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II

In Linz geboren, darf ich mich einen Oberösterreicher nennen und tat zuweilen gewaltig groß damit, der Landsmann Stelzhamers zu sein. Aber der reinste Kenner und Deuter aller deutschen Stammesarten, Josef Nadler, hat es nie glauben können, daß meine Werke ein Oberösterreicher geschrieben haben soll, diese Werke mit, so versichert er, sämtlichen typischen Zügen des Schlesiers und, wenn auch keineswegs der Kraft, so doch durchaus der Art Eichendorffs. Er schien durch mich fast an sich selber irre geworden, dessen eindringender Blick sich doch eben an mir, eben dadurch nur wieder glänzend bestätigt fand: meine Werke sprachen ihm wahr, denn kam ich auch in Linz zur Welt, vom Vater wie von der Mutter her bin ich Schlesier.

Mein Vater war das Jahr vorher von der Finanzprokuratur in Temesvar an die zu Linz, bald darauf aber hier zum Notar ernannt worden. Selber hieß er sich gern einen Salzburger, weil seine geliebte Mutter, Rosalia Reisinger, aus der Gnigl war; in der Gnigl liegt mein Urgroßvater begraben, Kaspar Reisinger, einst stolzer Büchsenmacher auf der hohen Veste Salzburg, nachher auf einem kleinen Anwesen in der äußeren Linzerstraße daheim. Anno achtundvierzig hat mein Vater, vierzehnjährig, vor den Wiener Unruhen beim Großvater geborgen, dort mit der Salzburger Nationalgarde fleißig exerziert. Geboren aber war er in Brünn, so daß mein Freund Josef Redlich wieder einmal recht behält, der gern beteuert, irgendwie sei ja, wer in Österreich was taugt, schließlich immer aus Mähren. Meines Vaters Vater aber, der Engelbert Bahr, Postbeamter, erst »Kontrollor des kleinen k. k. Oberpostamtes« in Wien, seit 1824 »Oberpostamtskontrollor« in Brünn, 1828 nach Salzburg, das ihm die Braut gab, 1833 zurück nach Brünn versetzt, 1834, kurz nach meines Vaters Geburt, zum »Oberpostverwalter« in Prag ernannt, dieser arbeitsame, streng gesinnte Mann war Schlesier aus Raase. Briefe von ihm, auf starkem, jetzt freilich vergilbtem Papier in großen, gleichmäßigen, feierlich verschnörkelten Zügen mit Andacht hingemalt, sind in meinen Händen. Sie bezeugen ein festes, treues, aus einengender Not hart emporstrebendes Gemüt, das es sich nicht leicht macht, aber ausharrt. »Unser Leben,« schreibt er einmal mit dem bangen Vorgefühl, das jung zu sterben bestimmte Menschen zu begleiten pflegt, »unser Leben liegt jede Minute in Gottes Hand, die Tage eines jeden Menschen sind gezählt und durch standhaftes Dulden und durch Ergebung in den Willen der höchsten Vorsehung macht man sich Gott wohlgefällig.« Ein bedächtig nachrechnender, sorgsam vorausblickender Mann, schwer, umständlich, zögernd, ein rechter Pedant muß er gewesen sein und von jener schamhaften Art, die sich ihr heißes Verlangen nach Zärtlichkeit nicht merken lassen will. Daß fast in jedem der Briefe vom Wetter berichtet wird und wann in dieser Gegend heuer das erste Korn geschnitten worden und wie der Wein, das Getreide, die Gerste stehen, daß er immer wieder nach dem Flachs, nach dem Bleichen und Weben des Garnes, nach der Leinwand fragt, verrät die Herkunft vom Lande. Die Briefe sind an den Herrn Karl Bahr gerichtet, seinen Bruder in Raase, wo sich ihre Eltern als Flachsspinner und Leinenweber durchgebracht hatten. Auch das Testament ihrer Mutter Magdalene, die bald nach dem Ehemann Karl Josef starb, ist in meinen Händen: da werden, zu Raase den 9. Dezember 1814, fünfzig Gulden für heilige Messen, dem geistlichen Herrn Bruder Pater Philipp »drei Kloben vom noch vorräthigen Flachs vom Schönsten ohne Erbgeld«, die vorrätige Leinwand »ganz allein dem Sohn Engelberth zu Hemmetern, weil Er noch kein Aussteuerungs Hemmet bekommen hat«, von den zwei Kühen eine der Tochter Theresia, die andere dem Sohn Karl bestimmt, wofür aber »Jedes dem Sohn Engelberth fünfzehn Gulden heraus zahlen muß«, und nachdem alles andere »bei der Lizitation gut verkauft und die gerichtlichen Unkosten abgeschlagen worden«, blieb also meinem Großvater Engelbert, damals Postexpeditor in Weißkirchen, ein Erbvermögen im Betrage von 447 Gulden 59 Kreuzern. »Sie dürfen Sich also nicht sagen, lieber Herr Fetter, daß Ihnen eine Kürtze widerfahren wäre«, schreibt ihm sein »Dinstergebenster Freund« Karl Roßmanith und fügt hinzu: »Nun lieber Herr Fetter berichten Sie mich, was Sie mit diesen 447 Gulden 59 Kreuzern machen wollen.« Datiert ist dieser Brief vom 10. Feber im Jahr der Völkerschlacht bei Leipzig.

