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»Kein Feuer, keine Kohle
Kann brennen so heiß, Als heimlich stille Liebe, Von der niemand nichts weiß . . .« |
So sang Amrei morgens am Herdfeuer stehend, während alles im Hause noch schlief.
Der Roßbub, der den Pferden zum erstenmal Futter aufsteckte, kam in die Küche und holte sich eine Kohle für seine Pfeife.
»Was thust denn du schon so früh auf, wenn die Spatzen murren?« fragte er Barfüßele.
»Ich mache eine Tränke für die Kälberkuh,« antwortete Barfüßele, Mehl und Kleie einrührend, ohne sich umzuschauen.
»Ich und der Oberknecht, wir haben dich gestern abend beim Tanz noch gesucht, aber du bist nirgends zu finden gewesen,« sagte der Roßbub. »Freilich, du hast nimmer tanzen wollen; du bist zufrieden, daß dich der fremde Prinz zum Narren gehalten hat.«
»Es ist kein Prinz, und er hat mich nicht zum Narren gehabt. Und wäre das auch, ich möcht' lieber von so einem zum Narren als von dir und dem Oberknecht zum Gescheiten gehabt sein.«
»Warum hat er dir aber nicht gesagt, wer er ist?«
»Weil ich ihn nicht gefragt habe,« erwiderte Barfüßele.
Der Roßbub machte einen derben Witz und lachte selber darüber; denn es gibt Gebiete, in denen der Einfältigste noch witzig ist. Das Antlitz Barfüßeles flammte auf in doppelter Röte, angeglüht vom Herdfeuer und von innerer Flamme, sie knirschte die Zähne übereinander, und jetzt sagte sie:
»Ich will dir was sagen: du mußt selber wissen, was du wert bist, und ich kann dir's nicht verbieten, daß du vor dir selber keinen Respekt hast; aber das kann ich dir verbieten, daß du vor mir keinen Respekt hast. Das sag' ich dir. Und jetzt gehst du hinaus aus der Küche, du hast hier nichts zu thun, und wenn du nicht gleich gehst, will ich dir zeigen, wie man hinauskommt.«
»Willst du die Meistersleute wecken?«
»Ich brauch' sie nicht,« rief Barfüßele und hob ein brennendes Scheit vom Herde, das knatternd Funken sprühte. »Fort, oder ich zeichne dich.«
Der Roßbub schlich mit gezwungenem Lachen davon. Barfüßele aber schürzte sich hoch auf und ging schwer aufatmend mit der dampfenden Tränke hinab in den Stall.
Die Kälberkuh schien es mit Dank zu empfinden, daß sie schon in so früher Stunde bedacht wurde, sie brummte, setzte mehrmals ab im Saufen und schaute Barfüßele mit großen Augen an.
»Ja, jetzt werd' ich viel gefragt und gehänselt werden,« sagte Barfüßele vor sich hin, »aber was thut's?«
Mit dem Melkkübel auf eine andere Kuh losgehend, sang sie:
»Dreh dich um und dreh dich um,
Rotg'scheckte Kuh, Wer wird dich denn melken, Wenn ich heiraten thu'?« |
»Dummes Zeug!« setzte sie dann, wie sich selbst ausscheltend, hinzu. Sie vollführte ihre Arbeit nun still, und allmählich erwachte das Leben im Hause, und kaum war Rosel erwacht, als sie Barfüßele nachlief und sie ausschalt, denn Rosel hatte ein schönes Halstuch verloren. Sie behauptete, sie habe es Barfüßele zum Aufbewahren gegeben, diese aber habe in ihrer Mannstollheit alles weggeworfen, als der Fremde sie aufforderte, und wer weiß, ob's nicht ein Dieb war, der den Gaul und die Kleider gestohlen hat und den man morgen in Ketten einbringt, und es sei eine Schande gewesen, wie Barfüßele laut beim Tanze gejauchzt habe, und sie solle sich in acht nehmen, denn der Enzian-Valentin habe gesagt: wenn eine Henne kräht wie ein Hahn, schlägt das Wetter ein und gibt's Unglück. Sie habe sie zum ersten- und letztenmal mit zum Tanz genommen; sie habe sich fast die Augen aus dem Kopfe geschämt, daß sie sich überall habe müssen sagen lassen: so eine dient bei euch. Wenn ihr die Schwägerin nicht die Stange hielte und es ihr nachginge, müßte die Gänshirtin sogleich fort aus dem Haus.
Barfüßele ließ alles ruhig über sich ergehen, sie hatte heute schon die beiden Endpunkte dessen wahrgenommen, was sie nun erfahren müsse, und sie hatte darauf von selbst gethan, wie sie es nun immer halten wollte: wer sie ausschimpfte, den schüttelte sie mit Schweigen von sich, wer sie ausspottete, den trumpfte sie ab. Hatte sie auch nicht immer ein brennendes Scheit bei der Hand wie beim Roßbuben, sie hatte Blicke und Worte, die den gleichen Dienst thaten.
