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An Bord des Benjamin Franklin.
. . . Unser Schiff trägt den Namen, den der Vater immer mit besonderer Innigkeit nannte.
Meine Mutter!
Ich lebe jetzt auf dem Meere und mir ist, als schriebe ich Dir aus einer andern Welt.
Wir hatten noch ein freundliches Begegniß, ehe wir das Vaterland verließen. Als wir am ersten Abend anlandeten, sah aus dem Fenster des Eckhauses am Landungsplatz eine breite, wohlwollend behagliche Gestalt; der Mann grüßte, ich dankte, ich kannte ihn nicht. Beim Eintritte in die Stadt kam er uns entgegen; es war Meister Ferdinand, dem ich beim Musikfeste ausgeholfen hatte. Er hatte von unserm Leben gehört.
Wir mußten bei ihm eintreten und mit einer Behendigkeit, die nur die selbstlose volle Güte verleiht, brachte er Kunstgenossen und gutgeschulte Dilettanten aus der Stadt zusammen; es wurde gesungen und musicirt bis tief in die Nacht hinein.
Mit Musik in der Seele verließen wir den Rhein, verließen wir Deutschland. –
Manna und Roland werden Dir selbst schreiben, sie sind jetzt oben auf Deck und lesen die Odyssee; es ist das Einzige, was man hier lesen mag. Was sich auf dem Festlande bewegt, was in geschlossenen Räumen unter allerlei Hausrath vorgeht, das Alles liegt weit ab.
Solch ein Schiff ist eine Welt für sich.
Unser Freund Knopf hatte ein wunderbares Begegniß. Er schreibt an den Major, laß Dir seinen Brief zeigen.
Wir kamen in Liverpool am Abend an, wir wollten hier einen Tag ausruhen. Am Morgen war ich allein am Hafen. Das ist der erste englische Hafen, in welchem Sklavenschiffe ausgerüstet wurden. Ich wurde aus meinen Träumereien über die Wandlungen der Geschichte geweckt; ein Schiff, das in See ging, lichtete die Anker.
Auf dem Verdeck stand ein Mann, ich zweifle nicht, daß es Sonnenkamp war; er hat einen Vollbart, aber ich erkannte ihn doch. Entweder ist er bis jetzt in Europa gewesen oder wiedergekommen. Er schien mich zu erkennen, er lüpfte seinen breiträndrigen Hut, winkte Jemand herbei, eine Gestalt kam, ich konnte sie nicht deutlich erkennen, aber ich meine, es sei Bella gewesen.
Von Freunden, an die mich Herr Weidmann empfohlen, erfuhr ich, daß ein Mann ganz vom Behaben Sonnenkamps eine Schiffsladung Waffen und Munition nach einem südstaatlichen Hafen expedirte.
Ich darf nicht ausdenken, welches Entsetzen ein Zusammentreffen hier gebracht hätte.
Tief ergriff mich, daß Manna, als ich Nachmittags mit ihr durch die Stadt ging, sagte: Mir ist, als müßte ich hier dem Vater begegnen, als müßte er jetzt dort um die Ecke biegen.
Ich glaube, ich that nicht Unrecht, daß ich ihr verschwieg, was ich gesehen.
Tief marternd ist der Gedanke, daß Vater und Sohn vielleicht doch in feindlichen Heeren gegen einander kämpfen. Meine Hoffnung ist, daß Sonnenkamp als alter Seemann zur See kämpfen wird.
Roland ist der Liebling des ganzen Schiffes. Mit unermüdlichem Eifer sucht er die Schiffs-Einrichtung und alle Thätigkeiten der Mannschaft kennen zu lernen. Er ist bald da, bald dort mit thätig und ich freue mich, daß er sich alles schweren Sinnens und Grübelns entschlägt.
Am zweiten Abend.
Es ist jetzt Nacht. Manna ist allein auf dem Verdeck und schaut nach den Sternen. Oben das Uebermaß der Sterne und rings um uns das unermeßliche Meer. Mir ist, als müßte ich auf dieser Seefahrt alles schwere Denken, Sinnen und Grübeln ins Weite verflattern lassen, um auf dem Boden der neuen Welt ein Mensch der geschlossenen That zu sein. Es war ein abenteuerlicher Zug in meinem Lebensgange und meinem Wesen . . .
Was ist's, das mich nun dahin führt, mein ganzes Sein in einer großen Wendung der Menschheitsgeschichte einzusetzen? Nicht mehr blos Zuschauer zu sein, sondern zu handeln, zu leben und vielleicht – Nein, Mutter, ich habe die Zuversicht, ich werde lebend aus diesem Kampf heimkehren.
Heim! Heim! O Mutter, meine Seele schwingt sich über das unabsehbare Wogen des Lebens, wir sind bei Dir. Und wenn das Schicksal doch anders beschlossen, so halte fest: Dein Sohn war glücklich, er besaß das Leben in seiner Fülle. Ich hatte Dich, den Vater, Manna, die Wissenschaft, das reine Streben, die That, Alles ist mein gewesen.
Da sitze ich und die Welle trägt mich dahin. Wohl dem, der es empfindet wie ich jetzt, daß er einem hohen Ziele zustrebt.
Es sind viel junge Männer an Bord, sie haben versucht, Roland in ihre Gesellschaft zu ziehen, er weiß sich mit gutem Tact fern zu halten. Die jungen Männer, Kaufmannssöhne verschiedener Confessionen, vertreiben sich die Zeit mit Hazardspielen; die Kellner auf dem Schiffe verstehen Instrumente zu spielen und haben ein leidliches Orchester zusammengebracht. Auch eine Drehorgel haben wir, die vier Schiffsjungen drehen sie zu bestimmten Zeiten abwechselnd, dann wird für sie gesammelt. Wir – Knopf und seine Braut gehören mit zu uns, und auch unsre Aerzte halten sich in der Regel zu unsrem Kreise – bilden eine abgeschlossene Genossenschaft.
