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»Nicht wahr, es ist kein Traum? Wir sind beide miteinander wach, und morgen wird's Tag und dann wieder ein Tag und so tausendmal fort?« So sprach Barfüßele mit dem Lux, der bei ihr verblieben war, während Johannes drinnen im Stall den Schimmel ausschirrte. Jetzt kam er heraus, packte den Sack auf und sagte: »Da sitz' ich drauf, und du sitzest vor mir in dem Sattel.«
»Laß mich lieber auf meinen Sack sitzen.«
»Wie du willst.«
Er schwang sich hinauf, dann sagte er: »So. Jetzt: tritt auf meinen Fuß, tritt nur fest drauf und gib mir deine beiden Hände,« und leicht schwang sie sich hinauf, und er hob sie empor und küßte sie und sagte dann: »Jetzt kann ich mit dir machen, was ich will, du bist in meiner Gewalt.«
»Ich fürchte mich nicht,« sagte Barfüßele, »und du bist auch in meiner Gewalt.«
Schweigend ritten sie miteinander durch das Dorf hinaus. Im letzten Hause brannte noch ein Licht, dort wachte die Totengräberin bei der Leiche der Marann', und Johannes ließ Barfüßele sich ausweinen.
Erst als sie über den Holderwasen ritten, sagte Barfüßele: »Da hab' ich einmal die Gänse gehütet, und da hab' ich einmal deinem Vater zu trinken gegeben aus dem Brunnen dort. Behüt' dich Gott, du Holzbirnenbaum, und euch, ihr Felder und ihr Wälder! Es ist mir, wie wenn ich alles nur geträumt hätte, und verzeih mir nur, lieber Johannes, ich möcht' mich freuen und kann doch nicht und darf doch nicht, wenn ich denk', daß da drinnen eine Tote liegt; es ist eine Sünde, wenn ich mich freue, und eine Sünde, wenn ich mich nicht freue. Weißt was, Johannes? Ich sag', es ist schon ein Jahr um, und ich freue mich; aber nein, übers Jahr ist schön, und heut ist auch schön, ich freue mich heut, just. Jetzt reiten wir in den Himmel hinein! Ach, was hab' ich da auf dem Holderwasen für Träume gehabt, daß der Kuckuck vielleicht ein verzauberter Prinz sei, und jetzt sitz' ich auf dem Gaul, und jetzt bin ich Salzgräfin geworden. Das freut mich, daß du mich Salzgräfin geheißen hast; ich weiß, daß sie jetzt in Haldenbrunn darüber spötteln, aber mir ist's recht, daß du mich Salzgräfin geheißen hast. Kennst du denn auch die Geschichte von dem: so lieb wie das Salz?«
»Nein, was ist denn das?«
»Es ist einmal ein König gewesen, und der fragt seine Tochter: wie lieb hast du mich denn? und da sagt sie: ich hab' dich so lieb . . . so lieb wie das Salz. Der König denkt, das ist eine einfältige Antwort, und ist bös darüber. Es vergeht nicht lange Zeit, da gibt der König eine große Gasterei, und die Tochter macht es, daß alle Speisen ungesalzen auf den Tisch kamen. Da hat's natürlich dem König nicht geschmeckt, und er fragte die Tochter: Warum ist denn heut alles so schlecht gekocht? das schmeckt ja alles nach gar nichts – und da sagt sie: Seht Ihr nun? Weil das Salz fehlt. Und hab' ich nun nicht recht gehabt, daß ich gesagt habe, ich hab' Euch so lieb, so lieb wie das Salz? Der König hat ihr recht gegeben, und darum sagt man noch heutigen Tages: so lieb wie das Salz. Die Geschichte hat mir die schwarze Marann' erzählt. Ach Gott, die kann jetzt nicht mehr erzählen. Da drinnen liegt eine Tote, und horch! dort schlägt die Nachtigall, so glückselig. Aber jetzt vorbei! Ich will schon deine Salzgräfin sein, Johannes. Du sollst es schon spüren. Ja, ich bin glückselig, just, o die Marann' hat ja auch gesagt: Gott freut sich, wenn die Menschen lustig sind, wie sich Eltern freuen, wenn ihre Kinder tanzen und singen; getanzt haben wir schon, und jetzt komm, jetzt wollen wir singen. Wend' jetzt da links ab in den Wald, wir reiten zu meinem Bruder, sie haben jetzt den Meiler da unten an der Straße. – Sing, Nachtigall! wir singen mit.«
Nachtigall, ich hör' dich singen;
Das Herz im Leib möcht' mir zerspringen; Komm nur bald und sag' mir wohl, Wie ich mich verhalten soll! |
Und die beiden sangen allerlei Lieder, traurig und lustig, ohne Aufhören, und Barfüßele sang die zweite Stimme ebenso wie die erste. Am meisten aber sangen sie den Ländler, den sie auf der Endringer Hochzeit dreimal miteinander getanzt, und so oft sie absetzten, berichtete bald das eine bald das andere, wie es des Fernen gedacht, und Johannes sagte:
»Es ist mir schwer geworden, den Ländler aus dem Kopf zu kriegen, denn da bist du immer drin herumgetanzt. Ich hab' keine Magd zur Frau haben wollen, denn ich muß dir nur sagen, ich bin stolz.«
»Das ist recht, ich bin's auch.«
Nun erzählte Johannes, wie er mit sich gekämpft habe, wie das aber nun gut sei, denn jetzt sei alles vorbei. Er berichtete, wie er zum ersten- und zweitenmal in die Heimat der Mutter geschickt worden, um sich von da eine Frau zu holen. Wie ihm Barfüßele damals beim Antritt in Endringen gleich ins Herz gestiegen sei, er habe es gespürt und sich darum, als er gehört habe, daß sie eine Magd sei, nicht zu erkennen gegeben.