Barfüßele konnte der schwarzen Marann' nicht genug erzählen, was ihr die Rosel anthat im Hause, und da sie es zu Hause nicht thun konnte, ließ Barfüßele hier ihre Zunge los und schalt auf die Rosel mit den heftigsten Worten. Schnell aber besann sie sich wieder und sagte:
»Ach Gott, das ist nicht recht, die macht mich jetzt auch so schlecht, daß ich solche Worte in den Mund nehme.«
Die Marann' aber tröstete: »Daß du so schimpfest, das ist brav. Schau, wenn man etwas Ekelhaftes sieht, muß man ausspeien, sonst wird man krank, und wenn man etwas Schlechtes sieht und hört und erfährt, da muß man schimpfen, da muß die Seele auch ausspeien, sonst wird sie schlecht.«
Barfüßele mußte lachen über die wunderlichen Tröstungen der schwarzen Marann'.
Tag um Tag verging in alter Weise, und man vergaß bald Hochzeit und Tanz und alles, was dabei geschehen war. Barfüßele aber spürte ein ewiges Hinausdenken, das sie gar nicht bewältigen konnte.
Es war gut, daß sie der schwarzen Marann' alles anvertrauen konnte. »Ich meine, ich habe mich versündigt, daß ich damals so über alles hinaus lustig war,« klagte sie einmal.
»An wem hast du dich versündigt?«
»Ich meine, Gott straft mich dafür.«
»O Kind, was machst du da? Gott liebt die Menschen wie seine Kinder. Gibt es für Eltern eine größere Freude, als ihre Kinder lustig zu sehen? Ein Vater, eine Mutter, die ihre Kinder fröhlich tanzen sehen, sind doppelt glücklich, und so denk' auch: Gott hat dir zugesehen, wie du getanzt hast, und hat sich recht gefreut, und deine Eltern haben dich auch tanzen sehen und haben sich auch gefreut. Laß du die ungestorbenen Menschen reden, was sie wollen. Wenn mein Johannes kommt, hei, der kann tanzen! Aber ich sage nichts. Du hast an mir einen Menschen, der dir Recht gibt; was brauchst du denn mehr?«
Freilich, Wort und Beistand der schwarzen Marann' war tröstlich, aber Barfüßele hatte ihr doch nicht alles gesagt. Es war ihr nicht bloß um das Gerede der Menschen zu thun, und es war nicht mehr wahr, daß sie sich genügen ließ, nur einmal vollauf glücklich gewesen zu sein. Sie sehnte sich doch wieder nach dem Manne, der ihr wie eine erlösende Erscheinung gekommen war, der sie so ganz verändert hatte und nun nichts mehr von ihr wußte.
Ja, Barfüßele war sehr verändert. Sie ließ es an keiner Arbeit fehlen, man konnte ihr nichts nachreden; aber eine tiefe Schwermut setzte sich in ihr fest. Jetzt kam noch ein anderer Grund dazu, der sich vor der Welt offen geltend machen durfte. Dami hatte von Amerika aus noch kein Wort geschrieben, und sie vergaß sich so weit, daß sie einmal zur schwarzen Marann' sagte:
»Es heißt nicht umsonst im Sprichwort, wenn man Feuer unter einem leeren Topf hat, verbrennt eine arme Seel'. Unter meinem Herzen brennt ein Feuer, und meine arme Seele verbrennt.«
»Was ist denn?«
»Daß der Dami auch nicht schreibt! Das Warten, das ist die schrecklichst gemordete Zeit, es gibt keine, die man ärger umbringen kann als mit dem Warten; da ist man ja in keiner Stunde, in keiner Minute mehr daheim, auf keinem Boden mehr fest, und immer mit einem Fuß in der Luft.«
»O Kind! Sag das nicht,« jammerte die Marann'. »Was willst denn du vom Warten reden? Denk an mich, ich warte geduldig und warte bis zu meiner letzten Stunde und geb's nicht auf.«
In der Erkenntnis fremden Kummers löste sich der Schmerz Barfüßeles in Thränen auf, und sie klagte: »Mir ist so schwer. Ich denk' jetzt immer auf Sterben. Wie viel tausend Kübel Wasser muß ich noch holen, und wie viel Sonntage gibt's noch? Man sollte sich eigentlich gar nicht so viel grämen, das Leben hat ja so bald ein Ende, und wenn die Rosel zankt, denk' ich: ja, zank du nur, wir sterben beide bald, dann hat's ein End'; und dann überfällt mich wieder eine Angst, daß ich mich so arg vor dem Sterben fürchte. Wenn ich so liege und will mir denken, wie es ist, wenn ich tot bin: ich höre nichts, ich sehe nichts, dieses Auge, dieses Ohr ist tot, alles da um mich her ist nicht mehr da, es wird Tag, und ich weiß nichts mehr davon; man mäht, man erntet, ich bin nicht mehr dabei. O warum ist denn das Sterben! . . . Was willst du machen? Haben andere auch sterben müssen, und die waren noch mehr als du. Man muß es ruhig ertragen. – Horch, der Schütz schellt aus,« so unterbrach sich Barfüßele in der seltsamen Klage, und sie, die eben sterben wollte, und wieder nicht sterben wollte, hätte doch gern erfahren, was der Dorfschütze noch ausschellt.
