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An die große Glocke.

Es war ein heller Herbstabend, die Schwalben sammelten sich in Scharen und strichen in großen Flügen dahin; vor den Häusern saßen die Bauern und dengelten die Sensen, um das Oehmd zu schneiden; das war ein Klingen und Hämmern durch das ganze Dorf, daß man kaum das Abendläuten hörte.

Vor dem Rathaus spielte ein Trupp Knaben laut jauchzend das sogenannte Habergeisspiel, des Maurer Sebs Johannes war auch unter ihnen. Da tönte eine wohlbekannte Klingel durch das Dorf, die Dengelnden hielten eine Weile an und hörten den Ausruf des Dorfschützen, dann hämmerten sie wieder weiter. Den Knaben am Rathause mußte zweimal Stille geboten werden, bis sie ruhig waren, daß man hören konnte, wie der Schütz nach dreimaligem Klingeln von einem großen Bogen las: »Auf der Gantmasse des Maurermeisters Eusebius Groler, genannt Maurerseb, und seiner Ehefrau Cäcilia, geborene Künzle, wird deren allhier an der Winterhalde belegenes einstockiges Wohnhaus morgen nach der Nachmittagskirche im Aufstreich zum erstenmal öffentlich versteigert.«

Der Schütz ging gravitätisch weiter, und man hörte ihn bald wieder vor einer andern Häusergruppe schellen.

Die Knaben schauten alle auf Johannes, der mit niedergeschlagenem Blicke dastand, seine Lippen zuckten; bald aber ging das Necken der Kameraden los:

»Jetzt wird euch euer Häusle verkauft. Dein Vater hat eine Schwarze geheiratet.«

So zwitscherten die Jungen, wie die Alten sungen. Johannes schlug um sich auf jeden, der ihm nahe kam, dann rannte er laut heulend das Dorf hinauf und stand nicht still, wenn ihn manche fragten, warum er weine; er rannte unaufhaltsam fort, heim zu seiner Mutter. Zilge stand in der Küche und schnitt Brot für eine Suppe; »Mutter, gib mir das Messer,« schrie Johannes, »gib's mir. Wenn der Vater kommt, stech' ich ihn mit tot.«

Zilge entfiel im Schreck ob dieser Worte das Messer aus der Hand, sie wies den Knaben scharf zurecht, in ihrem Innern aber trauerte sie tief, da sie nun immer gräßlicher wahrnahm, welch ein Kind sie mit ihrem Hasse groß gezogen. Und dennoch wälzte sie die Hauptschuld auf Seb. Sollte ein so schlechter Vater ein braves Kind haben? Welch ein mutiger aufgeweckter Knabe wäre das unter dem Auge des Vaters geworden, und mit welchen Verbrechen wird er nun sein Leben erfüllen? . . .

Sie wußte das Kind nicht anders zu beruhigen, als indem sie ihm sagte: »Dein Vater kommt nie mehr wieder, und du bist mein Sohn und mußt brav sein und meine Stütze im Alter.«

Dieses letzte allein beschwichtigte endlich den unnatürlich erregten Knaben; aber noch als ihn die Mutter schlafen legte, wollte er nicht beten, und als er endlich auf ihr Bitten die Worte sprach: »Lieber Gott, behüt' meinen Vater« – da warf sich Zilge auf ihn nieder und bedeckte ihn mit Küssen.

»Wirst sehen, ich werd' für dich sorgen,« beteuerte das Kind und schlief endlich ein.

Zilge zündete kein Licht an und saß am Fenster, bald vor sich nieder, bald in den sternglitzernden Himmel schauend, wo Sternschnuppen hin und her flogen; sie hatte nichts mehr, das sie sich dabei wünschen konnte, als: Gott möge ihre Kinder in seinen Schutz nehmen und sie brav werden lassen.

Auf der Bergwiese vor ihrem Hause war es heute nacht lebendig, man mähte das Oehmd, und der würzige Tauduft stieg zu Zilge empor, aber das Schnittrascheln der Sense zuckte ihr durch das Herz. Sie hielt mit der Hand fest die Fensterleiste, als wollte sie damit ihr Haus festhalten und es nicht aus der Hand geben. Kann das Elend noch tiefer gehen? Warum kann man nicht sterben vor Kummer? Wie lange mußt du warten, bis der Tod dich niedermäht? Das war ihr einziges Denken.

