Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band V
Berthold Auerbach

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Neuntes Capitel.

Die Bienen, die wir aus Europa mitgebracht, fliegen jetzt in den Frühling hinaus . . . schrieb Lilian aus Newyork.

Auch auf Mattenheim nahte der Frühling mit Macht. Die Arbeit in Feld und Wald drängte sich, Sonnenschein und Hagelschauer wechselten in rascher Folge, aber die grüne Saat erquickte das Auge.

Von Mattenheim aus gingen Einladungen an die Freunde zu einem Abschiedsfeste für Fürst Valerian, der in seine Heimat zurückkehren wollte. Zuerst kamen von Villa Eden die Professorin, Claudine und Manna, mit ihnen der Major und Professor Einsiedel.

Manna und die Professorin fanden freundlichen Anschluß an Frau Weidmann und deren Schwiegertöchtern. Es war ein Leben im Hause so voll und reich durch alle Altersstufen, daß es einem Jeden das Herz erquickte.

Die Frauen von Villa Eden wurden zu vielen Betrachtungen und Selbstprüfungen erregt, da sie hier ein immer thätiges Wesen sahen; denn im Hause war bei aller Geschäftigkeit ein gelassener festgeordneter Gang und ohne sich mit Gedanken abzuplagen, erfüllte Frau Weidmann den Kreis ihrer Pflichten. Sie war stolz darauf, das ganze Haus und besonders die großen Einmachgläser zu zeigen, wo nicht nur Vorrath für ihre eigene weitverzweigte Familie war, sondern auch für die Armen, die für nichts vorsorgen konnten. Freilich klagte sie auch, daß sie nicht Zeit genug auf ihre Fortbildung verwenden könnte, aber lächelnd setzte sie hinzu, es gehe ihr da, wie in ihrem Pflanzengarten; sie vertreibe dort die Vögel, denn entweder müsse man auf Salat und Strauchbeeren, oder auf Vogelsang verzichten.

Alle waren erstaunt, als sie hier von der großen Bewegung hörten, die in der neuen Welt vorging, denn mit einem Briefe Lilians waren auch Zeitungen angekommen und Weidmann sagte, daß in diesem herankommenden Sommer die größte Entscheidung unseres Jahrhunderts, ja vielleicht die der ganzen modernen Geschichte vor sich gehe. Wenn es möglich ist, die Union zu zersprengen, dann wäre die Freiheit und Humanität, an der wir Alle arbeiten, in so großem Maße geschädigt und zurückgeworfen, daß die kleine Arbeit des Einzelnen davor verschwindet.

Lina kam mit ihren Eltern und ihrem Bräutigam, auch der Doctor mit seiner Frau kam; er brachte die alle Anwesenden bewegende Nachricht, daß Prancken in das päpstliche Heer eingetreten sei.

Man versammelte sich endlich zu dem großen Mahle, das ein Abschiedsfest für den Fürsten Valerian sein sollte.

Weidmann, der obenan saß, brachte den Trinkspruch auf den scheidenden Freund aus. Nachdem er dessen Wißbegierde und Eifer für die Mitmenschen betont, führte er aus:

»Zwei Dinge kämpfen in der Welt mit einander: Egoismus und Humanität. Je mehr Du Anderen in Liebe dienst, um so freier bist Du; je mehr Du Dich hingibst, um so reicher bist Du in Dir. Wir arbeiten an der Befreiung unsrer Mitmenschen. Auf Berechnung allein stellt sich keine Befreiung. Wo die Liebe nicht mitwirkt, die Selbstlosigkeit, wird kein Dauerndes geschaffen. Erwerbssucht und Genußsucht drängen sich vor, als wären sie allein der Charakter unserer Zeit. Wir aber rufen: groß ist unser Jahrhundert! Europa mit seiner alten Cultur, seinem untergehenden Adel, strebt danach, alle Menschen zur Arbeit zu verpflichten, das russische Reich und Amerika die Menschen zur freien Arbeit zu erlösen. Seit ich die große Jahrtausendwelle auf mich eindringen sehe, seitdem lebe ich froh und in heiliger Zuversicht. Den Glaubenssatz versteht Jeder nach seinem eigenen Sinn, wie ihn Jeder in seiner ihm allein angehörenden, im letzten Ton unnachahmlichen Stimme spricht. Die That, die gerechte, die schöne, die freie That allein kann nicht gedeutet, nicht mißverstanden, vom Einzelnen nicht verändert werden; wir können keinen Bund der freien That stiften, denn die freie That gehört Jedem allein.«

So ziehe nun Fürst Valerian in fremde Lande als Genosse der freien schönen That.

