sie geraten außer sich vor den Kalikofabriken und den platten Erfindungen der modernen Industrie, wie wenn wir heute größer und glücklicher wären als zur Zeit Heinrichs IV., Ludwigs XIV. und Ludwigs XV., die Les Aigues das Siegel ihrer Herrschaft aufgedrückt haben. Welchen Palast, welches königliche Schloß, welche Häuser, welche schönen Kunstwerke, welche Goldbrokatstoffe hinterlassen wir? Die Unterröcke unserer Großmütter sind heute sehr gesucht als Bezüge für unsere Sessel. Wir Nutznießer, Egoisten und Geizhälse machen alles dem Erdboden gleich und pflanzen Kohl, wo die Wunder standen. Gestern ist der Pflug über Persan hinweggegangen, eine herrliche Domäne, die einer der reichsten Pariser Parlamentsfamilien den Namen gab; der Hammer hat Montmorency demoliert, das einen der Italiener aus Napoleons Umgebung Unsummen gekostet hat; endlich le Val, eine Schöpfung Regnaud de Saint-Jean-d'Angélys; das für eine Maitresse des Prinzen de Conti erbaute Cassan, alles in allem, vier königliche Behausungen hat man allein im Oisetal zerstört. Wir bereiten um Paris herum die Campagna Roms, für den Tag nach einer Verwüstung, deren Sturm vom Norden her über unsere Gipsschlösser und unsere Ornamente aus Dachpappe dahinfegen wird . . .
Du siehst, mein Bester, wohin uns die Gewohnheit führt, in einem Journale langweilige Artikel zu schreiben: das hier ist doch eine Art Artikel. So hätte denn der Geist seine Radspuren wie die Wege? Ich halte ein, denn ich beraube meine Herrschaft, ich beraube mich selber, und ihr könntet gähnen. Morgen Fortsetzung. Ich höre den zweiten Glockenton, der zu einem jener üppigen Frühstücke ruft, deren Usus seit langem – für gewöhnlich versteht sich – in den Pariser Speisezimmern abhandengekommen ist.
Folgendes ist die Geschichte meines Arkadiens. Im Jahre 1815 starb in Les Aigues eine der berühmtesten »Unzüchtigen« des letzten Jahrhunderts, eine Sängerin, die von der Guillotine, der Aristokratie, den Literaturleuten und der Finanzwelt vergessen ward, nachdem sie es mit der Finanzwelt, den Literaturleuten und der Aristokratie gehalten und die Guillotine gestreift hatte. Vergessen wie sehr viele reizende alte Frauen, die ihre angebetete Jugend auf dem Lande sühnen, und ihre verlorene Liebe durch eine andere, den Mann durch die Natur ersetzen. Solche Frauen leben mit den Blumen, mit dem Duft des Holzes, mit dem Himmel, mit den Wirkungen der Sonne, mit allem, was singt, huscht, glänzt und treibt, den Vögeln, den Eidechsen, den Blumen und den Kräutern zusammen; sie wissen nichts davon, sie machen es sich nicht klar, aber sie lieben noch, sie lieben so gut, daß sie die Herzöge, die Marschälle, die Rivalitäten, die Generalpächter, ihre Narrheiten und ihren zügellosen Luxus, ihren Straßschmuck und ihre Diamanten, ihre Stöckelschuhe und ihre Schminke über den Annehmlichkeiten des Landlebens vergessen. Ich habe kostbare Auskünfte über das Alter der Mademoiselle Laguerre gesammelt, mein Lieber, denn das Alter der Mädchen, die Florine, Mariette, Suzanne du Val-Noble und Tullia gleichen, beunruhigte mich von Zeit zu Zeit, genau so wie ich nicht weiß, welch ein Kind sich darüber beunruhigte, was aus den alten Monden wurde.
