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Ein frisches Leben war auf Mattenheim; der Tag begann früh und endete früh. Alles war voll Arbeitsamkeit, Erich arbeitete in der Pulverfabrik, die ein Sohn Weidmanns eingerichtet hatte, selbst Adams, der sah, wie Jedes sich bethätigte, konnte sich der Arbeit nicht entziehen. Er schämte sich seines Müßiggangs. Der Knecht, der ehemals Sträfling gewesen, mußte ihn pflügen und säen lehren; auch zum Dreschen drängte er sich, aber er konnte nicht Tact halten. Am liebsten arbeitete er in der Mühle, und es war ein seltsamer Anblick, den starken Neger mit Mehlstaub bedeckt auf und ab wandeln zu sehen. Daneben war er am Abend eifrig beim Unterricht, den ihm Knopf ertheilte.
Von allen Menschen auf Mattenheim war Knopf der Glücklichste. Was hatte er auch nicht Alles? Weidmann, den er verehrte, Erich, den er hoch hielt, Roland, den er schwärmerisch liebte, und einen Fürsten und einen Sklaven, die er unterrichtete. Ja, Fürst Valerian mußte es sich gefallen lassen, neben Adams unterrichtet zu werden; denn während dieser Schönschriften machte, setzte der Fürst seine Studien in Geschichte und Mathematik fort.
Den Tag über war man in jeglichem Wetter auf freiem Felde beschäftigt; es wurden Vermessungen vorgenommen, vor Allem in der nun angekauften Domäne; die Wälder wurden durchforstet und es gab gute Jagden, bei denen sich Roland mit großem Geschicke hervorthat.
Weidmann war besonders glücklich, daß er den Plan ausführen konnte, ein neues Dorf auf der vom Staate angekauften Domäne anzulegen. Er belehrte die jüngeren Männer, daß Weinbau ohne Ackerland einen unsichern Hausstand gebe, nicht nur durch Fehljahre, sondern auch dadurch, daß der kleinere Weinbauer, der im Herbste verkaufen muß, für sein geringes Wachsthum weniger erhält; ein Bauer, der Weizen oder Kartoffeln zu verkaufen hat, bekommt für das kleine Erträgniß denselben allgemeinen Preis, den Andere für ein großes bekommen; nicht so aber ist es beim Weinverkauf.
Knopf bat beständig, man möge ja nicht eines jener langweiligen Colonisten-Dörfer bauen in gerader Linie; der Architekt tröstete ihn, indem er zeigte, daß der Bach durch seine Krümmungen und die anzulegende Kirche auf einer Anhöhe eine künstlerische Gruppirung gebe.
Roland ging so zu sagen von Hand zu Hand, denn Jeder der Söhne Weidmanns nahm ihn auf Stunden und Tage mit und Jeder hatte seine Lust, ihm das Beste mitzutheilen, was er wußte.
Weidmann hatte ein beständiges, zuverlässiges Gleichgewicht, so daß jede stürmische Bewegtheit eines Andern davor zurückwich; er hatte Würde ohne Schwerfälligkeit, er hatte ein ruhiges festes Maß für alle Dinge. Er registrirte einen Fehler, ein Mißgeschick, in allgemein politischen wie in Privat-Angelegenheiten, mit mannhafter Ruhe, ohne sich beirren und entmuthigen zu lassen.
Ein Strom, der so klar ist, daß man dessen Grund sehen kann, erscheint weniger tief als er ist, und so war es auch bei Weidmann. Er hatte weniger Geistreiches, er war einfach sachlich.
Der Abend jedes Tages hatte seine feierliche Weihe; der Feierabend, der leider aus unserer Welt verschwindet, stand hier noch in voller Geltung. Hier war das frische Leben des productiven Reichthums.
Frau Weidmann, die Tages über wohl sauber und nett, erschien am Abend gesellschaftsmäßig gekleidet. Man betete auf Mattenheim nicht, aber Weidmann hatte eine eigene Andacht des Geistes, die sich bei vielen Lebensereignissen kundgab.
Viel Heiterkeit erregte Fürst Valerian; er hatte die Wißbegierde, die er schon am ersten Tage auf Wolfsgarten bekundete, noch immer behalten, und so unermüdlich der Fürst im Fragen, so unermüdlich war Weidmann im Antworten.
Jetzt stand Roland in einer Gemeinschaft, er hörte Antworten auf Fragen, die er nicht selbst gestellt; und wie er zuerst diese Fragen sich innerlich erneuern mußte, so drangen auch die Antworten erwecklicher in seine Seele als diejenigen, die er ehedem selbst gefordert hatte.