Ich habe seit fünf Tagen nicht geschrieben, seitdem war ich mit den Meinen am Rande des Todes.
Wir haben einen Sturm erlebt, wie der Capitän, der nun schon dreiundzwanzig Jahre auf dem Meere fährt, noch nie einen durchgemacht.
Die Stärksten inmitten des Sturmes waren Roland und Knopf. Knopf war aber nicht bei uns, er war auf dem Vorderdeck bei seiner Braut. Manna hielt mich umschlungen, wir wollten mit einander sterben.
Ach, was soll ich von den Gefahren erzählen? Es ist vorbei.
Am Morgen als der Himmel klar, das Meer ruhig war, da feierten wir auf dem Schiff eine Verlobung. Freund Knopf wird Alles näher schreiben. Das Faß Jungfernwein, das uns mitgegeben wurde, ist an diesem Tage von der Schiffsgesellschaft ausgetrunken worden. Der Rhein hat uns Allen Frohmuth in die Adern gegossen. Es wurde gesungen, getanzt, gejubelt, alle Flaggen wurden aufgezogen und bei Tisch hielt Freund Knopf eine Rede, so lustig als ergreifend. Ich glaube, er wird dem Major die Rede schicken. Eigene Musik hatten wir auch. Knopf blies die Flöte und brachte es dahin, daß Manna ihre Harfe auf Deck bringen ließ und spielte; die ganze Schiffsgesellschaft stand umher und hielt den Athem an; als sie geendet, jauchzte und jubelte Alles.
Uebermorgen sollen wir ans Land steigen. Mein erster Gang auf dem Boden der neuen Welt wird sein, Dir diesen Brief zu senden, wenn wir nicht noch unterwegs ein Schiff treffen, das ihn nach Europa nimmt.
Nach Europa!
Sei froh im Gedanken an Deinen glücklichen Sohn
Erich.
Auf dem Rhein.
Sofort in der Stunde, da Ihr uns verlassen, schreibe ich Euch.
Was war die Nibelungenfahrt auf dem Rhein? Was war der Argonautenzug? In unserer Zeit ist Alles neu, schön und klar.
Da drüben sitzt Erich mit seiner jungen Frau. Die alte Sage, die hier am Rhein besonders oft verbreitet ist, erneuert sich, die Sage von der erlösten Jungfrau. Nur ein reiner Jüngling wie Dournay konnte die reine Jungfrau erlösen. Und ich, was bin ich? Ich bin selbst begierig, was das Schicksal aus mir macht.
Liverpool.
Morgen früh schiffen wir uns ein in die neue Welt. Wie oft habe ich vom Meere gesungen, jetzt soll ich auf ihm leben. Ich habe gar kein Bangen und keine Wehmuth, daß ich Europa verlassen muß. Ich habe eine Ahnung in der Seele, daß mir etwas Großes begegnet.
Lieber Bruder und liebe Schwester!
O, wie gut, daß ich, der nie zu einem Menschen so sagen konnte, jetzt Bruder und Schwester sagen kann!
In dem rothen Buch, das Du, liebe Schwester, mir geschenkt, sind viele Reisenotizen; ich hoffe, sie einmal ausführen zu können, jetzt kann ich nicht. Schnell das Beste: ich bin verlobt!!!
Indem ich die drei Ausrufungszeichen mache, fällt mir ein, daß die Form dieser Zeichen eine Bedeutung habe; sie erscheinen mir als Bild eines Kometen. Fragt einmal Professor Einsiedel, ob ich da nicht eine große wissenschaftliche Entdeckung gemacht habe.
Erinnerst Du Dich, liebe Schwester, wie ich Dir erzählte, daß mir damals, als ich unsern Freund Dournay aufsuchte, ein Mädchen mit zwei Knaben im Walde begegnete? Dieses Mädchen ist jetzt meine Braut, sie heißt auch Rosalie wie Du, sie könnte Deine Schwester sein . . . Ja sie ist es. Sie hat auch braune Augen wie Du.
Ja, wer ist sie denn? höre ich Dich fragen, und Du legst Dein Nähzeug weg und schaust mich so getreu an.
Laß mich nur ruhig berichten.
Also das Mädchen von damals, mein Waldmädchen, ist die Tochter eines Lehrers und – ich bitte um Respect – sie hat ihr Lehrerin-Examen gemacht. Ich wagte es nicht, mich ihr zu nähern, obgleich ich sie beim ersten Anblick auf dem Schiffe erkannte; ich suchte mir die Brüder anzuwerben und sagte dem Kleineren – der sogleich an mir hing – »sag Deiner Schwester, daß ich ihr im Mai im Walde begegnete, wie sie mit Euch nach der Kapelle ging, sie hatte ein braunes Kleid an.«
»Warum sagst Du ihr das nicht selber?« fragte der Kleine.
Ich hatte nicht Zeit, ihm zu erwidern, denn eben kam mein Waldmädchen daher und schalt die Brüder, daß sie den fremden Herrn belästigen. Da rief der Kleine:
»Das ist ja der Herr, dem Du nachahmst, wie er Dich über die Brille weg angeblinzelt hat.«
Nun war es heraus. Also sie hat über mich gespottet? sie auch? Ich that meine Brille ab; ehrlich gestanden, ich hätte die Brille gern ins Meer geworfen.
Wir standen verlegen, da sagte sie – ach was hat sie für eine Stimme! Sie singt auch, ganz ähnlich wie Landrichters Lina, sie hat aber mehr Höhe, bis zum zweigestrichenen a.
Was sie sagte? fragst Du.
Gutes, Inniges; sie habe nicht über mich gespottet . . . Ach, ich weiß nicht mehr . . . sie reichte mir die Hand und . . .