Des Zieglers Hund im Thale bellte, und alle Hunde im Dorf bellten ihm nach. Wenn ein Hund einen Feind abwehrt oder für sich klagt, stimmen alle ein, die Menschen aber . . . Zilge rieb sich oft die Augen, aber sie konnte nicht weinen, und die Augen mit der Hand zugedrückt, legte sie das Haupt auf das Fenstersims . . .

Da öffnete sich die Thüre.

»Wer ist's? Wer will was?«

»Ein Bettelmann kommt und bittet.«

Wehe! was ist das für eine Stimme?

»Hilfe! Hilfe!« schrie Zilge zum Fenster hinaus.

»Sei ruhig, liebe gute Zilge, ich bin's, dein Mann –«

»Weg, weg, fort, ich will dich nicht, lebst du, oder bist du tot, ich will dich nicht, nicht in dieser Welt und nicht in jener.«

Eine Hand legte sich auf Zilge, von Fieber geschüttelt, zuckte sie zusammen, dann schrie sie laut auf und sank auf den Boden.

Die Mäher, die den Hilferuf gehört, kamen herbei; Seb, denn dieser war es, hieß sie wieder gehen, seine Frau habe eine Ohnmacht bekommen, sie sollten nur den Nachbar Küfer und dessen Frau holen.

Er richtete Zilge auf, und plötzlich fing sie laut an zu lachen.

»Gelt, du bist der Maurer Seb? Ja, der Maurer, du hast mich lebendig eingemauert. Rühr' mich nicht an, nie, nie, und wenn du mit der Krone auf dem Kopf wiederkommst, ich will dich nicht mehr, geh hin, wo du gewesen bist, geh, geh.«

Sie stieß ihn mit großer Macht von sich und fing dann an, laut zu weinen und zu schluchzen.

»Um Gottes willen, Zilge, sei doch ruhig,« bat Seb, »häng' nicht alles an die große Glocke, schrei' nicht so.« –

»Du hast alles an die große Glocke gehängt, mich, die Kinder und das Haus. Es gibt gar nichts, was du nicht gethan hast; weg, weg,« rief sie noch lauter.

Die Nachbarn kamen und zündeten Licht an.

Als Seb nach seinen Kindern sehen wollte, sprang Zilge wie rasend auf und duldete es nicht.

»Er hat sieben Jahr nicht nach ihnen gesehen, sie gehen ihn nichts mehr an,« rief sie.

Seb und die Nachharn waren starr, da sie Zilge sahen, sie war leichenblaß, strich sich bald mit beiden Händen über die Stirn, bald streckte sie die Hände vor sich hin mit ausgespreizten Fingern, ihre Augen lagen weit heraus. So oft Seb ein Wort sagen wollte, schrie sie laut, als steche man sie mit Dolchen.

Die Kinder erwachten weinend, Seb rief ihnen zu, aber Zilge gebot ihnen, nicht zu antworten.

Vor dem Hause war alles versammelt, was noch im Dorfe wach war. Der Maurer Seb ist wieder da, das hatte sich schnell verbreitet, aber Zilge raste und wütete immer fort, und Seb mußte sich endlich aus seinem eigenen Hause vertreiben lassen, aus dem er vor Jahren entflohen war. Der Nachbar Küfer beredete ihn beschwichtigend dazu, und die Küferin versprach, diese Nacht bei Zilge zu bleiben. Seb reichte den Bewillkommnenden kaum die Hand, denn er hörte vom Küfer, daß man an seiner Frau schon lange Anzeichen von Irrsinn bemerkt habe, sie habe sich ihre Verlassenheit zu sehr zu Herzen genommen und nur selten mit jemand davon gesprochen. Am Morgen, als Seb in sein Haus kam, fand er Zilge noch schlafend, er näherte sich auf den Zehen ihrem ärmlichen Lager. Wie abgehärmt sah sie aus! Aber sie mußte doch seinen Blick gespürt haben, denn sie schlug mit der Hand um sich und wendete sich nach der Seite.