Erschreckt über den Gang der öffentlichen Angelegenheiten, hatte Mademoiselle Laguerre sich 1790 in Les Aigues niedergelassen, das Bouret für sie erworben, der dort mehrere Sommer mit ihr verbracht hatte; das Los der du Barry hatte sie dermaßen zittern machen, daß sie ihre Diamanten vergrub. Damals war sie erst dreiundfünfzig Jahre alt, und nach ihrer Kammerfrau, die einen Gendarmen geheiratet hatte, einer Madame Soudry, war »Madame schöner denn je.« Zweifellos, mein Lieber, hat die Natur Gründe, um diese Art Geschöpfe als verwöhnte Kinder zu behandeln; anstatt sie zu töten, mästen, erhalten und verjüngen die Ausschweifungen sie. Unter einem lymphatischen Aussehn bestehen sie aus Nerven, die ihren wunderbaren Bau stützen; stets sind sie schön aus dem Grunde, der ein tugendhaftes Weib häßlich machen würde. Das Glück ist sicherlich nicht moralisch. Mademoiselle Laguerre hat dort in tadelloser Weise, und, sollte man nach ihrem berühmten Abenteuer nicht sagen: wie eine Heilige gelebt? Eines Abends flieht sie in Liebesverzweiflung aus der Oper in ihrem Theaterkostüm, eilt in die Felder und verbringt dort die Nacht weinend am Wegrande. (Man hat die Liebe zu Ludwigs XV. Zeiten doch verleumdet!) Sie war so wenig gewöhnt, Aurora erscheinen zu sehen, daß sie sie begrüßt, indem sie eine ihrer schönsten Arien singt. Durch ihre Pose ebensosehr wie durch ihren Flitterkram zieht sie die Bauern an, die, ganz erstaunt über ihre Gesten, ihre Stimme und ihre Schönheit, sie für einen Engel halten und um sie herum auf die Knie fallen. Ohne Voltaire würde man unter Bagnolet ein Wunder mehr gehabt haben. Ich weiß nicht, ob der liebe Gott das Mädchen für seine verspätete Tugend belohnen wird, denn die Liebe ist einer so liebesmüden Frau, wie es eine der Unkeuschen der alten Oper sein muß, sehr ekelhaft. Mademoiselle Laguerre war 1740 geboren, ihre beste Zeit war um 1760, als man Monsieur de . . . (der Name ist mir entfallen) wegen seiner Liebschaft mit ihr zum Ersten Commis de la guerre ernannte. Sie gab diesen auf dem Lande völlig unbekannten Namen auf und nannte sich dort Madame des Aigues, um sich auf ihrem Landsitze, den es ihr gefiel, in durchaus künstlerischem Geschmacke zu unterhalten, besser ducken zu können. Als Bonaparte erster Konsul wurde, arrondierte sie ihr Besitztum durch Kirchengüter, indem sie ihm den Erlös aus ihren Diamanten opferte. Da ein Opernmädchen sich nicht gerade darauf versteht, ihre Güter zu verwalten, hatte sie die Verwaltung ihres Besitztums einem Intendanten überlassen und beschäftigte sich nur mit ihrem Park, seinen Blumen und seinen Früchten.
Als Mademoiselle gestorben und in Blangy beerdigt worden war, stellte der Notar von Soulanges, dieser kleinen Stadt, die zwischen Ville aux Fayes und Blangy liegt, eine umfangreiche Inventur auf und entdeckte schließlich die Erben der Sängerin, die nichts von Erben wußte. Zwölf arme Landwirtsfamilien aus der Umgebung von Amiens, die auf Stroh schliefen, erwachten eines Morgens unter Goldbrokat. Man mußte versteigern. Les Aigues wurde damals von Montcornet erworben, der bei seinen Kommandos in Spanien und Pommern die für diese Erwerbung nötige Summe, eine Sache von etwa elfhunderttausend Franken, das Mobiliar inbegriffen, herausgewirtschaftet hatte. Stets sollte dieser schöne Platz dem Kriegsministerium gehören. Zweifelsohne hat der General die Einflüsse dieses wollüstigen Erdgeschosses verspürt und ich versicherte der Komtesse gestern, daß ihre Heirat durch Les Aigues bestimmt worden wäre.
Um die Komtesse, mein Lieber, richtig zu beurteilen, muß man wissen, daß der General ein hitziger Mann, von lebhaften Farben, fünf Fuß neun Zoll hoch, rund wie ein Turm, mit einem starken Hals und mit Schultern wie ein Schlosser ist, die einen Küraß stolz ausfüllen mußten. Montcornet hat die Kürassiere in der Schlacht bei Eßling, welche die Oesterreicher Groß-Aspern nennen, befehligt und ist dort nicht umgekommen, als die schönen Reiter gegen die Donau zurückgedrängt wurden. Er hat den Fluß auf einer großen Holzplanke zu Pferde überschreiten können. Als die Kürassiere die Brücke zerstört fanden, faßten sie auf Montcornets Ansprache den herrlichen Entschluß, kehrt zu machen und der ganzen österreichischen Armee Widerstand zu leisten, die am folgenden Morgen dreißig und einige Wagen voll Kürasse fortfuhr. Dieser Kürassiere wegen haben die Deutschen ein einziges Wort geschaffen, das soviel wie »Eisenmänner« bedeutet.