Ich kann es nicht schreiben, Ihr werdet Alles später erfahren, und wenn ich es auch nicht schreibe, wißt Ihr es doch: ich, Emil Knopf, Mädchenlehrer von so und so viel Generationen, bin verlobt mit einem Engel. Das ist eine abgebrauchte Phrase. Wer weiß, ob die Engel das Examen als Lehrerinnen bestehen könnten.
Kann das ein Menschenverstand ausdenken, daß das Mädchen schon damals Wohlgefallen an mir findet, daß ich keine Ahnung habe, woher sie ist, wer sie ist; und nun wird sie mir aufs Schiff gesetzt, oder ich werde aufs Schiff gesetzt und sie hat einen Onkel in Amerika, zu dem sie reist. – Es ist doch eine schöne Sache, daß es Onkel in Amerika gibt. Ich glaube, ich habe meinen Schwiegervater gekannt.
Wir haben einen Sturm erlebt.
Mitten im Sturm – und es war kein gewöhnlicher – habe ich gedacht: wie wäre es, wenn Du hättest ins Meer versinken müssen und hättest nie gewußt, wie eine Mädchenlippe küßt und wie es thut, wenn eine zarte Hand Einem über das Gesicht streichelt und sogar sagt: Du bist hübsch . . . Denkt nur! Ich, Emil Knopf, berühmt als der ungefährlichste Mensch, ich bin hübsch! O wie verblendet waren die Mütter und Töchter im gelobten Lande Uniformingen! Rosalie hat einen kleinen Spiegel, und wie ich da hineinsehe, bin ich wirklich hübsch; ich gefalle mir. Glaubt aber nicht, daß ich närrisch geworden, ich habe meinen vollen Verstand. Herr Major, ich mache mich anheischig, das Gesetz von Schwerpunkt und Schwerlinie zu erklären. Ich bin bei vollem Verstand.
Eins aber ist mir hart. Ich erkenne, daß ich kein Dichter bin. Wenn ich es wäre, jetzt müßte ich Gedichte machen, daß die ganze Welt von nichts Anderem mehr wüßte; die Matrosen müßten sie singen und die Soldaten, und das weißhändige Fräulein am Clavier und der Handwerksbursch am Wegrain, wenn er den Wachstuchhut abthut und sein Haupt auf das Ränzel legt. Ach, ich meine, ich müßte etwas finden, um die ganze Welt zu beglücken, und möchte allen Menschen zurufen: Seht Ihr denn nicht, wie schön die Welt ist?
Nun bitte ich mir aber ein Hochzeitsgeschenk aus; Du und die Majorin, Ihr müßt Euch photographiren lassen, mir zu lieb.
In der neuen Welt schreibe ich wieder, jetzt kein Wort mehr; ich habe genug geschrieben mein Lebenlang, jetzt will ich nichts als scherzen und küssen. Ach! Die schöne Melodie aus Don Juan fällt mir dabei ein.
Nur das will ich noch sagen: Manna benimmt sich lieb und gut gegen meine Rosalie und auch unsere drei Doctoren und der junge Faßbender. Alles freut sich mit unserm Glück und hat so auch sein Theil Glück. Meine jungen Schwäger sind frische Bursche.
Dir, lieber Major, muß ich nur noch besonders sagen: Dein Glaube ist der rechte. Du glaubst an das unzerstörbare Gute in jedem Menschen, und es bewährt sich. Adams ist ein ganz verwandelter Mensch. Der Gedanke, daß er für die Befreiung seiner Stammesbrüder kämpfen soll, hat die bessere Seele in ihm erweckt. Ich könnte Dir da viel sagen, aber es ist genug. Du weißt schon.
Wir üben uns alle im Englischen, aber wir wollen Deutsche bleiben.
In drei Tagen sind wir in Newyork. Ich weiß nicht, was da Alles auf mich einstürmen wird. Rosalie sagt, ich soll jetzt schreiben; sie sitzt neben mir. Ich kann eigentlich nicht Brief schreiben, wenn Jemand bei mir im Zimmer ist, und nun gar, wenn so liebe Augen auf mich sehen. Ich will es aber doch versuchen; Rosalie meint, ich hätte so schön gesprochen, daß das nicht verloren gehen darf. Sie macht mich noch eitel; sie hält große Stücke auf Alles, was ich sage.
Ihr wißt, daß wir einen fürchterlichen Sturm gehabt und daß wir am Tage darauf unsere Verlobung gefeiert haben. Im Geiste haben wir dazu vom Festlande die besten Menschen geladen und ich habe sie Alle citirt und angesprochen. Zuerst Sie, lieber Major – oder, verzeihe, Dich, und dann Dich, liebe Schwester; Deine Haube mit dem blauen Band ist für mich ein gutes Anknüpfband geworden. Meine Rosalie trug auch ein blaues Band.
Ich habe Dir nämlich gesagt . . .
Ach, Ihr guten Menschen, ich kann nicht. Sie sagen alle, ich hätte gesprochen wie ein Pfingstgeist. Kann wohl sein, aber schreiben kann ich es nicht.
So, nun ist's genug.
(Nachschrift.) Ich habe, was ich geschrieben, meiner Rosalie zu lesen gegeben; sie notirt mir eine schlechte Censur. Ja, so sind die examinirten Lehrerinnen!
In einen Brief zu fassen, was man in drei Tagen, ja nur in Einem Tage in Newyork erlebt, das hieße Wellenwogen und wechselnde Wolkengebilde schildern. In mein Tagebuch schreibe ich gar nichts mehr, es ist zu viel.
