Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band V
Berthold Auerbach

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Dreizehntes Capitel.

Erich ritt nach Wolfsgarten.

Was ist aus ihm, was ist aus den Anderen geworden, seit er von Wolfsgarten aus nach Villa Eden ritt? Alles zog ihm durch die Seele und in stiller Befriedigung athmete er tief auf, indem er dachte, was aus ihm geworden wäre, wenn er nicht mit aller Macht das Verhältniß zu Bella zum Rechten gelenkt hätte. Wie wäre es, wenn er jetzt dahin ritte mit einer die Seele zerreißenden Empfindung? Am Bette des Sterbenden müßte er als der niedrigste Heuchler stehen! Wie muß es zweien Menschen zu Muthe sein, die mit der Todesnachricht eines Andern sich ihr Glück gründen, und die keine Verbrecher, sondern sehr gebildete, sehr verständige Menschen sind? . . .

Er schaute sich um wie ein Erretteter.

Er ritt durch den Bergwald. Stille war es hier ringsum. Die Hagebuche, die sich zuerst belaubt, ließ jetzt auch zuerst die gelben Blätter fallen; es rieselte und knisterte in diesem Blätterfalle leise im Walde, und nur der Habicht kreischte oben in der Höhe.

Erich kam vor das Herrenhaus und trat in den Hof. Er ging zu Bella, die blaß und schwer leidend aussah.

Erich war erschreckt, Prancken hier zu treffen. Die beiden Männer bedurften der äußersten Haltung, um jetzt hier einander gegenüber zu stehen.

»Er schläft jetzt,« sagte Bella; »er spricht beständig von Ihnen. Seien Sie gefaßt, Sie werden ihn kaum kennen; geben Sie ihm in Allem nach, er ist sehr gereizt.«

Die Stimme Bella's war heiser; sie verhüllte die Augen mit einem weißen Tuch, dann fragte sie:

»Sie waren beim Tode Ihres Vaters?«

Erich bejahte.

Bella ging, um Clodwig die Ankunft Erichs zu melden. Prancken und Erich waren allein. Lange sprachen sie kein Wort, endlich begann Erich:

»Es thut mir weh, daß ich den Schein eines Unrechts gegen Sie auf mich laden mußte. Ich mußte es, weil ich das höhere Recht der Liebe Manna's . . .«

»Genug!« unterbrach Prancken. »Ich hätte nie geglaubt, noch ein Wort mit Herr Dournay zu sprechen; aber wir sind jetzt an ein Krankenbett gestellt, und um des Kranken willen . . .«

Bella kam zurück und sagte:

»Er schläft noch. Ach, Herr Dournay, Clodwig liebt Sie weit mehr, als irgend einen andern Menschen auf der Welt.«

Sie reichte Erich ihre Hand, die eiskalt war. Lange waren die Drei stumm, endlich fragte Erich:

»Ist es denn entschieden?«

»Der Doctor sagt, sein Leben sei nur noch nach Stunden zu zählen. Hören Sie nichts? Der Doctor hat versprochen, zu kommen . . . sofort wiederzukommen. Ach, wenn ich nur Clodwig dazu bringen könnte, daß er noch einen anderen Arzt zu Rathe zieht. Bitte, bewegen Sie ihn dazu. Ich habe kein Vertrauen zu Doctor Richard.«

Erich antwortete nichts.

»Ach, mein Gott,« klagte Bella, »wie verlassen sind wir doch in der Noth. Nicht wahr, Sie bleiben bei uns? Sie verlassen uns nicht?«

Erich versprach's.

Es war ein seltsamer Ton, eine Erinnerung aus höflicher Vergangenheit, als Bella sich nun entschuldigte, daß sie noch nicht nach der Mutter Erichs, nach Frau Ceres und Manna gefragt habe, und mit einem eigenthümlichen Herausstoßen der Worte fragte sie:

»Wie lebt denn Herr Sonnenkamp?«

Ein Diener kam und meldete, der Herr Graf sei erwacht und habe sofort nach Herrn Hauptmann Dournay gefragt.

»Gehen Sie zu ihm,« sagte Bella und legte die Hand auf die Schulter Erichs. »Bitte, sprechen Sie es als Ihre und nicht als meine Ansicht aus, daß man noch einen anderen Arzt zuziehe.«

Erich ging, und Bella sagte schnell hinter ihm drein zu Prancken:

»Otto, schaff mir mit guter Manier den Juden fort. Was will er da?«

Prancken ging zu dem Banquier.

Bella war allein, sie war von einer Unruhe, die sie nicht bemeistern konnte; sie setzte in Gedanken die Todesanzeige auf, ja sie schrieb schon die Worte:

Verwandten und Freunden die schmerzliche Nachricht, daß mein geliebter Mann Clodwig, Graf von Wolfsgarten auf Wolfsgarten, vormals **scher Gesandter in Rom, Ritter hoher Orden, fünfundsechzig Jahre alt, nach kurzem Krankenlager gestorben ist. Ich bitte um stille Theilnahme.

Bella, Gräfin von Wolfsgarten, geb. von Prancken.

Ein Dämon sagte ihr immer diese Todesanzeige vor, sie sah sie schwarz gerändert vor sich, während Clodwig noch lebte. Warum ist das? Was zwingt sie, das jetzt schon in Worte zu fassen und vor sich zu sehen? Sie konnte nicht davon los kommen. Sie nahm das Blatt, zerriß es in Stücke und streute die Stücke zum Fenster hinaus in den Regensturm.


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