Jener Karl Bahr in Raase, meines Großvaters Bruder, ließ seinen Sohn Liborius studieren; der wurde dann Professor für Mathematik und Deutsch an der Rossauer Realschule, mein sagenhafter Onkel Libor, immer einen schottischen Plaid über die Schulter gehängt, ein Prachtmensch, leidenschaftlicher Botaniker, leidenschaftlicher Alpinist, leidenschaftlicher Zecher, alles so leidenschaftlich, daß er denn auch zuletzt in gelindem Wahnsinne verlosch, in einer armseligen Hofwohnung der Josefstadt. Er hat es sich der Mühe nicht verdrießen lassen, in Kirchenbüchern unserem Stamme geduldig nachzuforschen, bis auf einen Webergesellen zurück, der im 17. Jahrhundert vom Rhein her in Schlesien eingewandert wäre. Das hat mir der Onkel Libor oft erzählt. Vor einigen Jahren aber, als in Amerika mein »Konzert« viel gespielt wurde, kam mir von einem amerikanischen Namensvetter, John Bahr, eine Stammtafel der Bahrs zu. Sie wären danach ursprünglich ein Geschlecht kleiner Herren im Osnabrückischen gewesen, das Dienstmannengeschlecht »derer von Bar auf Barenau«, einer mittelalterlichen Burg unter den Dammer Bergen, in dem Engpaß, wo sich Mommsen die Varusschlacht dachte. Etliche davon hätten später, abenteuerlich und wanderfroh, sich über den Bergen angesiedelt, ihren Namen, den Urkunden zuweilen auch Bardo, Barding, Baring, Baer, Ber oder Bering schreiben, verwelscht und das Haus der Orsini gegründet, das berühmte Geschlecht, aus dem einer gar Papst geworden, Benedikt XIII., ein anderer später die berühmte Bombe geworfen, während die daheimgebliebenen Vettern allmählich immer mehr ins gemeine Volk gesunken wären. Zu diesen klanglos versunkenen »Bären« müßten meine schlesischen Bahrs gehören, doch der Seitenblick auf den päpstlichen und auf den mit der Bombe gewährt immerhin einen gewissen Trost.

Auch meine Mutter, Minna Weidlich, auf Schloß Johannisberg bei Zuckmantel geboren, war Schlesierin. Ich kann nicht ableugnen, daß ich mütterlich zur »Statthalterei« gehöre: meiner Mutter Vater Franz starb als Statthaltereirat in Troppau. Sie hielt sehr auf ihre Herkunft aus dem »Staatsdienst« und ward das Gefühl einer Mißheirat aus Liebe, wenn auch mit einem immerhin k. k. Notar, insgeheim vielleicht nie ganz los. Aber tiefer noch als Standesstolz saß in ihr der schlesische Stammestrotz, er lag ihr vor allem in den Ohren; sie hat die vollblütige dumpfe Brandung unserer homerischen Mundart nicht hören können, sie war jedesmal wieder von neuem entsetzt, was aber mich geborenen Widerspruch eben darum nur desto linzerischer schwelgen ließ. Ich wuchs sozusagen in zwei Sprachen auf und daß mir die befohlene der Bildung von vornherein verdächtig, die verbotene des Volkes reizend klang, hat bis auf den Erwachsenen nachgewirkt, ich fürcht, ich werde beim jüngsten Gericht, Gott verzeih mir die Sünd, auch noch linzerisch Rede stehn.

Aber auch der Mutter zärtlich gehegtes Schlesisch war nicht so lange her. Sie hielt in hohen Ehren ein Bildnis an der Wand, das eines wohlgemuten alten Herrn mit rosigen Wangen, im Arm eine Baßgeige, und von diesem musikalischen Onkel hieß es stolz, daß er noch im Fränkischen geboren war: denn aus Franken rühmten sich die Weidlichs zu sein. Schlesier also der Herkunft nach, doch rheinischen, mit fränkischem gemischten Blutes, aber Oberösterreicher von Geburt, Oberösterreicher an Erziehung, Oberösterreicher des Sinns, der eigenen inneren Entscheidung, des Willens, war ich zum richtigen Altösterreicher vorbestimmt, dem auf sicherem, standhaften bajuvarischem Grunde der Druck alemannischen gegen fränkisches Wesen die weite Spannung, zugleich aber auch die größte Freiheit gibt. Slawisches, das mir erwünscht wäre, ja nach dem ich, um mir selber mein eingeborenes unendliches Verlangen nach der Patriarchenluft des reinen Ostens erklären zu können, sehnsüchtig suchte, hab ich im Vorleben meines Stammes ebensowenig finden können als Jüdisches, dessen auch ich zuweilen, wenn man sonst schon gar nichts mehr gegen mich vorzubringen wußte, verdächtigt worden bin: ich würde mich keineswegs schämen, kann aber leider damit nicht aufwarten.

Am 19. Juli 1863 bin ich geboren. Ich hatte mich schon vierundzwanzig Stunden vorher ungestüm angekündigt, schien mir es aber darauf doch noch wieder zu überlegen, so daß ich dann eigentlich fast unerwartet erschien. Es war ein Sonntag, und bei dem wunderschönen Wetter nachmittags alles ausgeflogen, auch der Arzt, der für diesen Tag gar nicht mehr auf mich gefaßt war: mein Vater hat mir oft erzählt, ich hätte so schon gleich beim Eintritt in die Welt die Neigung gezeigt, meinen Mitmenschen einen Streich zu spielen.

Ich spielte meinen ersten Streich im Zeichen des Sagittarius, Gebieter war Jupiter, Hyleg der Mond, worin Sterndeuter eine ganz deutliche sichere zuverlässige Bestimmung zum Rechten, Heiteren, ja Großen vorgezeichnet finden wollen, die nur aber, durch das Spiel des Mondes, immer wieder fragwürdig oder doch verschleiert und gewissermaßen nebelhaft werde. Auch Astrologen aber bekennen ja selbst: Sidera inclinant, non imperant. Und so war's nun an mir, die Neigung meiner Sterne beherrschen zu lernen.


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