Als wir anlandeten, wartete der Onkel auf uns; er hat mich aber nicht gern zum Neffen angenommen. Ich wollte, ich hätte Dich da, lieber Major, daß Du ihm erklärtest, wer ich bin und wie ich bin. Jetzt muß ich warten, bis er es selber einsieht; vielleicht geschieht das nie. Ich nehme es dem Onkel gar nicht übel, er hatte für Rosalie bereits einen Bräutigam bestimmt, und als ich ihm den Hauptmann Dournay vorstellte, sagte er:
»Dournay . . . Dournay?«
Weiter nichts. Er muß einmal mit Einem aus der Familie zu thun gehabt haben.
Der Onkel ist sehr verschlossen, aber so verschlossen als er, so offen ist Alles im Hause des Doctor Fritz. Jetzt weiß ich, wie Herr Weidmann und sein Haus in der Jugendzeit gewesen sein muß; aber Herr Weidmann hat mehr Söhne und hier sind Töchter. Und was für prächtige Geschöpfe! Und eine Frau! Ich kann nur sagen, wenn sie Einen mit ihren großen Augen ansieht, ist man wie durchleuchtet.
O, was sind wir Deutsche für herrliche Menschen! Wo man uns hinversetzt, und nun gar in den Boden und in die Luft der Freiheit, da gehen wir auf, da zeigt sich, was wir sind.
Ich war dabei, wie Roland und Lilian einander begrüßten; sie müssen ein geheimes Erkennungszeichen haben, denn ihr erstes Wort war »Kiesel«. Ja, in einem Liebesverhältniß bildet sich immer ein geheimes Einverständniß. Roland und Lilian hielten sich nur an der Hand, dann gingen sie mit einander aus. Die Kinder leben hier in großer Selbständigkeit.
Kein Mensch hat hier Zeit. Ich verstehe jetzt erst, warum sie in Amerika sagen: Zeit ist Geld. Das ist eine Rastlosigkeit ohne Gleichen.
So viel sehe ich schon jetzt, man wird es hier für Schwärmerei halten, daß Erich, Roland und Manna auf das große Vermögen verzichten. Hier fragt kein Mensch, wovon man reich ist.
Fortsetzung.
Hier ist Krieg – Krieg!
Die meisten Menschen glauben, er sei bald vorüber; Doctor Fritz sagt aber jetzt auch, die Hartnäckigkeit der Südstaaten sei groß, und sie seien viel besser gerüstet als wir.
Was aus mir wird? Doctor Fritz findet es nun sonderbar, daß ich Negerlehrer werden will, ich bin noch nicht fertig genug in der Sprache. Er läßt mir aber die Hoffnung, daß sich die Sache später ausführen ließe. Und ich denke sogar weiter. Es muß ein Lehrer-Seminar für Neger-Jünglinge gegründet werden; ich lasse nicht ab. Einstweilen gebe ich Musikstunden, und es ist gar seltsam, wenn ich, aus einem Haus kommend, wo wir Musik geübt haben, auf der Straße die Trommel rasseln und lärmen höre.
Adams ist voll Verzweiflung, daß der Präsident noch keine Schwarzen ins Heer eintreten lassen will; Adams soll mit an Festungswerken bauen, und das will er nicht. Aber er wird sich schon anders besinnen. Es ist Eins, was man für die Freiheit thut, wenn man nur dafür arbeitet.
Der junge Faßbender übernimmt mit seinem Bruder Lieferungen für die Armee. Ich hoffe, daß er sich ehrlich benimmt, denn wie ich höre, gibt es auch in der Republik sehr viel Betrügerei und Unterschleif. Das ist traurig!
. . . und sag mir, habe ich nicht einmal einen Lehrer mit Namen Runzler bei Dir getroffen? Es liegt mir viel daran, dies zu wissen, denn dieser Lehrer Runzler ist der Vater meiner Braut gewesen.
Ich meine, er war bei Dir und hat aus einer großen Dose geschnupft.
Ich habe eben meine Rosalie gefragt. Ihr Vater hat aus einer großen Buchsbaumdose geschnupft. Es ist also richtig. Das Gedächtniß ist doch ein wunderliches Ding, wir sollten pädagogisch weit mehr darauf Bedacht nehmen. Ich erinnere mich eigentlich nur noch der Dose und bitte Dich, mir zu sagen, was wir gesprochen haben. Erinnere Dich, ich war damals sehr traurig wegen des Kinderstreichs, den mir Roland gespielt, und ich hatte noch dazu meine Brille verloren. Ich war so sehr bedrückt, daß ich gar kein Gedenken aus jener Zeit mehr habe. Also schreib mir Alles, Du thust mir einen großen Gefallen damit. Du bekommst auch bald eine Karte, worauf steht:
Emil Knopf,
Rosalie Knopf, geb. Runzler,
Vermählte.
Ich sage Dir, das ganze Leben ist ein Märchen.
Dein Sohn ist ein äußerst praktischer Mensch; Du wirst Freude an ihm haben.
Wenn Dein Unterlehrer hierher kommen will, so kann ich ihm viel Clavierstunden verschaffen. Wir haben in Deutschland Lehrer genug zum Export.
Verzeihen Sie, wenn ich Sie nicht mehr Mutter nenne; es ist mir wie ein Unrecht an meiner verstorbenen Mutter, daß ich es je that. Ich bitte, das Grab meiner Mutter sorgsam pflegen zu lassen und ihre Lieblingsblumen, Eriken und Nelken, darauf zu halten.
Nun ich das vom Herzen habe, will ich weiter schreiben.
Wenn ich an das grüne Haus denke, ist mir immer, als schwämme es auf dem Meere und müßte zu uns herankommen.
Ueber unsere Fahrt werden Ihnen Erich und Manna geschrieben haben. Ich habe auf See ziemlich die ganze Schiffsbehandlung gelernt und möchte am liebsten mich zur See anwerben lassen, aber Erich ist entschieden dagegen.
Es ist wahrscheinlich, daß mein Vater zur See gegen uns kämpft, und da ist es besser, ich bin im Landheer.