Die Küferin berichtete leise, wie Zilge ihr gestanden habe, als sie ihren Mann gehört, gesehen und seine Hand gespürt, habe sie nicht mehr gewußt, wo sie sei, was sie thue, und was sie rede, und da sei ihr auf einmal all das in den Sinn gekommen, was sie seit Jahren einsam für sich gedacht und gesprochen, und heraus sei es, und es sei ihr gewesen. als ob etwas in ihrem Kopfe reiße, es habe gesurrt und geschnellt, wie wenn man einen Seidenfaden beim Nähen spannt, mit dem Finger tönen macht und dann reißt, und sie habe reden müssen, wie sie sich's tausendmal vorgesagt. »Ein Teufel,« das waren ihre Worte, »ein Teufel habe aus ihr gebellt.« Seb schöpfte aus dieser Mitteilung doch einigen Trost. Es gelang ihm mit Hilfe der Küferin, die Kinder in das Nachbarhaus zu bringen, das Mädchen war bald zutraulich gegen den Vater, der Knabe aber blieb trotzig und widerspenstig, er stand immer beiseite mit niedergeschlagenen Blicken, und nur manchmal heftete er sein großes Auge auf den Vater. Welche unergründlichen Gedanken sprachen aus diesem Auge. Nicht von dem Vater, sondern nur von dem Küfer ließ sich der kleine Johannes die neuen schönen Kleider anziehen, die der Vater ihm und der Schwester mitgebracht hatte. Die Kleider waren zu eng und knapp. Seb hatte sich im Wachstum seiner Kinder verrechnet. Er schien sich überhaupt verrechnet zu haben, denn kaum war Johannes schön geschmückt, als er, ohne ein Wort zu sagen, das Dorf hineinrannte; er kam aber alsbald wieder in vollem Atem, er hatte offenbar die neuen Kleider seinen Kameraden zeigen wollen und war doch wieder, von einem Schamgefühl gejagt, unaufhaltsam hin und her durch das Dorf gerannt, als brennten die Kleider.

Ein seltsamer Zwiespalt ging in dem wilden Knabenherzen vor. Das Mädchen, schon viel zu groß dafür, ließ sich doch von dem Vater auf dem Arme tragen, es war glückselig in seinem neuen Kleide, und Seb trug das Kind unter Küssen rund um das Haus und stand lange bei den Tannen, die er ehemals seinen Wald genannt. Die Sonne schien so hell und warm, der Würzgeruch des frischgemähten Oehmdes erfüllte die Luft, die Welt wird mit jedem Morgen wieder neu; warum sollte das ein Menschenherz nicht auch können?

Endlich hörte Seb, daß Zilge aufgestanden war, er ging mit den Kindern an der Hand in die Stube, der Knabe wand sich unwillig an seiner Rechten. Zilge saß am Fenster, blaß mit hohlen Wangen, sie blickte unbewegt gläsern darein.

Sie schüttelte mehrmals nickend den Kopf, als Seb sie mit liebreichen Worten begrüßte und sie um Verzeihung hat, daß er sie am Abend so plötzlich überrascht; er habe gehofft, es damit gut zu machen. Sie ließ ihn ihre Hand fassen, die leblos und starr in der seinen lag, dann sagte sie, sich hin und her wendend:

»Er sieht gut aus wie ein Bierbrauer.«

Es war, als spräche sie zu jemand Fremdem, und doch war niemand außer Seb und den Kindern in der Stube.

Jetzt erst schien sie die Kinder zu bemerken, sie rief sie zu sich und riß ihnen hastig die Kleider vom Leibe; das Mädchen weinte darob, und sie sagte:

»Er hat euch sieben Jahr hungrig und nackt gelassen; damit fangt man mich nicht. Gib die Kleider, wem du willst.«

Seb bat sie, doch vor den Kindern gemäßigter zu sein, sie aber sagte:

»Sie haben das Elend bisher mit angesehen, sie können's auch noch weiter.«

Seb brachte die Kinder aus dem Hause, dann setzte er sich zu seiner Frau und erzählte ihr, wie ja alles wieder gut sei und besser als je, er sei nach Kalifornien gereist, wo man Gold grabe, er habe sich aber damit nicht abgegeben, sondern auf seinem Handwerk gearbeitet und dabei großen Verdienst gehabt, er habe mehr als zehn Bauten ausgeführt, und keine sei ihm mißlungen. Zum Beweise seines Wohlstandes legte er mehrere Goldrollen auf den Tisch und brach einige davon auf, daß der Inhalt wie neugierig auf den Tisch rollte. Zilge aber schüttelte den Kopf, und erst auf wiederholtes Bedrängen sagte sie: »Damit fängt man mich nicht,. wenn du tausend Millionen bringst, kaufst du mir nicht ab, was da drin –« sie deutete auf ihr Herz, es würgte sie im Halse, sie konnte nicht weiter reden.