Grundsätzlich liebe ich Noten nicht; dies ist die erste, die ich mir erlaube. Ihr geschichtliches Interesse mag mir als Entschuldigung dienen. Ueberdies will sie beweisen, dass Schlachten anders zu schildern sind als durch die trockenen Definitionen technischer Schriftsteller, die uns seit dreitausend Jahren vom rechten oder linken Flügel und vom mehr oder minder eingedrückten Zentrum sprechen, vom Soldaten, seinem Heldentum und seinen Leiden aber nicht ein Wort erzählen. Die Gewissenhaftigkeit, mit der ich die »Szenen aus dem Soldatenleben« vorbereite, führte mich auf alle Schlachtfelder, die vom Blute Frankreichs und von dem der Fremden benetzt worden sind: ich wünschte also auch die Ebene von Wagram zu besuchen. Als ich an den Ufern der Donau gegenüber von Leoben anlangte, bemerkte ich am Flusse, wo ein feines Gras wächst, Wellenlinien, die den grossen Rillen von Luzernefeldern ähneln. Ich fragte, woher diese Feldeinteilung rühre, da ich an irgendeine Landwirtschaftsmethode dachte. »Dort«, sagte mir der Bauer, der uns als Führer diente, »schlafen die Kürassiere der kaiserlichen Garde; was Sie da sehen, sind ihre Gräber!« Diese Worte verursachten mir einen Schauder; der Prinz Friedrich von Schwarzenberg, welcher sie übersetzte, fügte hinzu, dass dieser Bauer den mit den Kürassen beladenen Wagenzug geleitet habe. Durch eine der im Kriege häufigen Seltsamkeiten hatte unser Führer Napoleon am Morgen der Schlacht von Wagram mit Frühstück versorgt. Obwohl arm, bewahrte er den Doppelnapoleon auf, den ihm der Kaiser für seine Milch und seine Eier geschenkt hatte. Der Pfarrer von Gross-Aspern führte uns nach dem berühmten Friedhof, wo die Franzosen und Oesterreicher sich bis an die Waden im Blute watend mit einem für beide Seiten gleich ruhmvollen Mute und Beharrlichkeit schlugen. Indem er uns erklärte, dass ein Marmortäfelchen, dem wir unsre ganze Aufmerksamkeit zuwandten, und auf dem man den Namen des am dritten Tage getöteten Besitzers von Gross-Aspern las, die einzige der Familie gewährte Belohnung bilde, sagte er zu uns mit einer tiefen Melancholie: »Es war die Zeit der grossen Unglücksfälle und es war die Zeit der grossen Versprechungen; heute aber herrscht die Zeit des Vergessens . . .« Ich fand diese Worte von einer herrlichen Einfachheit; doch indem ich darüber nachdachte, gab ich der augenscheinlichen Undankbarkeit des Hauses Oesterreich recht. Weder die Völker noch die Könige sind reich genug, um all die aufopfernden Taten zu belohnen, zu denen die äussersten Kämpfe Anlass geben. Leute, die einer Sache mit dem Hintergedanken der Belohnung dienen, schätzen ihr Blut und machen sich zu Condottieri! . . . Wer den Degen oder die Feder für sein Land führt, darf nur daran denken, wohlzutun, wie unsre Väter sagten, und nichts, nicht einmal den Ruhm anders denn als einen glücklichen Zufall annehmen.
Als er diesen berühmten Kirchhof zum dritten Male wiedererobern wollte, hielt Masséna, als er verwundet in ein Kabriolett getragen wurde, folgende herrliche Ansprache an seine Soldaten: »Wie, verfluchte Hunde, ihr habt nur fünf Sous täglich, ich habe vierzig Millionen, und ihr lasst mich vorausgehen!« Man kennt den Tagesbefehl des Kaisers an seinen Stellvertreter, der von Monsieur de Sainte Croix überbracht wurde, der dreimal die Donau durchschwamm: »Sterben oder das Dorf wiedererobern: es gilt die Armee zu retten; die Brücken sind abgebrochen!«
Der Verfasser.