Ich habe Lilian hier getroffen. Sagen Sie nicht, daß wir noch so jung seien; wir sind älter durch die Ereignisse. Benjamin Franklin wollte ja Miß Read auch heiraten, als er 18 Jahr alt war. Wir haben uns gelobt, erst wenn der Krieg zu Ende, einander anzugehören.
Ich bitte, diese Zeilen von keinem andern Auge sehen zu lassen, als von dem Ihrigen.
Wir waren in Washington; ich habe die Akropolis der neuen Welt gesehen. Ich wollte zum Grabe Franklins wallfahrten, aber es ist gut, daß ich zuerst zu einem seiner größten Nachfolger, zu Abraham Lincoln, wallfahrten konnte.
Ich habe zum ersten Mal einen Mann unsterblichen Ruhmes gesehen, habe ihm ins Angesicht den Namen gesprochen, den die Nachwelt bewahren wird. Die Lippen, deren Worte zur jetzt lebenden Welt und zur künftigen dringen, haben meinen Namen genannt. Ich sah die Größe, sie ist so einfach.
Es war in Carlsbad in jenem merkwürdigen Gespräch, ich habe nicht viel davon behalten; das aber traf mich, als der General sagte: Wer je durch eine Galerie seiner Ahnen geschritten, der wandelt durch das ganze Leben wie begleitet von ihren Augen. O, aus den Augen Lincolns sah auf mich der Geist des Sokrates und des Aristides, der Geist des Moses, des Washington und Franklin. Und da habe ich es gefühlt: das sind die Ahnen, die Jeder sich erwerben kann durch redliche Arbeit, durch Treue und Aufopferung. Ich habe die höchsten Ahnen und will ihrer würdig sein.
Ich lege Ihnen hier eine Photographie Lincolns bei; er hat mich an Herrn Weidmann gemahnt, nicht in der Erscheinung, aber in der ganzen Art. Ich erzählte ihm von Adams und wie unglücklich der Neger sei, daß er nicht ins Heer eintreten und nur zum Festungsbau verwendet werden könne. Lincoln ermahnte mich, der reifen Besonnenheit zu vertrauen und nicht in jugendlichem Uebermuthe zu vergessen, daß man alle Mittel der Verständigung zuerst einsetzen müsse, um vor seinem eigenen Gewissen und vor Gott gerechtfertigt zu sein, wenn man weiter geht; denn es sei ein Bruderkampf, man führe den Krieg nicht zur Vernichtung, sondern zur Versöhnung.
Ich möchte gern in ein Regiment von Negern eintreten; ich sagte ihm das. Er schwieg und legte nur seine breite gewaltige Hand auf mein Haupt.
Manna bleibt im Hause des Doctor Fritz. Erich hat Ihnen wol schon gesagt, daß er mit dem Range eines Majors eintritt. Und ich habe einen Kameraden, Hermann, den Bruder Lilians, er hat viel Aehnlichkeit mit Rudolf Weidmann, er ist in gleichem Alter mit ihm, aber hier ist man mit achtzehn Jahren schon viel weiter. Er spricht wenig, aber was er spricht, ist gediegen und fest. Ach, er hat eine schöne Jugend gehabt! . . . Nein, ich will nicht mehr davon sprechen. Ich habe Lilian den Greif zurückgelassen. Wir sind bei der Cavallerie. Hätten wir nur unsere Pferde von Villa Eden hier. Man hat hier schlechte Karrengäule zur Cavallerie nehmen müssen und Fuhrleute wurden Cavalleristen. Lassen Sie mir vom Major schreiben, wer unsere Pferde gekauft hat. Das Herz thut mir weh, wenn ich an Villa Eden denke . . .
Ich höre hier, daß Viele vom Gleichen in Ehren und Freuden leben. Das darf uns aber nicht in Versuchung führen und nicht abwendig machen, nie . . .
Ich mußte aufhören. Haben Sie Geduld mit mir, Sie sollen sehen, daß Sie mir nicht vergebens so viel Gutes gethan; Sie sollen sehen, daß sich als Mann benimmt
Ihr
Franklin Roland.
So heiße ich nun allein.
. . . An Deine Brust möchte ich mich werfen und sagen: Mutter! Weiter nichts. Die Feder in der Hand zittert mir, aber ich höre, wie Du sagst: sei stark. Ich will es sein. Ich darf nicht daran denken, wie es sein wird, wenn wir wieder bei Dir leben, Du bist unsere Heimat. Wir müssen ausharren, wer weiß wie lange, wer weiß zu welchen Opfern. Ich darf nicht daran denken, daß mir Erich entrissen würde, mir – uns.
Wie ein Traum war es mir, als wir das Festland betraten, das Land meiner Geburt; ich hätte ewig auf dem Schiffe so fortschwimmen mögen. Ich lebe im Hause des Doctor Fritz, Erich und Roland sind heute nach Washington gereist; ich fasse es nicht, daß Erich nicht bei mir ist, und doch werde ich ihn ganz anders noch entlassen müssen. Nicht wahr, Mutter, wir bangen nicht? Ein wunderbares Schicksal hat uns zusammengeführt und erhalten, es wird uns treu bleiben.
Von dem Hause, in dem ich wohne, von den guten, geistig erweckten Menschen möchte ich gern viel berichten, und oft, wenn ich die Frau und die Kinder sprechen höre, handeln sehe, möchte ich sagen: das habt ihr von der Mutter Erichs, von meiner Mutter. Es ist eine Gemeinschaft der Edeln durch die ganze Welt, und wer etwas davon in sich hat, findet sie. Das bedeutet für mich jenes Wort: Suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgethan. Ich habe von Dir die Kraft des Suchens, des Anklopfens, und ich finde, es wird mir aufgethan. O Mutter! warum müssen es so gewaltige, auf der Spitze von Leben und Tod sich bewegende Ereignisse sein, vor denen die Größe und Güte, die Opferwilligkeit des Menschenherzens sich aufthut? Warum nicht in Frieden, in Liebe, in stiller Sorgfalt?