Man hörte Besuche vor der Hausthüre, Seb raffte schnell das Gold wieder zusammen, und als viele Männer und Frauen eintraten, sagte Zilge lachend:

»Wenn ein Hund an der Kette liegt, werfen die Buben mit Steinen nach ihm, sie wissen wohl, warum, wenn er aber los ist, hui!«

Sie erklärte trotz vieler Fragen beharrlich nicht, was sie damit meinte, und die Leute schüttelten den Kopf ob ihres Irreredens; sie hatte aber wohl damit sagen wollen, daß man sie in ihrem Elend vielfach verhöhnt und verspottet habe, und allerdings waren unter den Angekommenen auch Menschen, die sich das hatten zu schulden kommen lassen. Seb drängte die Besuchenden mit Höflichkeit hinaus und verschloß die Hausthüre, und jetzt wendete er sich mit erneutem Eifer an Zilge und beteuerte ihr, wie er ihr jede Minute ihres Lebens doppelt vergelten wolle für das große Leid, das er ihr angethan. Zilge lächelte freudig, faßte seine Hand und drückte sie, als er aber hinzusetzte: »So ist's recht, jede Minute, die wir noch jetzt von unserem schönen gesegneten Leben verlieren, ist eine Sünde an Gott,« da schrie sie laut auf und stieß ihn von sich, indem sie sagte:

»So? Eine Sünde an Gott ist jede verlorene Minute? Wie viel Minuten hat sieben Jahr? Hol' die Tafel und rechne. Nein, nein, nein, du kannst gehen, wohin du willst. Sieben Jahre verlassen sein ist ein Scheidegrund, ich will's auf mich nehmen, was du willst, wie du willst, sag' mir nichts mehr von deinem Geld –«

»Und unsere Kinder?« sagte Seb bebend.

»Ihnen zulieb möcht' ich schon, aber ich kann nicht, Gott ist mein Zeug', ich kann nicht;« sie schlug sich wie beteuernd mehrmals auf die Brust, dann sagte sie dumpf:

»Wart' nur noch eine Weile, dann holt mich der Tod, dann hast alles allein, alles, ich will nichts davon, gar nichts, man soll mich mit meinen Lumpen zudecken.« –

Seb legte den Kopf weinend auf den Tisch, Zilge stand auf und fuhr ihm mit der Hand über die Haare, dann sank sie plötzlich nieder. Seb trug sie in seinen Armen auf das Bett, dann eilte er hinaus und schickte einen reitenden Boten nach dem Arzte.

Als es zum erstenmal zur Kirche läutete, richtete Zilge sich auf und sagte:

»Nimm das Gesangbuch, nimm's, was zitterst? Sind dir meine Thränen drin zu schwer? Lies, sing's ganz durch, von Anfang bis End, mein Leid und mein Weh steht nicht drin, das hat keiner gewußt, das hat kein Schriftgelehrter, kein Heiliger und kein Kirchenvater erlebt.«

Seb saß auf einem Schemel zu Füßen seiner Frau, die die Augen schloß und, wie es schien, ruhig schlummerte. Die Glocken läuteten zur Morgenkirche, und Seb bedeckte sich sein Antlitz mit beiden Händen. Wie stolz triumphierend hatte er unter diesem Geläute an der Hand seiner Frau vor aller Welt wieder erscheinen wollen, wie hatte er gehofft, ihr Herz mit Jubel zu erfüllen, da er nun die Glücksgüter ihr in den Schoß legte, die ihrem feinen ehrliebenden Wesen gebührten! Und jetzt! Zorn und Ingrimm wollten in ihm aufsteigen, er hatte sich ja keine Ruhe und keinen Genuß gegönnt, nur um diese Höhe zu erreichen. Wie aber, wenn sie unterdes gestorben, da sich ihr Herz ihm verfremdet und im Elend verkümmerte, so daß es nicht mehr fähig war, ein heiteres Glück und ihn in sich aufzunehmen? Wie muß Schmerz und Jammer in dieser Seele gewühlt haben, bis sie verwirrt und zerrüttet war! Seb fühlte sich auf einmal tief gedemütigt. Er konnte jetzt ein Haus erbauen, wie keines im Dorfe war, aber läßt sich erstorbene Liebe wieder auferbauen? Seb wand sich hin und her, und die Geldrollen in seiner Brusttasche schlugen von außen wie ein schwerer Hammer an sein klopfendes Herz. Leibhaftig fühlte er jetzt die ungeahnten Schläge, die ihm nun sein Reichtum brachte. Und mitten in aller schweren Kümmernis überkam ihn doch wieder ein trostreicher Gedanke: wie mußte ihn diese Frau einst geliebt haben, und ihn allein, keinen Reichtum und keine Größe, sie fragte nichts danach, es schauderte sie davor, sie waren mit ihrem Herzblute erkauft. – Von dem Gedanken der unergründlichen Liebe seines Weibes bewegt, schnellte Seb empor und drückte einen Kuß auf die blasse, nur leicht gerötete Wange der Schlafenden.