»Laß ihn schellen, er bringt dir doch nichts,« sagte die Alte wehmütig lächelnd. »O was ist der Mensch! Wie muß jeder wieder die harte Nuß aufzuknacken suchen und sie doch endlich ungeöffnet beiseite legen! Ich will dir sagen, Amrei, was mit dir ist: du bist jetzt sterbensverliebt. Sei froh, so gut wird es wenigen Menschen, es wird wenig Menschen so wohl, daß sie eine rechte Liebe in sich spüren; aber nimm dir ein Beispiel an mir, laß die Hoffnung nicht fahren. Weißt, wer schon bei lebendigem Leibe gestorben ist? Wer nicht von jedem Tag, absonderlich wer nicht von jedem Frühling meint: jetzt fängt das Leben erst recht an, jetzt kommt etwas, was noch gar nie dagewesen ist. Dir muß es noch gut gehen, du thust ja lauter Gottesthaten. Was hast du an deinem Bruder gethan, was an mir, was am alten Rodelbauer, was an allen Menschen! Aber es ist gut, daß du nicht weißt, was du thust. Wer Gutes thut und betet und immer daran denkt und sich was drauf einbildet, der betet sich durch den Himmel durch und muß auf der anderen Seite die Gänse hüten.«
»Das hab' ich schon hier gethan, davon bin ich erlöst,« lachte Barfüßele, und die Alte fuhr fort:
»Mir sagt eine Stimme, daß der, der mit dir getanzt hat, mein Johannes gewesen ist, kein anderer Mensch. Und ich will dir's nur sagen; wenn er nicht verheiratet ist, dich muß er nehmen. Sammetkleider hat mein Johannes immer gern gehabt, und ich denk' jetzt so: er läuft jetzt um die Grenze herum, bis unser König stirbt, dann kommt er herein ins Land; aber unrecht ist's, daß er mir nichts sagen läßt, und es thut mir so and (sehnsüchtig) nach ihm.«
Barfüßele schauderte vor der unverwüstlichen Hoffnungskraft der schwarzen Marann' und wie sie sich immer und immer an ihr festhielt.
Sie erwähnte fortan selten den Fremden, nur wenn sie von der Hoffnung auf Wiederkehr sprach und dabei Dami nannte, konnte sie sich nicht enthalten, dabei auch innerlich an den Fremden zu denken. Er war ja nicht über dem Meer und konnte doch auch wiederkommen und schreiben; aber freilich, er hat dich ja nicht gefragt, wo du her bist. Wie viel tausend Städte und Dörfer und Einsiedelhöfe gibt's in der Welt . . . vielleicht sucht er dich und findet dich nimmer wieder. Aber nein, er kann ja in Endringen fragen. Er kann nur den Dominik fragen und das Ameile, und die werden ihm gut Bescheid geben. Aber ich weiß nicht, wo er ist, ich kann nichts thun.
Es war wiederum Frühling geworden, und Amrei stand bei ihren Blumen am Fenster, da kam eine Biene dahergeflogen und saugte sich fest an dem offenen Kelche. Ja so ist's, dachte Barfüßele, so ein Mädchen ist wie eine Pflanze, festgewachsen an dem Ort, das kann nicht herumgehen und suchen, das muß warten, bis das da zufliegt.
»Wenn ich ein Vöglein wär'
Und auch zwei Flügelein hätt', Flög' ich zu dir; Weil's aber nicht kann sein, Bleib' ich allhier. Bin ich gleich weit von dir,
Es vergeht kein' Stund in der Nacht,
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So sang Barfüßele.
Es war wunderbar, wie jetzt alle Lieder auf Barfüßele gesetzt waren, und wie viel Tausend haben sich diese schon aus der Seele gesungen, und wie viel Tausende werden sie sich noch aus der Seele singen!
Ihr, die ihr euch sehnt und endlich ein Herz umschlungen haltet, ihr haltet damit umschlungen das Lieben aller derer, die je waren und sein werden.