Es ist gut, daß ich unterbrochen worden bin. Lilian hat eine frische Singstimme, und auch die Braut unseres Freundes Knopf singt schön. Wir haben uns hier Stücke eingeübt, und ich begleite Lilians Gesang mit der Harfe. Wenn wir nur diese Töne hinübersenden könnten zu Euch. Mitten im Aufruhr alles Lebens sitzen wir hier stundenlang und singen. Ich verstehe aufs Neue jenes Wort, daß die Kunst eine Erlöserin ist, jenes Wort, das der Vater gesagt.
Warum zerreißt das Wort Vater mir so die Seele? Wenn ich auf diesen Weg des Denkens komme, ist mir immer, als schritte ich in eine Wüste, weit – weit hinaus, nirgends etwas, das das Auge erquickt, die Seele erfrischt. Ich muß es tragen.
Ich sehe mit Kummer, daß ich so verwirrt schreibe, Du weißt aber und glaubst mir, ich bin es nicht, und vor Allem sollst Du wissen, daß ich unsern Erich nie mit solch schwerem Denken belaste. Es ist nicht Vorsatz, nein, sobald er da ist, schwindet Bangen und Trauern, Alles ist Licht, Sonne, Tag.
Drei Tage später.
Erich ist mit Roland von Washington zurückgekehrt, sie erzählen viel, und Roland ist von einer Begeisterung, die Du Dir denken kannst.
Lilian ist weit reifer, als man ihren Jahren nach erwarten dürfte. Ihres Bekehrungseifers wegen wurde sie nach Deutschland geschickt und unser Freund Knopf hat da gute Arbeit vollendet. Lilian ist mir eine Schwester geworden und wir sprechen viel davon, wie sie mit uns an den Rhein ziehen wird; sie meint aber, daß Erich und ich hier bleiben, und das wird doch nimmer sein. Dort ist unsere Heimat, Du bist unsere Heimat. Ich küsse Dir die Augen, die Wangen, den Mund, die Hände. Ich bin glücklich, daß ich bin
Deine Tochter
Manna Dournay.
(Nachschrift.) Liebe Tante Claudine, Professor Einsiedel hat mir versprochen, astronomische Bücher zu besorgen. Erinnere ihn daran mit meinem innigsten Gruße. Ich finde hier viel Befreiung im Betrachten der Sterne. Ich spiele auch fleißig Harfe.
. . . . . Weil ich in meinem kurzen Leben erfahren habe, welche reine und edle Menschen mit mir athmen, darum war ich frei und unbefangen, als ich vor Lincoln stand. Mir ist ein hohes Loos beschieden, ich darf den Besten meines Zeitalters ins Antlitz schauen. Und wenn mir die Klüglinge wieder herablassend sagen sollten, ich sei ein Idealist, so kann ich ihnen erwidern: das muß ich sein, denn mir sind von den Besten auf meinem Lebenswege begegnet.
In der Umgebung Lincolns hörten wir den Ausspruch, man dürfe die Neger nicht frei geben, denn sie würden nichts arbeiten, wenn sie nicht gezwungen würden.
Da sagte Roland leise zu mir:
»Arbeiten denn die Negerbesitzer, die nicht müssen?«
Lincoln sah, daß der Jüngling etwas zu mir sagte; er ermahnte, es offen zu bekennen, und mit ruhiger Herzhaftigkeit wiederholte Roland, was er mir gesagt. Sie, der Sie mit mir an der Erweckung dieser Jünglingsseele gearbeitet, empfinden das gleiche Glück wie ich.
Und nun will ich Ihnen von Ihrem Neffen erzählen.
O, unser gesegnetes deutsches Leben! In alten Zeiten trugen Auswanderer ihre Götterbilder mit in die Fremde, wir Deutsche tragen unsere Dichter, unsere Philosophen und Musiker durch die ganze Welt; und so ist im Hause Ihres Neffen eine Bildungsstätte, heimisch, wohlig und frei. Mitten im Aufruhr des Staatswesens und des Privatlebens walten unsterbliche Geister und bewirken eine Andacht, eine Ruhe, eine Tempelstille eigener Art.
Mitten im Wachsen und Walten der geschichtlichen Bewegung fühle ich: der Einzelne ist wie die Zelle am Baum, oder anders: wir sind wie die Schüler auf der Schulbank, wir kennen den Lehrplan nicht, wir wissen die Ziele nicht, zu denen dies Alles führt; heute müssen wir unsere Aufgabe lernen und es wächst Zelle an Zelle, reiht sich Wissen an Wissen, bis – ja, wer weiß das Ende.
Beim ersten großen Kampf, beim Unabhängigkeitskriege der neuen Welt waren von deutschen Fürsten verkaufte Deutsche, die für die Engländer gegen die Amerikaner kämpften, und wenige freie Deutsche – unter ihnen Steuben und Kalb – kämpften für die Republik.
Damals standen die Franzosen – der Name Lafayette klingt hell hervor – unter den Freiheitskämpfern der neuen Welt voran, heute stehen Tausende von Deutschen im Unionsheere, ausgewanderte und ausgesendete Zeugen. Eingewanderte Franzosen haben Zuavenregimenter gebildet, sie werden französisch commandirt. Als die besten Truppen gelten aber Irländer und Deutsche.
Ich sehe den Dichter der Zukunft kommen, ihm stellt sich das große Drama unserer Zeit – der Kampf zwischen Cäsarismus und Selbstbestimmung – in einer Ausdehnung dar, wie keine Vergangenheit sie kennen konnte; er drängt den Kampf in dichterischen Bildern zusammen, Gestalten, durch Meere getrennt, werden zu Trägern kämpfender Mächte und ringen mit einander.