Noch während man bei Tische saß, kam ein Brief des Professor Crutius, worin dieser Herrn Weidmann mittheilte, daß nach so eben bei der Redaction eingetroffenen überseeischen Correspondenzen der Krieg in Amerika ausgebrochen sei.

Tief bewegt verkündete Weidmann diese Nachricht der Gesellschaft.

»Ich ziehe in den Krieg!« erhob sich Roland. Sein Angesicht leuchtete, sein Auge glühte. Alles schaute auf ihn, Niemand schien ein Wort zu wagen; endlich sagte Weidmann:

»Es ist Ihr Schicksal, Ihre Pflicht.«

»Könnte ich mit Dir ziehen!« sagte Erich.

»Du kannst, Du sollst!« fiel Manna ein.

»Ich? Und Du, Manna?«

»Ich ziehe mit Dir; ich ziehe mit Euch.«

Roland fiel seiner Schwester um den Hals und rief:

»Manna, Du bist eine Heldenfrau. O meine Schwester! O Erich! Wir Alle setzen uns ein! Jetzt ist die Befreiung da.«

»Ich habe das kommen sehen,« sagte die Professorin. »Wer darf es wagen, Euch zurückzuhalten?«

Knopf hatte Adams herbeigerufen, der laut aufjauchzte, die Fäuste ballte und rief:

»Ziehen wir alle . . . alle!«

Man umarmte einander, wie wenn eine Erlösung über die Welt gekommen wäre.

Als man sich wieder ruhig niedergesetzt hatte, sagte Manna leise zu Erich:

»O Erich! Und der Vater im feindlichen Lager, und sein Sohn ihm gegenüber . . .«

Erich beruhigte sie, indem er erklärte, daß er in die von Sonnenkamp bezeichnete südstaatliche Zeitung mit Worten, die nur Sonnenkamp verstehe, die Anzeige gebe, daß Roland in das amerikanische Landheer eintrete, in der Zuversicht, daß er dann nicht seinem in der Marine kämpfenden Vater gegenüber stehe.

Es schien ganz vergessen, daß man zu einer Abschiedsfeier des Fürsten Valerian zusammengekommen war. Dieser erhob sich und sagte, daß er die hochgehende Stimmung der Freunde, die er zurücklasse, nicht unterbrechen wolle; er werde es in der Seele mitnehmen, welche dem Reinen lebende Menschen in einem Hause auf der rheinischen Hochebene athmen, und das Gedenken als ein Heiligthum für sein ganzes Leben auch in weiter Ferne bewahren. Er wußte darauf hinzudeuten, daß es Momente im Leben gibt, die wie ein Aufbrechen der Blüthe seien, die sich lange und still in der Knospe vorbereitet. Und wie jetzt draußen in der Natur Alles aufbreche, so sei es ihm ein Glück, Erich und Manna nun als Ehegatten zu wissen, die sich entschließen, vereint dem Kampfe um die reine Menschlichkeit sich zu Gebote zu stellen.

Der Fürst sprach mit bewegter Stimme, und Alles war bewegt, da er zuerst laut ausgesprochen hatte, daß Erich und Manna nun ihre Hochzeit feiern.

In die aufs Höchste gespannte Gemüthsspannung Aller kam eine gewisse Beruhigung und Ablenkung, als Knopf nun ein Abschiedsgedicht vorlas; es war viel Lustiges darin, die ganze Tischgenossenschaft lachte, während einem Jeden das Herz erbebte.

Man stand auf. Lina mußte noch ein Abschiedslied singen, und fröhlich fuhr Fürst Valerian dahin, von Knopf bis zur Eisenbahn begleitet.

Die Männer umstanden Erich, die Frauen waren bei Manna, die in sich erschauernd, die Augen niederschlagend, mit in einander gelegten Händen da stand; Roland ging von einer Gruppe zur andern, bald sprach er zu Manna, bald zu Erich. Es wurde beschlossen, daß die Professorin, Claudine, Lina und Manna im Geleite Rolands und des Professor Einsiedel nach der Villa zurückkehren und andern Tages auch Erich mit den Männern dahin kommen sollte, wo alsdann Weidmann die bürgerliche Trauung, die seines Amtes war, vollziehen werde.


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