Montcornet hat das Aeußere eines Helden des Altertums. Seine Arme sind fest und nervig, seine Brust ist breit und sonor, sein Kopf empfiehlt sich durch einen Löwencharakter, seine Stimme ist eine von denen, die inmitten der Schlachten den Angriff befehlen können; aber er besitzt nur den Mut des Sanguinikers, es fehlt ihm an Geist und Fassungskraft. Wie viele Generäle, denen der militärische gesunde Menschenverstand, das bei einem Manne, der ständig in Gefahr schwebt, natürliche Mißtrauen, und die Gewohnheit zu befehlen, den Anschein von Ueberlegenheit geben, flößt Montcornet im ersten Augenblicke Ehrfurcht ein, man hält ihn für einen Titanen, doch ein Zwerg steht in ihm wie in dem Pappriesen, der Elisabeth bei ihrem Betreten des Schlosses von Kenilworth begrüßt. Zornig und gut, voll des kaiserlichen Stolzes besitzt er die Spottsucht des Soldaten, die schnelle Entgegnung und die noch schnellere Hand. Wenn er prachtvoll auf dem Schlachtfelde gewesen ist, in einer Ehe ist er unerträglich; er kennt nur die Garnisonsliebe, die Soldatenliebe, der die Alten, jene erfinderischen Mythengestalter, Eros, den Sohn des Mars und der Venus, als Patron gegeben haben. Jene köstlichen Religionschronisten hatten sich mit einem Dutzend verschiedener Liebesgötter versehen. Wenn ihr die Väter und die Attribute dieser Liebesgötter studiert, werdet ihr die vollständige soziale Nomenklatur entdecken, und wir glauben noch irgendetwas erfinden zu können! Wenn der Erdball sich wieder wie ein Kranker, der träumt, umkehren könnte, daß die Meere Festländer würden, würden die Franzosen dieser Zeit in den Tiefen unseres augenblicklichen Ozeans eine Dampfmaschine, eine Kanone, eine Zeitung und eine Urkunde in Meerespflanzen eingehüllt finden.
Nun, mein Lieber, die Komtesse Montcornet ist eine kleine zerbrechliche, zarte und furchtsame Frau. Was sagst du zu dieser Heirat? Für den, der die Welt kennt, sind solche Zufälle so gewöhnlich, wie gut zusammengehende Ehen Ausnahmen sind. Ich kam her, um zu sehen, wie diese kleine schmächtige Frau ihre Fäden spannt, um diesen dicken, großen, hartnäckigen General so zu leiten, wie er seine Kürassiere leitete.
Wenn Montcornet laut vor seiner Virginie redet, legt Madame einen Finger auf ihre Lippen und er schweigt. Der Soldat raucht seine Pfeife und seine Zigarren in einem Lusthause, das fünfzig Schritte vom Schlosse liegt, und kehrt dann parfümiert zurück. Stolz auf seine Dienstbarkeit, wendet er sich wie ein von Trauben trunkener Bär an sie, um, wenn man ihm etwas vorschlägt, zu sagen: »Wenn Madame es will!« Wenn er mit dem schwerfälligen Schritte, der die Marmorfliesen wie Dielen schwanken macht, zu seiner Frau kommt und sie ihm mit erschreckter Stimme zuruft: »Kommen Sie nicht herein,« macht er ganz militärisch kehrt, indem er die unterwürfigen Worte äußert: »Sie werden mir sagen lassen, wann ich Sie sprechen kann . . .« mit der Stimme, die er an den Ufern der Donau hatte, als er seinen Kürassieren zuschrie: »Liebe Kinder, jetzt heißt's sterben, und das sehr tapfer, wenn man nichts anderes tun kann!« Folgendes rührende Wort hab' ich ihn sagen hören, als er von seiner Frau sprach: »Ich liebe sie nicht nur, sondern bete sie an.« Wenn ihn einer jener Zornausbrüche überkommt, die alle Bande brechen und unbezähmbar dahinrasen, geht die kleine Frau in ihre Zimmer und läßt ihn schreien. Erst vier oder fünf Tage später sagt sie zu ihm: »Bringen Sie sich nicht so in Zorn, abgesehen von dem Uebel, was Sie mir damit antun, könnte Ihnen ein Gefäß in der Brust platzen.« Und dann rettet sich der Löwe von Eßling, um sich eine Träne abzuwischen. Wenn er sich im Salon präsentiert und wir uns gerade mit Plaudern beschäftigen, sagt sie: »Lassen Sie uns, er sagt mir etwas«, und er läßt uns allein.
Nur die starken, großen und zornigen Männer, diese Kriegshelden, die Diplomaten mit olympischem Haupte, diese genialen Männer haben solch entschlossenes Vertrauen, sind so edelmütig der Schwäche gegenüber, besitzen dies beständige Protektionsbedürfnis, diese Liebe ohne Eifersucht, und die Gutmütigkeit Frauen gegenüber. Meiner Treu, ich stelle die Einsicht der Komtesse ebensosehr über die trockenen und grämlichen Tugenden, wie der Atlas einer Kauseuse dem Utrechter Sammet eines schmutzigen bürgerlichen Sofas vorzuziehen ist.