Es sind noch nicht hundert Jahre, seitdem die Republik der Vereinigten Staaten besteht. O, wie anders sieht es hier aus, als wir uns dachten. Ich habe Viele gefunden, die an dem Fortbestand der Union zweifeln, ja ein gebildeter Geistlicher sagte mir, es sei doch wol in der monarchischen Verfassung mehr Kraft der Dauer. Das ist das Empfinden der Muthlosigkeit und Verzweiflung, die aber, wie ich glaube, nur vereinzelt ist.
Wie oft muß ich mich hier einen philanthropischen Idealisten nennen lassen; sie sagen mir, ich würde auch bald bekehrt werden. Ihr Neffe, der mit großem Blick Alles überschaut, hat mir das Räthsel gelöst. Die Menschen hier haben lange blos für Erwerb und Wohlbefinden gelebt und die Staatspflicht nur zeitweise als Wähler empfunden; sie müssen die Schule der Militärpflichtigkeit durchmachen, jenes Einsetzen des Lebens für den Staatsbestand, natürlich nur als Schule, um dann wieder frei zu sein.
Die Sklavenfrage ist hier noch nicht so entschieden, als wir glaubten. Ihr Neffe meint, daß die gänzliche Aufhebung der Sklaverei eine nothwendige Kriegsmaßregel werden müsse, der Kampf um den Bestand des Staates. Der Patriotismus muß sich mit der Humanität verbinden, die reine Idee mit Nutzen und Nothwendigkeit versetzt werden; die Logik der Thatsachen bringe eine Entscheidung, die die Logik der Gedanken nicht vermochte. Es gibt auch hier im Norden eine starke Partei, die nicht zu dem einzigen, wie sie es nennt, extremen Mittel, zur absoluten Aufhebung der Sklaverei, fortschreiten will; sie hofft, nicht durch Aufhebung der Sklaverei, sondern durch den Krieg den Süden zu unterwerfen.
Wir hoffen, es gelingt nicht. Der Kampf muß ganz durchgefochten werden. Das Wort Staatsnothwendigkeit, das von den Tyrannen so oft mißbraucht wurde, wird hoffentlich auch einmal zur Freiheit führen.
Was muß man hier nicht alles gegen die Neger hören. Daß die vier Millionen Sklaven nahezu zweitausend Millionen Dollars Gold repräsentiren, steht natürlich obenan; daß die Neger viele Laster haben – als ob die Unterdrückten lauter Tugendmuster sein könnten. Jedes Volk, so lange in Sklaverei gehalten, gepeinigt, gemartert und zur Unwissenheit verdammt, hätte so werden müssen. Immer hat die Tyrannei die Unterdrückten für niedrige Wesen ausgegeben, natürlich indem sie verleugnete, daß, was sie etwa von Niedrigkeit haben, ihnen durch die Unterdrückung aufgeprägt und eingepflanzt wurde.
Ich habe hier einen hochbegabten Neger kennen gelernt und hörte von ihm eine Rede über Stellung und Zukunft seiner Stammesgenossen; es war etwas Demosthenisches darin, der Mann ist 22 Jahr lang Sklave gewesen und hat sich jetzt eine vollkommene wissenschaftliche Bildung angeeignet.
Manchmal ist in seinem Ton eine zitternde Klage, wie von einem Verschmachtenden, und ich bewundere, daß er allen knirschenden Zorn niederhält. Wenn ein Einzelner je noch Befreier seines Volkes werden könnte, dieser Mann oder ein Anderer ihm gleicher könnte ein befreiender Held werden.
Aber das Heroenthum ist vorbei, immer und überall. Wir haben nur noch die Solidarität Aller.
Wohl sehe ich, seitdem ich hier bin, nicht nur eingerostete Vorurtheile, die sich mit humanen Redensarten zudecken, es zeigt sich mir auch die große Umwälzung, die die Aufhebung der Sklaverei mit sich bringt. Aber Amerika muß jetzt sühnen für die Unterlassungssünde der Vorfahren. Da sind die Straßen, die Häuser, die Felder, sie sind auch aus Mark und Knochen der Neger aufgebaut, das muß bezahlt werden, getilgt. Daß das jetzige Geschlecht es muß, ist hart, aber es muß.
Ganz Amerika trägt eine Schuld des Vaters auf sich. Roland ist nur ein hervorstechendes Beispiel von jener Schuld der Väter, die die Kinder zu sühnen haben.
Wir sind mitten in einen historischen Proceß versetzt, der seine eigene Logik erweist. Die Mittel friedlichen Ausgleichs haben nichts geholfen. Gegen den Ruf: Nur keine Unterjochung! Nur keinen Eingriff in die Unabhängigkeit der Einzelnstaaten! mußte doch ein Heer ausgestellt werden, und nun heißt der Ruf: Nur keine Confiscation des Eigenthums! Das heißt, keine Aufhebung der Sklaverei, und diese wird doch die zweite Consequenz sein müssen, da sie nicht die erste sein konnte.
Die moralische Schuld, die nie an der Börse notirt, nicht verzinst, nicht amortisirt wurde, wird jetzt zu einer großen Staatsschuld der Union, und jene moralische Schuld wird mit Geld und Blut abgetragen werden müssen.
Da sagen sie hier, der Krieg kostet drei tausend Millionen Dollars, mit der Hälfte dieser Summe hätte man die Sklaven freikaufen können. Aber eine Idee läßt sich nicht mit Geld kaufen, die muß doch mit dem Einsetzen des Lebens errungen werden. Die Freiheit läßt sich nicht kaufen, nicht schenken, sie muß erkämpft werden . . .