Wenn man auf dem Felde, von den Fabriken, den Bergwerken und der Domäne heimkam, konnte man im Antlitz der Frau Weidmann sehen, ob ein Brief aus Amerika da war.
Von Doctor Fritz kamen oft Briefe und die höchste Freude war es, wenn auch Lilian dazu schrieb.
Knopf hatte seine heimliche Dichterlust, der Stillvertraute einer romantischen Liebe zu sein.
Weidmann sprach es geradezu aus, daß jetzt ein Gewitter über der Welt heraufziehe, und er hoffe, daß das in Amerika losbrechende auch die Luft in Europa reinige.
Knopf, hierdurch ermuntert, erzählte, wie man Ludwig XII. vorgestellt, daß man die wilden Völker nicht bekehren könne, man müsse sie vorher zu Sklaven machen, dann könne man sie zur Kirche bekehren; man bekehrte sie nun zur Kirche und vergaß nur die Kleinigkeit, sie dann aus der Sklaverei zu befreien.
Frau Weidmann war sehr unwillig, daß man Derartiges vor Roland erörterte, aber sie tröstete sich, daß ihr Mann gewiß seinen wohlbedachten Zweck habe.
Und in der That war es die Absicht Weidmanns, Roland voll und ganz in diese Frage zu führen. Er kannte die Sophistik der Welt und wußte, wie leicht ein bedrücktes Gemüth derselben zugänglich ist; hatte er ja auch in der Handelsstadt vernommen, daß selbst menschenfreundlich Gesinnte die Sache des Sklavenhandels mit allerlei Beschönigung betrachteten. Roland sollte den ganzen Schmerz haben, um nach seinen Kräften die ganze Versöhnung zu bewirken. Mit einer ihm sonst fremden Heftigkeit sprach er seinen Unmuth aus, daß man eine Berechtigung dafür finden konnte, einen mit Sprache und Vernunft begabten Menschen als Sache zu behandeln.
So lebte man auf Mattenheim geraume Zeit in allseitiger Bewegung . . .
Die rheinische Gastfreundschaft war auf Mattenheim noch volle Wahrheit. Der Banquier kam und war erfreut, Roland so frisch thätig zu finden. Auch Professor Crutius kam. Er näherte sich Roland freundlich, dieser aber hielt sich entschieden von ihm fern.
Knopf, der ein Studiengenosse des Professor Crutius war und ihn nach Villa Eden empfohlen hatte, kündigte Crutius förmlich seine Freundschaft auf; er hätte Sonnenkamp um der Kinder willen schonen müssen.
Weidmann dagegen, der die Art, wie Crutius verfahren, ebenfalls mißbilligte, aber die streng politische Haltung des Mannes hoch achtete, behielt ein freundliches Verhältniß zu ihm.
Durch Crutius und seine Mittheilungen über die Zustände der neuen Welt wurde nun sehr eifrig besprochen, wie ein großer, langer und entscheidender Kampf zwischen Freiheit und Knechtschaft bevorsteht.
Crutius konnte aufs Neue und aus eigener Wahrnehmung bestätigen, daß die Südstaaten reichlich mit wohlgeschulten Officieren versehen seien, denn an der Kriegsschule zu Westpoint, wo er ehedem Lehrer gewesen, waren weit mehr Zöglinge aus den südlichen, als aus den nördlichen Staaten. Wird die Union zersprengt, siegen die Sklavenhalter, dann ist die Sache der Freiheit ins Mark getroffen.
Nach der Abreise des Professor Crutius bemerkte man an Roland eine stille Schwermuth. Er that, was man von ihm wünschte, aber stundenlang konnte er starr dreinschauen. Weder zu Weidmann, noch zu Erich gab er kund, was in ihm vorging; nur gegen Knopf äußerte er seine Beklommenheit, aber Knopf mußte ihm geloben, sonst Niemand Mittheilung zu machen.
Roland hatte vernommen, daß Doctor Fritz der erbittertste Feind seines Vaters sei.
Wie eine verschüttete Flamme, die plötzlich vielzackig aufzüngelt, so ging aufs Neue aller Schmerz in Roland auf. Der Schmerz um die That des Vaters, um seine Flucht und die Entführung Bella's, während die Mutter noch lebte; der Tod der Mutter und das traurige Erbe – das Alles wirrte sich durch einander und die einzige freie Erlösung war vernichtet. Lilian ist die Tochter eines der erbittertsten Feinde seines Vaters und er selber, wenn es zur Entscheidung kam, sollte er im feindlichen Heere seinem Vater gegenüber stehen?