Die Kinder kamen herbei; Seb kleidete sie wiederum festlich an, und selbst Johannes ließ ihn gewähren, dann stellte sich der Knabe zu Häupten des Bettes und betrachtete mehrmals die Mutter, meist aber stand er, das Kinn auf die Brust gesenkt, die Augen zum Vater aufrichtend und fest auf ihn schauend. Ein Kind kann mit einer Dauer und unbewegten Stetigkeit den Blick auf einen Gegenstand heften, wie das Auge eines Erwachsenen ohne zu blinzeln nicht vermöchte, und dieser starre Kindesblick gewinnt eine Durchdringlichkeit und Strenge, der keine Worte gleichkämen. Seb senkte oft den Blick, wenn er den dreinstarrenden Knaben ansah. Er brachte kein Wort aus ihm heraus. nur einmal sagte der Knabe von selbst: »Gelt, die Mutter wird nicht sterben?«

Der Knabe hatte gehört, daß Seb einen reitenden Boten nach dem Arzte geschickt, und daher die eigentümliche Erweichung seines starren Wesens: vielleicht hatten aber auch die neuen Kleider doch eine Aenderung in ihm hervorgebracht.

Als Zilge erwachte und die wieder geschmückten Kinder sah, bat Seb, ihnen doch die Kleider zu lassen. – Sie schwieg.

Der Arzt kam und fand den Zustand Zilges nur wenig beunruhigend; als Seelenkundiger empfahl er indes noch Seb die äußerste Geduld und Nachgiebigkeit, da Zilge ohnedies schon oft an Anfällen von Schwermut gelitten habe.

Als Seb die Aussagen der Küferin berichtete, lächelte der Arzt und sagte, Zilge sei zwar durch ihr Stubenleben und ein gewisses nachdenkliches Grübeln etwas feingeartet, aber doch nicht so subtil, daß nicht alles noch zu Gutem sich wenden könne.

Seb verließ keine Minute seine Frau, aber er durfte ihr nichts reichen, sie nahm nichts aus seiner Hand, und nur von der Küferin.

Als die Nachmittagskirche ausläutete, sagte sie:

»Jetzt versteigern sie unser Haus, geh doch auch dazu und kauf's, wenn du kannst.«

Seb wollte erklären, daß das nun nicht mehr geschehe, und wäre es auch, er behielte es doch nicht mehr. In bitterem Tone sagte darauf Zilge:

»Nicht einmal das will er mir thun!«

Seb ging und kam bald wieder, indem er freudig rief:

»Das Haus ist wieder dein und blank.«

Zilge sah starr drein, als ob sie gar nichts gehört hätte.

Mit Seb war auch der Bruder Landjäger gekommen. Er hatte von der Ankunft seines Schwagers gehört und hatte ihn beim ersten Ausgang getroffen; er, der sonst nicht Schimpfworte genug für den Seb gehabt, war jetzt stolz auf ihn und sein bester Freund, zumal, da er ihm eine silberne Taschenuhr mitgebracht hatte. Er zog jetzt heftig gegen Zilge los, daß sie sich so ziere und sperre. Seb suchte seinen Reden Einhalt zu thun; aber mit jener Art von martialischem Gleichmut, ja von Heiterkeit, die solche Leute gern bei einer Exekution zur Schau stellen, strich sich der Bruder Landjäger den Schnurrbart und sagte, auf umherstehende Süßigkeiten deutend:

»Das ist nichts, der muß man's einmal aus dem Salz geben, dann ist sie geheilt; du bist viel zu zimpfer, Seb.«

Dieser verbot mit Gemessenheit jedes weitere derartige Wort, aber der Bruder Landjäger kehrte sich nicht daran, und Seb wußte endlich keinen andern Ausweg, als daß er den Bruder Landjäger mit sich fort nach dem Wirtshause zog. Zilge verriegelte hinter ihnen die Hausthüre und öffnete sie nicht mehr.


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