Barfüßele berichtete dagegen von dem Benehmen der Rosel in Endringen, und wie sie's damals zum erstenmal gekränkt habe, daß die Rosel sagte: es ist nur unsere Magd, und nach allerlei beweglicher Hin- und Widerrede schloß Johannes: »Ich könnte närrisch werden, wenn ich mir denken will, es hätte anders kommen können. Wie könnte das nur sein, ich zöge mit einer andern als du heimwärts? Wie wäre das nur möglich?«
Nach ihrer besonnenen Art sagte Barfüßele:
»Denk' nicht zu viel, wie's hätt' anders sein können; so und so und anders. Wie's einmal ist, ist es recht und muß recht sein, sei's Freud oder Leid, und Gott hat's so gewollt, und jetzt ist's an uns, daß wir's weiter recht machen.«
»Ja,« sagte Johannes, »wenn ich die Augen zumache und dich so reden höre, so meine ich, ich höre meine Mutter. Grade so hätte sie auch gesagt. Und auch deine Stimme ist fast so.«
»Sie muß jetzt von uns träumen,« sagte Barfüßele. »Ich glaub's ganz gewiß und fest.« Und nach ihrer Art inmitten aller lebenssichern Fassung doch erfüllt von allerlei Wundersamem, mit dem ihre Jugend vollgepfropft war, sagte sie jetzt:
»Wie heißt denn dein Gaul?«
»Wie er aussieht.«
»Nein, wir wollen ihm einen Namen gehen, und weißt du, wie? Silbertrab.«
Und nach der Weise des Ländlers, den sie mit einander getanzt, sang jetzt Johannes immer und immer das eine Wort: Silbertrab! Silbertrab! und Barfüßele sang mit, und eben jetzt, indem sie keinerlei Worte mehr sangen, die irgend was sagten, ward ihre Lustigkeit die reine, volle, unbegrenzte; sie konnten allerlei Jubel hineinlegen und hinausklingen lassen. Und wieder hing sich allerlei Jodeln daran; denn es gibt ein Glockengeläute in der Seele, das keinen zusammenhängenden Ton mehr hat, keine bestimmte Weise, und doch alles in sich schließt, und hin und her und auf und ab in Jubeltönen schwang und wiegte sich das Herz der Liebenden. Und wieder ging's an Schelmenlieder, und Amrei sang:
»Mein'n Schatz halt' ich fest,
Wie der Baum seine Aest, Wie der Apfel seinen Kern, Ich hab' ihn so gern.« |
Und Johannes erwiderte:
»Im Ewigkeit laß ich mein Schätzele net (nicht),
Und wenn es der Teufel am Kettele hätt': Am Kettele, am Schnürle, am Bändele, am Seil, In Ewigkeit ist mir mein Schätzle nicht feil.« |
Und wieder sang Amrei:
»Tausendmal denk' ich dran,
Wie mein Schatz tanzen kann, 'rum und 'num, hin und her, Wie ich's begehr'.« |
Johannes erwiderte:
»Und alleweil ein bisle lustig
Und alleweil fidel, Der Teufel ist g'storben, 's kommt niemand in d'Höll.« |
Und jetzt sangen sie gemeinsam in langgezogenen Tönen das tiefe Lied:
»Auf Trauern folgt große Freud,
Das tröstet mich allezeit; Weiß mir ein schwarzbraunes Mägdelein, Die hat zwei schwarzbraune Aeugelein, Die mir mein Herz erfreut.« »Mein eigen will sie sein,
|
Das war ein helles Klingen im Walde, wo der Mondschein durch die Wipfel spielte und an Zweigen und Stämmen hing und zwei fröhliche Menschenkinder mit der Nachtigall um die Wette sangen. –
Und drunten beim Meiler saß noch in stiller Nacht der Dami beim Kohlenbrenner, und der Kohlenbrenner, der in der Nacht gern sprach, erzählte allerlei Wundergeschichten aus der Vergangenheit, wo der Wald hier zu Lande noch so geschlossen bestanden war, daß ein Eichhörnchen, ohne auf den Boden zu kommen, von Baum zu Baum vom Neckar bis zum Bodensee laufen konnte, und jetzt eben berichtete er die Geschichte vom Schimmelreiter, der eine Wandlung des alten Heidengottes ist und überall Glanz und Pracht verbreitet und Glück ausgießt.