. . . . . Was war dagegen jener nächtliche Spuk der geschwärzten Männer! Ich habe hier einen Sklavenaufruhr erlebt. Doctor Fritz sagt, es sei die Erbitterung gegen die angeordnete Conscription, die ihn veranlaßt. Viele Neger sind ermordet, unserm Freund Knopf wurde seine Schule zerstört, die Waisenhäuser der Neger sind niedergebrannt worden und die armen schwarzen Kinder wälzen sich wimmernd auf der Straße.
Wir haben viel zu thun und gut zu machen.
Ich war beim Begräbniß einer Negerfrau.
Die Neger haben ihre getrennten Begräbnißplätze. Noch im Tode die Ausscheidung. . . .
Wie oft höre ich im Geiste die Melodie und die Worte: Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.
Es war ein Sommertag, da ich das Lied zuerst hörte von Erich, der es auf dem Rheine sang. Wie namenlos weh war mir damals. Und jetzt ist es, als ob über den ganzen Welttheil das Wort Goethe's hintönte: Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.
. . . . . Vollkommen erkenne ich Ihren Schmerz darüber, daß Juden bei den Sonderbündlern stehen. Der General Twiggs, der in Texas befehligte und Armee, Festung und Kriegsgeräthe den Rebellen übergab, ist ein Jude.
Daß auch Börsenspeculanten den Vertheidigern der Sklaverei Vorschub leisten – warum sollen sie's minder als die kirchenfrommen Engländer?
Warum verlangen Sie, daß alle Juden auf Seite des sittlichen Princips stehen? Es soll sich zeigen und es zeigt sich, daß keine Religion auserwählt zur Sittlichkeit ist.
Je mehr ich über Ihren Brief denke, um so mehr gelange ich zu der Betrachtung: Die Juden, die so lange und so grausam ausgestoßen aus staatlicher Gemeinschaft und zu einem traurigen Kosmopolitismus verdammt waren, bewähren sich in der Befreiung als Eingeborne der verschiedenen staatlichen Gemeinschaften und halten sich zunächst an den Patriotismus.
Mir stellt sich nun wieder eine Parallele, die ich schon oft im Auge hatte; die Juden und die Hugenotten haben eine eigenthümliche Mission. Unter fremde Völker vertrieben, mit ihnen Eins geworden, stellen sie gewissermaßen eine Bindung dar, so daß sich das Volksthum nicht auf die Blutabstammung allein gründet; ja noch mehr, sie repräsentiren die Einheit des Menschenthums.
Uebrigens sind sehr viele Juden hier bei uns und kämpfen tapfer und aufopfernd.
Der junge Arzt, den Sie ausgerüstet, ist sehr tüchtig.
Die Summe, die Sie übersendet haben, wird gewissenhaft verwendet . . .
. . . . . So viel Blüthen trägt kein Baum, als Segenswünsche aus meinem Herzen zu Euch hin sich wenden. Wir sitzen hier still, und Ihr draußen seid im Kampf. Wir können nichts für Euch thun, nur sagen will ich Dir, mein Sohn, und Dir, meine Tochter: was auch kommt, seid beruhigt in der Zuversicht, daß wir dem Geiste gefolgt. Wir müssen nun unser Theil still erkennend tragen.
Ich war auch im neuen Dorf. So muß es in Amerika in einer neuen Ansiedlung sein.
Ein großes Glück ist es, so vielen Menschen ein heiteres und arbeitsames Dasein bereiten zu können.
Mein Sohn! Warum schreibst Du nicht, ob Du nach dem Onkel Alphons geforscht? Versäume das nicht. Wenn er noch lebt, sage ihm, daß ich ihn nie verkannt habe, trotzdem er so hart gegen uns verfahren, und sage ihm, daß Dein Vater seiner immer brüderlich gedachte. Ach, ich weiß ja nicht, ob er noch lebt. Versuche, Dir Gewißheit zu verschaffen.
Unser Freund Einsiedel ordnet jetzt die Papiere Deines Vaters.
Unser guter Major will sich ein Zimmer im Warmhause einrichten und da will er im nächsten Winter den ganzen Tag unter den Pflanzen leben und ihren Athem einsaugen. Er behauptet, daß er dann hundert Jahre alt werde.
. . . . .Es ist gut, daß Du vom Schweren, das Du erleben mußt, in der Pflege der Sternkunde Dich befreist. Das hilft über alles Kleine hinweg.
. . . . . Morgen ist der Jahrestag meiner Hochzeit und da gebe ich meinen ersten großen Kaffee. Habe Respect vor mir. Ich lege schöne damastne Decken auf und habe eigene goldgeränderte Tassen. Ach, warum kannst Du nicht da sein! Die Leute sagen, meine Stimme wäre jetzt, seit ich Mutter bin, viel stärker. O Manna, der beglückendste Gesang ist doch der, den man seinem Kinde singt. Schreib es mir nur gleich.
Prancken und seine Frau sind zurückgekehrt, sie bleiben aber nicht bei uns. Er wird Gesandter da drunten an der Donau bei der Türkei, ich weiß nicht, wie das Land heißt.
Ich habe mir etwas Schönes für Dich ausgedacht. Wenn Du wiederkommst, mußt Du einen Gesangverein stiften für alle Frauen und Mädchen der Gegend, und da singen wir in Eurem Garten und im Musiksaal, auf dem flachen Dach und in Kähnen auf dem Wasser, überall. Ach, das soll ein Leben sein!
Wenn es nur schon morgen wäre!
. . . . . Erhebende Gedanken sind in den hinterlassenen Papieren Ihres Vaters. Es ist zu bedauern, daß nicht Einiges davon früher herausgegeben wurde. Er hat diesen Krieg in Amerika vorausgesehen, ganz deutlich. Die Consequenz des Denkens ist eine Art Prophetie. Ich werde die Blätter veröffentlichen und darauf hinweisen, daß sie viele Jahre vor diesen Ereignissen von einem einsamen Geiste niedergeschrieben sind.