Seit sechs Tagen, mein Lieber, weile ich in dieser herrlichen Landschaft und werde nicht müde, die Wunder dieses Parks zu bestaunen, der von finsteren Wäldern beherrscht wird, und wo sich längs der Gewässer hübsche Pfade hinziehen. Die Natur und ihr Schweigen, die ruhigen Freuden, das harmlose Leben, zu dem sie einladet, alles hat mich verführt. Oh, das ist wahre Literatur, in einer Wiese gibt's nie einen Stilfehler. Glück würde es sein, alles, selbst die »Débats« hier zu vergessen. Du kannst erraten, daß es zwei Morgen über geregnet hat. Während die Komtesse schlief und Montcornet seine Besitzungen besuchte, habe ich gezwungenerweise das so unklug gegebene Versprechen, euch zu schreiben, gehalten.
Obwohl ich in Alençon nach dem On-dit als Sohn eines alten Richters und Präfekten geboren worden, obwohl ich Kenner aller Kräuter bin, sah ich die Existenz dieser Besitzungen, durch welche man monatlich vier- oder fünftausend Franken gewinnt, wie eine Fabel an. Der Begriff Geld übersetzte sich mir durch vier schreckliche Worte: Die Arbeit und das Buch, das Journal und die Politik. Wann werden wir ein Gut besitzen, wo Geld in einer hübschen Landschaft sprießen wird? Das wünsche ich euch im Namen des Theaters, der Presse und des Buchs. Also sei es.
Florine mag eifersüchtig sein auf die verstorbene Mademoiselle Laguerre! Unsere modernen Bourets haben nicht mehr die französische Noblesse, die sie das Leben lehrt; zu dritt bezahlen sie eine Loge in der Oper, sie tun sich zu einem Vergnügen zusammen, sie schneiden keine kostbar eingebundenen Quartbände mehr ab, um sie den Oktavbänden ihrer Bibliothek gleichzumachen, kaum daß sie broschierte Bücher kaufen! Wohin treiben wir? Lebt wohl, liebe Kinder, liebt immer
euren süßen Blondet.
Wäre dieser, aus der faulsten Feder unserer Zeit hervorgegangene Brief nicht durch einen wunderbaren Zufall erhalten geblieben, so wäre es beinahe unmöglich gewesen, Les Aigues zu schildern. Ohne diese Beschreibung würde die in doppelter Weise gräßliche Geschichte, die sich dort abgespielt hat, vielleicht weniger interessant sein.
Viele Leute erwarten zweifelsohne, den Küraß des alten Obersten der kaiserlichen Garde in einem Lichtstrahle blitzen zu sehen, seinen entfachten Zorn zu gewahren, wie er einer Windhose gleich über die kleine Frau dahinstürmt, und am Ende dieser Geschichte, was man am Ende so vieler moderner Dramen findet, einem Alkovendrama zu begegnen. Könnte dies moderne Drama sich in diesem hübschen Salon mit den Supraporten in bläulicher Grisaille erschließen, wo die Liebesszenen der Mythologie plauderten, wo phantastische schöne Vögel an die Decke und auf die inwendigen Fensterläden gemalt waren, wo auf dem Kamine aus vollem Halse chinesische Porzellanungeheuer lachten, wo um die kostbarsten Vasen blau-goldene Drachen ihre Schwänze spiralförmig um den Rand wanden, den japanische Phantasie mit ihren farbigen Spitzen emailliert hatte, wo die Ruhebetten, die Chaiselongues, die Sofas, die Konsolen und die Etageren die beschauliche Trägheit einflößten, die alle Energie erschlafft? Nein, das Drama hier beschränkt sich nicht aufs Privatleben; es flutet entweder höher oder tiefer. Rechnet nicht auf Leidenschaft, die Wahrheit wird nur allzu dramatisch sein. Uebrigens darf der Geschichtsschreiber niemals vergessen, daß seine Mission darin besteht, jedem sein Recht zu geben; der Unglückliche und der Reiche sind vor seiner Feder ganz gleich; für ihn hat der Bauer die Größe seines Unglücks, wie der Reiche die Kleinheit seiner Lächerlichkeiten hat; kurz, der Reiche besitzt Leidenschaften, der Bauer hat nur Bedürfnisse, der Bauer ist also doppelt arm; und wenn politisch seinen Angriffen unbarmherzig Einhalt getan werden muß, so ist er in menschlicher und religiöser Hinsicht geheiligt.