Es gibt Sagen und Märchen, die sind für die Seele, was für das Auge das Hineinstarren in ein loderndes Feuer: wie das züngelt und sich verschlingt und in bunten Farben spielt, hier verlischt, dort ausbricht und plötzlich wieder alles in eine Flammenwoge sich erhebt. Und wendest du dich ab von der Flamme, so ist die Nacht noch dunkler.
So hörte Dami zu, so schaute er sich manchmal um, und der Kohlenmathes erzählte so eintönig fort.
Da hielt er inne; dort kam von dem Berge herab ein Schimmel, und drauf sang es so lieblich. Will die Wunderwelt herabsteigen? Und immer näher kam das Pferd, und darauf saß ein wunderlicher Reiter, so breit, und hatte zwei Köpfe, und das kam immer näher, und jetzt rief bald eine Männerstimme, bald eine Frauenstimme: »Dami! Dami! Dami!« Die beiden wollten in den Boden sinken vor Schreck, sie konnten sich nicht bewegen, und jetzt war es da, und jetzt stieg es ab, und: »Dami, ich bin's!« rief Barfüßele und erzählte alles, was geschehen war.
Dami hatte gar nichts zu sagen und streichelte nur bald das Pferd und bald den Hund und nickte, als Johannes versprach: er wolle ihn zu sich nehmen und ihn zum Almhirten machen, er solle dreißig Kühe auf der Alm haben und buttern und käsen lernen.
»Du kommst aus dem Schwarzen ins Weiße,« sagte Barfüßele, »da könnte man ein Rätsel daraus machen.«
Dami gewann endlich die Sprache und sagte: »Und ein paar lederne Hosen auch.« Alle lachten, und er erklärte, daß ihm die Landfriedbäuerin noch ein Paar lederne Hosen schuldig sei.
»Ich geb' dir einstweilen meine Pfeife, da, das soll die Schwagerpfeife sein,« sagte Johannes und reichte Dami seine Pfeife.
»Ja, dann hast du ja keine,« sagte Amrei in halber Einrede.
»Ich brauch' jetzt keine.«
Wie selig sprang Dami in die Höhe und in die Blockhütte hinein, mit seiner silberbeschlagenen Pfeife, aber man hätte es nicht glauben sollen, daß er einen so fröhlichen Spaß machen könne; nach einer Weile kam er wieder und hatte den Hut des Kohlenmathes auf und seinen langen Rock an und in jeder Hand eine lange Fackel. Mit gravitätischem Gang und Ton ließ er nun die Brautleute an: »Was ist das? Da, Johannes, da hab' ich zwei Fackeln, da will ich dir mit heimleuchten. Wie kommst du dazu, so mir nichts dir nichts meine Schwester fortzunehmen? Ich bin der großjährige Bruder, und bei mir mußt du um sie anhalten, und ehe ich Ja! gesagt habe, gilt alles nichts.«
Amrei lachte fröhlich, und Johannes hielt förmlich bei Dami um die Hand seiner Schwester an.
Dami wollte den Scherz noch weiter treiben, denn er gefiel sich in der Rolle, in der ihm einmal so etwas gelungen war. Aber Amrei wußte, daß da kein Verlaß auf ihn war; er konnte allerlei Albernheiten vorbringen und den Scherz in sein Gegenteil verkehren. Sie sah schon, wie der Dami mehrmals die Hand auf- und zumachend nach dem Uhrgehänge des Johannes griff und immer wieder, bevor er es gefaßt, zurückzog; sie sagte daher streng, wie man einem tollenden Kinde wehrt: »Jetzt ist's genug! Das hast du gut gemacht, jetzt laß es dabei!«
Dami entlarvte sich wieder und sagte nur noch zu Johannes: »So ist's recht! Du hast eine stahlbeschlagene Frau und ich eine silberbeschlagene Pfeife.« Als niemand lachte, setzte er hinzu: »Gelt, Schwager, das hättest du nicht geglaubt, daß du einen so gescheiten Schwager hast? Ja, sie hat's nicht allein, wir sind in einem Topf gekocht. Ja, Schwager!«
Es schien, als wollte er die Freude: Schwager! sagen zu können, völlig auskosten.
Man stieg endlich wieder auf, denn das Brautpaar wollte noch nach der Stadt, und schon als sie ein Stück weg waren, schrie Dami in den Wald: »Schwager! vergiß meine ledernen Hosen nicht!« Helles Lachen antwortete, und wiederum tönte Gesang, und die Brautleute ritten fort und fort in die Mondnacht hinein.